Wann ging die griechische Religion unter?


würde man vor allem erkennen, dass das von mir angeschlagene Thema ein historisches ist und kein, wie du meinst, prähistorisches; übrigens auch nicht mit "Fantasien", sondern mit Sachargumenten und Expertenzitaten untermauert, was dich ein Klarblick ebenfalls erkennen ließe.

Aber was kann man von jemandem erwarten, der über Clankriege im Paläolithikum fantasiert?
 
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sondern mit Sachargumenten und Expertenzitaten untermauert
das hab ich sogar gesehen, tolle Sache, wenn man ein paar Expertenzitate zu sehr alten assyrischen Angelegenheiten kennt und freundlicherweise zitiert - wäre das Thema Grundlagen der assyrischen Religion(en) gäbe es auch kein :nono:

Aber etwas Lesevermögen vorausgesetzt, kann man bemerken, dass es laut Überschrift und #1 hier - innerhalb der Rubrik Antikes Griechenland - Geschichtsforum.de - Forum für Geschichte - nicht um assyrische Spezialitäten oder noch ältere Angelegenheiten geht. Sondern?
 
Und was "mein" Thema mit dem Untergang der griechischen Religion zu tun haben könnte?
(I)
Indirekt sehr viel. Der klassische griechische Polytheismus war eine regionale Variante der altorientalischen königsideologischen Himmelshierarchie mit einem - im Alten Orient ab dem 3. Jt. verbindlichen - männlichen Königsgott an der Spitze, (...)
(II)
Insofern also der klassische Polytheismus Ausdruck einer autokratischen und im 3. bis 1. Jt. BCE allgemein verbreiteten Königsideologie war, musste die seit dem 6. Jh. in Griechenland einsetzende relative Demokratisierung zu einer ersten Schwächung eines solchen theologischen Systems führen, flankiert durch das Aufkommen aufklärerischer Philosophie sowie der einflussreichen Erlöser-Mysterienkulte, die im Unterschied zum griechischen Polytheismus eine lebendige und authentische Religiosität manifestierten. (...)
(III)
Es waren also diese vier Faktoren: (1) die Niederlage Athens und die damit verbundene Entzauberung der Polisreligion, (2) die (relative) attische Demokratisierung, die allerdings Mitte des 3. Jh. ein Ende fand, (3) die anti-polytheistische Philosophie sowie (4) die vitalen und einflussreichen Erlöser-Mysterienkulte, die dem klassischen Polytheismus nach und nach den Boden entzogen. Den Rest gab ihm dann das zu staatlicher Macht gelangte Christentum.
(IV)
Im Zusammenhang mit meinem "Offtopic"-Thema spielen dabei vor allem Punkt (3) und (4) eine Rolle, da diese die Relevanz eines hierarchischen Pantheons für den Machterhalt einer autokratischen Elite systematisch untergraben haben.
(V)
Dass das Christentum schließlich diese Machterhaltungsrolle übernehmen konnte im Zuge einer persönlichen Entscheidung Konstantins, liegt u.a. daran, dass die beiden Aspekte (3) und (4), also Philosophie und Erlöser-Mysterium, integrale Bestandteile des christlichen Systems waren, die es den klassischen polytheistischen Systemen überlegen erscheinen ließen.
(ich habe mich einer Nummerierung von I bis V erdreistet)

zu (I)
in der Spätantike lässt sich keine Erinnerung, keine Reminiszenz an diese denkbare Herkunft der griech. "heidn." Religion in den Quellen feststellen; die ggf jahrtausendealte Herkunft dürfte für die Spätantike eher irrelevant sein
zu (II)
gab es nicht ein paar Vorsokratiker, Sophisten, die den schönen Satz "die Götter sind eine Erfindung weiser Statsmänner" prägten?
zu (III)
das klingt durchaus plausibel - aber dafür brauchen wir (I) nicht
zu (IV)
das ist richtig, aber auch hier spielt (I) und noch älteres längst keine Rolle mehr.
(man muss also nicht immer zu Adam und Eva zurückgehen) ;)
zu (V)
so scheint es - interessant ist der intellektuelle Widerstand gegen das Christentum (Celsus u.a.), das zeitweilig starke Aufblühen des Neuplatonismus (einige der spätantiken mächtigen Heiden, z.B. Stilicho (vgl. H. Wolfram) waren Neuplatoniker), parallel aber auch die Feindseligkeit des Christentums gegenüber den diversen "heidnischen" Philosophien; ebenso interessant die Konkurrenz der Mysterienkulte zum Christentum (vgl. P. Brown, die letzten Heiden)

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die ursprüngliche Frage allerdings war ja, wann die (antike heidnische) griech. Religion unterging, und überlegenswert ist, diesen Zeitpunkt schon etwas vor Theodosius und Konstantin anzusetzen:
nach der Eroberung durch Rom, nach ein paar Generationen "Römer sein", nach der Etablierung zahlreicher Götterkulte (samt deren jeweils gegenseitigen Entsprechungen (Zeus =Iuppiter etc) und deren bunter vielfältiger Vermischungen war die ehemalige griech. Religion gleichsam zum nur noch dekorativen abgesunken (jedenfalls in den großen Städten) - die Literaten und Philosophen spotteten über die Götter und Helden - auf jeden Fall kann man ungefähr beginnend im 1. vorchristlichen Jh. kaum noch von einer dezidiert griechischen Religion sprechen, es herrschte ein "Götter-Multi-Kulti".

Im Zusammenhang damit ist interessant, dass die "griech. Identität" der Graecia im römischen Imperium nicht die alten Götter als identitätsstiftende Symbole verwendeten (denn die Götter waren sozusagen international geworden,verloren ihre spezielle ethnische Zugehörigkeit), sondern ihre Sprache und kulturelle Leistungen - das Götterpantheon war schon in Rente, bevor die Bischöfe und Kaiser Universitäten und Tempel schließen ließen.
 
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(...) - das Götterpantheon war schon in Rente, bevor die Bischöfe und Kaiser Universitäten und Tempel schließen ließen.
das ist freilich zugegebenermaßen eine etwas überspitzte Darstellung - aber dennoch nehmen die Götter des griech. Pantheons die Praxis der sinkenden Unterhaltungs-Stars vorweg: man engagiert sie nicht mehr in den großen Zentren, stattdessen tingeln sie noch ein wenig durch die ländliche Provinz (wie z.B. Roberto Blanco, in Festzelten auftretend etc.)... Trotz des im spätrömischen Imperium allenthalben vorhandenen Synkretismus (im Sinne der Gleichsetzung/Angleichung regionaler Götter mit "römischen" Göttern a la Mars Thingsus) hielt sich in ländlichen Regionen manche religiöse Praxis in Sachen traditioneller Götter noch bis ins frühe Mittelalter; aber das ändert nichts daran, dass die alten Götter in den großen Städten schon auf dem Abstellgleis waren (eher dekorative Festlichkeit als religiöse Überzeugung darstellend)

Dass das staatlich geförderte Christentum die griech. Götter ausgerottet habe, kann man meiner Ansicht nach nicht so direkt sagen. Frühmittelalterliche klerikale Quellen benennen diverse Gottheiten verschiedener barbarischer Gentes als Teufel und Dämonen, Philosophenschulen wurden bekämpft, ebenso die mehr oder weniger orientalischen Mysterienkulte - aber Zeus, Athene & Co. mussten nicht mehr bekämpft werden. Denn sie waren nur noch Reminiszenz.
 
(1)
Altorientalistik ? Wikipedia
(2)
Mir fehlt leider die Zeit, um in dieses Thema vertieft einzusteigen. Soweit ich das überblicke, gibt es zwei Ursprungstheorien - indogermanisch und kretisch -, welche triftige Argumente für sich haben, wobei auch eine Synthese denkbar ist. Auch der syrische Wettergott Baal hat Wichtiges zur klassischen Zeusvorstellung beigesteuert (Blitzeschleudern).
(3)
Auf Dekumatlands Antwort gehe ich aus Zeitgründen erst morgen ein.
(1)
ist eine hochinteressante Disziplin, aber ihr Gegenstand ist nicht die Spätantike
(2)
ob das wahr oder falsch ist, ist fürs eigentliche Thema völlig unerheblich, denn beides trägt nichts zum aufgeben der griech. heidn. Religion bei
(3)
wird mit Interesse erwartet (aus thematischen Gründen bitte ohne die evtl. orientalische Herkunft diverser Götter)
 
Insofern also der klassische Polytheismus Ausdruck einer autokratischen und im 3. bis 1. Jt. BCE allgemein verbreiteten Königsideologie war, musste die seit dem 6. Jh. in Griechenland einsetzende relative Demokratisierung zu einer ersten Schwächung eines solchen theologischen Systems führen, flankiert durch das Aufkommen aufklärerischer Philosophie sowie der einflussreichen Erlöser-Mysterienkulte, die im Unterschied zum griechischen Polytheismus eine lebendige und authentische Religiosität manifestierten. Die Niederlage Athens im Peloponnesischen Krieg im 4. Jh. schwächte das klassische athenische Pantheon ebenfalls, das nun seine Glaubwürdigkeit verloren hatte, weil seine Götter Athen nicht hatten beschützen können.

Es waren also diese vier Faktoren: (1) die Niederlage Athens und die damit verbundene Entzauberung der Polisreligion, (2) die (relative) attische Demokratisierung, die allerdings Mitte des 3. Jh. ein Ende fand, (3) die anti-polytheistische Philosophie sowie (4) die vitalen und einflussreichen Erlöser-Mysterienkulte, die dem klassischen Polytheismus nach und nach den Boden entzogen.
Zu (1): Woran machst Du diese angebliche Zäsur konkret fest?
Ich will gar nicht abstreiten, dass eine Niederlage eine Schwächung der Religiosität bewirken kann, aber zwingend ist diese Folge nicht. In Ephesos hörte man nicht auf, Artemis zu verehren, als sie ihren Tempel nicht gegen Brandstiftung schützen konnte; in Delphi hörte trotz zweimaliger Zerstörung durch Katastrophen nicht der Orakelkult auf; und in Europa starb trotz des letztendlichen Scheiterns der Kreuzzüge nicht das Christentum aus. Das Judentum gibt es trotz Holocaust und zweimaliger Zerstörung Jerusalems mitsamt Tempel auch immer noch; ebenso in Japan den Shintoismus trotz der Niederlage im 2. WK. Im Gegenteil, Katastrophen können sogar zu einer Belebung der Religiosität führen, z. B. der Dreißigjährige Krieg und diverse Pestwellen zu einer Belebung des Katholizismus im Barock mitsamt neuem Aufschwung des Wallfahrtwesens und von Gelübden.

Zu (2): Athen war nicht Griechenland (ebensowenig wie der Nahe Osten für die gesamte Menschheit und ihre religiöse Entwicklung stand). Man kann nicht einfach Athen (nur weil es am bekanntesten ist) auf ganz Griechenland umlegen. Es wurde keineswegs ganz Griechenland demokratisiert, schon gar nicht nachhaltig. Sparta wurde nie zur Demokratie, Korinth und Sikyon waren meist eine Oligarchie oder wurden von Tyrannen regiert, Syrakus fiel ständig wieder in die Tyrannis zurück, auch Theben war anscheinend kaum mal eine echte Demokratie. Und das waren nur einige der bekanntesten Städte; über die inneren Verhältnisse der Masse der Poleis wissen wir faktisch nichts.

Zu (3): Man sollte schon zwischen ein paar "aufklärerischen" Philosophen und der breiten Masse des Volkes differenzieren.

Zu (4): Wie einflussreich und vital die Mysterienkulte wirklich waren, wäre auch zu hinterfragen. Zum einen waren sie mehr oder weniger exklusiv, standen sich insofern also selbst im Wege. Zum anderen waren sie teilweise auch eher eine Lifestyle-Angelegenheit; zumindest galt es als "hip", z. B. in die Eleusinischen Mysterien eingeweiht zu werden. Mit echter Religiosität (die mit dem klassischen Polytheismus rivalisieren konnte) hatte das nicht zwingend zu tun. Drittens wurden etliche Mysterienkulte, zumindest die älteren, recht gut ins herrschende polytheistische System integriert (was dessen Wandelbarkeit demonstriert). Im Übrigen waren gerade Mysterienkulte oft eher formalistisch mit fixen (und für die meisten wohl eher unverständlichen) Ritualen, also das Gegenteil von "vital".

Alles in allem bin ich der Ansicht, dass Du den Niedergang des griechischen Polytheismus viel zu früh ansetzt.
 
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Zu (2): Athen war nicht Griechenland (ebensowenig wie der Nahe Osten für die gesamte Menschheit und ihre religiöse Entwicklung stand). Man kann nicht einfach Athen (nur weil es am bekanntesten ist) auf ganz Griechenland umlegen. Es wurde keineswegs ganz Griechenland demokratisiert, schon gar nicht nachhaltig. Sparta wurde nie zur Demokratie, Korinth und Sikyon waren meist eine Oligarchie oder wurden von Tyrannen regiert, Syrakus fiel ständig wieder in die Tyrannis zurück, auch Theben war anscheinend kaum mal eine echte Demokratie. Und das waren nur einige der bekanntesten Städte; über die inneren Verhältnisse der Masse der Poleis wissen wir faktisch nichts.
die eigentliche Frage ist ja, wann die griech. heidn. Religion ihr Ende fand (und im Verlauf des Fadens tauchte die erweiterte Fragestellung auf, ob das Christentum Zeus & Co. den Garaus gemacht habe) -- wie sahen denn die von dir beschriebenen Unterschiede innerhalb der "Graecia" nach der Eroberung durch Rom aus?

Ich wiederhole noch mal:
nach den Kaisern Konstantin und Theodosius scheint es seitens des Klerus keine aufregenden Bekämpfungen von (salopp gesagt) "Zeus"-Aberglauben gegeben zu haben; weder lateinische noch griech.-byz. Quellen erzählen, dass eine Bekehrung von Zeus- oder Atheneanhängern großflächig nötig gewesen sei*). Die Quellen geben da mehr in Sachen Arianismus und "german." sowie regional "spätgallischem"**) Heidentum sowie Mysterienkulten her.
Der Niedergang des griech. Pantheons setzt meiner Ansicht nach im Verlauf der Eroberung durch Rom ein - was dann noch übrig blieb, war für das Christentum der Spätantike (wiederum salopp formuliert) kein ernstzunehmender Gegner mehr.
Etwas überspitzt pointiert: die römischen Legionen versetzten Zeus in den Ruhestand :)

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*) eher am Rande in Demandt´s Geschichte der Spätantike erwähnt
**) in der Merowingerzeit soll es im Moselgebiet noch an einem verfallenen Tempel Opfer für eine galloromanische Jagdgöttin gegeben haben
 
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Der Niedergang des griech. Pantheons setzt meiner Ansicht nach im Verlauf der Eroberung durch Rom ein - was dann noch übrig blieb, war für das Christentum der Spätantike (wiederum salopp formuliert) kein ernstzunehmender Gegner mehr.
Etwas überspitzt pointiert: die römischen Legionen versetzten Zeus in den Ruhestand :)

Da muss ich widersprechen. In der Kaiserzeit war der Kultbetrieb in den Heiligtümern Griechenlands so rege wie zuvor und endete in den großen panhellenischen Heiligtümern erst mit dem Edikt von Theodosius II. Wenn in einigen Städten wie gerade Megalopolis oder Sikyon nach Pausanias die Sakrallandschaften verfallen, dann nicht aus Gleichgültigkeit, sondern weil man schlicht und ergreifend kein Geld hatte, um alle Kultbauten instand zu halten. Das muss im übrigen nicht heißen, dass der Kult selbst nicht weiter praktiziert wurde, wie im Einzelfall auch nachweisbar ist. Ausgeprägtere Verwerfungen in den Sakrallandschaften mag es auf dem platten Land gegeben haben, v.a. was kleinere Schreine betrifft, da seit hellenistischer Zeit eine zunehmende Landflucht die Menschen in die Städte führte.
Was man in der Kaiserzeit tatsächlich beobachten kann, sind stärkere retrospektiv-historisierende Tendenzen in den Kulten und Riten, dazu A. Spawforth, Greece and the Augustan Cultural Revolution (2012). Trefflich kann man sich sicherlich darüber streiten, ob dieser Ausdruck des Zeitgeistes auch ein Indiz der Brüchigkeit der alltäglichen pietas war, der man nun auf einer kognitiveren Ebene in Form einer 'Musealisierung' begegnete. Das glaube ich nicht.
Um das an einem Beispiel festzumachen: Im spartanischen Kult der Artemis Orthia wurde im Heiligtum der Göttin am Eurotas ein Geißelungsritus durchgeführt, dazu N. Kennell, Gymnasium of Virtue (1995); A. Hupfloher, Kulte im kaiserzeitlichen Sparta (2000). Bei diesem rite de passage, durch den die Epheben in die letzte Stufe der kaiserzeitlichen agoge aufgenommen wurden, wurden die Epheben am Altar der Göttin bis zur Aufgabe ausgepeitscht. Der Sieger in diesem Ausdauerwettkampf erhielt den Titel des bomonikes und durfte eine Ehrenstatue im Heiligtum aufstellen. Sehr präzise hat man in der Forschung herausgearbeitet, dass dieses vermeintlich archaische Ritual in erster Linie ein historisierendes 'Gespinst' der Kaiserzeit war, auch wenn es auf älteren Ritualtraditionen fußt. Und dennoch muss er eine ungeahnte Signifikanz für die städtische Identität des kaiserzeitlichen Sparta besessen haben, wie aus der Teilnahme von Angehörigen der lokalen Eliten hervorgeht (durch die bomonikes-Inschriften). Das Ritual hatte im Übrigen mindestens bis in die 30er Jahren des 4. Jh. n. Chr. Bestand, da Libanius (Lib. or. I 23) bei einer seiner Durchführungen zugegen war.
 
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@aquilifer: das sind sehr interessante Details! danke!
Dennoch frage ich mich, ob der religiöse Pluralismus im römischen Imperium und die Aufnahmebereitschaft für allerlei neue Kulte (hier ein Isistempel, da ein sol invictus Heiligtum, dazu all die Mischformen) nicht schon ein deutliches Zeichen für den Niedergang der nun (im Imperium) nur noch quasi "regionalen" alten Kulte ist. Und stutzig macht mich, dass Zeus und Iuppiter keinen sonderlich prominenten Platz auf der Liste der zu bekehrenden Heiden einnehmen.
 
Griechen haben mir gesagt, dass in Griechenland unlängst der 12-Götter-Glaube als Religion anerkannt worden sei. Weiss jemand dazu Näheres ?
 
Oh, vielen Dank für diese schnelle Antwort - ich wusste es doch, hier wird einem geholfen :) Da der Artikel aus dem Jahr 2006 stammt, weisst Du vielleicht auch, was aus dieser Initiative inzwischen geworden ist ? Im Artikel steht ja: eine Antwort des Kulturministeriums stehe noch aus ...
 
Sagen wir mal so: Die Mitarbeiter um griechischen Kulturministerium sind seitdem nicht mehr geworden... Ob die wirklich das Geld haben jemanden zu bezahlen, der sich mit einer fortschrittsfeindlichen, gesellschaftlich irrelevanten Minigruppierung von knapp 2000 Leuten beschäftigt?
 
Interessant die Stellungnahme der Amtskirche:

«Spinner, Verrückte und Heiden» seien sie, heißt es aus Kreisen des Erzbistums Athens. «Wir sind ein christlich-orthodoxer Staat, der die Antike zwar verehrt, aber doch an Jesus und nicht an irgendwelche heidnischen Götter glaubt», sagte der Probst der Kirche Sankt Dimitrios in Athen, Vater Stelios. 97 Prozent der Griechen seien praktizierende Christen oder verstünden sich aus der Tradition heraus als orthodoxe Gläubige.

Ich frage mich, wie wohl die Reaktion der katholischen oder evangelischen Kirche in Deutschland wäre, wenn es Versuche geben sollte, die heidnische Religion der Römer, Germanen, Kelten, Slawen wieder zu beleben.
 
Derartige Versuche gibt es ja, siehe z. B. https://de.wikipedia.org/wiki/Germanische_Glaubens-Gemeinschaft_%28G%C3%A9za_von_Nem%C3%A9nyi%29 Sie sind wohl etwa so relevant wie die in Griechenland, also so gut wie gar nicht. Lediglich im Internet haben sie eine gewisse Präsenz. Nach dem bisschen, was ich mitbekommen habe, scheint es obendrein so manche Richtungsstreitigkeiten (eng verknüpft mit den Egos mancher selbsternannter "Goden" etc.) um die richtige Lehre zu geben. Obendrein stehen Anhänger der "germanischen" (real wohl nordgermanischen, wie sie uns in den Eddas und Skaldendichtungen entgegentritt, aber das Verallgemeinern und Rückprojizieren dieser späten Überlieferungen ist kein neues Phänomen) Religion unter Generalverdacht, mehr oder weniger "braun" angehaucht zu sein - und wehren sich entsprechend verzweifelt dagegen. Ich selbst vermag das nicht zu beurteilen.

Die Kirchen scheinen, soweit ich das mitbekomme, dieses Randphänomen zu ignorieren, was seiner Bedeutung durchaus gerecht wird.
 
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Ich will gar nicht abstreiten, dass eine Niederlage eine Schwächung der Religiosität bewirken kann, aber zwingend ist diese Folge nicht. In Ephesos hörte man nicht auf, Artemis zu verehren, als sie ihren Tempel nicht gegen Brandstiftung schützen konnte; in Delphi hörte trotz zweimaliger Zerstörung durch Katastrophen nicht der Orakelkult auf.

Es ging mir nur darum, ein paar - sicher nicht alle - Faktoren zu benennen, die faktisch oder hypothetisch zur Schwächung der Polisreligion beitrugen. Ich habe nicht behauptet, dass diese Faktoren an einem präzise bestimmbaren Zeitpunkt oder Zeitrahmen zum Niedergang führten, weshalb auch von einem "zu frühen Ansetzen" (dein letzter Satz) keine Rede sein kann. Vielmehr setzte der Effekt dieser und weiterer, nicht genannter Faktoren erst in the long run ein. Das ist wie ein Defekt in einem Motor, der zunächst nicht spürbar ist, irgendwann aber zum Stillstand führt. Allerdings wäre der Stillstand sicher sehr viel später eingetreten, wenn das zu staatlicher Macht gelangte Christentum dem Polytheismus nicht gewaltsam ein Ende gesetzt hätte.

Von daher ist die Frage nach dem Niedergang der griechischen Religion unabhängig von ihrem erzwungenen Ende gar nicht beantwortbar - thematisieren kann man nur Faktoren, die in the long run zu ihrer Schwächung führten. Mit Sicherheit gehören dazu:

(1) die Philosophie

(2) die Mysterienkulte

und

(3) ein philosophisch aufgepepptes und mutmaßlich ursprünglich mysterienkultisches Christentum

Ohne Philosophie und Mysterienkulte also kein Christentum = das bedeutet: Ohne diese Faktoren gibt kein bestimmbares Ende der griechischen Religion.

Was die Bedeutung des verlorenen Peloponnesischen Krieges für die athenische Religiosität betrifft, zitiere ich einen Kommentar aus einer Vielzahl von Ausführungen zu diesem Thema, die mir bekannt sind:

Claude Mossé, Athens in Decline (Routledge Revivals): 404-86 B.C., Seite 17

Unquestionably, the Peloponnesian war gave rise to a grave moral and religious crisis in Athens responsible for altering the ethical code of the city-state and which explains certain aspects of Athenian life in the 4th century (...) As for the gods, it seemed to be the same thing whether one worshipped them or not (...).

Eine praktische Folge war, dass neue Götter importiert wurden, insbesondere Asklepios samt seinem Kult. Das erinnert an die Transferpolitik im Profifußball. Auf die komplexen Details der pantheonstechnischen Nachbesserungen Athens einzugehen, führt an dieser Stelle aber zu weit. Ein wichtiges literarisches Produkt des Aufarbeitungsprozesses ist übrigens das Werk von Aristophanes, in dem viel über die Götter gespottet wird, was kaum denkbar wäre ohne die Erfahrungen der Niederlage.

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Deine Beispiele, welche die ungebrochene Kraft von Kulten nach Zerstörungsakten belegen sollen, sind zwar interessant, können mich im gegebenen Zusammenhang aber nicht überzeugen.

+

Der Brand des Artemistempels in Ephesos steht in keiner Entsprechung zur gravierenden militärischen Niederlage einer Polis mit dem weitreichenden Machtanspruch, wie Athen ihn hegte. Die Kontexte sind einfach zu verschieden. Als Stadt- und damit Schutzgöttin von Ephesos hatte Artemis (und der Rest des städtischen Pantheons) bereits "versagt", als die Stadt den Persern in die Hände fiel, die Ephesos zum Zeitpunkt des Brandes schon lange besetzt hielten. Auffällig ist Artemis´ im Vergleich zu anderen Göttern des städtischen Pantheons absolut herausragende Stellung bzw. die geringe Bedeutung dieser anderen Götter (Zeus, Apollo, Dionysos usw.), was mit dem langfristigen Verlust der städtischen Souveränität zusammenhängen, also gerade als Beleg für die von dir bezweifelte These gewertet werden könnte, dass eine militärische Niederlage zur Schwächung eines städtischen Pantheons bzw. des Glaubens daran führen kann. Der Artemiskult war zum fraglichen Zeitpunkt ein Muttergöttin-Kult in der Tradition der altorientalischen Magna-Mater-Kulte, dessen Intensität und Glaubwürdigkeit weder durch eine militärische Niederlage gegen die Perser noch später durch die Tat eines ruhmsüchtigen Brandstifters tangiert wurde, und zwar vermutlich deswegen, weil dieser Magna-Mater-Kult aus religiösem ´Urgestein´ bestand, d.h. in Zeiten wurzelte, als kriegerische Konflikte noch nicht gang und gäbe waren und damit auch keine göttliche Involvierung in und Verantwortung für solche Konflikte.

Man könnte die Situation also so sehen (das sind Hypothesen, wohlgemerkt):

(1) Das Pantheon von Ephesos wurde durch die persische Besetzung nachhaltig geschwächt (ersichtlich an der schwachen Stellung aller anderen Götter außer Artemis), und (2) die ungebrochen starke Stellung der Artemis verdankte sich ihrer Verwurzelung in religiösen Ideen aus Zeiten vor der Konventionalisierung von Kriegen (also vor der Bronzezeit), weswegen - in Ephesos - eine militärische Niederlage ihr Charisma nicht beeinträchtigen konnte.

In diesem Forum wird die These einer prähistorischen Dominanz von Muttergöttinnen stark tabuisiert (außer in meinen Beiträgen), was die objektive Situation in der Wissenschaftsszene allerdings nicht widerspiegelt, wo nicht nur patriarchatskritische ForscherInnen, sondern auch konventionelle Akademiker wie z.B. die Altorientalisten Prof. Selz, Prof. Steinkeller und Dr. Espak dem Muttergöttin-Kult die Wahrscheinlichkeit zusprechen, als primäres Phänomen am Beginn des religiösen Denkens zu stehen. Beispielhaft zitiere ich Espak, ohne aber das Thema hier weiter vertiefen zu wollen, erstens weil es das Threadthema überschreitet und zweitens weil das in diesem Forum erfahrungsgemaß zu nichts führt.

Espak, The God Enki in Sumerian Royal Ideology and Mythology, 215-16:

Several archaic societies and religions have the mother-earth cult as one of their central forces behind religion. It seems highly probable that in ancient Sumerian (or pre-Sumerian) societies the situation must have been similar – the Mother Earth was seen as a dominant figure. When the society became more complex, collective communal building projects were undertaken, and it is possible that conflicts between different tribal groups started to become more frequent; the emergence of the male element in religion seems to be a natural development.


+

Auch die Zerstörungen des delphischen Apollotempels stehen in keinem analogen Verhältnis zur militärischen Niederlage Athens im Peloponnesischen Krieg. Das delphische Heiligtum war religiöser Mittelpunkt einer griechischen Amphiktyonie, d.h. es stand unter dem Schutz einer Pluralität von griechischen Staaten. Die Zerstörungen konnten also weder auf eine Schwäche des Apollo noch eines speziellen Pantheons zurückgeführt werden. Zudem war die Priesterschaft in Delphi politisch engagiert und wird in Krisenfällen dafür gesorgt haben, dass ihr Einfluss erhalten blieb. Bereits dadurch, dass die Priester begannen, die gestammelten Orakel der Pythia zu ´übersetzen´, d.h. zu interpretieren, wodurch das Orakel käuflich geworden war (was die Athener während des Krieges gegen Philipp von Mazedonien den Priestern vorwarfen), verlor Delphi an Glaubwürdigkeit. Als Sulla dann Delphi plündern ließ und das Orakelwesen durch philosophische Theorien obsolet zu werden begann, ging es mit der religiösen Bedeutung von Delphi, das in der Kaiserzeit nur noch für Touristen attraktiv war, endgültig bergab.

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Worin eine überzeugende Analogie zwischen "gescheiterten" christlichen Kreuzzügen und besagter Niederlage Athens bestehen soll, bleibt dein Geheimnis. Übrigens waren diese Feldzüge keineswegs rundum gescheitert, der erste und auch der letzte waren relativ ´erfolgreich´.

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Den Holocaust in Analogie zur athenischen Niederlage im Peloponnesischen Krieg zu setzen, ist gleichfalls ganz unberechtigt, und zwar wegen der völlig veränderten Glaubenssituation, die im 20. Jhd. in einen irreversibel säkularen Kontext eingebettet ist, und weil der Holocaust individuelle Juden in der Diaspora betraf, also kein geografisch klar definiertes Machtzentrum wie Athen mit seiner Population. Hinzu kommt, noch wichtiger, der gravierende Unterschied zwischen dem Jahweglauben und dem attischen Polytheismus. Auf die Zerstörung des 1. Tempels und Jerusalems hatten maßgebende israelitische Propagandisten wie Jesaja, Ezechiel und Deuterojesaja gefolgert, dass Jahwe sich vom israelitischen Volk ab- und seinen Feinden zugewendet habe, um Israel für mangelndes monotheistisches Engagement zu bestrafen. Erst aufgrund dieser ´Logik´ und der diese ´Logik´ begründenden Katastrophe bildete sich der endgültige jüdische Monotheismus überhaupt heraus. Die Katastrophe im 6. Jdh. BCE hatte das Judentum also erst erzeugt, d.h. den jüdischen Monotheismus begründet.

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Die Pest und der Dreißigjährige Krieg können gleichfalls nicht als Analogie herhalten. Du übersiehst auch hier, dass im monotheistischen Denken Katastrophen immer als ´von Gott gewollt´ interpretiert werden (können), also keine Schwächung der Religiosität notwendig implizieren. Allerdings hast du auch vergessen, auf das Erdbeben von Lissabon im 18. Jhd. hinzuweisen (vermutlich weil es deiner Argumentation widerspricht), das eine europaweite Glaubenskrise forciert hat, freilich in Zeiten, als durch die Aufklärer an den Pfeilern des Glaubens bereits gesägt wurde.

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Wie einflussreich und vital die Mysterienkulte wirklich waren, wäre auch zu hinterfragen. Zum einen waren sie mehr oder weniger exklusiv, standen sich insofern also selbst im Wege.

Falsch - sie waren nicht "exklusiv". Die Mysterien standen Kaisern, Bürgern (auch Frauen) und Sklaven offen. Nur im stark soldatisch frequentierten Mithras-Kult war Frauen der Zugang untersagt, welche aber alternativ im Kybele-Kult aufgenommen wurden, der mit dem Mithras-Kult organisatorisch vernetzt war.

Die Teilnahme am Mithras-Kult schloss die Teilnahme an anderen Kulten nicht aus.

Übrigens basieren die antiken Mysterienkulte abgesehen vom Mithras-Kult auf dem archaischen Muttergöttin-Glauben (Demeter-Mysterien in Eleusis, Kybele-Mysterien im RR/ in Ägypten: Isis-, Hathor-Mysterien), was natürlich kein Zufall ist.

Zum anderen waren sie teilweise auch eher eine Lifestyle-Angelegenheit; zumindest galt es als "hip", z. B. in die Eleusinischen Mysterien eingeweiht zu werden. Mit echter Religiosität (die mit dem klassischen Polytheismus rivalisieren konnte) hatte das nicht zwingend zu tun.

Auch hier liegst du daneben. Erstens ist der Begriff "hip" - wie so viele deiner anderen Argumente - völlig anachronistisch. Es ging ja nicht um den Einlass in einen angesagten Club. Die psychologischen und physischen Anforderungen, die an Initianden gestellt wurden, waren so gravierend, dass ein nur oberflächlich motivierter Adept das nicht mal im Ansatz bewältigt hätte. Manche Adepten drangen gar nicht in die höheren Grade der Einweihung vor, weil sie die obligatorischen Angstprüfungen - vermutlich unter halluzinogenem Einfluss - nicht bestanden. Über die konkreten Erfahrungen in Eleusis musste strengstes Stillschweigen bewahrt werden, ansonsten drohte staatlicherseits die Todesstrafe. Keiner, der nur "hip" sein wollte, hätte sich solchen Bedingungen ausgesetzt bzw. sie lange ertragen.

Dein Begriff von "echter Religiosität" ist zudem sehr fragwürdig. Dir scheint unbekannt zu sein, dass der Schamanismus, der mit den Mysterienpraktiken Griechenlands und Ägyptens unendlich viel mehr gemeinsam hat als mit konventionell-offizieller Kultpraxis, historisch am Beginn des religiösen Denkens stand (vermutlich eingebettet in einen Urmutterkult). Man könnte schamanistische bzw., in seiner historischen Nachfolge, die Muttergöttin-orientierte mysterienkultische Praxis, die ein starkes seelisches Engagement erforderte, dementsprechend als "primäre Religiosität" und die offiziellen formalen Kulte, die kein seelisches Engagement erforderten, als "sekundäre Religiosität" bezeichnen.

Hier stellst du die wirklichen Verhältnisse aus Unkenntnis also auf den Kopf.

Im Übrigen waren gerade Mysterienkulte oft eher formalistisch mit fixen (und für die meisten wohl eher unverständlichen) Ritualen, also das Gegenteil von "vital".

Auch damit zeigst du nur, wie uninformiert du über dieses Thema bist.

Zu (3): Man sollte schon zwischen ein paar "aufklärerischen" Philosophen und der breiten Masse des Volkes differenzieren.

In the long run hat die Philosophie selbstverständlich zur Schwächung des Polytheismus beigetragen, daran besteht kein Zweifel, und zwar auf verschiedene Weise: Sie prägte zunehmend das Denken der Eliten (und nicht nur von "ein paar Philosophen", wie du seltsamerweise behauptest), bereitete via Platonismus ein über das Judentum hinausgehendes monotheistisches Konzept vor und schuf auch andere Konzepte, an denen sich das Christentum fleißig bediente, z.B. durch Übernahme des Hypostasebegriffs, mit dem, wenn auch nur an der Oberfläche, ein gravierendes konzeptuelles Problem (Mono-Theismus trotz Göttlichkeit zweier Instanzen - Vater und Sohn) gelöst werden konnte. Philosophische Tricks dieser Art entzogen dem (auch griechischen) Polytheismus immer mehr Anhänger. Ohne die Aneignung griechischer Philosophie hätte das Christentum niemals zur Staatsreligion aufsteigen und den (auch griechischen) Polytheismus verdrängen können, letzteres leider auch mit den Mitteln brutaler Gewalt.
 
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Also, ich habe mit Chans Ausführungen auch so meine Probleme und stimme im Grundsatz eher Ravenik zu. Außerdem denke ich, daß es ein grundsätzliches Problem gibt, daß beachtet werden muß.
Zunächst einmal muß man im Bereich des griechischen Götterglaubens vorsichtig mit dem Begriff Religion umgehen, insofern dieser Terminus eine gefaßte rituelle Handlungspraxis vorgibt, die im heterogenen antiken Griechenland keineswegs vorlag. Zwar werden die meisten Kultpraktiken einander geähnelt haben - auf wieviele verschiedene Arten kann man schon einen Stier schlachten - aber inwiefern sich derartige Handlungen normiert haben, entzieht sich in der Regel unserer Kenntnis. Ravenik sagte ja ganz richtig, von der Masse der griechischen Städte wissen wir praktisch gar nichts.
Dann ist die Frage, was man unter Schwächung oder Niedergang versteht. Es ist ja nicht so, daß die Menschen plötzlich gar nicht mehr an Götter glauben und dadurch eine "Leerzeit" entsteht, sie wenden sich nur mitunter anderen Göttern zu, was aber innerhalb des Polytheismus diesem ja wesensimmanent ist, weshalb also beispielsweise Mysterienkulte, unabhängig von der Frage ihrer Exklusivität, eher Ausdruck des Polytheismus als Zeichen seines Niedergangs sind.
Vom Niedergang des Polytheismus kann man phasenweise dann sprechen, wenn sich die Menschen vom ihm als System abwenden, weil sie sich dem Monotheismus zuwenden, und da würde ich im Falle des Christentums als Träger des monotheistischen Gedankens (das Judentum lasse ich wegen fehlender Missionierung mal außen vor) nicht von einer Ausbreitung vor dem 2 Jh. n. Chr. reden, und mangels einer tragfähigen Bevölkerungsstatistik können wir das nur grob abschätzen. Von einer Trendwende nicht vor dem 4 Jh., zwischen Konstantin und Theodosius, und von einer überwiegenden, nicht ausschließlichen Überwindung, und das auch noch abhängig von geopolitischen Fragen wie Zentren und Peripherien, nicht vor Justinian, und selbst dann gibt es noch ein restliches Weiterleben paganer Kulte. Inwiefern das mit Begriffen wie Frömmigkeit oder Religiösität zu fassen ist, muß auch unter poltischen gesichtspunkten geklärt werden, der Gegensatz zwischen dem dezidiert heidnischen Senat in Rom und dem christlichen Konstantinopel ist ein poltischer Kampf, in den unter anderem auch das Wirken von Theodosius zu stellen ist.
In jeder vorchristlichen Zeit allerdings kann weder von Niedergang noch von Schwächung die Rede sein. Wie soll sich so etwas definieren? Die Menschen hatten ja gar keine Alternative zum Polytheismus und brauchten sie auch gar nicht, sie konnten ja innerhalb dessen sich den Göttern zuwenden, die sie am attraktivsten fanden.

Kommen wir zu den Thesen von Chan. Ich denke nicht, daß die Niederlage Athens einen grundsätzlichen religiösen Zusammenbruch nach sich zog oder langfristig vorbereitete. Erst einmal war Athen nicht das religiöse Zentrum Griechenlands, und zweitens war die Stadt weder zerstört noch besetzt, war also eigentlich glimpflich davongekommen, wenn man das Schicksal anderer Städte danebenstellt. Viel eher hätte man nach der Zerstörung Thebens "vom Glauben abfallen können", was ja auch nicht passiert ist. Es gab durchaus einige gravierende gesellschaftliche Verwerfungen in der Stadt, aber wir wissen nichts davon, daß plötzlich Götter nicht mehr verehrt wurden, Tempel geschlossen wurden oder ähnliches. Athen hatte auch vorher Niederlagen hinnehmen müssen, es verloren ständig irgendwelche Städte Kriege, und nirgendwo führte dies zum Zusammenbruch des Glaubens. Delphi zum Beispiel verlor einen Großteil seines politischen Einflusses durch die Perserkriege, was aber nirgends zum Abbruch der Verehrung Apollons geführt hat. Also, weder Athen noch der Peloponnesische Krieg sind Schlüsselmomente im griechischen Götterglauben, dafür gibt es weder archäologische Anhaltspunkte noch schlüssige Argumente.

Die Philosophie zum Wegbereiter des Monotheismus zu machen, halte ich auch für problematisch. Sicher, es gibt in der platonischen Ideenlehre Ansatzpunkte, die man monotheistisch auslegen kann, aber nur, wenn man diesen als Ergebnis voraussetzt. Zunächst einmal muß man hier wieder unterscheiden zwischen der Philosophie als im antiken Sinne wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Welt und dem Leben und den in sich geschlossenen, trotzdem sich weiterentwickelnden und manchmal aufspaltenden philosophischen Schulen. Ich wüßte aber nicht, daß die Akademie, der Peripatos oder die Stoa, die Phytagoreer oder die Kyniker alternative religiöse Konzepte entwickelt haben. Richtig ist, daß sie sich durchaus mit der Frage der Stellung des Einzelnen und der Gemeinschaft zum Glauben befaßt haben, aber sie haben diesen nicht grundsätzlich in Frage gestellt oder abgelehnt, oder? Selbst die Epikureer, deren Konzeption eher zum Atheismus als zum Monotheismus führen müßte, benutzen die Götter als Metaphern, wenn man einmal Lukrez dafür als Zeugen in Haftung nehmen möchte. Ich sehe also nicht, wo die griechische Philosophie die Menschen grundsätzlich vom Polytheismus weg und zum Monotheismus oder anderswo hinführt. Um auch einmal moderne Vergleiche anzustellen: Wenn Philosophie per se antireligiös wäre, würde Descartes arg ins Leere laufen.
Wenn das Christentum also philosophische Konzepte übernimmt, dann sind die doch in der Regel umgearbeitet. Das das gravierende konzeptionelle Problem - Monotheimus trotz Dreifaltigkeit - gelöst wäre, ist mir aber neu. Beißen sich daran nicht immer noch Theologen die Zähne aus?

Und wenn wir schonmal bei den Fragen ankommen: Ich bin ja, wie so viele Menschen, bei den Mysterienkulten voller Unkenntnis. Was wissen wir denn so über
"gravierende psychologische und physische Anforderungen, die an Initianden gestellt wurden", über "Angstprüfungen - vermutlich unter halluzinogenem Einfluss" und über "starkes seelisches Engagement"?
 
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