Ötzis Tod

Ich denke, man weiß mittlerweile - lang übersehene Pfeilspitze im Torso - dass er innerhalb kurzer Zeit (allenfalls Minuten) nach dem Treffer tot gewesen sein muss?

Das kommt darauf an, ob der Schuß die Subclavialarterie getroffen hat oder nicht. Die Arterie ist ja angeblich zerstört, gehen wir mal davon aus, dass das stimmt und nicht wieder andere Ergebnisse herauskommen.

Hat die Pfeilspitze die Arterie getroffen, dürfte der Tod nach wenigen Minuten eingetreten sein. Zwar steckt die Spitze noch und Gegenstände in der Wunde verringern das Bluten, aber bei einer derart großen Arterie kann die Pfeilspitze meines Erachtens die Blutung nicht sehr stark verringert haben.

Möglich wäre es allerdings auch, dass die Pfeilspitze erst beim Versuch, den Schaft herauszuziehen, die Arterie verletzt haben könnte. Da ansonsten keine wichtigen Organe von dem Schuss betroffen waren, kann das beliebig später gewesen sein.

Wahrscheinlicher finde ich, dass die Arterie gleich getroffen wurde, wenn man die Theorien über die Lage des Körpers und die dabei möglichen Szenarien anschaut.
 
einen besonderen Cold Case hat Profiler Alexander Horn von der Kriminalpolizei München zu bearbeiten:

Profiler rekonstruiert: "Es war heimtückischer Mord!"​

Gletschermumie Ötzi: Profiler rekonstruiert: "Es war heimtückischer Mord!" | Bayern 2 | Radio | BR.de

Gletschermumie Ötzi: Mord bleibt 25 Jahre lang unaufgeklärt

und wer's auf Englisch lesen will:

Who killed Oetzi the Iceman? Italy reopens coldest of cases - BBC News

Laut den Untersuchungen hat Ötzi wohl ein bis zwei Tage vor seinem Tod eine Verletzung an der Hand erlitten, die als typische Abwehrverletzung identifiziert wurde. Vermutlich konnte er seinem Widersacher entkommen, bis ihn dieser später mit einem Pfeilschuß getötet hat. Ein Raub scheidet wohl aus, weil Ötzi nicht beraubt wurde. Als Motive vermutet der Profiler daher Haß, Eifersucht oder Rache.

Aber den genauen Tathergang, Motiv und auch den Mörder wird man wohl nicht mehr ermitteln:motz::

But Inspector Horn says he is still unsatisfied.
"I don't think there is a high likelihood we will ever be able to solve that case."
The offender "got away with that murder - which I don't like, being in charge of investigations," he said with a wry smile.
"I don't like the fact that we have an unsolved homicide there."

aus dem o. g. Link zur BBC
 
News

Ötzis handliche Axt ist interessant für einige Untersuchungen.

Der Holzstiel diente inzwischen für eine zuverlässige RC-Datierung.

Nun wurde das Kupfer bzgl. seiner Herkunft näher bestimmt. Es soll aus Mittelitalien vom dortigen Kupferabbau stammen, und von dort an die Alpen gelangt sein, wie ein neuer Aufsatz aus der PLOS One berichtet:
Long-distance connections in the Copper Age: New evidence from the Alpine Iceman?s copper axe
(open access)

Abstract:
25 years after the discovery in the Ötztal Italian Alps, the 5,300-year-old mummy keeps providing key information on human biological and medical conditions, aspects of everyday life and societal organization in the Copper Age. The hand axe found with the body of the Alpine Iceman is one of the rare copper objects that is firmly dated to the early Copper Age because of the radiocarbon dating of the axe wooden shaft. Here we report the measurement of the lead isotope ratios of the copper blade. The results unambiguously indicate that the source of the metal is the ore-rich area of Southern Tuscany, despite ample evidence that Alpine copper ore sources were known and exploited at the time. The experimental results are discussed within the framework of all the available coeval archaeometallurgical data in Central-Southern Europe: they show that the Alps were a neat cultural barrier separating distinct metal circuits. The direct evidence of raw metal or object movement between Central Italy and the Alps is surprising and provides a new perspective on long-distance relocation of goods and relationships between the early Copper Age cultures in the area. The result is in line with the recent investigations re-evaluating the timing and extent of copper production in Central Italy in the 4th millennium BC.


Edit: Publikation folgt den Vorab-Meldungen:
http://www.geschichtsforum.de/773474-post16.html
 
Zuletzt bearbeitet:
Neue Publikation zu Ötzis letztem Weg:

Offenbar kam er -nachgewiesen anhand von Moosspuren- aus dem Schnalstal, Ausstieg Richtung Norden, bevor ihn der Tod ereilte.
PLOS/one, open access:

Seventy-five mosses and liverworts found frozen with the late Neolithic Tyrolean Iceman: Origins, taphonomy and the Iceman’s last journey

wer es lieber auf Deutsch lesen will, findet eine Zusammenfassung im folgenden Artikel:

Ötzi: Moose verraten letzte Route - SPIEGEL ONLINE
 

Ach nein, nicht doch. Lasst mal.

Vor langer langer Zeit, bei den sieben Bergen und den sieben Zwergen, hatten Pollenanalysen aus dem Mageninhalt Hinweise auf einen Tod im Frühjahr ergeben.

Ötzi – Die Autopsie

Artikel: K. Oeggl, W. Kofler, A. Schmidl, J.H. Dickson, E. Egarter-Vigl, O. Gaber, The reconstruction of the last itinerary of "Ötzi", the Neolithic Iceman, by pollen analyses from sequentially sampled gut extracts. In: Quaternary Science Reviews 26 (2007) 853-861

Ich kann aber gar nicht so schön korrekt Literatur zitieren wie das hier so liebevoll gemacht wurde:

Meilensteine der Ötzi-Forschung - Südtiroler Archäologiemuseum
 
Zuletzt bearbeitet:
... weil heute wie vor 5000 Jahren die Geier in etwas niedrigerer Höhe nach gestürzten oder von Lawinen verschütteten Gemsen und Steinböcken suchen. Kolkraben können zwar hoch fliegen, suchen aber eher in niedrigeren Höhen nach Beute. Steinadler fangen lebende Beute.
Ötzi lag in einer Rinne, in 3.210 m Höhe. Und er wird auch bald von Schnee bedeckt gewesen sein, auch im Frühjahr. Und wer sagt denn dass die Fundstelle damals eisfrei war?
Hinzu kommt dass sein Mörder ihn auch in einer Senke verborgen und mit Schnee bedeckt haben kann.
Der Fundort am Tisenjoch war damals ein wichtiger Übergang zwischen Nord- und Südalpen, also war das Risiko das Mordopfer offen liegen zu lassen etwas höher.
Der Schnalser Bach ist zum einen tief eingeschnitten im unteren Drittel bei Juval, und auch weiter oben möchte ich den Bach nicht zu Fuß überqueren, schon gar nicht zur Schneeschmelze. Auf der orographisch linken Seite des Tals gibt es nur wenige Wege aus dem Tal, die für einen Jäger leicht zu überwachen sind.
 
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Hinzu kommt dass sein Mörder ihn auch in einer Senke verborgen und mit Schnee bedeckt haben kann.
Der Fundort am Tisenjoch war damals ein wichtiger Übergang zwischen Nord- und Südalpen, also war das Risiko das Mordopfer offen liegen zu lassen etwas höher.
Ich frage mich, ob man sich diese Mühe tatsächlich gemacht hätte. Wenn irgendwo in den Bergen eine Leiche gefunden wird – wie sollte man damals den Täter ausfindig machen können? Für ihn wäre es wichtiger gewesen, sich rasch zu entfernen, um nicht gesehen zu werden.

Davon abgesehen sind die näheren Todesumstände ohnehin unklar, also auch, ob es sich tatsächlich um "Mord" (im Sinne eines Verbrechens, und das nach der damals dort geltenden Rechtsanschauung) handelte.
 
Wenn er, wie für Ötzi gesagt wird, ein höherstehendes Mitglied eines Clans war, dann wurde sicher nach ihm gesucht. Und da könnte es sein, dass es erstmal wichtig gewesen war, seine Leiche zu verstecken. Dafür dürfte schon reichen, ihn etwas weiter weg von dem üblichen Weg zu deponieren, damit ihn die Hirten, die im Frühjahr und Herbst ihre Tiere über den Similaun-Pass trieben, nicht finden. Dass er durch einen Pfeil aus einem Bogen getötet worden ist, ist gesichertes Wissen, aber man weiß natürlich nicht, ob das mit Absicht geschah.
 
Mir ging es nicht darum, ob es "mit Absicht geschah", sondern ob es sich (nach damaliger Rechtsauffassung) um ein Verbrechen handelte oder um eine sozial akzeptierte (oder gar gewünschte) Tötung, z. B. im Rahmen einer Fehde, Verfolgung eines flüchtigen Verbrechers oder eines Geächteten, von Blutrache oder was auch immer. (Ja ich weiß, dass meine Beispiele möglicher Rechtfertigungsgründe für diese schriftlose Zeit natürlich nicht belegt sind, sondern ich da aus späteren Jahrtausenden rückprojiziere, aber sie sollen nur beispielhaft demonstrieren, dass nicht jedes absichtliche Erschießen eines Menschen zwingend eine zu vertuschende Straftat sein muss.)
 
Die Ausrüstung des Mannes im Eis war zweckdienlich und zugleich sehr komplex (z.B. Gefäß für glühende Holzkohle, Werkzeugvorräte), angepasst an das Leben im alpinen Raum.

Die Strontiumanalysen verweisen auf ein Aufwachsen in der Region. Die Nahrungsreste im Magen zeigen eine hochwertige örtliche Mahlzeit. Die Tattoos und ihr Bezug zu den degenerativen Veränderungen, den schmerzenden Knochen zeigen: der Mann im Eis war sozial integriert, er hatte Zugang zum örtlichen Gesundheitssystem.

Trotz der hohen sozialen Stellung und der Pracht der Ausstattung (Bärenfell und Kupferbeil waren auch damals keine Schnäppchen) hatte er eine einige Tage alte Abwehrverletzung zwischen Daumen und Zeigefinger, und er hatte Defekte an der Struktur der Fingernägel. Da ein Nagel etwa 3 Monate zum Wachstum braucht, deutet dies auf Hunger, Krankheit oder Fehlernährung während des Winters und Frühjahrs hin.

Also: Außer dem Pfeilschuss Hinweise auf beeinträchtigende Lebensumstände, auf mögliche soziale Konflikte.
 
Mir ging es nicht darum, ob es "mit Absicht geschah", sondern ob es sich (nach damaliger Rechtsauffassung) um ein Verbrechen handelte oder um eine sozial akzeptierte (oder gar gewünschte) Tötung, z. B. im Rahmen einer Fehde, Verfolgung eines flüchtigen Verbrechers oder eines Geächteten, von Blutrache oder was auch immer. (Ja ich weiß, dass meine Beispiele möglicher Rechtfertigungsgründe für diese schriftlose Zeit natürlich nicht belegt sind, sondern ich da aus späteren Jahrtausenden rückprojiziere, aber sie sollen nur beispielhaft demonstrieren, dass nicht jedes absichtliche Erschießen eines Menschen zwingend eine zu vertuschende Straftat sein muss.)
Du hast da mit allem Recht, wir kennen die damaligen Rechtsauffassungen nicht. Aber wir sollten doch berücksichtigen, dass Ötzi offensichtlich ganz gut ausgestattet war (er hatte einen Behälter mit glühender Kohle dabei, das bereitet man wahrscheinlich nicht vor, wenn man auf der Flucht ist) und ein wertvolles Bronzebeil dabei hatte, welches ihm nicht abgenommen wurde. Aufgrund des Bronzebeils nimmt man ja an, dass es sich bei ihm um eine in der sozialen Hierarchie irgendwie herausgehobene Person handelte. Es wurden auch Thesen geäußert, dass man ihm das Beil nicht genommen hatte, um eben nicht als sein Mörder identifiziert zu werden (aber ich meine vor Kurzem gelesen zu haben, dass das Beil so lag, dass es nur schwer entdeckt werden konnte, also von den Mördern womöglich gar nicht gefunden wurde).
Fehde oder Mord. Tötung eines flüchtigen Verbrechers würde ich angesichts der Ausstattung für unwahrscheinlich halten.
 
Konflikte in jener Zeit, die auch schon die Transhumanz kannte, waren oft genug Konflikte um Weiderechte. Der Tote im Eis kann sehr wohl Opfer eines gewaltsamen Konfliktes zwischen zwei Konfliktparteien und mehreren Beteiligten gewesen sein, auch wenn die Schussverletzung im Rücken weniger typisch ist (das Opfer kehrte den Rücken zu).

Der heutige, kürzere und niedriger gelegene Aufstiegsweg durch die Felsen zur Similaunhütte existierte damals noch nicht. Der Fundort des Mannes im Eis liegt also an einer damals häufig begangenen Übergangs- und Engstelle, damit in einer potentiellen Konfliktzone.

Übrigens ist der Hügel oberhalb von Reinhold Messners Schloss Juval, am orographisch rechten Eingang zum Schnalstal gelegen, ein ausgedehntes und kaum erforschtes bronze- und eisenzeitliches Siedlungsareal.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich wage noch einmal eine gewagte Analogie:
In den Isländersagas finden wir immer wieder Geächtete, die durch die Lande ziehen, sich teils in abgelegenen Gegenden verbergen, teils (vor allem im Winter) bei verbliebenen Freunden oder Verwandten/Verschwägerten Unterschlupf finden, dabei aber immer wieder ihren Standort wechseln müssen, um nicht von ihren Feinden aufgespürt zu werden. Gerade der Wechsel zwischen zwei verschiedenen Schlupfwinkeln, wenn sie übers offene Land reisen müssen, ist dabei oft sehr gefährlich. Das geht mitunter jahrelang gut, aber irgendwann werden sie dann doch noch erwischt. Diese Geächteten sind mitunter Angehörige der großbäuerlichen Oberschicht des frühmittelalterlichen Islands (die es übertrieben haben und nicht mehr mit einer Buße davonkommen) und führen entsprechende Waffen und sonstige Ausrüstung mit sich.

Natürlich kann man nicht vom frühmittelalterlichen Island auf Ötzis Zeit und Umgebung schließen. Das ist nur eine Idee, wie es vielleicht gewesen sein könnte.
 
Das erinnert mich an ein Projekt einer anderen Klasse in meiner Schule kurz nach der Auffindung Ötzis, als über seine Todesumstände noch nichts Näheres bekannt war. Die Kinder mussten anscheinend spekulieren, wie er gestorben sein könnte, und ihre Ideen auf Zettel (die dann an eine Pinnwand geheftet wurden) schreiben. Auf einem Zettel stand: "Meine Frau hat mir nicht genug zu essen eingepackt." -> Auch hier war also bereits die Frau "verdächtig".
 
Aufgrund eigener Erfahrungen in Südtirol möchte ich auch Frau Ötzi und ihre Brüder nicht von vornherein als Täter ausschließen.
:D:D:D
Das versteh ich hoffentlich nicht.

Übrigens Danke für die Hinweise auf die Operationshöhe von Geiern und Raben.
Ich hatte mir das falsch vorgestellt.

(Der Ötzi verstarb wohl im Frühjahr.
s. a. S.47 - Egg, Markus; Spindler, Konrad (2009): Kleidung und Ausrüstung der kupferzeitlichen Gletschermumie aus den Ötztaler Alpen. Mainz, Innsbruck: Verl. des Römisch-Germanischen Zentralmuseums; Inst. für Archäologien der Leopold-Franzens-Univ (Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums, Bd. 77).
 
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