Dolchstoßlegende

Es war in jeder Hinsicht, ein "Krieg der Illusionen". Angefangen vom Ausbruch bis hin zu den Bedingungen des Zusammenbruchs.

Die Illusionen betrafen nicht nur die militärischen Planungen noch Mitte 1918, die sich offensiv im Kontext des "Siegfriedens" manifestierten, obwohl spätestens im September auch ein Ludendorff mit dem alliierten Durchbruch rechnete (vgl. Epkenhans, S. 223)

Neben dieser militärischen Seite der Beurteilung brach eine Gesellschaftsformation zusammen, die der Armee und ihren Offizieren in großem Umfang ihre Privilegien entzog.

Vor diesem Hintergrund machte man sich auch auf politischem Feld "Illusionen" über den Zustand der Gesellschaft.

"Nicht die rechtzeitige Revolution von oben, ...., sondern die Durchsetzung des autoritären Staates war nach Meinung der Mehrheit der Generale das Gebot der Stunde. ....reagierten sie [die Generale]empört: "Der Teufel hat das Parlament erfunden." Jeder Deutsche müßte Soldat sein und Ordre parieren, dann ginge alles" schrieb beispielsweise General v. Einem am Tag nach Ludendorff Offenbarungseid an seine Frau. Die völlige Fehleinschätzung der Lage im Inneren und der Belastbarkeit der großen Mehrheit der Bevölkerung tritt in diesen Äußerungen unmißverständlich hervor." (Epkenhans, S. 228)

In diesem Sinne war die "Dolchstosslegende" auch der Versuch, seinen militärischen Ruf reinzuwaschen, und darauf legte vor allem Hindenburg bis in die Zeit als Reichspräsident noch einen extremen Wert, wenn man Pyta glauben darf.

Es war aber auch ein militarisiertes, aristokratisch ausgeformtes und obrigkeitsstaatliches Weltbild, dass apriori annahm, dass alle die gesellschaftlichen Bereiche, die nicht zur militärischen Elite gehörten, sich mit ihren Entscheidungen und ihrem Verhalten nur gegen den Staat stellten konnten. Das betraf natürlich vor allem die "verhaßte" Sozialdemokratie und liberale Pazifisten.

Nicht zuletzt, weil der Kaiser und sein Militär den Staat vor allem verkörpert haben, so die Sicht dieser "militärischen Elite".

Das Urteil von Ludendorff ist sicherlich auch vor dem Hintergrund seiner extremen Vorstellungen von Krieg als zentrales Element für Gesellschaft gekennzeichnet. Vor diesem Hintergrund bedeutete aus der Sicht von Ludendorff nicht alles für den "Totalen Krieg" tun zu wollen, bereits eine subversive Tätigkeit und die "Unterminierung" der "glorreichen" Anstrengungen der "genialen" Offensivplanungen" der OHL.

Nur einer deutschenGesellschaft, die die doppelten Zielvorgaben des "Hindenburgplans gefordert bzw. noch besser erreicht hätte, hätte man - vermutlich - aus der Sicht von Hindenburg oder Ludendorff nicht den Vorwurf des "Dolchstoßes" machen können.

Ansonsten noch kurz eine Anmerkung, wann sie "offiziell" wurde. In dem Untersuchungsausschuss der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung hatte Hindenburg bei seiner Befragung, die "Dolchstoß-Legende" offiziell vorgetragen. Und finden sich auch in den entsprechenden Dokumenten zu der Untersuchung. Obwohl die Anhörungen unter Auschluss der Öffentlichkeit stattfanden, dürften die zentralen Aussagen kolportiert worden sein (vgl. Mai, S. 224ff)


Epkenhans, Michael (1999): Die Politik der militärischen Führung 1918:*Kontinuität der Illusionen und das Dilemma der Wahrheit. In: Jörg Duppler und Gerhard Paul Gross (Hg.): Kriegsende 1918. Ereignis, Wirkung, Nachwirkung. München: Oldenbourg, S. 217–233.
Mai, Gunther (1987): Das Ende des Kaiserreichs. Politik und Kriegführung im Ersten Weltkrieg. München: Deutscher Taschenbuch Verlag
Pyta, Wolfram (2007): Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler. München: Siedler.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Versuch, einer Zusammenfassung der Entwicklung des Mythos, (vgl. auch Seiler; Sepiola #20).

Diskutiert in drei Threads:
http://www.geschichtsforum.de/f62/ursprung-der-dolchsto-legende-13314/
http://www.geschichtsforum.de/f63/dolchsto-legende-40799/#post785245
http://www.geschichtsforum.de/f82/dolchsto-legende-53438/

Die Historie der Legende wäre hier interessant, von den Urhebern über einige "Salons" in die Presse, auf die Strasse.

Im Prinzip ist folgende Bewertung wohl insgesamt zutreffend, ..

Ludendorff hat hier ein, überaus erfolgreiches, Märchen in die Welt gesetzt, mit dem Ziel, die OHL, der er ja angehörte, von jedweder Verantwortung an der Niederlage freizusprechen.

…aber ergänzungsbedürftig

Im Prinzip ist die sinngemäße Zuschreibung zu trennen von der tatsächlichen Metapher des „Dolchstoßes.

Zum Ursprung berichtet Albrecht von Thaer (Tagebuch, 1. Oktober 1918), dass Ludendorff das Eingeständnis der unmittelbar bevorstehenden Niederlage von Anfang an mit Schuldzuweisungen an die Linke verknüpft habe.

In diesem Sinne der Versuch, in Anlehnung an Keil und Kellerhoff, die Chronologie der wohl „wirkungsmächtisten Geschichtslegende des 20. Jahrhunderts“ (Keil & Kellerhoff, Pos. 475) insgesamt zusammen zu fassen.

-Der sinngemäße Ausgangspunkt (Oktober 1918), wie Sepiola und andere es auch darstellen, ist der militärische Offenbarungseid, den Ludendorff gegenüber seinem Generalstab formuliert hatte. Und in dessen Kontext die Schuldzuweisung für den Zusammenbruch an die Adresse der demokratischen Parteien vorgenommen wird.

- Der liberale Abgeordnete Müller Meiningen behauptet in seinen „Erinnerungen“ auf einer Kundgebung am 2. 11. 1918 in München gesagt zu haben:“ Solange die äußere Front hält, haben wir die verdammte Pflicht zum Aushalten in der Heimat. Wir müßten uns vor unseren Kindern …schämen, wenn wir der Front in den Rücken fielen und ihr den Dolchstoß versetzen.“ ( Keil & Kellerhoff, Pos. 492). Die örtliche Presse berichtete über die Rede, aber erwähnte nicht den „Dolchstoß“, was die Vermutung nahe legt, es sei hinzugedichtet worden.

- Aus ähnlichen Gründen erscheint in einer Notiz am 7.11. 1918 von Oberst v. Thaer eine – nachträglich – eingefügte Verwendung des Begriffs „Dolchstoß“. ( Keil & Kellerhoff, Pos. 492) Und verweist auf die Verwendung des Wortes als zentralen politischen "Kampfbegriff".

- Nachweisbar ist die Verwendung des Begriffs des „Dolchstoßes“ in der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom Mitte Dezember 1918. ( Keil & Kellerhoff, Pos. 499). Der Auto ein Korrespondent des Blattes aus London und referierte – angeblich – zwei Aufsätze des britischen Generals Maurice. Der Bericht des Korrespondenten schließt mit den Sätzen: „Sie wurde von der Zivilbevölkerung von hinten erdolcht.“ ( Keil & Kellerhoff, Pos. 499)

- Schon am nächsten Tag griffen rechtskonservative deutsche Tageszeitungen diesen Vorwurf auf und titelten entsprechend.

- Dem wurde von General Maurice widersprochen und er wies darauf hin, dass er zu keinem Zeitpunkt die Meinung vertreten hätte, dass die Bevölkerung die Armee von hinten „erdolcht“ hätte. Er hatte vielmehr die gegenteilige Meinung vertreten, dass die Armee aus militärischen Gründen nicht mehr handlungsfähig war ( Keil & Kellerhoff, Pos. 506)

- An diese mediale Inszenierung falscher Aussagen bzw. von Lügen, trotz dem Dementie, knüpfte dann Hindenburg fast ein Jahr später an. Paul von Hindenburg verliest vor dem Untersuchungsausschuss am 18. November 1919 eine Erklärung, die Helfferich (DNVP) und Ludendorff formuliert haben.

Hindenburg führt aus, dass der Krieg – angeblich – durch Verrat verloren worden sein. Er sagte: „Die Parteien haben den Widerstandwillen der Heimat erschüttert….Hinzugekommen ist die heimliche Zersetzung von Flotte und Heer und die revolutionäre Zermürbung der Front. So mußten unsere Operationen mißlingen, es mußte der Zusammenbruch kommen. Ein englischer General sagte mit Recht: „Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden.“(vgl. Piper, S. 466 ff und Keil & Kellerhoff, S. 33ff)

- Als Alternative zur Genese des Begriffs wird ebenfalls eine – erfundene – Geschichte von Ludendorff herangezogen, bei der Ludendorff vom Chef der englischen Waffenstillstandskommission, General Neil Malcolm, „bald“ nach dem 11. November 1918 gehört haben will, dass es einen Stich in den Rücken der deutschen Armee gab. ( Keil & Kellerhoff, Pos. 522) Diese Aussage von Ludendorff ist sehr unglaubwürdig, da Ludendorff aus Angst vor der Revolution (ui, was für ein Held!) am 16. November 1918 Deutschland verlassen hatte und erst im Februar 1919 zurück kam. Entsprechend der Aussage eines Vertrauten von Ludendorff fand das Treffen erst im Frühsommer 1919 statt. Zu diesem Zeitpunkt war der Begriff „Dolchstoß“ in den Hetzkampagnen der Rechten bereits etabliert und somit kann Malcolm nicht der – britische - Urheber des Begriffs gewesen sein.

- Ein halbes Jahr nach dem „skurilen Auftritt“ von Hindenburg knüpfte ein Flugblatt von Helffferich`s Deutschnationaler Volkspartei (DNVP) zur Reichstagswahl am 6. Juni 1920 an diese Aussage an und titelte: „Die Demokraten und die Sozialdemokraten haben die Front erdolcht.“ Und Keil und Kellerhoff konstatieren: „Spätestens seit dem Flugblatt zählt der Begriff „Dolchstoß“ zu jenen Vorwürfen, die nationale und rechtsorientierte Kreise geradezu reflexartig hervorholten, sobald es um den Zusammenbruch des deutschen Kaiserreichs 1918 ging.“ (Keil & Kellerhoff, S. 33ff)

Überflüssig zu erwähnen, dass bereits frühzeitig in der Weimarer Republik, die Legende vom „Dolchstoß“ durch das Ergebnis von General von Kuhl im Rahmen des Untersuchungsausschusses zur Analyse der Ursachen des Zusammenbruchs entzaubert worden ist. Es waren nicht die angeblichen „pazifistischen“ etc. Gründe, sondern der Zusammenbruch resultierte aus der Verkettung von katastrophalen Fehleinschätzungen des Duos Hindenburg und Ludendorff (U-Bootkrieg etc.). (Keil & Kellerhoff, Pos. 556)

Diese Sicht ist durch die aktuelle historische Forschung weitgehend bestätigt.

An dieser Legende läßt sich nicht nur die Wirkmächtigkeit von Mythen verdeutlichen, sondern es wird auch an ihr deutlich, wie eng die politischen Interessen auf der rechten aufeinander zwischen 1918 und 1933 zugeschnitten waren. Und wie eng die traditionellen kaiserlichen Eliten der Steigbügelhalter von Hitler waren.

So legte beispielsweise von Einem erst 1933 seine „Erinnerungen“ vor und es ist wirklich interessant, sich die Seite 188/189 anzusehen.

Er legt den „Wendepunkt“ des Krieges auf den 15. Juli 1918 und gesteht ein, dass von diesem Zeitpunkt an, lediglich eine strategische Verteidigung zu leisten war. Nach dem 25. September konstatiert er eine zunehmende individuelle Hoffnungslosigkeit und bringt sie in Zusammenhang mit der „sozialdemokratischen Verhetzung“.

Er rekuriert noch kurz auf den „Einkreisungsmythos“ von vor 1914 und läßt die „Fabriken der ganzen Welt“ gegen die „halb verhungerten, verlausten und abgerissenen deutschen Infantristen“ kämpfen. Und läßt die deutsche Armee bis zum letzten Mann „ehrenvoll“ kämpfen gegen die „wohlgenährten“ Horden aus der USA .

„Dass sie noch kämpfte als schon die Verräter in der Heimat revolutionierten, beweist am besten ihre unversiegbare Lebenskraft. Der Dolchstoß der Kanaille in den Rücken des kämpfenden Heeres ist die unsittliche Tat….Übertroffen wird sie an Gemeinheit nur noch durch die Tatsache, dass es Menschen gibt, die heute diesen Dolchstoß abzuleugnen bestrebt sind.“ (v. Einem, S. 189).

Und vollzieht nach diesen demokratiefeindlichen und verlogenen Schlußworten den ideologischen Schulterschluss mit dem Deutschland von morgen: „das Dritte Reich“ (ebd. S. 189).

Die Rechte hat in der Weimarer Republik vor allem das gemacht, was sie den Sozialdemokraten und Liberalen für das Kaiserreich vorgehalten haben, die Staatsstrukturen zu zersetzen. Und rückwirkend wissen wir, dass die Rechte in der Person von Hitler deutlich erfolgreicher war wie die legalistischen demokratischen deutschen Parteien, die evolutionäre politische Prozesse präferierte und keine Revolution.

Einem, Generaloberst von (1933): Erinnerungen eines Soldaten 1853 - 1933. Leipzig: Koehler.
Keil, Lars-Broder; Kellerhoff, Sven Felix (2013): Deutsche Legenden. Vom "Dolchstoß" und anderen Mythen der Geschichte. Berlin: Ch. Links Verlag.
Piper, Ernst (2014): Nacht über Europa. Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs. Berlin: List-Taschenbuch.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dazu habe ich noch zwei Anmerkungen:

- Dem wurde von General Maurice widersprochen und er wies darauf hin, dass er zu keinem Zeitpunkt die Meinung vertreten hätte, dass die Bevölkerung die Armee von hinten „erdolcht“ hätte. Er hatte vielmehr die gegenteilige Meinung vertreten, dass die Armee aus militärischen Gründen nicht mehr handlungsfähig war ( Keil & Kellerhoff, Pos. 506)

- An diese mediale Inszenierung falscher Aussagen bzw. von Lügen, trotz dem Dementie, knüpfte dann Hindenburg fast ein Jahr später an.

Das Dementi, das Keil/Kellerhoff ohne Datierung zitieren, wird hier auf Juli 1922 datiert:
The Stab-in-the-Back Myth and the Fall of the Weimar Republic


- Als Alternative zur Genese des Begriffs wird ebenfalls eine – erfundene – Geschichte von Ludendorff herangezogen, bei der Ludendorff vom Chef der englischen Waffenstillstandskommission, General Neil Malcolm, „bald“ nach dem 11. November 1918 gehört haben will, dass es einen Stich in den Rücken der deutschen Armee gab. ( Keil & Kellerhoff, Pos. 522) Diese Aussage von Ludendorff ist sehr unglaubwürdig, da Ludendorff aus Angst vor der Revolution (ui, was für ein Held!) am 16. November 1918 Deutschland verlassen hatte und erst im Februar 1919 zurück kam. Entsprechend der Aussage eines Vertrauten von Ludendorff fand das Treffen erst im Frühsommer 1919 statt. Zu diesem Zeitpunkt war der Begriff „Dolchstoß“ in den Hetzkampagnen der Rechten bereits etabliert und somit kann Malcolm nicht der – britische - Urheber des Begriffs gewesen sein.
Auf Ludendorff wird die Aussage bei Keil/Kellerhoff nicht zurückgeführt. Worauf sich Keil/Kellerhoff beziehen, bleibt unklar: Im Fußnotentext sind drei Literaturbelege angegeben, alle drei sind ziemlich spät - von 1936, 1945 und 1948. Der älteste ist Wheeler-Bennett, zu diesem hatte ich schon ein paar Zeilen geschrieben:
http://www.geschichtsforum.de/785259-post21.html
Weiter als Wheeler-Bennett lässt sich die "Legende zur Legende" m. W. nicht zurückführen.
Wheeler-Bennett datiert das Treffen in den Herbst 1919.
 
Letztendlich kann man sagen, dass die tatsächlich erste Erwähnung in der NZZ erfolgte und durch Hindenburgs Aussage im Untersuchungsauschuss dem breiten Publikum bekannt gemacht worden ist?

Zu den nachträglichen Einfügungen: Ist es bekannt, wie das erfolgt ist? Also durch wen bzw. wieso?
 
Letztendlich kann man sagen, dass die tatsächlich erste Erwähnung in der NZZ erfolgte ...
... die erste nachweisbare Erwähnung: Klares Ja.

... und durch Hindenburgs Aussage im Untersuchungsauschuss dem breiten Publikum bekannt gemacht worden ist?
Klares Nein. Der Untersuchungsausschuss war kein breites Publikum.
Die Falschdarstellung der NZZ wurde sofort von deutschen Blättern aufgegriffen und einem breiten Publikum bekannt gemacht. Thanepower schreibt doch: "Schon am nächsten Tag griffen rechtskonservative deutsche Tageszeitungen diesen Vorwurf auf und titelten entsprechend." Im anderen Thread hatte ich die Weltbühne vom 5. Juni 1919 zitiert:
"Wir haben dieses Geplärr von dem unbesiegten Heer, das hinterrücks erdolcht wurde, endlich satt..."


Zu den nachträglichen Einfügungen: Ist es bekannt, wie das erfolgt ist? Also durch wen bzw. wieso?
Keil/Kellerhoff nehmen an, "daß Müller-Meiningen sich im nachhinein zum Urheber dieses Wortes stilisieren wollte - ob nun bewußt oder unbewußt" - ähnliches mutmaßen sie bei Albrecht von Thaer.
 
... die erste nachweisbare Erwähnung: Klares Ja.

Ja, das meinte ich.

Klares Nein. Der Untersuchungsausschuss war kein breites Publikum.
Die Falschdarstellung der NZZ wurde sofort von deutschen Blättern aufgegriffen und einem breiten Publikum bekannt gemacht. Thanepower schreibt doch: "Schon am nächsten Tag griffen rechtskonservative deutsche Tageszeitungen diesen Vorwurf auf und titelten entsprechend." Im anderen Thread hatte ich die Weltbühne vom 5. Juni 1919 zitiert:
"Wir haben dieses Geplärr von dem unbesiegten Heer, das hinterrücks erdolcht wurde, endlich satt..."

Da hatte ich ein falsches Bild vom Ausschuss. Ich bin davon ausgegangen, dass über diesen in den Medien und der Öffentlichkeit breit diskutiert wurde.
Das von Thanepower hatte ich gesehen, aber da ich letztens Artikel gelesen habe, in denen die "Filterblasen" der Medien für ihr Milieu behandelt worden sind, bin ich davon ausgegangen, dass dies nicht von anderen wahr- bzw. aufgenommen worden ist.
 
Da hatte ich ein falsches Bild vom Ausschuss. Ich bin davon ausgegangen, dass über diesen in den Medien und der Öffentlichkeit breit diskutiert wurde.

Hab nochmal nachgeschaut, Dein Bild war doch nicht falsch, ich muss mich korrigieren.
Ich hatte im Hinterkopf, dass der Untersuchungsausschuss nichtöffentlich tagte.

Zum großen Teil stimmt das auch, aber nicht für den großen Auftritt Hindenburgs.
Da saß die Presse mit im Saal.

Die Ankunft des Generalfeldmarschalls Paul von Hindenburg in Berlin, der sich während des Krieges den Ruhm des "Siegers von Tannenberg" erworben hatte und gegen Kriegsende zu einer Art "Ersatzkaiser" avanciert war, wurde mit Pomp begangen: Vor dem Sonderzug erschien eine Ehrenwache der Reichswehr, die den Feldmarschall während seines Aufenthaltes in der Hauptstand beschützte.

Am 18. November 1919, am Tag seiner Rede, waren in dem überfüllten Sitzungssaal des Parlamentarischen Ausschusses Vertreter der deutschen und der internationalen Presse zugegen. Der Platz, der für den Generalfeldmarschall bestimmt war, war mit einem Chrysanthemenstrauß geschmückt, auf dem eine schwarz-weiß-rote Schleife flatterte. Der Saal begrüßte Hindenburg, der in einer Paradeuniform erschien, im Stehen.
...
Fortan fristete der Zweite Untersuchungsausschuß ein Schattendasein, und seine Gutachten wurden in der Presse weitgehend verschiegen.
Die eigentliche Dolchstoßthese war Gegenstand der Verhandlung im Vierten Untersuchungsausschuß, der sich zum Ziel gesetzt hatte, festzustellen, welches Ausmaß die sozialen und moralischen Erosionsprozesse im Hinterland erlangt, welchen Einfluß sie auf die Armee und die Marine ausgeübt, und ob die Annexions- und Revolutionspropaganda sich auf den Kampfgeist der Truppen demoralisierend ausgewirkt hatten. Die Ergebnisse der Untersuchung, die der Militärführung zahlreiche Fehlentscheidungen nachweisen konnte, wurden jedoch der breiten Öffentlichkeit ebenfalls verschwiegen.
http://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0026_dol_de.pdf
 
Zuletzt bearbeitet:
Interessant erscheint mir, dass Büttner die Ursachen und die Auswirkungen der "November-Revolution" nicht rein militärisch interpretiert, sondern den politischen Zusammenbruch und den Zusammenbruch der gesellschaftlichen und religiösen Strukturen mit einbezieht.

Büttner, Ursula (2008): Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933. Leistung und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur. Stuttgart: Klett-Cotta.

Diesen Aspekt nochmal aufgreifend und von einer anderen Seite betrachtend, kann man auch fragen: "Wessen "Dolchstoß" eigentlich", und man trifft auf eine Auswahl an möglichen alternativen Kandidaten.

Die Ereignisse rund um den WW1 führen einen zur Frage, wer real oder angeblich einen „Dolchstoß“ durchgeführt hatte.

Zwei "bekannte" und behauptete Legenden betreffen:
- Den – angeblichen - Dolchstoß in den Rücken des deutschen Heeres 1918, wie von Nationalkonservativen polemisch vorgetragen

- Und den – angeblichen – „Dolchstoß“ der Sozialdemokratie in den Rücken der revolutionären Arbeiter- und Soldatenräte- Bewegung, wie von der extremen Linken (KPD) ebenso polemisierend konstatiert.

In beiden Fällen ist die politische bzw. die demokratische Mitte der Weimarer Republik, im Kern die Sozialdemokratie, das Ziel der polemischen Anwürfe der Extremen von Links und Rechts.

Erstaunlicherweise wird m.E. der eigentliche „Dolchstoß“ in der Geschichtsbetrachtung eher ausgeblendet, aber dennoch trifft die Metapher auf den Vorgang wesentlich präziser zu, wie die beiden obigen bekannteren Formen des „Dolchstoßes“.

Blickt man kurz auf das Jahr 1914 zurück, da wurde in prophetischer und richtiger Vorhersage durch einen russischen konservativen und monarchistischen Politiker die Warnung ausgesprochen, dass ein Krieg das Ende des Zarismus in Russland bedeuten würde. Und es kam so wie wir wissen.

Diese Warnung wurde durch den Zaren nicht ausreichend beachtet, stattdessen führten – vereinfacht dargestellt - westlich orientierte russische „Modernisten“ einen Krieg, weil sie sich einen maximalen Gewinn mit minimalen Lasten versprachen. Auch weil die Westmächte auf der russischen Seite standen und man glaubte, dass sich diese historisch einmalige Situation nicht so schnell wiederholen würde.

Diese Warnung von ultra konservativer Seite in Russland wurde ausgesprochen, weil durch den Krieg die Defizite der gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Modernisierung verschärft und nicht entschärft worden wären. Und das war eine korrekte Beurteilung.

Diese Situation ist im Deutschen Reich im Prinzip ähnlich im Jahr 1914. Der Unterschied ist allerdings, daß sich die ultra-konservativen im Kaiserreich sich den Gefahren eines "großen Krieges" nicht ausreichend bewußt waren und stattdessen eher die positive Möglichkeit einer „kriegerischen“ Erneuerung der Monarchie sahen, ähnlich der stabilisierenden Wirkung des Gewinns des Krieges gegen Frankreich 1870/71. Eine Sicht, die auch sehr ausgeprägt in Wien anzutreffen war.

In diesem Sinne war es – so die These – eher eine „ungewollte Verschwörung“ von Teilen (wenige Personen) der militärischen und politischen Elite, die die Gefahren des Krieges für das Kaiserreich nicht klar zu Ende gedacht haben und die Entscheidung für den Krieg trafen.

Und an diesem Punkt wurde bereits 1914 – ungewollt – die Axt an die Wurzeln der Monarchie gelegt. Und die zentralen destruktiven Akteure waren diejenigen, die am vehementesten vorgaben, die Monarchie schützen zu wollen. Der historisch relevante „Dolchstoß“ gegen die Dynastie der „Hohenzollern“ erfolgte durch sein Militär bzw. vor allem auch durch die OHL und war in seiner Wirkung kumulativ und nicht mehr reversibel im Jahr 1918.

Und es wurde ja auch die "Revolution von Oben" diskutiert, ähnlich wie nach dem Zusammenbruch Preußens gegen Napoleon. Aber "Oben" wollte nicht in die Verantwortung genommen werden und stattdessen andere die "Suppe auslöffen lassen.

Die Exkulpation der führenden Militärs des Kaiserreichs war somit nicht alleine auf die Konservierung des eigenen militärischen Denkmals ausgerichtet, sondern mußte, um nicht als „Königsmörder“ in die Geschichte einzugehen, die historische Schuld am Zusammenbruch der Sozialdemokratie und den Liberalen zuweisen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben