Was wissen wir eigentlich von der Geschichte unserer Nachbarn?

Und warum ist es so, dass unser historisches Wissen selten viel weiter als über den eigenen Gartenzaun geht?
Könnte es denn überhaupt anders sein? Schließlich ist das ja auch eine Zeitfrage. Die Zeit im schulischen Geschichtsunterricht ist begrenzt, und auch außerhalb bzw. nach der Schulzeit sind die meisten Menschen der Notwendigkeit ausgesetzt, verschiedenen anderen Dingen nachzugehen als Geschichte. Ob in oder außerhalb der Schule: Für eine intensivere Beschäftigung mit fremden Ländern und Kulturen müsste die mit der eigenen Heimat und bestimmten Themen wie den Weltkriegen aus Kapazitätsgründen reduziert werden.
Davon abgesehen neigt der Mensch halt leider zum Vergessen, auch wenn er sich allumfassend informieren bzw. bilden will. Überspitzt ausgedrückt: Wenn er endlich dazu kommt, sich intensiv mit der Geschichte Ozeaniens zu beschäftigen, hat er die Geschichte Paraguays, mit der er sich ein paar Jahre davor intensiv befasst hat, schon wieder großteils vergessen. Hängen bleibt eher das, womit man sich immer wieder beschäftigt bzw. z. B. in den Medien konfrontiert wird, und das ist nun mal eben eher die Geschichte der Heimat sowie Themen, die auf breiteres Interesse stoßen.
Interesse hängt vielfach auch davon ab, worauf man überhaupt stößt, wie es insbesondere Teresa C. und Lukullus schon angesprochen haben. Mit fremden Ländern und ihrer Geschichte wird man im Alltag großteils eher wenig konfrontiert.
Außerdem bringt Interesse allein nichts, es kommt auch auf die Verfügbarkeit von Informationsmaterial an, wie es bereits angesprochen wurde. Dieses Problem ist im Internetzeitalter noch nicht ganz behoben, aber davor war es noch schlimmer. (Es wohnt eben nicht jeder neben einer Uni-Bibliothek.) Wenn man in einer Kleinstadt wohnt, findet man in der örtlichen Bibliothek und den örtlichen Buchhandlungen zum Thema Geschichte am ehesten ein paar Sachen zur Geschichte des eigenen Landes und zu einigermaßen populären Themen wie Pharaonen, Römer, Weltkriege, aber normalerweise nichts zur Geschichte Bulgariens oder gar der Khmer. Da hilft das größte Interesse nichts, wenn es kaum oder gar nicht möglich ist, ihm tatsächlich nachzugehen. (Über kurz oder lang wird es dann mangels "Futter" ohnehin wieder erlöschen.)

Dass man in Österreich vielleicht auch einen besseren Eindruck von der slowakischen oder der ungarischen Geschichte hat, ist klar.
Eigentlich nicht. Zumindest in meinem Geschichtsunterricht (in Niederösterreich, also ziemlich in der Nähe) wurde beides so gut wie gar nicht behandelt. (Wie es im Burgenland, das ja bis vor nicht einmal hundert Jahren Teil Ungarns war, damit aussieht, weiß ich nicht, aber da die Lehrpläne in Österreich Bundeskompetenz sind, vermutlich auch nicht viel besser.) Das trifft eigentlich auf alle Nachbarstaaten außer Deutschland zu.
 
Geschichte in den Schulen

Hallo

@El Quijote
Nicht, dass ich missverstanden werde: Das ist gar nicht mal als Kritik am Curriculum gemeint, ich halte das Curriculum in seiner Auswahl für legitim. Aber wenn unser Wissen als Geschichtsinteressierter darauf beschränkt bleibt, dann empfinde ich das als Schade.

Du solltest froh sein, das die von dir angesprochenen Themen überhaupt bearbeitet werden. Bei dem "mit Verlaub beschissenen" Turboabi, gehen die Lehrer sowieso mit mehr als Siebenmeilenstiefeln durch die Geschichte. Ist im übrigen in allen Fächern so, eine gute Vorbereitung aufs Studium sieht m.M. anders aus. Ist jedenfalls mein Eindruck, 2 Kids haben Abi und studieren jetzt, ich habe also gesehen, was die im Unterricht gemacht haben.

mfg
schwedenmann
 
Eine sehr gute Frage, die aber auch impliziert, dass wir nur Wissen über unsere Nachbarn haben können, wenn wir unsere eigene Geschichte verarbeitet haben, vor allem im Bezug auf Gebietsveränderungen/---abtretungen!

Da kommt dann auch die Frage auf,was wissen unsere Nachbarn über die Geschichte der annektierten Gebiete nach der politischen Verschiebung 1945?
 
Ich behaupte, die meisten Deutschen - und ich schließe uns Geschichtsinteressierte ein - wissen so gut wie nichts von der Geschichte unserer Nachbarn.

Dänemark: Wikinger, heute Königreich. Deutsch-dänischer Krieg

Polen: Vielleicht Polnische Teilungen. Mit Focus auf Personalunion russischer Zar/polnischer König. Dtld. hat Gebiete an Polen verloren nach 1. und 2. WK (aus dem Gedächtnis heraus ist aber, dass Dtld./Preußen zuvor von den polnischen Teilungen profitiert hat). 2. WK, Polenfeldzug, Polen als Standort der Vernichtungslager; danach Warschauer Pakt-Staat. Polens Rolle bei der Wende.

Tschechien: Prager Fensterstürze (ohne tiefergehendes Detailwissen) - Teil der Tschecheslowakei - Besetzung der Sudeten, Besetzung der Resttschechei. Nach dem Krieg Warschauer-Pakt-Staat, Prager Frühling.

Österreich: Erster Weltkrieg, der Braunauer Gefreite war Österreicher.

Schweiz: Helvetier - zumindest wer Latein hatte; Wilhelm Tell und die Eidgenossen. Da war doch was mit 'nem Apfel? Neutralität und Abnehmer von Raubgold.

Frankreich: Gallier (kennt man von Asterix und aus dem Lateinunterricht), Karolinger, Ludwig XIV. (+ regional ist der Pfälzer Erbfolgekrieg vielleicht noch bewusst), Französische Revolution, Napoleon. Evtl. Rittertum, Päpste in Avignon, Auflösung des Templerordens (gleichwohl wird zwischen dem päpstlichen Exil in Avignon und der Rolle des Papstes bei der Auflösung des Templerordens kein Link hergestellt), Frankreich der "Erbfeind".

Belgien: wenn's hoch kommt vielleicht die Kolonialzeit in Belgisch-Kongo

Niederlande: VOC, Monarchie, verkappte Deutsche, die Raucher wissen noch von Java und Indonesien.

Lichtenstein und Luxemburg? :hmpf::weinen:

Zu pessimistisch? :fs:
Muss man mehr wissen? :D
Ich mein jetzt nicht unbedingt als Durschnittsdeutscher sondern als historisch Interessierter...

Eine interessante Frage.

Ich habe mich durchaus einige Zeit mit der Geschichte unseres Nachbarn Frankreich beschäftigt, wobei der Schwerpunkt auf der Zeit der Revolution bis in die heutige Zeit lag. Aber auch die Geschichte der Griechen und Römer und Karthager fasziniert mich bis heute.

Aber auch Beruf und Familie fordern ihr gutes Recht und dann entdeckt man irgendwann ein Themenschwerpunkt, der ein einfach nicht mehr loslässt und so passiert es, das man über die Nachbarn zu wenig weiß. So ist es zumindest mir ergangen.

Aber insgesamt ist leider zu konstatieren, das beim "Durchschnittsbürger" kaum ein Interesse an der eigenen Geschichte vorhanden ist, frage mal auf der Straße wer Gustav Stresemann war, wie soll es da denn erst mit der Geschichten unseren europäischen Nachbarn aussehen?

Meine beiden Kinder haben beide Geschichte als Leistungskurs gehabt bzw. haben diesen. Und schon auf diesen angeblichen gehobenen Anspruch wird mit den lächerlich wenig Stunden entsprechend geringe Stoffmengen abgehandelt. Offenkundig empfinden unseren lieben Kulturpolitiker dieses Fach nicht als sonderlich wichtig.
 
Das ist ein ewiges Dilemma: Man wird für jedes Unterrichtsfach Befürworter finden, die meinen, es müsse stärkeres Gewicht erhalten, und sie alle werden gute Argumente haben. Ebenso gibt es aber auch Leute, die noch ganz andere Dinge in den Schulen unterrichtet haben wollen. Und wenn es nach Wirtschaftsvertretern geht, sollten überhaupt primär (moderne) Sprachen, Wirtschaft und alles was irgendwie mit EDV/Kommunikation/PR zusammenhängt unterrichtet werden und der Rest auf ein Minimum zusammengestrichen. Wenn man es allen einigermaßen recht machen wollte, könnten die Schüler wohl erst mit ca. 30 abiturieren.
 
Meine beiden Kinder haben beide Geschichte als Leistungskurs gehabt bzw. haben diesen. Und schon auf diesen angeblichen gehobenen Anspruch wird mit den lächerlich wenig Stunden entsprechend geringe Stoffmengen abgehandelt. Offenkundig empfinden unseren lieben Kulturpolitiker dieses Fach nicht als sonderlich wichtig.
Ein Leistungskurs ist ein Leistungskurs, hat also dieselbe Stundenanzahl, wie andere Leistungskurse auch.* Wie du selbst sagst: Zeit ist begrenzt.

(Aus meiner eigenen Schulerfahrung, natürlich mit Geschichts-LK, muss ich leider sagen, dass mein Geschichts-LK recht groß war. Das führte natürlich dazu, dass er zustande kam. Allerdings hatten auch viele Geschichte nicht deswegen gewählt, weil sie daran interessiert waren, also leicht Punkte für eine gute Abiturnote zu holen seien. Ich habe es damals sehr bedauert, dass mein LK-Lehrer eher für diese Gruppe den Unterricht aufgezogen hat; heute verstehe ich das bzw. sehe das differenzierter.)

Es geht mir auch nicht um eine Kritik, schon gar nicht am "Durchschnittbürger". Ich frage mich eher, warum manche Diskussionen gut laufen und andere gar nicht.


*Für die mit dem bundesdeutschen Schulssystem nicht so vertrauten Mitglieder: In den zwei Jahren vor dem Abitur haben Schüler i.d.R. zwei Leistungskurse (seltener 3) und 8 - 10 Grundkurse, LKs werden mit 5-6 Stunden, GKs mit 3 Stunden angesetzt, vier bis fünf Fächer, davon natürlich die beiden LK, werden im Abitur geprüft, wobei es Schlüssel gibt, d.h. die LK-Wahl hat Einfluss darauf, was man als GK-Fach im Abitur nehmen muss.
 
Ich frage mich eher, warum manche Diskussionen gut laufen und andere gar nicht.
Die Antworten ergeben sich doch großteils schon aus dem bisherigen Threadverlauf:
Die Threads über die Varusschlacht, die Germanicus-Feldzüge und überhaupt die römischen Aktivitäten in Germanien werden überwiegend von Diskutanten am Leben gehalten, die aus den betroffenen Gegenden stammen und obendrein teilweise ein Interesse daran haben, zu "beweisen", dass irgendein wichtiges Ereignis in einer bestimmten Gegend ihrer Heimat stattfand. Es handelt sich also um Beschäftigung mit der Geschichte der Heimat bzw. darum, dass man durch die relativ breite Behandlung dieser Themen u. a. in den Medien darauf neugierig wird. (Mir als geographisch anders Gelagertem persönlich reicht als Lokalisierung "irgendwo in Nordwestdeutschland", weswegen ich mich an diesen Diskussionen meist nur beteilige, wenn krampfhaft Quellenstellen eine Aussage unterstellt wird, die sie nicht tätigen.)
Recht gut laufen oft auch Threads zum Dritten Reich und zu den Weltkriegen, was angesichts der ausführlichen Behandlung in den Schulen und Medien sowie mitunter auch durch persönliche (Familien-)Betroffenheit nicht erstaunlich ist.
Dann gibt es Diskussionen, die (mitunter allerdings eher in Monologform) von Personen betrieben werden, die durch Hobby oder persönliche Lebensumstände einen Bezug dazu haben.
Viele Diskussionen resultieren auch aus Anfragen von Schülern und Studenten.
Schlecht laufen Diskussionen über Themen, die in der Schule wenig oder gar nicht behandelt werden, die in den Medien nicht vorkommen und über die auch keine Spielfilme oder Fernsehserien gedreht (bzw. bei uns ausgestrahlt) werden.
 
*Für die mit dem bundesdeutschen Schulssystem nicht so vertrauten Mitglieder: In den zwei Jahren vor dem Abitur haben Schüler i.d.R. zwei Leistungskurse (seltener 3) und 8 - 10 Grundkurse, LKs werden mit 5-6 Stunden, GKs mit 3 Stunden angesetzt, vier bis fünf Fächer, davon natürlich die beiden LK, werden im Abitur geprüft, wobei es Schlüssel gibt, d.h. die LK-Wahl hat Einfluss darauf, was man als GK-Fach im Abitur nehmen muss.

Wobei Geschichte nicht nur an Gymnasien, Gesamtschulen und anderen Schulen unterrichtet wird, welche zum Abitur führen.:devil:
In meiner Schullaufbahn war ich nicht in so einem Zweig und hatte trotzdem Geschichtsunterricht und auch mein Interesse an der Geschichte erhalten. Da liegt zum Teil auch der Hase im Pfeffer. Ein Lehrer kann Schüler für ein Fach begeistern oder falls er keinen Draht zu den Schülern findet sogar demotivieren. Und das gilt leider für jedes Fach.

Apvar
 
Da kommt dann auch die Frage auf,was wissen unsere Nachbarn über die Geschichte der annektierten Gebiete nach der politischen Verschiebung 1945?
Erstaunlich viel, wie meine Erfahrungen mit polnischen Austauschschülern zeigen. Als Einschränkung dazu - die Partnerschule liegt südöstlich von Kattowitz, im Abtretungsgebiet 1921, und da scheint sich viel assimiliertes Deutsch-Schlesisches (einschließlich auf Deutsch miteinander redender Großeltern) erhalten zu habe. Vielleicht ist Polen aber auch ein Sonderfall, weil es vielfach (via regia, Stadtrecht, Hanse, Deutscher Orden, Teilungen usw.) mit Deutschland verbunden ist, und dadurch auch "Heimatinteressierte" immer wieder auf Aspekte der deutschen Geschichte stoßen.
Deutscher Orden, Hanse und Lübecker/Magdeburger Stadtrecht sind auch Themen in Litauen und Lettland. [Als ich in den 1990ern in Litauen arbeitete, berichtete meine Übersetzerin von einem Wochenendausflug nach Klaipeda und ihrem Erstaunen darüber, wie "deutsch" die Stadt wirkte.]
Im Vergleich zu den polnischen Austauschschülern waren die französischen (Savoyen) historisch reichlich uninformiert/-gebildet. Das Interesse an Deutschland war v.a. musikalisch (Bach/ Beethoven/ Mozart), zudem scheint etwas Deutschkenntnis als einem möglichen späteren Job in der Schweiz nicht abträglich erachtet zu werden.
Der englische Austauschschüler war generell historisch wenig interessiert. Angelsachsen sind präsent, das Haus Hannover hängt im Unterbewußtsein, ansonsten gehts da natürlich noch um Weltkrieg I/II, und ganz viel um Fußball. Bei meinen beruflichen Kontakten mit Briten habe ich einiges Interesse am Ruhrgebiet als Parallele zu den Midlands feststellen können (o.k., das waren auch vielfach Wirtschaftsförderer aus Liverpool, Manchester oder Leeds, da liegt solch Interesse vielleicht beruflich nahe).

@EQ: In Deinem Eingangspost hast Du meinen Wissensstand so bis zum Alter von etwa 30 ziemlich genau getroffen. Ich hatte Geschichte als 4.Prüfungsfach (durchgehend 3 Wochenstunden bis zum Abi).
Schweden fehlte in Deiner Liste (mit der Fähre nicht so weit, bis 1815 ja auch Landgrenze). Da würde ich Gustav Adolf als bekannt voraussetzen, je nach Region vielleicht auch noch Pommern, Wismar und Verden-Stade als schwedischer Besitz.
Bei Holland hast Du Nieuw Amsterdam/New York vergessen, und das Wissen der Cocktailtrinker um Curacao:winke:. Belgien: Waterloo (eher durch Abba als durch die Schule vermittelt?).
Von den Türken vor Wien sollte doch breiteres Wissen vorhanden sein,
und die großdeutsche-kleindeutsche Frage kam bei mir im Schulunterricht noch vor. Über die Hallstattkultur ist vielleicht auch der eine oder andere schon gestolpert. Aber abgesehen von diesen Ergänzungen liegst Du, glaube ich, ziemlich gut.
Ganz bitter ist das "Ausblenden" Dänemarks, weil bei der Gelegenheit auch die schleswig-holsteinische (z.T. auch die Hamburgische) Geschichte mit unter den Tisch fällt, einschließlich Themen wie der Wirkung der (unzensierten!) Altonaer Presse auf die politische Meinungsbildung im neuzeitlichen Deutschland. Das schließt dann den Kreis zu Köbis Eingangsfrage...
 
In den historischen Romanen lernt man ja auch nur, dass Heldinnen des Alltags sich im MA besonders gern gegen das Patriarchat durchgesetzt haben ;)
Das ist auch ein interssantes Phänomen : Nicht nur ist das Geschichtsinteresse sehr "ego"zentrisch auf das eigene Land fokussiert (was ich für legitim halte), sondern auch "***"zentrisch (dafür gibt es wohl kein Wort) auf die heute aktuellen Themen - oft mit kurzem Verfallsdatum - zentriert.

Bei den im Forum vorgestellten Hausarbeiten geht es oft um die Diskriminierung der Frau bei den Kreuzzügen, Homophobie im Dreißigjährigen Krieg , Rassismus in der Französischen Revolution, das Verhältnis von Lenin zur Pädophilie usw.

Ich habe meine Zweifel daran, dass diese Form der Geschichtsinterpretation zu einem tieferen Verständnis des Sujets führt.
 
Ein paar Gedankensplitter dazu.
Mal abgesehen vom Geschichtsunterricht während der Schulzeit und mal berücksichtigt, man übt danach einen Beruf/Berufe aus wo man nicht unbedingt historische Kenntnisse benötigt.
Da würde ich meinen, es ist dann wohl eine Interessenssache zur Geschichte.

Hat man dieses Interesse, so investiert man auch Zeit um sich mit geschichtlichen Ereignissen zu befassen.

Ein Buch, ein Museumsbesuch, ein historischer Film kann da ein wertvoller Einstieg in die Materie sein.

Wobei ich den Eindruck habe, heutzutage ist es einfacher geworden Kenntnisse über historische Vorgänge zu erlangen bzw. zu vertiefen.

Der Computer hat sich ja einen festen Platz in der Wissensaneignung,
–vermittlung und -vertiefung erobert.

Früher hieß es, man muss nicht alles Wissen, man sollte aber wissen wo es steht. Wo es steht war dann damals allerdings mitunter nicht so schnell greifbar. Das hat sich ja inzwischen in einem atemberaubenden Tempo geändert (google Zeile mit der Frage füttern usw.).

Auf einen Aspekt möchte ich aber noch hinweisen.

Bei uns aus der ehemaligen DDR kommt noch die Tatsache hinzu, wir haben unser historisches Wissen mit Zusammenbruch der DDR beträchtlich erweitern und auch korrigieren können. Natürlich vorausgesetzt man hatte Interesse. Einseitig vermitteltes historisches Wissen, ideologisch verbrämte Betrachtungsweisen und Interpretationen gehörten ab 1990 der Vergangenheit an und das war gut so.
Dazu könnte man viele, sehr viele Beispiele nennen.

Auch in der Stadt wo ich wohne hat sich im historischen Erscheinungsbild vieles geändert.

Drei Beispiele:
· Die historische Marktstraße (Teil der Via Regia). Gneisenau wohnte in dieser Straße. Da war auch die Privatschule des jüdischen Mathematikers Dr. Ephraim Salomon Unger. Röbling, der Konstrukteur der Brooklyn Bridge studierte an dieser Schule. Auch gibt es inzwischen eine Gedenktafel die darauf hinweist, hier fand ein Aufmarsch Napoleonischer Truppen für den Russlandfeldzug statt.

· Ein Standbild von Bismarck findet man inzwischen auch auf den Anger an dem Haus wo er wohnte. Und man hat problemlos Zugang zu den (wenn man sich dafür interessiert) warum er hier in Erfurt war.

· Bei den Erfurter Nudelmachern und den Bürgern Erfurts wurde auch bekannt, diese Firma versorgte napoleonische Truppen mit Nudeln und die Firma bekam 1904 zur Weltausstellung in St. Louis eine Goldmedaille..
 
Zuletzt bearbeitet:
Das ist auch ein interssantes Phänomen : Nicht nur ist das Geschichtsinteresse sehr "ego"zentrisch auf das eigene Land fokussiert (was ich für legitim halte), sondern auch "***"zentrisch (dafür gibt es wohl kein Wort) auf die heute aktuellen Themen - oft mit kurzem Verfallsdatum - zentriert.

Bei den im Forum vorgestellten Hausarbeiten geht es oft um die Diskriminierung der Frau bei den Kreuzzügen, Homophobie im Dreißigjährigen Krieg , Rassismus in der Französischen Revolution, das Verhältnis von Lenin zur Pädophilie usw.

Ich habe meine Zweifel daran, dass diese Form der Geschichtsinterpretation zu einem tieferen Verständnis des Sujets führt.

Jede Zeit geht mit ihren eigenen Fragestellungen an die Geschichte heran. Das Sein bestimmt eben doch das Bewusstsein. Daran ist nichts Verwerfliches, im Ggt., das führt dazu, dass die historische Forschung eben nicht so schnell ausforscht, wie das mal ein Rektor der LMU meinte, als er fragte, ob man denn noch immer etwas neues zur Antike erforschen könne und das wissenschaftliche Personal dafür benötige... Das allerdings ist etwas völlig anderes als die Mode derzeit unterhaltende Frauenliteratur in das Gewand des Historischen Romans á la Wanderhure, Täuferin, Pilgerin etc. zu gießen. Denn dabei geht es nicht um die Präsentation neuer Fakten, sondern um Kontrafaktisches.
 
J ... Das allerdings ist etwas völlig anderes als die Mode derzeit unterhaltende Frauenliteratur in das Gewand des Historischen Romans á la Wanderhure, Täuferin, Pilgerin etc. zu gießen. Denn dabei geht es nicht um die Präsentation neuer Fakten, sondern um Kontrafaktisches.

Bücher wie "Die Wanderhure" oder "Die Pilgerin" ( "Die Täuferin" kenne ich nicht, weswegen ich mir auch kein Urteil erlaube) sind aber keine historischen Romane, sondern eine Mischung aus historischen Liebesroman mit Sex und Crimes-Elemente oder böse ausgedrückt historische Trivial- oder Schundromane, die Geschichte nur als Kulisse nutzen. Solche Bücher hat es aber früher auch schon gegeben, da haben wir z. B. "Angelique".

(Der Begriff "Frauenliteratur" ist hier gänzlich unpassend, da er nur explizite Vorurteile beinhaltet, die aber nichts mit der tatsächlichen Qualität der Bücher zu tun haben. Letztlich hängt es weder vom Geschlecht der Autoren/innen oder der Leser/innen ab, ob ein Roman gut, schlecht, gelungen, Schund oder "hohe Literatur" ist.)

Interessanter ist an den historischen Büchern des 21. Jahrhunderts etwas anderes: Offensichtlich gehört es zum guten Ton, dass selbst Autor/in eines (seichten) Unterhaltungsromans vor historischer Kulisse versucht ist, sich der Leserschaft als der/die Historienkenner/in bzw. der/die Historiker/in zu präsentieren. (Was vor allem dann peinlich ist, wenn dies zwar behauptet wird, aber gar nicht stimmt.) Doch warum ist das inzwischen üblich? Letztlich trägt das auch dazu bei, dass Leser/in den Eindruck vermittelt bekommt, dank des Romans über diese Zeit bestens und ausreichend informiert worden zu sein. (Zumindest bin ich schon lange keinen Leuten mehr begegnet, die sich durch solche Romane oder Fernsehserien zu einer näheren, eigenen Beschäftigung anregen ließen.)

Ein weiterer Grund könnte auch das Internet sein, das auch für viele bestimmt, was historische Fakten zu sein haben. Insofern mag für Autoren/innen von historischen Romanen eine Internetrecherche für sinnvoller erachten als solides Quellenstudium. Das bedeutet weniger Abend, geht schneller und die meisten Leser/innen werden so in ihren Vorstellungen noch bestätigt, was auch erwünscht ist.

Dass viele Bücher am deutschsprachigen Buchmarkt Übersetzungen aus dem anglo-amerikanischen Roman sind, dürfte neben der erfolgreichen Fernsehsoap "Die Tudors", ein Grund sein, dass zurzeit die Rosenkriege bzw. die Herrschaft von Henry VIII. und Elizabeth I. in Deutschland recht populär sind, und auch viele deutschsprachige Autoren/innen haben diese englische Geschichte für sich entdeckt. Ohne jetzt einmal auf die Qualität dieser Bücher näher einzugehen, wird offensichtlich der Eindruck vermittelt, dass diese Zeit eine recht spannende war.

Abgesehen davon ist noch eine zweite Linie zu beobachten, und das ist der Versuch von deutschsprachigen Autoren/innen mit Lokalgeschichtlichen zu punkten. Zumindest die meisten historischen Kriminalromane (und vor allem die Serien) spielen meistens in der Heimatstadt von Autor/in in vergangener Zeit, und gerade die Nachworte lesen sich auch oft als Werbung für die nächste Urlaubsreise.
 
Der Begriff "Frauenliteratur" ist hier gänzlich unpassend, da er nur explizite Vorurteile beinhaltet, die aber nichts mit der tatsächlichen Qualität der Bücher zu tun haben. Letztlich hängt es weder vom Geschlecht der Autoren/innen oder der Leser/innen ab, ob ein Roman gut, schlecht, gelungen, Schund oder "hohe Literatur" ist.
Zielgruppe dieser Bücher sind nun mal Frauen, die sich mit den Protagonistinnen identifizieren. Dass es für Männer seltener Bücher in diesem Segment gibt, mag an den anderen Lesegewohnheiten von Männern liegen.
 
Kommt Ihr mit den Romanen nicht vom Thema ab?

Oder soll das auf das generelle Interessse zielen, was sich durch die konsumierte Literatur erzeugen lässt oder verstärkt?

Mich würden hier Verhaltensweisen der Leser interessieren. Gibt es dazu Erkenntnisse, dass evt. Interessen geweckt werden?
 
Zielgruppe dieser Bücher sind nun mal Frauen, die sich mit den Protagonistinnen identifizieren. Dass es für Männer seltener Bücher in diesem Segment gibt, mag an den anderen Lesegewohnheiten von Männern liegen.

Gibt es dafür wissenschaftliche Belege, dass solche Bücher (und auch Filme, die auf ihnen aufbauen) sich ausschließlich an ein weibliches Publikum richten und von diesem konsumiert werden? Ist wissenschaftlich bewiesen, dass Serien wie z. B. "The Tudors" eindeutig für ein weibliches Publikum konzipiert wurden und von diesem konsumiert werden?

Was ist davon zu halten, dass zum Beispiel sich hinter dem Pseudonym Iny Lorentz ein Ehepaar steckt, also ein Autor und Autorin oder dass solche Bücher auch von Männern geschrieben werden?

Oder handelt es sich bei deiner Aussage nicht um Vorurteile, die eigentlich längst überholt sind?
 
Mich würden hier Verhaltensweisen der Leser interessieren. Gibt es dazu Erkenntnisse, dass evt. Interessen geweckt werden?
Meinst Du mit "Leser" uns und unsere persönlichen Erfahrungen oder fragst Du nach irgendwelchen Studien?

Dass meine Hauptinteressen die Antike und das frühe Mittelalter sowie Mythologie sind, liegt definitiv daran, dass ich mit 8/9 drei Bücher "Deutsche Götter- und Heldensagen", "Römische Götter- und Heldensagen" und "Griechische Götter- und Heldensagen" las. Ersteres Buch enthielt Nacherzählungen der Götter-Sagen aus den Eddas (ja, auch hier wurden die Eddas noch ganz 19.-Jhdt.-gemäß "deutsch" vereinnahmt), der Gudrunsage, der Sagen um Wieland den Schmied und Dietrich von Bern, Ortnit und Wolfdietrich, des Nibelungenlieds und der Parzival-Geschichte, das zweite eine gekürzte Fassung von Schwabs Aeneis-Nacherzählung sowie Nacherzählungen der römischen Frühgeschichte nach Livius bis zum Ersten Samnitenkrieg, das dritte gekürzte Fassungen einiger Sagen aus Schwabs "Sagen des Klassischen Altertums". Alle drei Bände hatten außerdem einen Anhang mit historischen Hintergrundinformationen zu den Sagen. Ich las alle drei Bücher mehrere Male, und mein Interesse war geweckt und meine bevorzugte künftige Leseauswahl vorgezeichnet.
 
Meinst Du mit "Leser" uns und unsere persönlichen Erfahrungen oder fragst Du nach irgendwelchen Studien?

Dass meine Hauptinteressen die Antike und das frühe Mittelalter sowie Mythologie sind, liegt definitiv daran, dass ich mit 8/9 drei Bücher "Deutsche Götter- und Heldensagen", "Römische Götter- und Heldensagen" und "Griechische Götter- und Heldensagen" las. Ersteres Buch enthielt Nacherzählungen der Götter-Sagen aus den Eddas (ja, auch hier wurden die Eddas noch ganz 19.-Jhdt.-gemäß "deutsch" vereinnahmt), der Gudrunsage, der Sagen um Wieland den Schmied und Dietrich von Bern, Ortnit und Wolfdietrich, des Nibelungenlieds und der Parzival-Geschichte, das zweite eine gekürzte Fassung von Schwabs Aeneis-Nacherzählung sowie Nacherzählungen der römischen Frühgeschichte nach Livius bis zum Ersten Samnitenkrieg, das dritte gekürzte Fassungen einiger Sagen aus Schwabs "Sagen des Klassischen Altertums". Alle drei Bände hatten außerdem einen Anhang mit historischen Hintergrundinformationen zu den Sagen. Ich las alle drei Bücher mehrere Male, und mein Interesse war geweckt und meine bevorzugte künftige Leseauswahl vorgezeichnet.

Das meinte ich, Du hast es an Deinem Beispiel erläutert.

Die Frage war dann weiter gefasst und auf die Leser der offenbar gut laufenden Historienromane bezogen. Bei einem Teil (keine Ahnung, wie groß) würde ich davon ausgehen, dass auch Interesse an Epochen, Regionen etc. geweckt wird.

P.S. bei mir war es anfangs auch der Schwab mit den griechischen und römischen Götter- und Heldensagen. :winke:
 
Kommt Ihr mit den Romanen nicht vom Thema ab?

Oder soll das auf das generelle Interessse zielen, was sich durch die konsumierte Literatur erzeugen lässt oder verstärkt?

Mich würden hier Verhaltensweisen der Leser interessieren. Gibt es dazu Erkenntnisse, dass evt. Interessen geweckt werden?

Zumindest bei aktuellen Unterhaltungsromanen zu den Rosenkriegen und auch zu den Tudors ist mir in Rezensionen aufgefallen, dass es hier so etwas wie Parteinahme gibt. Immer wieder gibt es Leser/innen, die in ihrer Rezension klarstellen, dass sie eigentlich auf Seite der Roten oder Weißen Rose sind oder dass sie Probleme damit haben, wenn Mary I. (Tochter Henrys VIII.) eine sympathische Darstellung erfährt und Ähnliches. Eine der deutschsprachigen Autoren/innen, Rebecca Gablé, präsentiert sich auf ihre Website als Vertreterin der Theorie, dass Richard III. natürlich seine Neffen getötet hat und macht sich über Schriftstellerinnen wie z. B. Josephine Tey lustig, die anderer Ansicht sind.

Ob diese Leser/innen und Autoren/innen alle wirklich Fachleute für die Rosenkriege oder die Tudors sind? Jedenfalls geben sie sich als solche.

Handelt es sich dabei um Interesse an historischen Themen oder steckt dahinter der Glaube, über diese informiert zu sein, weil zurzeit in der Unterhaltungsliteratur zu einem historischen Kapitel viel zu lesen ist?
 
Die Frage war dann weiter gefasst und auf die Leser der offenbar gut laufenden Historienromane bezogen. Bei einem Teil (keine Ahnung, wie groß) würde ich davon ausgehen, dass auch Interesse an Epochen, Regionen etc. geweckt wird.
Ich lese eher selten Historienromane, da ich literarisch die Lektüre von originaler antiker und frühmittelalterlicher Literatur bevorzuge. (Wozu brauche ich heutige Verwurstungen? Appians ausführliche Schilderung der Tage vor und nach Caesars Ermordung ist packend wie ein Thriller, und die Schilderung der Schlachtentode der Norwegerkönige Olaf Tryggvason und Olaf der Heilige in der "Heimskringla" kann mit jedem heutigen Historienroman locker mithalten.) Und wenn ich Historienromane lese, dann bevorzugt eher ältere (19. und frühes 20. Jhdt.). Trotz aller Mängel (überholte Geschichtsbilder, "völkische" Prägung etc.) finde ich sie meist um Längen besser geschrieben als heutige, aber meist auch besser recherchiert. Doch ob alt oder neu: Ich wähle Historienromane normalerweise danach aus, vor welchem Hintergrund sie spielen bzw. welches Thema sie behandeln. Anders formuliert: Meine Lektüreauswahl richtet sich nach bereits vorhandenen Interessen; neue Interessen können also kaum geweckt werden. (Eine Ausnahme ist mein Interesse für russische Literatur des 19. und frühen 20. Jhdts. und damit verbunden auch etwas für russische Geschichte. Das war zwar grundsätzlich schon länger vorhanden - insbesondere Tolstoi -, kam aber erst durch private Hintergründe so richtig in Fahrt.)
 
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