Wie wurde Hitler Antisemit?

Teil 1: Es sind viele implizite Annahmen zur Sozialisation von Hitler formuliert worden. Ein Teil davon ist m.E. nicht zutreffend. Aus diesem Grund der Versuch einer theoretischen Einordnung, die einen begrifflicher Rahmen für die analytische Beschreibung der Sozialisation von Hitler ermöglicht.

Der allgemeine Kenntnisstand in der Literatur geht davon aus, dass aufgrund seiner Sozialisation, Hitlers Weltanschauung, seine Werte, seine Moral, bis zum Abfassen von „Mein Kampf in den meisten Facetten fragmentarisch war und letztlich auch danach blieb. Und auch weiterhin widersprüchlich war. Wie man ihm auf der einen Seite eine gewisse Weltoffenheit bescheinigen kann, z.B in der Art der Beschäftigung mit der USA, gleichzeitig war er ein provinzieller und bornierter Spiesbürger, der nicht weit über den Tellerrand seiner kleinbürgerlichen Vorurteile hinausblickte. Und die restliche Welt, mangelns direkter Erfahrung durch Reisen, die er hätte unternehmen können, für ihn empirisch nicht erfahrbar war.

Das nationalsozialistische Weltbild – auch das von Hitler – wie die ihr zugrundeliegende Ideologie war heterogen. Und diese Heterogenität findet sich auch in den Beschreibungen wieder für welche Ziele und Vorstellungen denn Nationalsozialisten eingetreten sind. Das Problem beschreibt Ingrao beispielweise mit „Nationalsozialist sein“ (ebd. S. 79) und ausführlicher nähert sich Mann dem Problem, für welche vielfältigen Vorstellungen der Nationalsozialismus gestanden ist. (vgl. Mann, Fascists)

Mit diesem Befund im Hinterkopf wird deutlich, dass die Erfahrungen aus dem Kaiserreich, dem WW1, der Bürgerkrieg in der Weimarer Republik sich ebenso fragmentiert in den Weltbildern wiederfindet, die als Generation den NS-Staat zum Erfolg verholfen hat. Gleichzeitig kann man diesen Prozess beschreiben und generalisieren, da Hitlers Lebenslauf typisch war für die Generation der Kriegsteilnehmer.

Generell ist es erstaunlich, dass Historiker – in der Regel – keine Anstrengungen unternehmen, ihre Impliziten Annahmen über ihren Gegenstand, zu explizieren. Das wird besonders deutlich bei der Vielzahl an Biographien deutlich, die Narrative verfolgen, deren Prämissen nicht selten im Dunkeln bleiben. Das gilt, soweit ich das beurteilen kann, auch für viele Biographien zu Hitler, die das kollektive Schicksal der Generation und das individuelle nicht in einen konzeptionellen Rahmen bringen, der zentrale Konstrukte der Soziologie oder Sozialpsychologie aufnimmt. Und damit aus dem Bereich des nahezu beliebigen Narrativs herausführen würde.

Es sind zwei zentrale Konstrukte, mit deren Hilfe der Prozess der Sozialisation – auch von Hitler - beschrieben werden kann, zum einen die „Generationslagerung“ von Mannheim und die Vorstellung einer lebenszyklischen Anpassung (vgl. die Beiträge in Diekmann & Weick; Kohli). Beide Modelle erklären einerseits die Stabilität von Glaubenssystemen (Beliefs, vgl. dazu Hedström, S. 72-92) und andererseits den Wandel durch neue lebenszyklische Herausforderungen, wie Heirat, berufliche Karriere etc, und damit zusammenhängender, wandelnder „Rollen“, die der einzelne „spielen“ muss.

Das Konzept der Generationslagerung betont dabei, dass ähnliche Erfahrungen, weil man durch die gleichen Ereignisse beeinflußt worden ist – wie beispielsweise den WW1 - während der politischen Sozialisation ca. im Alter zwischen 15 und 30 Jahren, zu ähnlichen Weltbildern bzw. Glaubenssystemen kommt. Diese können durchaus konträr sein, aber sie beziehen sich aufeinander, so daß kontingente politische Freund- und Feindbeziehungen entstehen. Ein Aspekt, der sich u.a. auch gravierend auf die Ausbildung kollektiver Identitäten in bestimmten Milieus auswirkt (vgl. dazu Emcke). Wie besonders deutlich an den radikalen Sichten – als kollektive Identität - der Mitglieder von „Freikorps“ nach 1918. (vgl. z.B. Sprenger)

Bei Wildt wird explizit auch auf das Generationslagerungs-Konzept von Mannheim verwiesen als – ein - strukturierendes Merkmal der politischen Sozialisation (vgl. Wildt, Einleitung, explizit FN 37 und 38) Insofern ist es ein zentraler Bezugsrahmen, in dem die politische Sozialisation der frühen und späteren NS-Mitglieder beschrieben wird.

Versucht das Konzept der „Generationslagerungs“ zu erklären, warum bestimmte Alterskohorten ähnlich sind in ihren Weltbildern, wird durch die Vorstellung lebenszyklisch bedingter Rollen der teilweise schnell einsetzende Wandel bzw. das Remodellieren von Glaubenssystemen von Individuen bzw. von Gruppen erklärt. Typische Beispiele sind normalerweise die variierenden Rollenmuster im Kontext der Familie bzw. auch im beruflichen Umfeld. Dabei werden einzelne Entscheidungen über die Veränderung im Lebenszyklus, ähnlich einer Weiche bei Bahnen, interpretiert. Da in der Regel mit diesen Entscheidungen gravierend neue Anforderungen an das Verhalten des Individuums einhergehen, sind diese Übergänge geprägt durch dynamische Anpassungsprozesse.

Der eigentliche Prozess der Sozialisation wird seit den Arbeiten von G.H. Mead im wesentlichen als Interaktionsprozess des Individuums mit seiner Umgebung interpretiert (Geulen, S. 115 ff). Die Ausprägung der eigenen „Ich-Identität“ hat Mead als „taking the attitude of the other“ und damit entwickelt sich unser Bewußtsein durch ein ausgeprägtes „role-taking“, bei dem wir die Vorstellungen anderer kennen lernen und sie bewerten. Dieser Prozess des role-taking ist dabei primär sprachlich vermittelt (Mead, S. 299), aber auch durch abstraktere Formen der Kommunikation, wie Bücher oder Zeitschriften etc., die ebenfalls inhaltliche Muster bereitstellen, die im Rahmen des role-taking eingebaut werden können und somit im Rahmen der Interaktion zum Teil des Bewußtsein werden.

Die Anforderungen, sei es individuelle, Gruppenzwänge oder institutionelle Zwänge, treten bei Mead als „generalisierter Anderer“ in Erscheinung (vgl. Habermas, S. 61 ff). Und konfrontieren das Individuum, sich den heterogenen Erwartungen der unterschiedlichsten „generalisierten Anderen“ zu stellen.

Durch diesen Prozess der Anpassung und der Abgrenzung werden die entsprechenden sozialen Milieus geschaffen, die als dominantes oder als subkulturelles Milieu in Gesellschaften zu finden sind. Typische Beispiele wären die wilhelminische Aristokratie, das wilhelminische Bürgertum oder auch die sozialdemokratische Arbeiterschaft.

Die Erkenntnisse, die das Individuum aus der Interaktion sammelt, kristallisieren sich im Zuge des Sozialisationsprozesses aus. In Anlehnung an Rokeach kann man dabei von unterschiedlich zentralen Einstellungselementen im Rahmen des „Glaubenssystems“ eines Individuums sprechen. Zentralere Inhalte definieren in höherem Maße die Indentität des jeweiligen Individuums und spiegeln nicht selten die Bedeutung von ideologisch begründeten Werten wider. Und bilden damit die Summe der kulturellen Werte, in dem sich das Individuum bewegt.
 
Teil 2: Die Bedeutung der kulturellen Werte, so Geertz: „ ideology is the justification, the apologetic one – it refers „to that part of culture which is actively concerned with the establishment and the defense of patterns of belief and value“ (S.231) Im Ergebnis bilden es die Inhalte, die kollektiv diskursiv für eine Gesellschaft oder für spezifische Milieus als wichtig definiert werden (Berger & Luckmann)

Diese Vorstellungen, daß zentrale Inhalte unseres „Glaubenssystem“ durch die Interaktion mit unseren Referenzgruppen und deren Wertvorstellungen auf ihre Plausibilitätsstruktur durch die einzelne Individuen überprüft werden (vgl. Berger & Luckmann, S. 169). Sofern zentrale Inhalte weiterhin ihre Geltung behalten oder sogar noch verstärkt werden, ist es das Ergebnis der Interaktion mit anderen und haben den Test auf ihren „Wahrheitsgehalt“ erfolgreich bestanden. Ein Prozess der eindimensional in „Echo-Chambers“ bzw Peer-Groups stattfindet. Und so übt die „Peer-Group“ über diesen permanenten Prozess der Überprüfung eine Form der sozialen Kontrolle aus. Und kann, sofern keine plurale divergierende Informationsmöglichkeit bereitgestellt wird, zur raschen Homogenisierung von „Glaubenssystemen“ führen (vgl. Beitrag bzw. Studie zum Wahlerfolg von Hitler 1933)

Problematisch ist dieser Vorgang im Rahmen der Sozialisation, sofern im Rahmen der gesellschaftlichen Differenzierung der Moderne, in diesem Fall die dramatische Restrukturierung der wilhelminischen Gesellschaft nach 1918, das Individuum mit neuen Informationen bzw. neuen Situationen konfrontiert ist. „Dadurch entstehen konfligierende Erwartungen und Rollenmuster, die von dem Individuum eine eigenständige Leistung der kritischen Beurteilung dieser widersprüchlichen Erwartungen verlangen.“ (Emcke, S. 171ff)

In der Regel wird die Beurteilung neuer Situationen auf der Basis bereits vorhandener Werte vorgenommen. Reicht das nicht aus und der „Plausibilitätscheck“ ermöglicht keine ausreichende Erklärung für ein subjektives Erklärungsmodell der Vorgänge, ergibt sich der Zwang zur Neuausrichtung der politischen Werte.

Dieser Argumentation liegt im wesentlichen das sozialpsychologische Konzept von Festinger zur „Kognitiven Dissonanz“ zugrunde. Und damit die Vorstellung, das man gezielt die Informationen sucht, die die Balance des in die „Schieflage“ geratenen Weltbildes wieder herstellt. Also versucht sein individuelles und kollektives Weltbild wieder herzustellen, das eine relativ plausible „Erklärung der Welt“ ermöglicht.

Zur Erklärung der gezielten Nutzung von Massenmedien im Kontext der Ereignisse des Zusammenbruchs des Kaiserreichs durch beispielsweise Hitler ist der „Uses and Gratification Approach“ hervorragend geeignet. (vgl. z.B. MacQuail) Im Kern besagt der Ansatz, dass User nicht wie im traditionellen „Stimulus-Response“ – Modell das Objekt von Nachrichten sind, sondern sie setzen sich gezielt bestimmten Medien aus, von denen sie ausgehen, dass sie die Art von Information geliefert bekommen, die sie erwarten.

Vor diesem Hintergrund werden Massenmedien gemieden, die ein mit der eigenen politischen Überzeugung konfligierendes Informationsangebot bereitstellen. Vielmehr werden gezielt – durch den individuellen Filter – die Informationen rezipiert, die das „Glaubenssystem“ bzw. Weltbild stabilisieren.

Angereichert wird diese Vorstellung zur Mediennutzung durch eine weitere zentrale Überlegung, die zusätzlich davon ausgeht, dass mediale Inhalte in dem Maße erfolgreich sind, sofern sie gleichzeitig auch über „Meinungsführer“ übermittelt werden. Also die Personen, denen man eine hohe Glaubwürdigkeit zuschreibt.

Ein letzter Punkt sollte noch erwähnt werden, da auch er zentral ist für die Situation nach 1918. Die Mehrheit der Medien war konservativ national ausgerichtet, manche davon mit einem mehr oder minder aggressiven Antisemitismus. Diese Situation war bereits ähnlich vor 1914 – seit ca. 1890 - vorhanden, aber akzentuierte sich während der Kriegsjahre vor allem in der Militanz. Neu war dagegen die Militanz der Schuldzuschreibung gegen die „Novemberverbrecher“ und die damit verbundene Schuldzuschreibung an die „Juden“ im Reich.

In dieser Situation konnte die konservative nationalistische Presse in der Weimarer Republik ein Agenda Setting betreiben, dass die Nachkriegsmythen teilweise als offizielle Sichtweise für das „politische Weimar“ etabliert werden konnten. Und ebenso – allerdings konfliktuell - die Schuldzuschreibung für den Zusammenbruch in Form von Feindbildern in Richtung der Sozialdemokratie und der Juden vorgenommen wurde. In diesem einseitigen Framing der veröffentlichen Meinung nach 1918 belieferten die Massenmedien ihre nationalkonservativen Zielgruppen mit den Inhalten, die erklären konnten, warum ein im „Feld unbesiegtes Heer“ dennoch geschlagen worden ist (vgl. Wehling zum Framing)

Und damit verstärkten zwei unabhängig auftretende Ereignisse sich gegenseitig. Zum einen der Zusammenbruch der wilhelminischen Gesellschaftsstruktur inklusiver sozialer Entwurzelung und Orientierungsverlust der Betroffenen und zum anderen die Fähigkeit der Massenmedien, durch gezielte nationalistische, rassistische und auch antidemokratische Informationen, die politische Sozialisation in monarchistisch geprägten, aber auch vor allem im Umkreis der neuen Rechten (Vaterlandspartei etc.) noch weiter zu radikalisieren. Sie lieferten neue Deutungsangebote, die die verloren gegangene Plausibilität wieder herstellen konnten, durch einfache populistische Antworten.

Anhand dieser Konstrukte kann man die Entwicklung von Hitler relativ gut fassen, wie beispielsweise die immer wieder kolportierte selektive Nutzung von Informationen. Es macht aber auch deutlich wie sich die Stabilität seines zunächst fragmentierten antisemitischen Weltbildes verfestigt und in München durch die entsprechende Interaktion mit militanten Antisemiten und durch das Lesen entsprechender Publikationen (z.B. von Rosenberg etc.) ein ausgearbeitestes ideologisches Weltbild im Rahmen von „Mein Kampf“ erarbeitet.

Berger, Peter L.; Luckmann, Thomas (1980): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.
Diekmann, Andreas; Weick, Stefan (Hg.) (op. 1993): Der Familienzyklus als sozialer Prozeß. Bevölkerungssoziologische Untersuchungen mit den Methoden der Ereignisanalyse. Berlin: Duncker & Humblot
Emcke, Carolin (2018): Kollektive Identitäten. Sozialphilosophische Grundlagen. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag.
Geertz, Clifford (1973): The interpretation of cultures. Selected essays. New York: Basic Books.
Habermas, Jürgen (1981): Theorie des kommunikativen Handelns. Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft. Band 2. 2 Bände. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Hedström, Peter; Bearman, Peter S. (Hg.) (2009): The Oxford handbook of analytical sociology. Oxford: Oxford University Press.
Ingrao, Christian (2012): Hitlers Elite. Die Wegbereiter des nationalsozialistischen Massenmords. Lizenzausg. Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung
Kohli, Martin (Hg.) (1978): Soziologie des Lebenslaufs. Darmstadt: Luchterhand
Mannheim, Karl (1978): Das Problem der Generationen. In: Martin Kohli (Hg.): Soziologie des Lebenslaufs. Darmstadt: Luchterhand, S. 38–53.
MacQuail, Denis (1983): Mass communication theory. London: SAGE Publ.
Mann, Michael (2004): Fascists. Cambridge: Cambridge Univ. Press.
Mead, George Herbert (2017): Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. 18. Auflage. [Berlin]: Suhrkamp
Rosengren, Karl Erik; Wenner, Lawrence A.; Palmgreen, Philip (2004): Media gratifications research. Current perspectives. Beverly Hills, Calif.: Sage Publications.
Sprenger, Matthias (2008): Landsknechte auf dem Weg ins Dritte Reich? Zu Genese und Wandel des Freikorpsmythos. Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh.
Wehling, Elisabeth (2016): Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht. Köln: Herbert von Halem Verlag
Wildt, Michael (2003): Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichsicherheitshauptamtes. Hamburg: Hamburger Ed.
 
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Hätte nicht gedacht, dass diese Diskussion schon wieder drei Jahre her ist. Weshalb ich sie wieder aufgreife: Ich war damals anderer Meinung als du, bzgl. H.s Antisemitismus. Als ich aber gestern Abend in Edgar Feuchtwangers Kindheitserinnerung Als Hitler unser Nachbar war schmökerte, fand ich eine Bemerkung seines Onkels Lion, die er wiedergibt und die durchaus dafür spricht, dass H. nicht bereits in seiner Wiener Zeit (so meine damalige Position) gefestigter Antisemit war:

Wenn ich daran denke, dass mich dein Nachbar [H.] in den alten Zeiten, bevor man ihn ins Gefängnis steckte, im Hofgarten Café in München, wo wir so oft mit Berthold Brecht hingegangen sind, mit Herr Doktor angesprochen hat, sagte Onkel Lion. Ich frage mich, was Dr. Freud wohl dazu sagen würde.
(S. 26)

Da Brigitte Hamann hier auch schon als wissenschaftlicher Nachweis für einen mehr oder weniger früh ausgeprägten Antisemitismus bei H. bereits in Wien angeführt wurde, nicht ganz zutreffend, wie ich m. E. schon angemerkt hatte, lohnt sich ein SPIEGEL-Artikel vom 9.7.2001, S. 134-140, von ihr, Einer von ganz unten, Teil 10 der Serie Hitlers frühe Jahre.

Sinngemäß stuft sie H. weder zur Wiener Zeit, noch in München oder im I. Weltkrieg als Antisemit ein, sie meint S. 134 u.a. sogar, der Wiener H. hätte die Juden bewundert, notiert nochmals den vielfältigen engen Kontakt mit 'Glaubensjuden' (S. 134 unten, S. 135). Die Wende sieht sie - zutreffend - 1918/1919, wie von mir oben bereits mehrfach angesprochen und belegt. Dass er u.a. vielfältige antijüdische, antisemitische Literatur wohl bereits in Wien gelesen hatte/kannte, schreibt sie ebenfalls.
 
1. Es macht keinen Sinn, angeblich Hamann mit Hamann widerlegen zu können. Dafür sind ihre Aussagen n ihrem Buch zu eindeutig.

2. Es wird immer wieder der Versuch gemacht, über "Sprachspiele" Popanze aufzubauen. Es hat, soweit ich die Diskussion in Erinnerung habe, niemand Hitler einen "ausgeprägten Antisemitismus" oder einen militanten Antisemitismus für seine Wiener-Zeit unterstellt.

Das hätte bedeutet, dass sein Einstellungssystem und Weltbild differenziert und relativ widerspruchfrei eine antisemitische Haltung beinhaltet hätte und dieses auch entsprechend formulieren können. Diese differenzierte Form von Ideologie hat er zu dieser Zeit sicherlich nicht gehabt. Vielmehr waren es zeitbedingte, klischeehafte Stereotype, die situationsbedingt formuliert worden sind.

Und über diese antisemitischen Klischees verfügten viele Angehörige dieser Generation. Hitler war kein isoliertes Individuum, sondern spiegelte und dynamisierte in gleichem Maße die antisemitischen Ressentiments der Zeit. Und es ist typisch, dass die Urteile aufgrund persönlicher Kenntnisse über einzelne Angehörige des jüdischen Glaubens, abweichend sein können, von der stereotypen Bewertung.

3. Die Radikalisierung setzte später - also nach 1917/18 - ein. Und ist speziell für Hitler auch an das Münchner reaktionäre deutschnationale Milieu gebunden. Wie von mir aus für andere diskutiert.

Die Radikalisierung der Rechten in der Weimarer Republik

Diese Genese von radikalen Einstellungsmuster, die durch Interaktionseffekte aus familiären Hintergründen, Ereignissen der jeweiligen Epoche und der generationsspezifischen Verarbeitung in Peergroups bzw. subkulturellen Milieus, werden allgemein als typische Verläufe der Radikalisierung angenommen. Auf ähnliche Biographie trifft die Extremismusforschung häufiger (vgl. z.B. die Beiträge in Jesse & Mannewitz: Extremismusforschung)

Hitler wurde nicht über Nacht zum militanten Antisemiten, sondern die Militanz kam in der Phase in München lediglich hinzu, zu einem generell vorhandenen klischeeaufgeladenen Antisemitismus.

Und verfestige und differenzierte sich in der "Kampfzeit", je länger und je häufiger er im Rahmen seiner Schriften und Reden darüber kommunizierte und damit reflektierte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Sinngemäß stuft sie H. weder zur Wiener Zeit, noch in München oder im I. Weltkrieg als Antisemit ein, sie meint S. 134 u.a. sogar, der Wiener H. hätte die Juden bewundert, notiert nochmals den vielfältigen engen Kontakt mit 'Glaubensjuden' (S. 134 unten, S. 135). Die Wende sieht sie - zutreffend - 1918/1919, wie von mir oben bereits mehrfach angesprochen und belegt. Dass er u.a. vielfältige antijüdische, antisemitische Literatur wohl bereits in Wien gelesen hatte/kannte, schreibt sie ebenfalls.

Die ziemlich eindeutige Position Hamanns im Spiegel-Artikel von 2001, kann - wie schon mehrfach gezeigt - im neueren/neuesten wissenschaftliche Diskurs etc. gut weiter verfolgt werden.

Andreas Wirsching, Prof. Neuere Geschichte LMU München & IfZ-Direktor, veröffentlichte in Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Heft 3/2016, S. 387-417, den Aufsatz Hitlers Authentizität, der vor allem die autobiographischen Passagen und ihre Authentizität in H.s Mein Kampf behandelt. Wirsching postuliert, in Mein Kampf überlagerten sich zwei zeitlich wie sprachlich klar voneinander zu trennende Schichten, eine ursprüngliche Authentizität (S. 93 f.), z.B. (Berufs-)Wunsch als Künstler/Kunstmaler, Architekt bzw. Baumeister als konsistentes Motiv auch in diversen früheren und späteren Äußerungen H.s.. Und eine sekundär konstruierte Authentizität der programmatisch-ideologischen Grundlegung seiner Person, schwammig, weitschweifig, widersprüchlich; Ganz offenkundig handelt es sich bei ihnen um eine jüngere Text- und Erfahrungsebene, die demzufolge auch eine anders gelagerte Rolle spielte, wenn es für den jungen Hitler darum ging, Authentizität zu gewinnen. (Wirsching, S. 396).

Wirsching S. 397 u.a.:
Im Lichte der dargelegten Argumentation und im Einklang mit der jüngeren Forschung spricht indes alles
dafür, dass es sich bei dieser politisch-ideologischen Authentizität um eine zielgerichtete sekundäre Konstruktion handelt. Zwar enthält „Mein Kampf“ zweifelsfrei diverse ideologische Expost-Rationalisierungen der Wiener Eindrücke. Faktisch aber war Hitler bis 1914 nichts anderes als eine vagabundierende und ungesicherte Künstlerexistenz ohne feste politische Weltanschauung. Insbesondere sind von Hitler keine frühen antisemitischen Äußerungen bekannt.


Entsprechen notiert Wirsching S. 398 u.a.:
Vieles spricht also dafür, dass die ideologische Fundierung seines rassistischen Weltbilds überhaupt erst zu dieser Zeit, das heißt in München nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte.

Hamann hatte im oben genannten SPIEGEL-Artikel vom 9.7.2001, Hamann hat offenbar wissenschaftlich ihre Positionen erweitert, u.a. geschrieben:

S. 134 [...]Der Wiener Hitler dagegen bewunderte die Juden, rühmte, dass sie Bücher und die Operliebten, dass sie strebsam und fleißig waren – anders als die allzu gemütlichen, trink- und tanzfreudigen Wiener, die seiner [S. 135] Ansicht nach keinen Sinn für wahre Kultur besaßen. Adi ging in seiner Sympathie so weit, dass er sich im Männerheim fast nur mit Juden umgab, wohlgemerkt „Glaubensjuden“: mit dem Kupferputzer und Hausierer Josef Neumann, dem einäugigen Schlossergehilfen Simon Robinson aus Galizien, der dem stets Geldbedürftigen von seiner Invalidenrente abgab, auch mit dem Vertreter Siegfried Löffner und dem Beamten Rudolf Redlich. Der Männerheim-Hitler verkaufte seine langweiligen Postkartenbilder, mit denen er sein karges Leben finanzierte, am liebsten an Juden: an den Glasermeister Samuel Morgenstern, den Rahmenhändler Jakob Altenberg und den wohlhabenden Rechtsanwalt Josef Feingold.[...] Als Antisemit fiel er auch in diesen vier Jahren [I. Weltkrieg, Anm. von mir] nicht auf. Die Wende kam 1918/19, in einer Zeit, als alles Obere zuunterst geriet. [...]

S. 137 u.a.: Nun erst, im Erlebnis der Münchner Revolution, fügten sich bei Hitler alle diese in Wien erfahrenen und angelesenen Bruchstücke wie auf einem Magnetfeld zu einem System zusammen.

Letzteres: Ja, zumindest ein Versuch die scheinbaren/offenbaren Widersprüche zu verbinden.
 
Wie wurde H. Antisemit, lautet die Überschrift.

Jedenfalls recht sicher nicht durch u.a. KW II., wie m.E. nicht zutreffend immer noch nahe gelegt wird.
Dafür brauchte er weder KW II, wie schon oben angerissen, noch war KW II. ein dahin gehendes antisemitisches Vorbild, antisemitischer Anreger oder Initiator.

Deutlich und belegt wird dies durch die Publikation von Jäckel/Kuhn, Hitler. Alle Aufzeichnungen 1905-1924, Stuttgart 1980. Das ist immer noch der entsprechende Quellenband schlechthin für alle Aufzeichnung von H. bis Ende 1924 - seine Lebens- und Wirkzeit vor Mein Kampf. In bzw. ab Mein Kampf tritt ein H. mit deutlich geänderter (politischen)Strategie auf, ein H. mit einer großteils erdichteten Lebens-Biographie und Anschauungs-Genese.

Hitler. Alle Aufzeichnungen bietet im Index 23 Stellenangaben zu KW II., teils z.B. nur Namens-Nennungen im Stichwortkonzept eines Redeentwurfes von H., ansonsten meist knappe Erwähnung in einem sehr kurz angerissenen Zusammenhang.

15 Stellenangaben werden folgend teils kurz sinngemäß, teil wörtlich, teils gerafft von mir (sorry für das Mischmasch) gepostet, um einen Eindruck zu geben, welche Rolle/Bedeutung KW II. für H. vor Mein Kampf sehr wahrscheinlich hatte.


1220: (April 1924 ) […], da der Kaiser in gottverblendeter Unvernunft den verbrecherischen Führern dieses Menschheitsbetruges die Hand hinstreckte und im Burgfrieden […]

946: (6.7.23) Rathenau usw. hinter Vorhang, KW II. davor; nach Revolution Rathenau usw. vor dem Vorhang, KW II. dahinter.

938: (17.6.1923) Revolution war keine Revolution, nur traten die Juden, die eigentlich schon unter KW II. regierten, mehr vor den Vorhang.

914: (27.4.23) Um des Kaisers Thron die Repräsentanten der Rasse, die die Sozialdemokraten organsiert haben.

899: (17.4.23) Wer war Regent 1914, den die Schuld am Kriege trifft? Nicht der Kaiser, sondern Ratgeber wie Ballin usw., die ganze Brut der Hebräer; die inoffizielle Regierung.

886: (13.4.23) Nicht Ludendorff, KW II. usw. Schuld am Krieg.

727: (vor 11.11.22; am 12.11. 22 im Pester Lloyd mit Auszug Interview H.s im 8 Uhr-Blatt, Nürnberg) Jesus sei Germane, u.a. KW II., Eduard VII. seien Juden.

710: (25.10.22) Unter KW II. herrschten nicht die Alldeutschen oder Juncker, sondern jüdische Wirtschaftspolitiker wie Ballin, Bleichröder usw.

576: (17.2.22) Ob wir tausend mal gegen die Regierungsart KW II. aufgetreten sind, für Marxisten gelten wir als reaktionäre Monarchisten.

379: (8.5.21) KW II. hat durch seien in solchen Fragen nicht immer gerade glücklichen Geschmack aufdringlich gewirkt. Man nahm ihm das Übel und mit Recht.

341: (10.2.21) Wenn ein Reichsminister so einen Schmarrn zusammenredet […], dann wäre se höchste Zeit, daß das Volk das fordern würde, was man einst von KW II. forderte. Das deutsche Volk hätte höchste Zeit, seinen Staatmännern einfach das Reden zu verbieten.

329: (6.3.21 ) Am Tag, an dem sich das ganze jüdische Geschmeiß an den damals zum Unglück Deutschlands zum Kaiser gewordenen jungen Wilhelm II. heranmachte, begann das planmäßige Wühlen und Unterhöhlen von Staat und Volk.

294: (4.1.21) Die größte Dummheit, die jemals in Deutschland begangen wurde, war die Entlassung Bismarcks durch den damals schon am Gängelband einzelner Börsenjuden zappelnden Wilhelm den Letzten.

147: (17.6.20) Die Schuld am Kriege trug weder der Kaiser noch der deutsche ‚Militarismus‘.

96: (10.12.1919) Wenn wir heute auf die Straße gehen, hören wir die Frage: Wer trägt an dem Elend die Schuld? Der Kaiser und noch ein paar, heißt es. Beim Zusammentreffen so vieler Umstände ist nicht der Wille des einzelnen maßgebend;

Die beachtlichen, übrigens wohl valide Äußerungen H.s beispielsweise S. 727 spiegeln seine in der zweiten Hälfte 1922 sich verstärkenden völkisch-radikalantisemitischen Ansichten, offenbar stimuliert durch die Radikalisierung und Aufbruchsstimmung in der NS-Bewegung durch Mussolinis 'erfolgreiches' Straßenterror-Regime und 'Marsch-auf-Rom'-Regierungsmachtkonzept. Ganz im Einklang mit völkisch-radikalantisemitischen Titeln wie 'Semi-Imperator' zu den Hohenzollern/KW II., 1919 im Thule-Verlag Franz Eher erschienen.
 
Die beachtlichen, übrigens wohl valide Äußerungen H.s beispielsweise S. 727 spiegeln seine in der zweiten Hälfte 1922 sich verstärkenden völkisch-radikalantisemitischen Ansichten, offenbar stimuliert durch die Radikalisierung und Aufbruchsstimmung in der NS-Bewegung durch Mussolinis 'erfolgreiches' Straßenterror-Regime und 'Marsch-auf-Rom'-Regierungsmachtkonzept.

Das haut wohl so nicht hin. Der Antisemitismus ist kein wesentlicher Bestandteil des italienischen Faschismus, der in dieser Hinsicht auch keinen Vorbildcharakter für Hitler und den Nazi-Faschismus hat.
Peter Neville – Mussolini - behandelt das ab S.124 und sieht den Einfluss gerade umgekehrt.
„...puzzingly there ist no real evidence to justify the claim that Mussolini was a genetic racist of the Hitler or Himmler type“. Zwar gab es ab 1938 in Italien antijüdische Gesetze, doch folgten diese einem außenpolitischen Pragmatismus, und nicht einer Grundüberzeugung.
Siehe auch: https://www.deutschlandfunkkultur.d...denhelfer.1079.de.html?dram:article_id=371126
(Danke an @Carolus für den Link.)

Michael Mann – Fascists – sieht das nicht anders als Neville und schreibt: „ Movements such as Italian fascism or Spanish Nationalism identified most of their enemies in predominantly political
terms. Thus the more ethnic Nazi end of the range was more murderous than the Italian.“

https://socioline.ru/files/5/283/mann_michael_-_fascists_-_2004.pdf
(Danke an @thanepower für den Hinweis auf dieses Buch)

Es spricht aus meiner Sicht nichts dafür, dass 'völkisch-radikalantisemitischen Ansichten' durch Mussolinis Regime stimuliert gewesen seien, sondern es wohl eher so war, dass diese besondere rassistische Ausprägung originär war.
 
Die beachtlichen, übrigens wohl valide Äußerungen H.s beispielsweise S. 727 spiegeln seine in der zweiten Hälfte 1922 sich verstärkenden völkisch-radikalantisemitischen Ansichten, offenbar stimuliert durch die Radikalisierung und Aufbruchsstimmung in der NS-Bewegung durch Mussolinis 'erfolgreiches' Straßenterror-Regime und 'Marsch-auf-Rom'-Regierungsmachtkonzept.

Das haut wohl so nicht hin. Der Antisemitismus ist kein wesentlicher Bestandteil des italienischen Faschismus, der in dieser Hinsicht auch keinen Vorbildcharakter für Hitler und den Nazi-Faschismus hat....

Es spricht aus meiner Sicht nichts dafür, dass 'völkisch-radikalantisemitischen Ansichten' durch Mussolinis Regime stimuliert gewesen seien, sondern es wohl eher so war, dass diese besondere rassistische Ausprägung originär war.

Der Einwand von hatl ist zutreffend. Folgt man der Darstellung von MacGregor Nox dann ergeben sich zwr Ähnlichkeiten zwischen den beiden Bewegungen, aber auch gravierende Unterschiede.

Die Vermutung wäre, dass beide Länder unter einer starken Eigendynamik standen, dass die beiden faschistischen Bewegungen zum einen zwar auch den Zeitgeist der post WW1-Ergebnisse reflektierten, aber diesen sehr stark länderspezifisch in den Bewegungen umgesetzt haben.

In diesem Sinne agierten Hitler und Mussolini in ihren politischen Zielsetzungen und Strategien weitgehend unabhängig voneinander. Es fand keine gegenseitige Beeinflussung im Sinne einer bewußten und gezielten Übernahme von Ideologien etc. statt, die sich in relevanten Politikzielen oder Strategien niedergeschlagen hätte. Wobei der Marsch auf Rom eine gewisse symbolische Bedeutung für den "Bierhallen-Putsch" gehabt haben könnte.

Die wohl stärkste Gemeinsamkeit zwischen beiden Bewegungen beruht auf der Betonung der Nation und der uneingeschränkten Einheit des "Volkskörpers". Damit zusammenhängend die Frage der nationalen Dominanz und dem Ziel militärischer Eroberungen.

In vielen Aspekten unterscheiden sich beide Bewegungen jedoch auch gravierend, wie beispielsweise in der Eugenik und der militanten anti-Semitismus. "The absence of a credible Italian mythology of ethnic purity and the minuscule size of the jewish population likewise discouraged anti-Semitic theoizing..." (Knox, 2007, S. 118). Nolte behandelt in seiner Darstellung des italienischen Faschismus den Aspekt des anti-Semitismus nicht systematisch (S. 193-342)
Im Gegnteil, Mussolini stand zur biologischen Unterschiedlichkeit von Nationen, da sie aus einem "Willensakt" erzeugt werden. (Mann, 2005, Pos. 4838). "All nations he said, were biological diverse. The jewish question did not much interest him."

In diesem Sinne schreibt Bosworth: "Even in Italy, where anti-Semitism is unknown and we believe will never be known, Zionism was a troubling developement. It was to be hoped that "Italian Jews continue to be smart enough not to encourage anti-Semitism in the only country where it had never been" (vgl. Bosworth, S. 147, FN 97)

Gleichzeitig waren ca. 10 Prozent der Parteimitglieder jüdischen Glaubens.

Allerdings, nach 1936 (Spanien) erfolgte eine gewisse politische Anpassung und Verschärfung des anti-semitischen Gesetzgebung an den anti-Semitismus der NS-Bewegung, die allerdings im faschistischen Italien nicht populär war (vgl. z.B. Overy, Road to war)

Generell war die innenpolitsiche Situation für Mussolini ungleich komplizierter wie für Hitler. Mussolini hatte das "Haus Savoyen" und die katholische Kirche als Machtzentren gegen sich. Zudem, so MacGregor Nox, basierte die "Hausmacht" von Mussolini auch auf der ländlichen Bevölkerung, die durch einen hohen Grad an Analphabetismus gekennzeichnet war. Und somit die Machtentfaltung in Italien in "Slowmotion" ablief, im Gegensatz zu der kurzfristig effizienten Etablierung der Macht des NS-Regimes.

Bosworth, R. J. B. (2014): Mussolini's italy. Life under the fascist dictatorship, 1915-1945. New York: Penguin Books.
Knox, MacGregor (2007): To the threshold of power, 1922/33. Origins and Dynamics of the Fascist and National Socialist Dictatorship. Volume 1. Cambridge: Cambridge Univ. Press (1).
Mann, Michael (2005): The dark side of democracy. Explaining ethnic cleansing. 1. Aufl. Cambridge: Cambridge Univ. Press.
Nolte, Ernst (1990.): Der Faschismus in seiner Epoche. Action française, Italienischer Faschismus, Nationalsozialismus. 8. Aufl., Neuausg. 1984, München, Zürich: Piper
 
Zuletzt bearbeitet:
Dann noch einmal von Vorne.

Kaiser WIlhelm II. - Wegbereiter des Nationalsozialismus

Wie wurde H. Antisemit, lautet die Überschrift.

Jedenfalls recht sicher nicht durch u.a. KW II., wie m.E. nicht zutreffend immer noch nahe gelegt wird.
Dafür brauchte er weder KW II, wie schon oben angerissen, noch war KW II. ein dahin gehendes antisemitisches Vorbild, antisemitischer Anreger oder Initiator.

Schön, dass da erneut irgendwelche Strohmänner in die Landschaft gestellt werden, die eigentlich nie wirklich relevant diskutiert wurden.

Es gibt keinen direkten Pfad, der von einem klassischen "alt-konserativen" "Wilhelminer", also KW II. zu Hitler bzw. zur NS-Ideologie führt.

In diesem Sinne formulierte KW II, nachdem er das Scheitern des "Bierhallen-Putsches" zur Kenntnis genommen hatte, inklusive der Verhaftung von Ludendorff und Hitler: "Na, Gott sei Dank, dann hat diese unsinnige Geschichte wenigstens ihr Ende". (Pölking: Wer war Hitler?; S. 143). Bei Kershaw (Hitler 1889-1945) wird komplett auf die Frage eines Bezuges zwischen KW II. und Hitler (1 Ausnahme, S. 794) verzichtet!

Die Frage des Einflusses des "Wilhelminischen Zeitgeists" auf Hitler ....kann man beantworten, indem man die Entwicklung der radikalen Rechten im Kaiserreich betrachtet und ihre zunehmende Abgrenzung zum aristokratisch geprägten klassischen konservativen Milieu. Also als Ideengeschichte, aber sicherlich nicht als Interaktion zwischen zwei historischen Akteuren wie KW II. und Hitler.

Dieses wurde in dem bereits zitierten Thread über die Entwicklung der extremen Rechten thematisiert und auf die Bedeutung der in München entstandenen extremen nationalistischen und völkischen Netzwerke. Auch im Umfeld der Thule-Gesellschaft, in dessen Umfeld sich u.a. die Wege von Röhm und Heß gekreuzt haben.

Wenn auch nur eine oberflächliche Einsicht in die Evolution der ideologischen Vorstellungen von der alten, konservativen wilhelminischen Rechten, über die radikalere neue wilhelminische nationalistischere Rechte zu den Nationalsozialisten seit 1912 bis 1933 in beiden Aussagen vorhanden ist, erkennt sie dennoch, dass es diesen "roten Faden" gab.

Diesen roten Faden gab es auch deshalb, weil die Abgrenzung beispielsweise der neuen wilhelminischen Rechten auch deshalb zustande kam, weil sie die Mobilisierung der Ressourcen der ganzen Nation, wie deutlich bei Ludendorff, in den Vordergrund stellte. Und daraus als Kritik an den alten Rechten die Unfähigkeit ableitete, die Probleme der Nation angemessen zu lösen.

In diesem Sinne ist eine dialektische Beziehung vorhanden, die sich bei der Formulierung der Ideologien auf der einen Seite auf den Vorläufer bezogen haben, aber ihre ideologische Identität erst durch die Verneinung bzw. Abgrenzung der vorherigen Ideologie erreichen konnte.

Diese Überlegung ist eine zentrale Voraussetzung auf der auch die Nationalsozialisten in einer noch radikaleren Form aufbauten und synkretisch und eklektisch bestehende Theorien und Ideologien kannibalisierten. Und in diesem Sinne basiert das NS-Weltbild auf einer Ideologie aber auf keiner, die sich auf ein integriertes Theoriegebäude stützen konnte.

Eine relativ kompakte Darstellung zur Kontinuitätslinie von wilhelminischer "alter Rechte", über die "neue Rechte" zur NS-Bewegung findet sich bei Eley.

In Fortführung seiner Arbeit zu "Reshaping (S. 359)" greift er den zentralen Gedankengang erneut auf in "Konservative und radikale Nationalisten in Deutschland: Die Schaffung faschistischer Potentiale 1912-1929 (1991, S. 209 ff).

Und formuliert: " Im Verlauf der Radikalisierung von 1912-1920 wurde das alldeutsche Heilmittel - das Ideal eines rassisch bestimmten vereinten Volkes, das zum Kampf gegen innere und äußere Feinde mobilisiert war und die Spaltung von Klassen-, Gruppen-, Partikular- und Konfessionsloyalitäten durch das fanatische Streben nach deutscher Größe vergessen machte - Teil des Diskurses der gesamten Rechten. In den Revolutionsjahren 1918-1920 eskalierte dann nicht nur die Tonart, und Inhalt dieser Vorstellung, sondern sie fanden auch weitere und stärker abgesicherte Verbreitung.

Zu Beginn der 1920er Jahre war daher eine brutalisierte Form des radikalnationalistischen Erbes Allgemeingut der deutschen Rechten, die vom konservativen Flügel der DNVP bis zu den paramilitärischen Formationen und den extrem völkischen Sekten reichte
."

Die Vaterlandspartei scheiterte an der Mobilisierung des "Volkes" auf der Basis dieses "Volkskonzepts" aus einer Reihe von Gründen und führte auch nicht zur populistischen Mobilisierung durch die DNVP. (Eley, 1991, S. 245)

Dieses Erbe trat dann erfolgreich erst die NSDAP an und profitierte von den ideologischen Konzepten der wilhelminischen neuen Rechten und der neuen Fähigkeit zur populistischen Mobilisierung, ähnlich wie Mussolini 1922 in Italien.

Eley, Geoff (1990): Reshaping the German right. Radical nationalism and political change after Bismarck. Ann Arbor: University of Michigan Press
Eley, Geoff (1991): Wilhelminismus, Nationalismus, Faschismus. Zur historischen Kontinuität in Deutschland. Münster: Westfäl. Dampfboot
 
Die beachtlichen, übrigens wohl valide Äußerungen H.s beispielsweise S. 727 spiegeln seine in der zweiten Hälfte 1922 sich verstärkenden völkisch-radikalantisemitischen Ansichten, offenbar stimuliert durch die Radikalisierung und Aufbruchsstimmung in der NS-Bewegung durch Mussolinis 'erfolgreiches' Straßenterror-Regime und 'Marsch-auf-Rom'-Regierungsmachtkonzept. Ganz im Einklang mit völkisch-radikalantisemitischen Titeln wie 'Semi-Imperator' zu den Hohenzollern/KW II., 1919 im Thule-Verlag Franz Eher erschienen.

Das haut wohl so nicht hin. Der Antisemitismus ist kein wesentlicher Bestandteil des italienischen Faschismus, der in dieser Hinsicht auch keinen Vorbildcharakter für Hitler und den Nazi-Faschismus hat.

Habe ich, siehe Ausschnitt in FETT, auch nicht behauptet. Die kursiv gestellten Teile gehören zusammen.
 
Der Thread-Namen lautet: Wie wurde Hitler Antisemit.

Dass Wilhelm II. kein Vorbild oder Anreger der (radikalen) völkisch-antisemitischen Apologeten war, zeigt sich an der Opposition gegen Wilhelm II. von diversen bekannten Leitfiguren/Vertretern.
Bereits 1895 hatte Max Bewer (den übrigens Röhl nutzt, wenn auch missverständlich bzw. aus dem historischen Kontext isoliert) in Bismarck und der Kaiser KW II. entsprechend nicht positiv als Vorbild, sondern als eher wenig hilfreiche Herrscher-Person problematisiert, auch und explizit in Zusammenhang mit Juden. Siehe beispielsweise S. 22f.

Die Reihe lässt sich gut vorsetzen bis beispielweise Heinrich Claß oder Theodor Fritsch mit seinem Handbuch der Judenfrage, in vielen Auflagen bis in die NS-Zeit erschienen.
Alle möglichen Personen und Persönlichkeiten werden darin u.a. als 'Zeugen' für den (verderblichen) Einfluss, Charakter etc. der Juden erwähnt, zitiert usw. Dabei u.a.: auch Bismarck mit diversen (aus dem Kontext gerissenen, vielleicht entstellten) Äußerungen.

Nicht dabei: KW II. Nicht im Vorläufer-Titel Antisemiten-Katechismus von 1893 bis hin zur überarbeiteten 39. Auflage von Handbuch der Judenfrage des Jahres 1935.
Dafür wird seit der Auflage von 1919 KW II. stets in einem problematischen Zusammenhang angesprochen, mit typischen Leit-Argumenten, einer typischen Argumentationsfigur der völkischen Antisemiten gegen KW II., wie man sie auch schon beim frühen H. (ab 1920) findet:
  • Entlassung Bismarcks durch KW II. Folge jüdischer Machenschaften
  • tatsächliche Macht-/Regierungsausübung durch bedeutende kaisernahe Juden, die KW II. zugelassen hat
  • Burgfrieden-Ideologie 1914: Verblendeter Schritt KWII., aufgrund jüdischer Kreise, die dadurch für die Juden Gleichstellung und entscheidende Machtausübung im Weltkrieg erreichten.
  • jüdische Machtausübung/Wirtschaftskontrolle durch die von ihnen letztlich initiierten kriegswirtschaftlichen Organisationen/Firmenkomplexe? Und/oder Zersetzung der Kriegswirtschaft nachfolgend? (Fritsch, Hbd. Jud. 1919, S. 24) (Fritsch, Hbd. Jud. 1923, S. 439)

Wir finden diese Argumentationsfigur bei H. wieder, die gleichen völkisch-antisemitischen Vorbehalte gegen KW II. in den einschlägigen Quellen zu H., wie der Edition von Kuhn/Jäckel, Hitler. Alle Aufzeichnungen 1905-1924.

Der Einfluss von Fritsch bzw. von Handbuch der Judenfrage wird in der einschlägigen Forschung, in den einschlägigen wissenschaftlichen Publikationen auch auf den frühen H. ab 1920 ebenfalls früh notiert, so in Phelps, Hitlers grundlegende Rede über den Antisemitismus, Vierteljahresheft für Zeitgeschichte, 1968, Heft 4, S. 390-420, [bezieht sich H.s Rede vom 13. August 1920 im Münchner Hofbräuhaus, Warum sind wir Antisemiten] hier S. 395 f., oder in Plöckinger, Unter Soldaten und Agitatoren, 2013, S. 11.

H. hat in einem Schreiben vom 28.11.1930 sogar behauptet, er habe Fritschs Handbuch der Judenfrage "bereits in früher Jugend in Wien eingehend studiert" (zitiert nach Plöckinger, Unter Soldaten, S. 260, + Anmerkung 53 dort).
 
Natürlich sollten die FETT markierten Stellen etwas größer werden, wie jetzt zutreffend abgebildet, die kursiven aufeinander bezogen.
Wie wurde H. Antisemit, lautet die Überschrift.

Die beachtlichen, übrigens wohl valide Äußerungen H.s beispielsweise S. 727 spiegeln seine in der zweiten Hälfte 1922 sich verstärkenden völkisch-radikalantisemitischen Ansichten, offenbar stimuliert durch die Radikalisierung und Aufbruchsstimmung in der NS-Bewegung durch Mussolinis 'erfolgreiches' Straßenterror-Regime und 'Marsch-auf-Rom'-Regierungsmachtkonzept. Ganz im Einklang mit völkisch-radikalantisemitischen Titeln wie 'Semi-Imperator' zu den Hohenzollern/KW II., 1919 im Thule-Verlag Franz Eher erschienen.


Entlassung Bismarcks durch KW II. Folge jüdischer Machenschaften
...ein völkisch-antisemitischer Kritikpunkt, da Bismarck u.a. als Initiator, Apologet und Verschärfer der Sozialisten-Gesetzgebung, des Sozialisten-Verbot agierte - die Entlassung Bismarcks im Zusammenhang mit seinem Versuch der Verschärfung/Verlängerung bzw. Dauerhaftigkeit der Sozialisten-Gesetze erfolgte, eben durch KW II.
 
Der Historiker Thomas Weber im Interview mit dem SPIEGEL v. 13.3.2020, Titelgeschichte "Wir haben wieder Demagogen mit den Talenten Hitlers in der Welt", hat neue Quellen für H. s Antisemitismus vor dem I. Weltkrieg...da war ich schon auf Details gespannt, keine Stärke von Thomas Weber.

So äußert er im Interview u.a.:
Ich suche im Moment bisher eher erfolglos nach Informationen zu Josef Stolzing-Cerny, Hitlers Duz-Freund, der Hitler in der Form, wie wir ihn zu kennen meinen, erfunden hat. Er redigierte Hitlers Reden und "Mein Kampf" und tat vermutlich viel mehr darüber hinaus. Viele Hitler-Experten, die ich auf Stolzing-Cerny angesprochen habe, hatten aber nicht einmal von ihm gehört. Nur Wolfram Pyta in Stuttgart hatte neue Dokumente zu ihm für mich. Stolzing-Cerny ist der große Mr. X des Aufstiegs Adolf Hitlers.

Hitler-Experten, die Stolzing-Cerny nicht kannten, eher erfolglose Suche nach Infos zu ihm? Beispielsweise hat Othmar Plöckinger 2006 und 2011 (aktualisierte Auflage) in Geschichte eines Buches. Adolf Hitlers 'Mein Kampf' 1922-1945, ausgiebig Josef Stolzing-Cerny - Musikkritiker, Wagner-Fan, Bekannter/Freund der Bayreuth-Wagners & von Chamberlain - erwähnt, S. 130-132 auch in einem wie üblich sehr gut bequellten Abschnitt. Ansonsten lohnt sich ein Blick in die neueste, neuere Literatur zur Wagner-Familie, Netz-Recherchen...

Weber meint schön unscharf, aktuell würde man davon ausgehen, H. wäre erst nach dem Weltkrieg 'Antisemit' geworden. Er halte dies mittlerweile für eher unwahrscheinlich. Radikalisierung, Politisierung nach dem I. Weltkrieg ja, Neuentstehung H.s Antisemitismus entsprechend nein. Weber zielt dafür auf H.s letztes Jahr in Wien, 1912, worüber H. schweigen würde und statt dessen seinen Umzug nach München auf 1912 vorverlegt habe.

Die Zeitzeugin ist die Tochter von H.s Vermieter Josef Popp in München ab Ende Mai 1913; sie erzählt, H. habe über Österreich und Wien in Diskussionen immer wieder zu ihrem Vater gesagt, es sei 'verjudet' gewesen, das sei ein Grund gewesen, zu gehen.
Genau seinem Vermieter hat H. immer wieder von der Kriegsfront geschrieben, z.B. 1915 einen großen Brief, nationalistisch, chauvinistisch usw. gegen die Feinde, das Ausland - nur nicht antisemitisch, ohne alle Anklänge oder antisemitische Codes. Und dies, obwohl zudem die völkisch-antisemitische Propaganda ziemlich sicher auch sein Regiment schon erreicht hatte.
 
Genau seinem Vermieter hat H. immer wieder von der Kriegsfront geschrieben, z.B. 1915 einen großen Brief, nationalistisch, chauvinistisch usw. gegen die Feinde, das Ausland - nur nicht antisemitisch, ohne alle Anklänge oder antisemitische Codes. Und dies, obwohl zudem die völkisch-antisemitische Propaganda ziemlich sicher auch sein Regiment schon erreicht hatte.

Trotz antisemitischer Radikalisierung in der Armee keine überlieferten, entsprechenden Selbstzeugnisse von H., 1915, 1916, 1917, 1918 nicht. Ende Nov. 1918 trifft H., vom Lazarett Pasewalk aus, wieder bei seinem Stammregiment in München ein. Die 'Revolution' hat inzwischen statt gefunden, dann entsteht die bayrische Räterepublik, die sozialistisch-sozialdemokratische Regierung unter Eisner, H. wird während dessen Vertrauensmann in seiner zu demobilisierenden Einheit, die ebenfalls einen Soldatenrat konstituiert; H. nimmt befehlsgemäß an der Beerdigung von Ministerpräsident Eisner nach dessen Ermordung teil; Hitler erlebt in München hautnah den kommunistisch-sozialistischen Putsch im Frühjahr 1919 dort; H. wird nach der 'Befreiung' Münchens Anfang Mai durch Reichswehr- und paramilitärische Einheiten Teil einer Untersuchungskommission zu den sozialistischen 'Umtrieben' und Personen während Eisner-Regierung und Putsch-Regierung in seiner Einheit. Keine antisemitischen Selbstzeugnisse von H. überliefert, bekannt etc.

Die ersten bekannten antisemitischen Selbstzeugnisse von H. finden wir ab dem Hochsommer 1919 nur im Rahmen seiner Tätigkeit für das sogenannten Aufklärungskommando von Hauptmann/Major Mayr, in dessen Auftrag er und einige weitere Kollegen seines Kommandos zur Unterstützung der Splitterpartei DAP im September 1919 eine ihrer Partei-Versammlungen besuchen. Mayr, der ihn und Dietrich Eckardt im März 1920 per Flugzeug nach Berlin zur Beobachtung des Kapp-Putsches schickte.
 
H. hat in einem Schreiben vom 28.11.1930 sogar behauptet, er habe Fritschs Handbuch der Judenfrage "bereits in früher Jugend in Wien eingehend studiert" (zitiert nach Plöckinger, Unter Soldaten, S. 260, + Anmerkung 53 dort).

H. hatte am 28.11.30 natürlich an Fritsch geschrieben, und im Brief weiterhin u.a. geäußert, das Handbuch habe entscheidend geholfen, "den Boden vorzubereiten für die nationalsozialistische antisemitische Bewegung" (Q: Arndt Kremer, Deutsche Juden - Deutsche Sprache, Berlin 2007, S. 93, Zitat ebenda).
 
Brief:

28. November 1930 Schreiben an Theodor Fritsch
Dok. 32

Masch. Ausfertigung mit hs. Unterschrift. Faksimiledruck: Schutzumschlag des Handbuchs zur Judenfrage, Leipzig 34 1933.

Sehr verehrter Herr Fritsch!

Besten Dank für die freundliche Zusendung der 30. Auflage Ihres Buches.

Das " Handbuch der Judenfrage" habe ich bereits in früher Jugend in Wien eingehend studiert. Ich bin überzeugt, daß gerade dieses in besonderer Weise mitgewirkt hat, den Boden vorzubereiten für die nationalsozialistische antisemitische Bewegung.
Ich hoffe, daß der 30. Auflage noch weitere folgen werden und das Handbuch allmählich in jeder deutschen Familie zu finden ist.

Mit deutschem Gruß!
Ihr ergebener A. Hitler
 
Kurz zuvor,
25. Oktober 1930 " Unser Freiheitskampf und Eure Justiz" Rede auf NSDAP-Versammlung in München


Das ist der Sinn dieses ganzen Vorgehens. Es gab in Deutschland vor dem Jahre 1919 keinen Antisemitismus, es gab in Deutschland keinen Terror gegen linksgerichtete Elemente; das alles kam erst, als ein fremdes Volk sich die Herrschaft anmaßte und die Deutschen beiseite schob, als andere den Terror der Straße uns entgegensetzten, als andere uns verletzten. Da begann die Gegenwehr...
Wenn wir heute als Deutsche auftreten und uns der Vergiftung durch ein anderes Volk zu erwehren versuchen, dann versuchen wir, in die Hand des allmächtigen Schöpfers dasselbe Wesen wieder zurückzulegen, das er uns gegeben hat. (Anhaltender Beifall.)

Sein Wille und seine Vorsehung ließ uns zu dem werden, was wir sind. Er gab uns das Blut, das wir besitzen, er gab uns unseren äußeren, ich möchte fast sagen: rein menschlichen Ausdruck, er legte auch die Seele in uns hinein, und er gab uns auch den Wert, den wir besitzen, und den Inhalt des Lebens. Es wäre eine Treulosigkeit dem Schöpfer gegenüber, wenn wir uns nicht bemühten, ihm dasselbe Wesen in gleicher Art wieder zurückzuerstatten, das er uns gegeben hat. Ich halte es für Sünde, dieses Wesen zu verderben oder zu senken, mit anderem Wesen das zu vergiften und damit das Ebenbild des Herrn nicht so zu bewahren, wie er es in unser eigenes Innere hineingelegt hat.

Wenn wir Nationalsozialisten diesen Kampf nun führen, dann bringen wir dieses Opfer nicht aus eigenem, sagen wir, streitsüchtigem, händelsüchtigem, angriffstüchtigem Gemüt heraus. Es kann jederzeit ein Gott zum Zeugen angerufen werden, daß wir den Frieden möchten, nur die anderen wollen ihn nicht. (Starker Beifall.)

Die Juden können ihren palästinensischen Staat gründen. Ich würde jeden Deutschen preisgeben, der es wagen sollte, sie in ihrem Staat zu stören, in ihrem inneren Leben zu beleidigen oder zu verletzen. Ich würde jeden Deutschen preisgeben, der nach Jerusalem ginge, um dort sich Rechte anzumaßen in einem fremden Volk, die ihm nicht gebühren.

Aber ich bitte mir aus, daß auch ich nicht verurteilt werde deshalb, weil ich dasselbe Recht für mein deutsches Volk wünsche. (Stürmischer, anhaltender Beifall.)

———————
Der fett markierte Satz ist bekanntlich eine Falschbehauptung. Er könnte sich allerdings auch auf Hitlers eigene Wahrnehmung beziehen.
 
Im Zusammenhang mit der gründlichen Überprüfung der Belege in den Anmerkungen bei Othmar Plöckingers Unter Soldaten und Agitatoren, 2013, schon die Skepsis gegenüber unbekannten Autoren und neuen Behauptungen legte das nahe, folgte 2013 eine intensive Zeit der Rezeption zahlloser genannter radikal-antisemitischer Publikationen, auch und besonders des Jahres 1919, häufig im Portal der UB der Uni Frankfurt, Digitalsate der umfangreichen Judaica-Sammlung. Bald tauchte in den einschlägigen Publikationen - leicht irritierend - die völkisch-antisemitische, radikalantisemitische Reserve gegenüber bzw. Kritik an KW II auf. Ich hatte das irgendwie noch etwas anders in vager Erinnerung, 1990 Jahre, Röhl etc.

Tatsächlich lässt sich m.E sowohl in den bekannten, einschlägigen völkisch-antisemitischen, radikalantisemitischen Druckwerken wie auch in den einschlägigen Abwehr-Publikationen die schon oben benannte (Nicht-)Bedeutung/Rolle gut anhand der zahlreichen Quellen belegen.

Die neueren und neuesten, teils einschlägigen Grundlagenwerke und Forschungen zu Antisemitismus sowie weitere wissenschaftlichen Publikationen bestätigen das überwiegend deutlich (KW II. taucht einfach nicht in einschlägigem Zusammenhang auf - oder wird schon gar nicht im Register genannt). Eine Auswahl, teils schon seit Jahren zur Rückversicherung von mir immer wieder rezipiert, folgt:

  • Helmut Auerbach, Hitlers politische Lehrjahre und die Münchener Gesellschaft 1919-1923, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 1977, Heft 1, S. 1-45
  • Werner Bergmann, Geschichte des Antisemitismus, München 2020
  • Werner Bergmann / Ulrich Wyrwa, Antisemitismus in Zentraleuropa, Darmstadt 2011
  • Wolfgang Benz (Hrsg.), Handbuch des Antisemitismus, Band 1-8
  • Wolfgang Benz, Antisemitismus. Präsenz und Tradition eines Ressentiments, Frankfurt/M 2020
  • Manfred Denk, Die Konstruktion der jüdischen „Rasse“: Ein Ideologievergleich der Rasse-Konzepte H. S. Chamberlains und A. Hitlers, durchgeführt an ihren Hauptwerken „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ bzw. „Mein Kampf“, FAU Erlangen-Nürnberg (Dissertation)
  • Michael Fahlbusch u.a. (Hrsg.), Handbuch der völkischen Wissenschaften, Band 1: Biographien, Berlin 2017
  • Michael Fahlbusch u.a. (Hrsg.), Völkische Wissenschaften: Ursprünge, Ideologien und Nachwirkungen, Berlin 2020
  • Thomas Gräfe, Antisemitismus im deutschen Kaiserreich. Stereotypenmuster, Aktionsformen und die aktuelle Relevanz eines ‚klassischen‘ Forschungsgegenstandes, Sozial.Geschichte online 25 (2019), S. 45-80
  • Hauke Hirsinger, „Die geistige Zersetzung Deutschlands“? Vom Wandels des Antisemitismus im Gefolge des Eulenburg-Skandals zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Bremen 2008 (Dissertation)
  • Othmar Plöckinger, Geschichte eines Buches, Adolf Hitlers „Mein Kampf“, München 2011
  • Othmar Plöckinger, Unter Soldaten und Agitatoren, Paderborn 2013
  • Ulrich Wyrwa (Hrsg.), Einspruch und Abwehr. Die Reaktion des europäischen Judentums auf die Entstehung des Antisemitismus (1879-1914). Fritz Bauer Institut, Jahrbuch 2010 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Frankfurt/M 2010
  • Ulrich Wyrwa, Gesellschaftliche Konfliktfelder und die Entstehung des Antisemitismus, Berlin 2015
  • Rudolf von Sebottendorf, Bevor Hitler kam, München 1933
 
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