Kriegerinnen unter den Wikingern

ich weiß es nicht - wenn ich mich richtig erinnere (bei Simek gelesen) soll Ibn Fadlan die warägischen Sklavenhändler als sehr ungepflegt und tätowiert beschrieben haben (aber wie gesagt, ich weiß es nicht)
An tätowiert und ungepflegt kann ich mich bei Ibn Faḍlān nicht erinnern, ist aber auch schon etliche Jahre her, dass ich das gelesen habe, eher an sittlich verkommen, als körperlich. War die deutsche ÜS eines Ungarn, dreißiger Jahre.
 
*Sind Tätowierungen bei Wikinger eigentlich belegbar oder ist das etwas, was man ihnen heute landläufig andichtet?

Tätowierungen haben wir bei vielen Völkern belegt. Ötzi hatte wohl medizinische Tätowierungen. Sehr kunstvolle Tätowierungen hat man an skythischen Eismumien gefunden, Inuitfrauen (bei Männern weiß ich es gerade nicht) waren häufig im Gesicht tätowiert, aber auch eher abstrakt als gegenständlich.

Tätowierungen bei den Wikingern sind mir nicht bekannt. Eher Manipulationen an den Zähnen.
 
Jörn Staecker & Matthias Toplak (Hrsg) "Die Wikinger" Propyläen 2020, darin:
Caroline Arcini: 1.3. Wikinger aus Fleisch und Blut (in Kap. 1 die Wikingerzeit aus archäologischer Sicht)
Der Aufsatz von C. Arcini fasst die Untersuchungen der Knochen, Zähne usw. aus Wikingergräbern zusammen (Durchschnittsalter, -größe, Krankheitsbilder usw.) wobei einige Märchen (Kinder aussetzen) ausgeräumt werden. Die von @El Quijote erwähnten Zahnmodifikationen sind seit 2005 nachgewiesen: ein bis zwei Einkerbungen der Schneidezähne bei 130 untersuchten Skeletten, die meisten aus Gotland 9.-10. Jh. und nicht (!) auf die höchste soziale Schicht begrenzt. Die Zusammenfassung über die Zahnfeilungen ist ein eigener Abschnitt des Aufsatzes unter der Zwischenüberschrift "Symbolhafte Zugehörigkeit - Zahnfeilungen und Tätowierungen". Zu den Tätowierungen zitiere ich wörtlich daraus:
Schriftliche Quellen wie die des arabischen Chronisten Ahmad Ibn Fadlan, der skandinavischen Händlern im Osten begegnete, berichten auch davon, dass die Wikinger "von den Fußspitzen bis zum Hals" tätowiert gewesen seien. Es handelte sich um dunkelblaue oder grüne Muster, die Bäumen oder andere Figuren ähnelten. Ein anderer Zeitzeuge dafür ist Adam von Bremen, der vor 1095 starb. Er schrieb über die Menschen auf Samland, einer Halbinsel in der Region Kaliningrad, und stellte fest: "Die Menschen dort sind blau von Farbe."
Archäologisch lässt sich die Aussage von Ibn Fadlan hingegen bisher nicht bestätigen. In einem wikingerzeitlichen Grab auf dem Gräberfeld von Vendel in Schweden wurde ein kammartiges Eisenobjekt gefunden, das als mögliche Tätowiernadel interpretiert wurde, eine Deutung, die von modernen Tätowierern abgelehnt wird. Ein anderer arabischer Reisender, Ibrahim Ibn Yakub, zumeist auch bekannt als Al-Turtuschi, der als Gesandter des Kalifen von Cordoba in der 2. Hälfte des 10. Jhs. bis nach Haithabu gelangte, berichtet sogar, dass bei den Wikingern Frauen wie Männer Schminke benutzen würden, "um die Schönheit ihrer äugen zu steigern."
Mehr ist dieser neuen Publikation über Tätowierungen bei den Wikingern nicht zu entnehmen. Zahnmodifikationen sind archäologisch nachgewiesen, ohne dass sich daraus bestimmen lässt, warum und wozu das gemacht wurde. Tätowierungen sowie Schminke sind nur aus den genannten schriftlichen Quellen bekannt, archäologisch nachgewiesen sind sie nicht.
 
Jörn Staecker & Matthias Toplak (Hrsg) "Die Wikinger" Propyläen 2020, darin:
Kap.5 der Weg in den Osten
Matthias Toplak: 5.5 Il-la-lah. Die Wikinger und der Islam
dieser Aufsatz befasst sich ausführlich mit Ibn Fadlan als Quelle zu den kurz zuvor zum Islam konvertierten Wolgabulgaren und zu den Wikingern, die an der Wolga u.a. Sklavenhandel betrieben. Zu den bei Ibn Fadlan erwähnten Tätowierungen:
(...) einige seiner (Ibn Fadlans) Schilderungen sind daher möglicherweise in Missverständnissen begründet, zumindest wertend oder sogar bewusst verfälscht wiedergegeben, wie beispielsweise die bis heute rätselhafte Aussage, dass die Rus "von den Fußspitzen bis zum Nacken mit dunkelgrünen Mustern tätowiert" wären - eine Behauptung, für die sich keine weiteren konkreten Belege finden lassen.
 
An tätowiert und ungepflegt kann ich mich beiI bn Faḍlān nicht erinnern, ist aber auch schon etliche Jahre her, dass ich das gelesen habe, eher an sittlich verkommen, als körperlich. War die deutsche ÜS eines Ungarn, dreißiger Jahre.

Ahmet Zeki Validi Togan heißt der Übersetzer, er war Baschkire und hat über Ibn Faḍlāns Reisebericht promoviert.

Die Stelle über die Tätowierung lautet in der Übersetzung (veröffentlicht in: Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes XXIV, 3, Leipzig 1939):
Jeder von ihnen hat vom Rande des Nagels bis zum Hals dunkelgrüne Färbung von Bäumen, Figuren und anderem eintätowiert.

Zur Körperpflege ist folgendes zu lesen:

Sie (die Rūs) sind die schmutzigsten Geschöpfe Gottes. Sie schämen sich nicht beim Stuhlgang und Harnen, noch waschen sie sich nach der Befleckung durch Samenerguß, noch waschen sie ihre Hände nach dem Essen. Sie sind also wie verirrte Esel.
[...]
Pflichtgemäß waschen sie täglich ihr Gesicht und ihren Kopf in einer so schmutzigen und so unreinen Weise, wie es sie nur geben kann. Es geht so vor sich: Das Mädchen bringt alle frühmorgens ein großes Becken mit Wasser und gibt es (das Becken) ihrem Herrn und er wäscht sich darin Hände und Gesicht und das Haar seines Kopfes, er wäscht es und kämmt es mit dem Kamm in das Becken aus; dann schneuzt er sich und spuckt in das Becken. Er läßt an Unreinem nichts zurück, vielmehr legt er es in diesem Wasser ab. Nachdem er das Nötige erledigt hat, trägt das Mädchen das(selbe) Becken zu dem, welcher zunächst ist. Und er verfährt ähnlich, wie sein Nachbar getan hat. Sie trägt das Becken (mit Wasser) immer weiter von einem zum anderen, bis sie es beim allen, welche im Hause sind, hat herumgehen lassen, und jeder von ihnen sich in ihm (dem Becken) geschneuzt, gespuckt, sein Gesicht und Haar gewaschen hat.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ahmet Zeki Validi Togan heißt der Übersetzer, er war Baschkire und hat über Ibn Faḍlāns Reisebericht promoviert.
der war's. Ich weiß jetzt nicht, warum ich den als Ungarn abgespeichert habe. Leider finde ich nur noch diesen Beitrag aus dem Jahr 2007 von mir: Ibn Fadlans/Faḍlāns Reisebericht und die Rus
Wahrscheinlich habe ich im Rahmen einer Diskussion zu einem Artikel in den Pressemitteilungen mal länger daraus zitiert (ich meine mich nämlich zu erinnern, dies getan zu haben), aber die Pressemitteilungen sind ja beim letzten Forum-Relaunch alle verschütt gegangen. Keine Ahnung, ob Daniel noch Zugriff darauf hat.
 
Schlechte Hygiene und viele Tätowierungen erscheinen mir als widersprüchlich. Wenn bei einer Tätowierung hygienische Mindeststandards nicht eingehalten werden, kann dies sehr häufig zu schmerzhaften Entzündungen und Narben führen.
Wie haben also eine schriftliche arabische Quelle, die den "Rus" viele Tätowierungen zuschreibt. Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob damit tatsächlich Wikinger gemeint sind oder andere Völker. Wir wissen auch nicht, ob die Beschreibung zutreffend ist oder ob Ibn Fadlan bewusst herablassend die Situation dargestellt hat.
Bei Adam von Bremen sind meine Zweifel, dass er "Wikinger" im Samland beschreibt noch größer. Er könnte auch über baltische Bewohner geschrieben haben.
Andere schriftliche Quellen erwähnen keine Tätowierungen bei Wikingern oder Normannen. Andererseits existieren ja auch ein paar Moorleichen, die man zeitlich und örtlich Wikingern zuordnen kann, z.B. Bockstensmann – Wikipedia . Tätowierungen hat man dort aber nicht gefunden. Meine Zweifel bezüglich tätowierten Wikingern bleiben bestehen.
 
Schlechte Hygiene und viele Tätowierungen erscheinen mir als widersprüchlich. Wenn bei einer Tätowierung hygienische Mindeststandards nicht eingehalten werden, kann dies sehr häufig zu schmerzhaften Entzündungen und Narben führen.
Ich vermute mal, die Tätowierer früherer Epochen haben beim Desinfizieren ihrer Nadeln nur selten die heutigen Mindeststandards eingehalten.

Andererseits existieren ja auch ein paar Moorleichen, die man zeitlich und örtlich Wikingern zuordnen kann, z.B. Bockstensmann – Wikipedia . Tätowierungen hat man dort aber nicht gefunden.

Der Mann war sicher kein Wikinger, der gehört plus minus ins 14. Jahrhundert.
Und sogar wenn es zeitlich passen würde: Nicht jeder, der in Schweden gelebt hat, war deswegen auch schon Wikinger.
 
Ich vermute mal, die Tätowierer früherer Epochen haben beim Desinfizieren ihrer Nadeln nur selten die heutigen Mindeststandards eingehalten.
Dreck und Keime in frischen Wunden dürften in jeder Zeit nicht gerade gesundsheitsfördernd gewesen sein.

Der Mann war sicher kein Wikinger, der gehört plus minus ins 14. Jahrhundert.
Und sogar wenn es zeitlich passen würde: Nicht jeder, der in Schweden gelebt hat, war deswegen auch schon Wikinger.
Es bleibt die Tatsache, dass wir keine archäologischen Belege haben und lediglich zwei schriftliche Quellen, die Tätowierungen bei Personen, die möglicherweise Wikinger waren, erwähnen. Weder in nordischen Sagas, noch in karolingischen oder angelsächsischen Quellen werden Wikinger mit Tätowierungen erwähnt.
 
Weder in nordischen Sagas, noch in karolingischen oder angelsächsischen Quellen werden Wikinger mit Tätowierungen erwähnt.
Da wir gerade dabei sind: wo im Mittelalter bzw in der Wikingerzeit werden denn explizit Tätowierungen erwähnt?
(wissen wir, ob die Kebsen der Karolinger womöglich ein "Arschgeweih" hatten?)
Bzgl Wundbehandlung: der Gebrauch von Lauch als antiseptisch soll bei den Nordleuten üblich gewesen sein
 
@Ugh Valencia ich hatte mich wohl missverständlich ausgedrückt - meine Frage anders formuliert: werden denn Tätowierungen irgendwo in mittelalterlichen Quellen erwähnt? Das Wort selber (tätowieren) kam wohl erst im 18.Jh. nach Europa, aber als "mit Tinte einritzen (in die Haut)" taucht es schon in der Bibel auf; im 4.-5. Jh. soll es gehäuft Kreuztätowierungen gegeben haben, auch sollen Kreuztätowierungen bei allerlei Kreuzrittern gebräuchlich gewesen sein (jedenfalls laut Tante Wiki) Vermutlich befinden wir uns bei den "Tätowierungen" der Wikinger in einer Grauzone zwischen schminken, "Kriegsbemalung" und gefärbtem einritzen (tätowieren) ((ich weiß nicht, wie das original bei Ibn Fadlan formuliert ist - jedenfalls war ihm das als erwähnenswert aufgefallen))
Zweifel daran, dass Ibn Fadlan in seiner Beschreibung sklavenhandelnde "Wikinger" meinte, scheint es überwiegend nicht zu geben: Archäologen, Historiker, Religionshistoriker halten die Beschreibung für eine Quelle zu diesen. Eines der Argumente ist, dass Ibn Fadlans Bericht (Häuptlingsbestattung) nicht nur zu wikingischen Bestattungsfunden (und nicht zu anderen) passt, sondern zu diesen quasi die Kenntnisse erweitert (mehr bietet, als allein aus dem Grabungsbefund zu erfahren ist) vgl dazu Staecker/Toplak.
Zurück zu den Tattoos: wie ich schon zitiert hatte, sind sie archäologisch nicht nachgewiesen. Na ja: die langen Haare der merowingischen Warlords hat man auch noch nicht ausgegraben, aber keine Zweifel an ihnen infolge der schriftlichen Quellen.

Tätowierung/Kriegsbemalung und Zahnfeilungen kamen wohl nicht nur ausnahmsweise vor - ob allerdings auch bei (bislang nicht sicher nachgewiesenen) "Kriegerinnen" oder ansonsten innerhalb der wikingischen Damenwelt, das weiß keiner (geschweige denn, wie dergleichen aussah)
 
Zuletzt bearbeitet:
(scherzando)
Wir wissen auch nicht, ob sie Intimpiercings hatten.
:D dergleichen in historischen Zeiten im Norden - vielleicht gibt ja die Oper einen Hinweis: der Fliegende Holländer karriolt in den Nordmeeren umher, Seemann Daland will ihn mit seiner Tochter Senta verbandeln und preist diese mehrmals mit den Worten
sie zieret ihr Geschlecht
an :D honi soit qui mal y pense
 
...ok...genug geblödelt, darum wieder ernsthafter zu Tätowierungen, Körpermodifikationen etc bei den Wikingern:
Körpermodifikationen zur Inszenierung oder Präsentation einer bestimmten kulturellen, sozialen oder auch religiösen Identität oder schlicht als ästhetisch empfundener Körperschmuck waren somit vereinzelt auch in der Wikingerzeit üblich. Die sukzessive ans Licht kommenden archäologischen Befunde präsentieren jedoch ein ganz anderes Bild von Körpermodifikationen in der Wikingerzeit, als zu erwarten wäre. Die medial schon fest mit dem populären Bild des wilden Wikingerkriegers assoziierten Tätowierungen können zwar als wahrscheinlich angenommen, aber nicht zweifelsfrei belegt werden. Stattdessen lassen sich zwei unerwartete Formen von Körpermodifikation nachweisen. Die Sitte der Schädeldeformation gelangte durch einzelne Frauen mit Turmschädeln vermutlich aus dem südosteuropäischen Raum nach Norden, wurde dort aber wohl nicht aktiv ausgeführt. Die Zahnfeilungen sind hingegen bisher noch ohne bekannte Parallelen in Europa und müssen beim gegenwärtigen Forschungsstand als eigenständige Entwicklung der skandinavischen Wikingerzeit gewertet werden.
Zuerst veröffentlicht in der 'Archäologie in Deutschland' 06/18, S. 40–43.
soweit das Fazit von Toplak zitiert aus
Tattoos, Turmschädel und gefeilte Zähne – Körpermodifikationen in der Wikingerzeit - Historische Beratung Dr. Matthias Toplak

zu der variablen Deutung der Textstelle bei Ibn Fadlan (Tätowierung oder Bemalung?)
Mögliche Hinweise für Tätowierungen in Skandinavien zwischen dem 8.–11. Jh. sind dagegen rar. Der vielversprechendste und häufig angeführte Beleg stammt von dem arabischen Diplomaten Aḥmad ibn Faḍlān aus dem ersten Viertel des 10. Jh., der als Gesandter zu den Wolgabulgaren reiste und dort ostskandinavischen Wikingern, den Rus, begegnete. Er beschreibt – deutlich beeindruckt – die perfekten Körper der Männer ‚hoch wie Palmbäume‘, die ‚von den Spitzen der Zehen bis zum Nacken mit dunkelgrünen Mustern bedeckt sind‘. Allerdings lässt sich diese Passage mehrdeutig übersetzen, aus dem arabischen Original geht nicht eindeutig hervor, ob diese Muster tätowiert oder nur aufgemalt sind, da dasselbe arabische Wort auch für Wandbemalungen verwendet wird. Ibn Faḍlān wertete diese Körperverzierung jedoch als ‚un-islamisch‘, was wiederum zu echten Tätowierungen passen würde, da diese bei den koptischen Christen heute noch als Abgrenzung zum Islam üblich sind./QUOTE]
 
Doch Schädeldeformation ist bei den Skandinaviern archäologisch vereinzelt nachgewiesen.
bislang genau drei Frauen auf Gotland, welche aus dem Osten stammen sollen, siehe (sehr wissenschaftlich aufgearbeitet) https://wikinger-toplak.de/wp-content/uploads/2021/02/Germania_97_04_Toplak-_Sonderdruck_120.pdf (mit zahlreichen Literaturverweisen, Fußnoten und was das Herz sonst noch begehrt)
und eher populärwissenschaftlich dargestellt hier Künstliche Schädeldeformationen in der Wikingerzeit - Historische Beratung Dr. Matthias Toplak
 
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