kleine Geschichte der Atombombe..

Vielen Dank für die Ergänzungen.

Die technische Seite der Raketen würde ich noch die strategische Zweiteilung in der Entwicklung der landgestützten Interkontinentalraketen und der U-Boot-Plattform beifügen. Zwar brachte die SU hier die ballistische Rakete auf einem UBoot in den Flottendienst, was aber dann im Wettlauf Polaris/Yankee bis Trident/Delta kompensiert wurde. Die Abstützung der USA würde ich hier auch vermixt mit dem Aspekt Zweitschlagskapazitäten sehen (1991 war ein relativ höherer Anteil der warheads auf Seiten der USA UBoot-gestützt untergebracht: 45% - den konventionellen Wettlauf über Erfassung und Jagdkapazitäten bei diesen Trägersystemen mal außen vor gelassen).
 
Vielen Dank für die Ergänzungen.

Die technische Seite der Raketen würde ich noch die strategische Zweiteilung in der Entwicklung der landgestützten Interkontinentalraketen und der U-Boot-Plattform beifügen. Zwar brachte die SU hier die ballistische Rakete auf einem UBoot in den Flottendienst, was aber dann im Wettlauf Polaris/Yankee bis Trident/Delta kompensiert wurde. Die Abstützung der USA würde ich hier auch vermixt mit dem Aspekt Zweitschlagskapazitäten sehen (1991 war ein relativ höherer Anteil der warheads auf Seiten der USA UBoot-gestützt untergebracht: 45% - den konventionellen Wettlauf über Erfassung und Jagdkapazitäten bei diesen Trägersystemen mal außen vor gelassen).
Kannst Du mir eine Quelle zu den 45% geben?

Ich mein, das ist ja schauerlich,
denn SLBM´s sind ja per se unter einer weit geringeren politischen oder sonstigen Kontrolle.
(Was vor kurzem hier angerissen wurde am Beispiel der Foxtrott U-Boote vor Kuba.)
Kennst Du die Zahlen für die russische Seite?

Danke und Grüße hatl
 
1991 verfügten die USA über 34 Uboote mit ICBMs, darunter die ersten 11 "Ohios" (mit 24 Trident D-5), der Rest "Lafayette/Madison/Franklins" (23 Boote, mit 16 Trident C-4). Das sind 632 ICBMs mit 5056 warheads (lenkbare MIRVs), von rd 10.000 Gefechtsköpfen.

Der Unterschied zwischen den D-5 (300-475 KT) und C-4 (100 KT) lag ua. im deutlich gesteigerten Hard-Target-Kill-Potential (getrennte Lenkbarkeit, 3 bis 5-fach stärkere Explosivkraft).

Die UdSSR verfügte 1991 über 62 Boote mit 940 ICBMs, als Typen SS-N-20 (10 MIRV) oder SS-N-23 (unter den Abkommen nur mit 4 statt der 8 möglichen MIRVs ausgestattet). Wegen der warhead-Reduzierungen sollen das insgesamt nach US-Analysen etwa 29% der Sprengköpfe gewesen sein.

Polmar/Moore, Cold War Submarines.
 
Das Kernwaffenthema kann man mE nicht von den Entwicklungen bei den Trägersystemen trennen.

Um 1950 stand die Stationierungen von Flugzeugen im Vordergrund. Die Einbeziehung Großbritanniens seitens der USA war hier eine zentrale Frage.

Die Uboote wurden dann in den 60er - zunächst mit Vorsprung der UdSSR - eine zentrale Frage der Zweitschlagkapazitäten der USA im System der Abschreckung, dies stets verbunden mit Befürchtungen der SU-Boote über Erstschlagfähigkeiten (gegen die US-landgestützten Trägersysteme).

Ein wesentlicher weiterer Aspekt im Kalten Krieg war die Jagd/Beschattung der Uboote mit ICBM, da man auf Seiten der SU im Erstschlag auch Kapazitäten bei den Ubooten vermutete. Vorher war man bis in die 60er davon ausgegangen, die SU wollte eine 2. "Atlantikschlacht" führen.

Mit den "Ohios" und den Trident D-5 hatten die USA hier einen deutlichen Vorsprung, als dieser Wettlauf stoppte.
 
@Silesia,

Ab wann wurden U-Boote mit ICBM´s ausgestattet?
Nur von den USA?

Ich habs ja erst nicht glauben können.
Die Trident jedenfalls erreicht Umlaufgeschwindigkeit (>7,9 km/s).
 
Das Polaris-Programm hatte 1960 höchste Priorität, da die USA eine "Raketen-Lücke" (missile gap) identifizierten. 14 Polaris-Boote waren im Bau.

Los ging der Wettlauf mit seegestützten Raketen mit dem Test des V2 - Abschusses vom Deck des Flugzeugträgers Midway nach dem Krieg (ist hier im Forum auch diskutiert worden). Die Navy hatte die direkte Budgetkonfrontation B36 vs. Carrier verloren und fand mit der seegestützten Dislozierung von Flugkörpern mit atomaren warheads eine "Kompensation". Nur einer der wichtigen Schritte dorthin:
"On 8 February 1957, the Chief of Naval Operations (Burke) issued a requirement for a 1,500- n.mile (2,775-km) missile launched from a submarine to be operational by 1965. This range was stipulated to enable a submarine in the Norwegian Sea to target the Soviet capital of Moscow. The February 1957 schedule with a goal of 1965 was followed by a series of revisions and accelerations in the Polaris program."

Kernforderung war, dass von der Flotte mit 45 Booten (41 umfasste das Polaris-Programm 1960/67) stets 29 operationsbereit waren, die über 464 atomare Sprengköpfe verfügten, die mit 50% Wahrscheinlichkeit mindestens 232 Ziele in der UdSSR zerstören könnten (dazu kam der Kapazitätzuwachs und Reichweitenzuwachs durch die Entwicklung Polaris->Poseidon).

Zu der SU später mehr.
 
Ein Grundgedanke zwischendurch..

Schaut man sich die Geschichte der Technik an, so kann man mehrere Blickweisen einnehmen.
Zunächst ist für einen Techniker natürlich die Sicht auf die Evolution der Fähigkeiten naheliegend.
Und dann ist der zweite Blick auf die daraus folgenden Möglichkeiten gerichtet.
Das Schaffen des Technikers, und hier interessiert er als solcher sich nicht weiter,
stellt stets auch ein soziologisches Experiment dar, welches um so gewagter sein muss, je umwälzender eine neu erworbene Fähigkeit ist. (Beispiele sind zahlreich.)

Üblicherweise verfeinert sich Technik in der Anwendung und steigert in diesem Prozess ihre Wirksamkeit.
Es fällt mir absolut kein Beispiel ein, bei dem das anders gewesen wäre;
ausser der Atombombe.
Und selbst bei der 'kleinen' Spaltungsbombe gab es nur zwei echte Tests:
Hiroshima und Nagasaki.
Die Kriegswirkung gar einer Wasserstoffbombe (vorhanden ab 1952), per se ein paar Zehnerpotenzen potenter, wurde nie getestet.

Eine technisch virtuelle Welt einerseits und andererseits eine politisch bedrückend reale.
Es entwickelt sich, sagen wir mal ab den 40ern, ein umfangreicher technischer Komplex, der derart wirkmächtig ist, dass es dessen Zweck es sogar sein muss nicht zur Anwendung zu kommen (ab den 50ern).
Das ist eine bemerkenswerte Besonderheit, wenn nicht ein Alleinstellungsmerkmal, der Nuklearwaffen in der Technikgeschichte.

Möge es so bleiben, so muss man hoffen.
 
Neutronenbombe

Eine Erinnerung an die "Neutronenbombe", die eine gewisse Zeit, die politische Diskussion sehr emotional beschäftigt hatte.

Atomwaffen im Kalten Krieg: Was wurde aus der Neutronenbombe? - SPIEGEL ONLINE

Danke Thane für den Hinweis.
(Das war mal ein Aufreger, kann ich mich noch erinnern.)
Ein paar Thesen dazu..

So wie ich es verstehe, sind drei Zerstörungsmechanismen bei Nuklearwaffen unmittelbar und kurzfristig wirksam:
- Lichtblitz (thermal flux), der alles Brennbare in einem Umkreis augenblicklich entzündet, mit der wahrscheinlichen Folge eines wetterunabhängigen Feuerstrums,
- ausgedehnte Druckwelle,
- und Strahlung.

Der Anteil dieser Effekte kann beeinflusst werden, und ist auch selber beeinflusst durch die Art des Zieles.
Man kann mit einer in großer Höhe gezündeten Bombe einen hohen 'thermal flux' erreichen, und damit große Gebiete augenblicklich in Brand setzen, jedoch vergleichsweise geringe Strahlenbelastung und Druckwelle hinterlassen.
Will man indes einen Silo aufbrechen, dann muss man bodennah zünden, mit hohem Druck, und unvermeidlicher Folge hoher Strahlenbelastung mit einer großen Anzahl an Opfern ungewissen Ausmaßes.

So wie ich es verstehe, rückte die Entwicklung der Neutronenbombe, das menschliche Strahlenopfer in den Vordergrund, während es vorher als 'Kollateralschaden' gedanklich in Kauf genommen wurde.
 
kurzer Nachtrag:
Es geht bei der "Strahlung" nahezu ausschließlich um die Wirkung auf lebendes Gewebe, während der Effekt auf unbelebte Strukturen gering ist.

Aus Deinem Link: "Noch kurz vor seinem Tod war der Erfinder der Neutronenbombe davon überzeugt, dass seine Waffe die Welt besser machen könnte. "Sie ist die vernünftigste und moralischste Waffe, die jemals entwickelt wurde", sagte der 89-jährige Samuel Cohen im September 2010 der "New York Times". "Sie ist die einzige Atomwaffe der Geschichte, die in der Kriegführung sinnvoll ist. Wenn der Krieg vorbei ist, ist die Welt noch intakt."
Das ist ja auch eine bemerkenswerte, wenn auch nicht seltene Vorstellung.
Mann und Maus sind tot, aber die Kulturschätze erhalten.
....

.. "Wie schön wär mein Wien ohne Wiener.. " Kreisler.
 
Ich will noch dem Hinweis von Silesia auf die Bedeutung der Trägersysteme folgen.
Das Kernwaffenthema kann man mE nicht von den Entwicklungen bei den Trägersystemen trennen.
Diese haben unterschiedliche Trägerplattformen. Das wäre dann vielleicht der zweite Blick

Bei den Trägersystemen sieht man Flugzeuge, Raketen, Kanonen, Torpedos.
Die sehr deutliche Hauptvernichtungskraft liegt bei den ersten zwei.
Beim Flugzeug ist Trägerplattform der Boden und vielleicht ein bisserl das Überwasserschiff.
Bei der Rakete kommt, neben der Trägerplattform Boden, ganz erheblich diese Plattform als U-Boot zu tragen.
Danke Silesia für den Hinweis, vor allem auf den hohen Anteil!

Als Trägersystem dominiert alsbald die Rakete (mit dem Feigenblatt der sogenannten Raumfahrt).
Und die ist ja auch verlockend. Erreicht man nur eine gewisse Geschwindigkeit, so kann man beliebige Entfernungen auf der Oberfläche des Planeten Erde mit einem kräftigen Anfangsimpuls überwinden.
(Diese Geschwindigkeit ist die erste „kosmische Geschwindigkeit“ mit 7.900 m/s.)
Und diese Dinger sind schnell, richtig schnell. Sonst geht das ja gar nicht. Selbst ein Flugzeug ist dagegen eine Schnecke.
Und sie haben einen hohen Antrieb zu Beginn der Flugbahn und treiben dann passiv (ballistisch) weiter. Daher sind sie auch dann nicht einfach zu stoppen und heißen deshalb auch „ballistic missiles“.

Entscheidend für die Nützlichkeit des Trägersystems Rakete ist das Masseverhältnis von Nutzlast und Baugewicht gegenüber der anfänglichen Gesamtmasse.
Dazu gibt es die idealisierte und bleibend gültige Raketenformel von 1903.
Und die besagt, dass eine Rakete radikal (e-Funktion!) schneller wird, wenn der Anteil der Transportmasse sinkt.
(Ackeret verfeinert diese Formel 1946 für relativistische Verhältnisse im Hinblick auf eine echte Raumfahrt. Träume werden halt auch schnell zu Albträumen.)

Nachdem an der leidigen Physik wenig gedreht werden kann, ist anzunehmen, dass eine „Ko-Evolution“, also eine Evolution, stattfand, die sich darin ausdrückte, dass Nuklearwaffen leichter werden mussten, um der Transportmöglichkeit Rakete zugänglich zu sein.

Thane,
nachdem der Mensch, auch bei bestem Willen, keinen Einfluss auf das von ihm grundsätzlich Erkannte nehmen kann, kann man auch die Gestaltungskraft des menschlichen Willens relativieren.

Danke euch beiden, und allen die bei dem makabren Thema mitmachen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Rakete und U-Boot, Träger und Plattform.

Erst noch mal die Rakete...
Da gibt es das Verhältnis, Startgewicht zu Endgewicht, welches exponentiell Einfluss auf die Brauchbarkeit des Trägersystems nimmt (Raketenformel, … die Rakete wird sehr viel schneller größer als die Nutzlast).

Eine Interkontinentalrakete muss ungefähr (knapp) Umlaufgeschwindigkeit erreichen (erdnaher Satellit).
Das sind die magischen 7.900 m/s. Die Umlaufbahn will man natürlich mit Interkontinentalraketen nicht erreichen, sondern einen ballistischen Flug, etwas zwischen Wurfparabel und Ellipse, und je planetar weiter desto eher Ellipse. ..

Um etwa die Hiroshima-Bombe mit 4.400 kg in Umlauf zu bringen braucht man mit gegenwärtiger Technik eine große Delta2 Rakete.
Das Teil passt jetzt nicht ganz auf das U-Boot...

Der ab 1978 gebaute W76 hat gerade mal die Masse eines besonders schweren Menschen (man denke hier an prominente Sportmanager) von 164 kg,
und besitzt fast siebenfache Sprengkraft (100 kt) gegenüber der Hiroshima-Bombe.
Der W76 im Vergleich zur Hiroshima-Bombe hat keine vier Prozent der Masse, aber knapp die siebenfache Energiefreisetzung. Damit ist die Energiedichte pro Masse (YTM) rund 175 mal größer.
Hier beziehe ich mich auf Wellerstein.

175-mal ist ja eine richtig große Nummer, auch in Betrachtung einer Entwicklungsgeschwindigkeit bei der man ans Mooresche Gesetz denkt.

Ich konnte mir ja eine Interkontinentalrakete auf einem U-Boot erst mal gar nicht vorstellen.
Aber sieben Hiroshimas mit planetarer Umlaufgeschwindigkeit und der Gesamtmasse des Managers von Bayer-Leverkusen, machen die Sache schon interessant fürs U-Boot.
Insbesondere wenn man bedenkt welch großen Vorteil die Physik der geringeren Transportmasse beim Raketen-Antrieb einräumt,
..und auch wie federleicht der Kalmund ist, im Vergleich zu 100 Millionen kg TNT.:D
 
Zuletzt bearbeitet:
Diese haben unterschiedliche Trägerplattformen. Das wäre dann vielleicht der zweite Blick

Bei den Trägersystemen sieht man Flugzeuge, Raketen, Kanonen, Torpedos.
Die sehr deutliche Hauptvernichtungskraft liegt bei den ersten zwei.
Beim Flugzeug ist Trägerplattform der Boden und vielleicht ein bisserl das Überwasserschiff.
Bei der Rakete kommt, neben der Trägerplattform Boden, ganz erheblich diese Plattform als U-Boot zu tragen.

Torpedos&Co würde ich mit Blick auf die strategische Thematik vielleicht hinten anstellen bzw. ausklammern.

Was aber im Hinblick auf das land- oder seegestützte IC-Trägersystem "Rakete" außerdem ein wichtiger Punkt ist bzw. eine gleich zweifache Eskalationsstufe in der technischen Entwicklung brachte:

- die Ausrüstung mit Mehrfachsprengköpfe (korrespondierend zu der "Miniaturisierung" - das ist nicht zynisch, sondern faktisch gemeint - der warheads) - Stufe 1

- die Fähigkeit der getrennten Lenkung dieser Mehrfach-warheads - Stufe 2

Wenn man diesem technologischen Wettlauf etwas abgewinnen möchte: es steigerte die "Zweitschlagkapazitäten" exponential, und "sprengte" damit jede Vorstellungskraft über Erfolgschancen eines Erstschlages.
 
....
Wenn man diesem technologischen Wettlauf etwas abgewinnen möchte: es steigerte die "Zweitschlagkapazitäten" exponential, und "sprengte" damit jede Vorstellungskraft über Erfolgschancen eines Erstschlages.

Es ist richtig, dass die "Zweitschlagkapazitäten" für einen Vergeltungsschlag sprunghaft wuchsen, das gilt aber auch für Möglichkeit des Erstschlags und dessen Folgen.
Der Erstschlag war nicht nur nicht unvorstellbar, sondern auch als eine große Gefahr wahrgenommen.
Anfang der 80er entwickelt die sovietische Seite erhebliche Aktivitäten um herauszufinden ob die Amerikaner den Erstschlag vorbereiten.
https://www.cia.gov/library/center-...s/a-cold-war-conundrum/source.htm#Top of File
Andropov jedenfalls nahm die Gefahr der Vernichtung durch einen Erstschlag sehr ernst.

Der technologische Wettlauf machte den Erstschlag gewiss nicht unvorstellbar.
Die MRVs und MIRVs, die Miniaturisierung, die sich gravierend steigernden Treffergenauigkeiten, die schnell verbessernden Zielbestimmungen erhöhen ja durchaus auch die Aussicht auf einen „Erfolg“ eines Erstschlags;
insbesondere für den, der einen technologischen Vorsprung hat.
 
Der technologische Wettlauf machte den Erstschlag gewiss nicht unvorstellbar.Die MRVs und MIRVs, die Miniaturisierung, die sich gravierend steigernden Treffergenauigkeiten, die schnell verbessernden Zielbestimmungen erhöhen ja durchaus auch die Aussicht auf einen „Erfolg“ eines Erstschlags;insbesondere für den, der einen technologischen Vorsprung hat.

Sicher, gerade die zwischenzeitlichen "Sprünge" brachten fragile Situationen, Misstrauen etc.

Wie eine strategisch "stabile" Situation (bei gegebenen strategischen Vernichtungspotenzialen) wieder bedenklich ins Rutschen kommen konnte, zeigt ja gerade die neu einsetzende Rüstung im Mittelstreckenbereich.

Auf den Aspekt des Atomwaffenwettlaufes wurde noch nicht hingewiesen: die Bedenken gerade der europäischen NATO-Mitglieder (siehe stellvertretend Schmidt, aber auch die frz. oder brit. Position), dass hierdurch eine Abkopplung - "Regionalisierung" - der Atomwaffenpotenziale durch die SS-20 erfolgen könne, die eine umfassende strategische (US-amerikanische) Antwort auf einen "europäisch begrenzten" Ersteinsatz zweifelhaft werden lässt. Umgekehrt die sowjetischen Bedenken, dass die Nachrüstung Erstschlagpotenziale auf eine neue Stufe hebt.
 
Evolution und Bombe, Hase und Igel

Nochmal zurück zu 1945 und folgende Jahre.
Der amerikanische Kriegsminister (so hieß das damals) Henry 
Lewis 
Stimson
, legt, so erinnert er 1947, am 25. April 1945 dem amerikanischen Präsidenten, der mittlerweile Truman heißt, ein Memorandum vor.
Also rund 100 Tage vor dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und rund 80 Tage vor der ersten Kernexplosion der Geschichte (Trinity).
Dieses Memorandum, so Stimson, war eine Diskussionsgrundlage und enthielt folgende grundsätzliche Gedanken:
1. Es werde in wenigen Monaten die schrecklichste Waffe, die die Geschichte je kannte, verfügbar sein. Nur eine einzige Bombe dieser Art könne eine Großstadt zerstören.
2. Es sei zwar nicht davon auszugehen, dass sich andere Nationen innerhalb weniger Jahre auch den Besitz dieser Waffen bringen könnten,
3. es müsse aber als praktisch sicher gelten, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein werde.
4. Dass zudem zu fürchten sei, dass eine solche Waffe von Nationen im Geheimen entwickelt werde, und eine arglose große Nation unvermittelt einer Eroberung durch eine kleine Nation ausgesetzt sein könnte.
Den Punkt Fünf des Memorandums finde ich so interessant dass ich ihn übersetze:
5. „Die Welt in ihrem gegenwärtigen Zustand des moralischen Fortschritts, verglichen mit dem der technischen Entwicklung, wäre letztlich die Geisel dieser Waffe. Mit anderen Worten, die moderne Zivilisation könnte komplett zerstört werden.“
(The
 world
 in
 its
 present
 state
 of
 moral
 advancement
 compared
 with
 its
 technical
 development

would
 be
 eventually
 at
 the 
mercy 
of
 such
 a 
weapon.
 In 
other 
words, 
modern
 civilization
 migh t
be

completely
 destroyed.
)
Es folgen noch Punkte 6- 9. Hier wird auf die Dringlichkeit der Schaffung neuer internationaler Strukturen hingewiesen. Keine der vorhandenen sei angemessen die neue Gefahr im Zaum zu halten.

Hase und Igel. ..Bin schon da!
Und es war ja gemäß Stimson so: „dass es unser gemeinsames Ziel während des Krieges war, eine solche Waffe als erste zu produzieren und zu verwenden.“ .

http://afe.easia.columbia.edu/ps/japan/stimson_harpers.pdf
 
Zuletzt bearbeitet:
Nuklearer Winter

eine Fortsetzung ...
Also Dezember 1983 bringt die NASA eine Publikation heraus in der zu lesen steht, dass ein Atomkrieg die Nahrungskette zum Kollaps bringen könne, in Folge einer planetaren Abkühlung.
TTAPS*, eine NASA-finanzierte Forschergruppe untersuchte theoretisch durch Computer-Simulationen Staub-Stürme auf dem Mars. (welche die Mariner-Sonde zur Überraschung der Fachwelt 1971 aufzeigte.)
Diese Gruppe ist Autor der Publikation zur möglichen Situation auf der Erde im Falle eines Atomkriegs und wendet die Erkenntnisse des Studiums des Mars-Klimas an.
(* Turco, Toon, Ackerman, Pollack, Sagan)

Nun wäre es interessant zu ergründen
- ob sich diese Veröffentlichung im Rahmen vorheriger und präsenter Überlegungen zum „Nuklearen Winter“ bewegte,
- ob sich daraus veränderte Handlungsmuster der Opponenten ergaben,
.. und natürlich auch, ob diese frühe Abschätzung der TTAPS-Gruppe durch weitere Forschung bestätigt wurde.

Nun gibt es zu letztem Punkt zahlreiche neue Forschungsergebnisse und man kann mE davon ausgehen, dass diese frühe Peilung zutreffend ist.

Zur ersten Frage:
Der Begriff „Nuklearer Winter“ geht wohl auf Birks und den späteren Nobelpreisträger (Chemie) Crutzen zurück, die bereits 1982 diesen Begriff in einer Veröffentlichung benutzten.
Letzterer erwähnt das in einem Vortrag anlässlich der Preisverleihung:
http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/chemistry/laureates/1995/crutzen-lecture.pdf – PDF-Seite 28ff.
1981 trat dem gemäß das schwedische Wissenschaftsmagazin Ambio an ihn mit der Bitte heran,
einen Beitrag zu den Umweltfolgen einen großen Atomkriegs zu schreiben. Sein Kollege John Birks ist gerade da (MPI Mainz) und bringt Zeit, Lust und Sachverstand mit.
Die Veröffentlichung ist 1982 und die beiden kommen zu dem Schluss:
„...dass die Absorption des Sonnenlichts durch schwarzen Rauch zu Dunkelheit und einer Abkühlung der Erdoberfläche, nebst einer Aufheizung höherer Atmosphärschichten, führen könnte, und dergestalt zu einer Schaffung atypischer meteorologischer und klimatischer Verhältnisse führten, welche für einen großen Teil der Menschheit eine Gefahr für die landwirtschaftliche Produktion darstellten.“
(Our conclusion was that the absorption of sunlight by the black smoke could lead to darkness and strong cooling at the earth’s surface, and a heating of the atmosphere at higher elevations, thus creating atypical meteorological and climatic conditions which would jeopardize agricultural production for a large part of the human population )
Seinem Vortrag gemäß, griff die TTAPS-Gruppe 1983 die Sache erneut (wahrscheinlich auch medienwirksamer) auf.
Bemerkenswert ist in beiden Fällen wie vorsichtig die Formulierungen der Teams sind.
Interessant fand ich hierzu auch zwei Artikel vom Januar 1985, einen in der Zeit, und einen im Spiegel.

Frage zwei scheint weniger leicht entwirrbar zu sein:
Hatte das einen Einfluss auf die Handlungen der zwei Haupt-Opponenten USSR und USA?
Hatte die Aussicht auf die Möglichkeit eines 'nuklearen Winters' wesentliche Reaktionen zur Folge?
Wie beurteilten die zwei feindlichen Parteien die Sachlage, und was dachten sie, was der Gegenspieler darüber denkt?
 
Birks und Crutzen 1982, TTAPS 1983, …..

.. jetzt wird es schon interessant....
Denn wenn die wissenschaftlichen Abschätzungen stimmten, dann könnten ja weder Erstschlag noch Vergeltungsschlag etwas anderes bewirken als den eigenen Untergang.
Daher stellte sich schnell die Frage unter welchen Umständen das so stimmt, und mit welcher Wahrscheinlichkeit.
Es stellte sich auch unvermeidlich die Frage welche Konsequenzen das für die eigene Nuklearstrategie haben müsste. (..und inwiefern das einen Unterschied für einen selber macht).
Und es stellte sich dabei ebenso unvermeidlich die Frage was der Gegner darüber weiß und denkt.

Aber langsam …..
das Ganze spielt sich auf mindestens zwei Bühnen ab.
Da haben wir zunächst die wissenschaftliche Bühne, und auf dieser wird kein Schauspiel der geheimniskrämerischen Gegnerschaft aufgeführt.
Es treten verschiedene miteinander international vernetzte Fakultäten auf.
Das Thema liegt in der Luft und ist 1983 in der Fachwelt heiß.
Am 31. Oktober beginnt die „conference on the long term worldwide biological consequences of nuclear war“ in Washington.
Eine Satellitenverbindung nach Moskau ermöglicht die Teilnahme sovietischer Kollegen.
(Naomi Oreskes/ Erik M. Conway )

Das ist doch erstaunlich.

Auf einem Höhepunkt des kalten Kriegs werden friedlich und gemeinsam Fragen diskutiert, die die Militärstrategie unmittelbar berühren müssen.
Und dies offensichtlich sehr rege.
Eine Aufstellung internationaler Konferenzen mit sovietischer Beteiligung 1983-84 findet sich in einem „DCI-Report“* vom Dezember 1984 in Anhang B.
SOVIET APPROACH TO NUCLEAR WINTER (NI IIA 84-10006) | CIA FOIA (foia.cia.gov) **
Mai 1983 in Moskau und in Erice (Italien)
Oktober Moskau,
November in Wien, Stockholm, Video-Konferenz Washington-Moskau („TV hookup“), Tiblisi (UDSSR (Georgien))
Januar 1984 ein internationales Treffen im Vatikan,
März in Tallinn und April Ashkhabad, beide UDSSR,
Mai Washington .. usw. …



*Der „DCI“ war, so wie ich es verstehe, sowohl Direktor der CIA als auch der anderen Geheimdienste, ins Amt gesetzt durch den Präsidenten (hier Reagan) .https://en.wikipedia.org/wiki/Director_of_Central_Intelligence
** http://www.foia.cia.gov/sites/default/files/document_conversions/89801/DOC_0000284025.pdf
ist sicher eine interessante Quelle im Kontext innerer und äußerer Auseinandersetzungen im fraglichen Zeitraum.


(Jetzt hoff ich mal, dass ich nicht all zu sehr langweile. Mir selbst ist es eine Kurzweil, weil ich es nicht verstehe.)
 
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