WK-1: "Deutschland trug zweifellos große Schuld am Kriegsausbruch"

Es war zu erwarten, dass diese Diskussion genauso wenig bringen würde wie alle anderen zuvor – mit tausenden von Beiträgen.

Wenn du mit wenig bringen meinst, dass dein Argumentieren mit sich widersprechenden Postulaten und einzelnen versatzstücken, die nicht unbedingt im unmittelbaren Zusammenhang zu einander stehen, insgesamt nicht überzeugend ist, dann hast du recht, das war abzusehen.
Das liegt aber nicht am Thema oder den Mitdiskutanten, sondern an der Herangehensweise.


Beispiel, du übernimmst Aussagen einzelner Politiker die in Richtung Unvermeidbarkeit eines Krieges gehen, verbiegst sie inhaltlich dahingehend, dass sie aussagten, dass Krieg unbedingt angestrebt würde, was sie effektiv nicht tun und versuchst uns das als eine von langer Hand geplante Kriegsvorbereitung zu verkaufen.

Die richtige Handlungsweise wäre vor dem Raushauen des Postulats gewesen, das Ganze in die entsprechenden Zusammenhänge einzuordnen und zu sehen, wie sich geäußerte Einlassungen zu tatsächlichen Entwicklungen verhalten.
Es wäre zu prüfen gewesen:

- Wer äußerte entsprechends?
- In welchem rahmen wurde es geäußert?
- Wer waren die Adressaten?
- Hatte die äußernde Person in irgendeiner Form eine weitergehende Entscheidungsbefugnis?
- Wenn nicht, wer hätte diese gehabt?
- Wurde den Entscheidungsorganen das Postulat zum Beschluss vorgelegt?
- Wurde es von der Regierung gebilligt?
- Wurde es vom Reichstag gebilligt?
- Wurden konkrete Vorbereitungsmaßnahmen beschlossen?
- Wurde die Finanzierung beschlossen?
- Wurden entsprechende Aufträge für Rüstungsmaterial ausgegeben, wenn ja an wen und zu welchen Fristen?
- Wann war mit dem Abschluss entsprechender Maßnahmen zu rechnen?
- Passt der Zeitpunkt mit der Zuspitzung der politischen Situation im Juli 1914 zusammen?
- Gibt es andere valide Erklärungen für entsprechende Programme als Agressionsaussichten?
- Sind diese in irgendeiner Form plausibel?
- Welche Fakten sprechen möglicherweise gegen das Agressionsmodell?
- War der Zeitpunkt für eine Agression strategisch günstig? wenn ja/nein warum?
- War ein größeres Maß an Aufrüstung möglich?
- Waren die mit Rüstungen befassten Konzerne ausgelastet?
- Waren Mittel verfügbar um sie auszubauen?
- Wurden die aufgewandt?
- Waren Mittel verfügbar um Rohstoff-, Verpflegungs- und Munitionsvorräte aufzubauen?
- Wurden die eingesetzt?
- Wurde versucht vom Reichstag darüber hinaus Mittel zu bekommen?
- Wurde der Versuch unternommen zwecks Kapitalacquise am Reichstag vorbei Staatseigentum zu veräußern um Mittel zu gewinnen?
- Wurden entsprechene Schwerpunkte bei der Rüstung gesetzt, z.B. vrstärktes Anschaffen von Kraftwagen um auf einen modernen Bewegungskrieg eingestellt zu sein?
- Wurden Versuche unternommen die Wehrpflicht deutlich auszudehnen um einen größeren Pool an ausgebildeten Reservisten zur verfügung zu haben?
- Wurde versucht die Dienstzeit der Wehrpflichtigen zu verlängern um die Fiedensstärke des Heeres zu erhöhen und schneller mehr truppen zur Verfügung zu haben um dem Mob.-Zeitraum zu verkürzen und noch schneller zu sein?
- Wurden Versuche unternommen Elemente einer Kommandowirtschaft zu etablieren und den wirtschaftlichen Fokus von Zivilgütern hin auf Kriegsbedarf zu lenken?
- Wurden Unternehmen klassifiziert und kriegswichtige Facharbeiter von der Mobilisierung zurückgestellt um nicht ad hoc kriegswichtige Unternehmen durch Einberufung von Teilen ihrer Belegschaften in Personalnot zu bringen und die Produktion zu beeinträchtigen, wenn es zum Krieg kommen sollte?
- Wurde versucht darauf hinzuwirken Auslandsvermögen abzuziehen um es im Inland produktiv einsetzen zu können und vor Beschlagnahmen zu sichern?
- Wurden Versuche unternommen Auslandsinvestitionen zu bremsen?
- Wurde versucht die eigene Wirtschaft von ihren internationalen Zusammenhängen so weit als möglich zu entkoppeln, so dass Krieg sie möglichst wenig beeinflussen würde?
- Wurde eine entsprechende Propaganda aufgezogen um von staaatlicher Seite her die Bevölkerung langsam aber sicher auf Krieg einzuschwören und den Reichstag in Sachen Bewilligung von Mitteln und Krediten für die Rüstung williger zu stimmen?

etc. etc.

Alles Aspekte die durchaus ihre Bedeutung hätten, auf die du aber mit keiner Silbe eingegangen bist.

Du argumenntierst einfach nur:

Der Kaiser/Kriegsrat/der Generalstabschef, whatever hat im Jahre x vom Krieg schwadroniert, y Jahre später ist der Krieg da -------------------------------------> also muss er von langer Hand geplant worden sein.

Ich weiß nicht, was du da erwartest.
Überzeugend ist die Argumentation nicht.
Und es gibt keinen grund pampig zu werden, wenn man dir mitteilt, dass es so einfach dann eben nicht ist, und dass das Widerholen der entsprechenden Postulate sie nicht plausibler macht.

Du, @Turgot, und @Shinigami werdet auch hier weiter debattieren, ohne sich je vom einmal eingenommen Standpunkt weg zu bewegen

Ja, natürlich haben wir unsere Standpunkte. Die sind über längere Zeit aus beschäftigung mit dem Thema und einer größeren Menge an Material zustande gekommen und entsprechend durch herumreiten auf nicht näher eingeordneten Teilaspekten der Situation nicht so einfach umzuwerfen.

Im übrigen, wenn dir das noch nicht aufgefallen sollte, die Standpunkte, die @Turgot und ich hier vertreten, liegen zuweilen ziemlich weit auseinander.
Einigermaßen einig sind wir uns im Wesentlichen über 3 Punkte:

- Deutschland kommt um eine Teilverantwortung nicht herum.
- Fischers Postulat von der "Hauptschuld" relativiert sich stark vor dem Hintergrund der gesamteuropäischen Perspektive und ist jedenfalls auf Basis der Gründe, die Fischer geliefert hatte so nicht zu halten (darüber ob andere Gründe für eine "Hauptverantwortung" sprechen könnten, wäre demgegenüber zu diskutieren).
- Die Vorstellung eines von langer Hand vorbereiteten absichtsvoll herbeigeführten Weltkrieges (nicht eines Krieges an sich, den Krieg gegen Serbien wollten Berlin und Wien durchaus, aber den europäischen Flächenbrand nicht), zu dem man sich in der deutschen Politik Jahre vorher verschworen hätte, taugt vor der Hintergrund mangelnder Vorbereitungen nicht.

Ansonsten liegen wir oft meilenweit auseinander, was z.B. die Spielräume Deutschlands, die Rolle Poincarés, die Beurteilung der strategischen Implikationen der britischen und auch der italienischen Politik angeht etc. etc. so das wirklich nicht die Rede davon sein kann, du hättest es hier mit einer monolitischen Gegenmeinung zu tun, die ohnehin vorher insgesamt und gegen dich festgelegt wäre.
 
Aber die Frage lautete ja auch, durch wen wurde Großbritannien bedroht?

Direkt war es das nicht.
Aber die britische Warnung, dass London es im Kriegsfall nicht dulden würde, wenn eine deutsche Flotte in den Kanal einläuft, stand ja im Raum.
Ich denke dass man mit der Mobilisierung durchaus auch die Absicht verfolgte dieser Warnung näheren Ausdruck zu verleihen, ohne sich damit aber auf Krig festgelegt zu haben, so lange es auf dem Kontinent noch nicht losgegangen war.
 
Danke, nein wußte ich nicht. Interessante Info.
Hierzu ergänzend, bei den neueren Schiffen die teilweise schon über Heizöl betrieben wurden, war es möglich den Antrieb relativ schnell auf voller Leistung auszufahren, bei den älteren Teilen der Flotte, die vor allem noch auf Kohle liefen, dauerte das aber seine Zeit, was es jedenfalls sinnvoll machte die Schiffe vorsorglich in Betrieb zu nehmen, wenn man jeden Tag mit dem möglichen Ausbruch von Kampfhandlungen rechnete.

Angesichts des österreichischen Ultimatums und des Beginn der Kampfhandlungen auf dem Kontinent war damit zu rechnen, dass es in Westeuropa jederzeit losgehen konnte.
 
Aber die britische Warnung, dass London es im Kriegsfall nicht dulden würde, wenn eine deutsche Flotte in den Kanal einläuft, stand ja im Raum.

Was im Endeffekt darauf hinausläuft, u.a. Frankreich Küste vor deutschen Kriegsschiffen schützen zu wollen und damit beizustehen. So wie es zwischen Frankreich und Großbritannien auch vereinbart gewesen war.

Shinigami schrieb:
Hierzu ergänzend, bei den neueren Schiffen die teilweise schon über Heizöl betrieben wurden, war es möglich den Antrieb relativ schnell auf voller Leistung auszufahren, bei den älteren Teilen der Flotte, die vor allem noch auf Kohle liefen, dauerte das aber seine Zeit, was es jedenfalls sinnvoll machte die Schiffe vorsorglich in Betrieb zu nehmen, wenn man jeden Tag mit dem möglichen Ausbruch von Kampfhandlungen rechnete.

Dankeschön für die interessante Info.

Shinigami schrieb:
Angesichts des österreichischen Ultimatums und des Beginn der Kampfhandlungen auf dem Kontinent war damit zu rechnen, dass es in Westeuropa jederzeit losgehen konnte.

Ja und genau deshalb sollte die britische Flotte einsatzklar sein; obwohl England eben von niemanden direkt bedroht wurde.
 
Zuletzt bearbeitet:
Noch ein paar Wort zum britischen Kriegseintritt.

Am 31.Juli 1914 wussten die britischen Minister immer noch nichts von der Verpflichtungen gegenüber Frankreich. Ich spiele auf dem Briefwechsel mit Cambon an. Man war gerade mit der belgischen Frage beschäftigt. Das Kabinett war übereingekommen, das die Klauseln des Neutralitätsvertrages von 1839, wie Regierungschef Asquith an König Georg V. schrieb, einer einzelnen vertragsschließenden Partei nicht ohne weiteres das Recht einräumen, den Bruch der Neutralität zu ahnden, wenn die anderen Signatarstaaten dies verweigern.(1)

Deshalb hatte man beschlossen, dass die Angelegenheit, sollte sie akut werden, eine politische und keine rechtliche Verpflichtung sei. Übersetzt hieß das, das die britische Regierung die völkerrechtliche Grundlage für einen Kriegseintritt nicht anerkannte.

Die Mehrheit des Kabinetts war selbst noch am 01.August 1914, der Krieg war schon eine Tatsache, immer noch gegen eine aktive Beteiligung Englands am Kriege. Auch in der liberalen Fraktion im Unterhaus herrschte eine Antikriegsstimmung.

Die Presse war überwiegend auf der Seite Österreich-Ungarns. Wie war es also möglich geworden, dass die Stimmung kippte?

Grey war von dieser Stimmung nicht begeistert und wie er gestand, brachte diese ihm jede Nacht um den Schlaf. Er wollte und musste, das war seine Überzeugung, Regierung und Parlament davon überzeugen, das die Zusagen an Frankreich eingehalten würden, von denen bloß so gut wie gar keiner wußte. „Es war mir klar, das von Kabinett keine Autorisierung zu bekommen war, die von Frankreich immer dringender gewünschte Verpflichtung abzugeben, und das es fatal wäre, das Kabinett zu dieser Verpflichtung zu drängen: das würde zum Rücktritt der einen oder anderen Gruppe und damit zum Auseinanderbrechen des Kabinetts führen.“ (2)

Allerdings hielt Grey dies nun nicht ab, selbst mit seinem Rücktritt zu drohen, sollte man sich gegen eine britische Intervention auf Seiten Frankreichs und Russlands entscheiden. Schließlich sei Deutschland ein „Aggressor im Stile Napoleons.“ (3)

Jedes Abseitsstehen Englands, bedeute die Vorherrschaft Deutschlands, die Unterwerfung Frankreichs und Russlands und die Isolations Großbritanniens. (4)

Auch Eyre Crowe sah sich bemüßigt zugunsten eines militärischen Eingreifens zu argumentieren. „Es besteht keine vertragliche Verpflichtung. Die Entente abgeschlossen, gekräftigt und einer Weise erprobt und gefeiert, die den Glauben rechtfertigt, das ein moralischer Bund geschmiedet worden ist. Die ganze Politik der Entente kann keinen Sinn haben, wenn sie nicht bedeutet, das England in einem gerechten Streitfall seinen Freunden beistehen werde. Ohne unseren guten Namen zu gefährden, können wir das nicht von uns weisen. (5)

Was fällt auf? Belgien wurde gar nicht erwähnt.

Am 02.August 1914 fand dann das Gespräch zwischen den König Georg V. und Sir Edward Grey statt. Es war Georg V. der Grey eine wichtige Grundlage für einen Interventionsgrund lieferte, indem er Grey ein Schreiben Poincares und des belgischen Königs Albert I. zuleitete, die England wegen Belgien zum Kriegseintritt aufforderten.

Damit hatte Grey schon mal ein nützliches Instrument in der Hand. Er versicherte eigenmächtig, ohne Autorisierung des Kabinetts, den französischen Botschafter Paul Cambon, das er alles in seine Macht stehende tun werde, um die französische Küste oder französische Schiffe gegen feindliche Operationen zu schützen.(6)

Mit dem Hilfeeruchen Poincares und König Albert I. in der Tasche wollte Grey nun die Kriegsunwilligen im Kabinett auf Kurs bringen. Zwischenzeitlich war auch das deutsche Ultimatum an Belgien raus. Grey besprach sich mit einem Kollegen und Freund Richard Haldane. Haldane drehte gleich richtig auf und meinte, das Deutschland nach der Weltherrschaft greife. Wenn wir uns jetzt heraushielten, würde wir später an die Reihe kommen und in größte Gefahr geraten. (7)

Nun ab zu Asquith, der mal wieder mit einer Dame beschäftigt war, was Haldane elegant mit in Gesellschaft umschrieb.

Jedenfalls haben dann Asquith, Grey, Haldane und Crowe eine kurze Mitteilung an Cambon zu Papier gebracht, das England zur sofortigen Mobilmachung schreiten werden und das Expeditionskorps in Marsch gesetzt werden wird, den es gehe, um eine Sache auf Leben und Tod (8) Ein Kabinettsbeschluss lag allerdings noch nicht vor, der kam erst später, und mit dem Parlament war auch noch nicht gesprochen worden.


(1) Spender, Cyril Asquith:Life of Herbert Henry Asquith, Band 2, S.81

(2) Grey, 25 Years, Band 1, S.324

(3) Rose, Peace Party, S.106

(4) Grey, 25 Years, Band 1, S. 326

(5) Geiss, Julikrise und Kriegsausbruch, Band 2, S.515

(6) Die Britischen Amtlichen Dokumente, Band 11, 2.Teilband, Dokument 487

(7) Burdon: Haldane An Autobiograhy, S.274

(8) Burdon: Haldane An Autobiograhy
 
Die Vermittlung von Wilhelm II. am Ende der Julikrise ist bekanntermaßen gescheitert. Am 29.07. erhielt General Fürst Trubetzkoi das entsprechende Telegramm Wilhelm II. zur Weiterleitung an dem Zaren. Ein Tag später berichtete General Fürst Trubetzkoi den deutschen Militärbevollmächtigten General von Chelius, dass das Telegramm Eindruck auf Zar Nikolaus II. gemacht habe, aber es zu spät sei, da ja bereits gegen Österreich-Ungarn mobilisiert würde. Außenminister Sasonow habe den Zaren davon überzeugen können, dass ein Zurückweichen nicht mehr möglich sei.
 
Falls es noch jemanden interessieren sollte; es ist ja hier wie auf Knopfdruck so ruhig geworden, ein paar weitere kleine Infos.

Die Russen, konkret Sasonow gegenüber den deutschen Botschafter Pourtales, haben beispielsweise auch am Ende der Julikrise behauptet, das die Hochseeflotte vor Danzig ankere, was Blödsinn war, und die russische Marine natürlich Gegenmaßnahmen ergreifen müsse.
Was die Dinge ein wenig auf dem Kopf stelle, war die Behauptung, die Österreicher mobilisieren gegen Russland und deshalb müsse Russland ebenfalls aktiv werden. Auch das war dummes Zeug.
Wieder ein anderes Mal wurde behauptet, man müsse den serbischen Brüdern beistehen, ansonsten wäre das Leben des Zaren in Gefahr.
Zar Nikolaus II. hatte in seinem Antworttelegramm vom 30.Juli an Wilhelm II. eingeräumt, das die Mobilisierungsmaßnahmen gegenüber Österreich-Ungarn schon vor fünf Tagen, also am 25.07.beschlossen worden waren.
 
Das Kabinett war übereingekommen, das die Klauseln des Neutralitätsvertrages von 1839, wie Regierungschef Asquith an König Georg V. schrieb, einer einzelnen vertragsschließenden Partei nicht ohne weiteres das Recht einräumen, den Bruch der Neutralität zu ahnden, wenn die anderen Signatarstaaten dies verweigern.(1)

Die Frage ist, warum man sich für diese Lesart entschied und da wäre meine These spontan, dass man das nicht tat, weil der Vertrag keine Lesart hergab die es nicht erlaubt hätte ihn als rechtlich bindend zu betrachten.

Der Londoner Vertrag von 1839 hatte in Atrikel VII. die permanente Neutralität Belgiens festgelegt und sowohl der Deutsche Bund und seine Mitgliedsstaaten, als auch Frankreich, Russland, Großbritannien und die Niederlande hatten den Vertrag letztendlich unterzeichnet und waren damit in die Rolle von Garantiemächten des Inhalts getreten.

Das beudeutet, das eine Lesart, dass eine Ahndung der belgischen Neutralität bei Ablehnung der Ahndung durch andere Signatarstaaten eine extrem kuriose Lesart ist, weil sie den Vertrag und die belgische Neutralität somit vollkommen entwerten würden, weil alle an Belgien grenzenden Staaten, gleichzeitig auch Signatarstaaten des Vertrags waren.
Heißt wenn die Ablehnung eines Signatarstaats die Ahndung eines Bruchs der Neutralität ausgeschlossen hätte, hätten sowohl Frankreich als auch Deutschland (In Rechtsnachfolge der über den inzwischen aufgelösten deutschen Bund beteiligten Staaten) die Ahndung eigener Agressionen gegen Belgien als Signatarstaaten des Vertrags qua Veto verhindern können.
Das konnte seinerzeit 1839 unmöglich so gemeint sein.


Meine Interpretation dahingehend, warum man das in London nicht als eine juristische sondern eine politische Verpflichtung betrachten wollte, geht dementsprechend dahin, dass London damit vor allem seine eigenen Spielräume erhöhen und auf jeden Fall vermeiden wollte, darüber in einen Krieg mit Frankreich zu schlittern.

Man hatte die Franzosen zwar gewarnt, dass sie tunlichst nicht als Erste belgisches Gebiet verletzen sollten, aber man hatte letztendlich keine Garantie dafür, dass sich Paris nicht möglicherweise auf dem letzten Meter doch dazu entschied Joffre die Erlaubnis zu geben, weil es aus Sicht der Verteidigung Frankreichs einfach Sinn gemacht hätte, den deutschen Vormarsch wenn möglich schon in Ostbelgien durch Gegenangriff zu stoppen, so lange noch alles im logistischen Nadelöhr bei Lüttich steckte.

Hätte man in London entschieden, das als rechtlich bindende Verpflichtung zu betrachten, hätte man in der Pflicht gestanden Frankreich den Krieg zu erklären, wenn Paris sich doch dazu hinreißen lassen oder Joffre eigenmächtig handeln würde.
Sofern man sich entschied das als rechtlich nicht bindende politische Absichtserklärung zu betrachten, hätte man eine Rückfalloption für den Fall gehabt, dass die Franzosen die Nerven verlieren und Dummheiten begehen würden.

So würde ich das betrachten.

Man hätte den Vertrag von 1839 sicherlich durchaus als rechtlich bindende Garantierklärung betrachten können, wenn man das gewollt hätte.


Die Mehrheit des Kabinetts war selbst noch am 01.August 1914, der Krieg war schon eine Tatsache, immer noch gegen eine aktive Beteiligung Englands am Kriege. Auch in der liberalen Fraktion im Unterhaus herrschte eine Antikriegsstimmung.

Ja schon, aber am 1. August war ja auch noch nicht abzusehen, dass es in Westeuropa tatsächlich losgehen würde, bzw. dass Deutschland sich hier agressiv zeigen würde.

Was war deutscherseits bisher passiert?

Berlin hatte am 31. Juli 1914 Russland aufgefordert die Mobilmachung zu stoppen und rückabzuwickeln und Frankreich sich für neutral zu erklären.

Das war Stand der Dinge bis zum Nachmittag des 1. August 1914.
Die Anordnung der deutschen Mobilmachung findet am 1. August allerdings erst um 17:00 Uhr statt, wenig später folgt die Kriegserklärung an Russland, aber zunächst eben nur an Russland.

Vom Krieg im Westen ist am Abend des 1. August 1914 noch nicht die Rede.

In Anbetracht des Umstands dass erst ab 17:00 Uhr in Deutschland die Mobilmachung begann konnte man sicherlich auch am Nachmittag/Abend in London auch noch nicht wissen, mit welchem Schwerpunkt.
Die Noten an die luxemburgische und die belgische Regierung mit dem Ansinnen das Gebiet der beiden Länder passieren zu wollen, waren ebenfalls noch drausen, die kamen erst am 2. August.

Über den 2. und 3. August wird dann der deutsche Mobilmachungsschwerpunkt im Westen sichtbar, die Noten vom 2. August legen die deutsche Absicht des West-Schwerpunktes offen und die belgische Ablehnung am 3. August macht klar, dass es zum Krieg zwischen Deutschland und Belgien kommen würde, weil die Dinge zu weit gegangen waren und Deutschland schon zu weit in der Klemme steckte, als dass es die belgische Neutralität jetzt noch respektieren konnte, es sei denn Paris zog die Reißleine und erklärte seine Neutralität.


Du machst in der Bewertung der Ereignisse meiner Meinung nach einen kleinen aber entscheidenden Fehler:

Du setzt vorraus, dass den Briten von Anfang an bekannt war, dass der Schlieffenplan für Deutschland mittlerweile alternativlos war.

Wenn man das tut, ist der Stimmungsumschwung nach dem 1. August in Großbritannien natürlich nur schwer erklärbar.

Wenn man demgegenüber voraussetzt, dass die Londoner Regierung (nicht unbedingt das ganze parlament, gschweige denn die gesammte britische Öffentlichkeit) zwar gesicherte Kenntnis vom Schlieffenplan in Groben Zügen hatte, aber nicht wusste, dass das das einzige Szenario war, gestaltet sich die Sache etwas anders:

Bis zum 2. August hatte Deutschland nichts unternommen, dass klar auf eine Absicht hinwies im Westen anzugreifen.

Berlin hatte am 1. August um 17:00 Uhr Mobilmachung angeordnet, aber die war am Abend des 1. August noch nicht so weit fortgeschritten, dass für das Ausland der West-Fokus klar erkennbar gewesen wäre.
natürlich begannen Züge nach Westen zu rollen, aber das konnten angesichts der französischen Mobilmachung auch erstmal nur Bedeckungstruppen für die Westgrenze sein, dass das die Hauptarmee war, dürfte erst am 2. August unmissverständlich klar geworden sein (und zwar durch die Noten an Luxemburg und Brüssel).

Ansonsten hatte Berlin stand Abend des 1. August 1914 zwar Russland den Krieg erklärt, im Westen aber nichts unternommen (es hatte am Vortag Paris zur Neutralität angehalten) und es hatte noch keine Anstalten gemacht, auf Luxemburg und Brüssel einzuwirken.

Meine These, woran der Stimmungsumschwung in GB zwischen dem 1. August und dem 3. August 1914 lag wäre:

Erst am 2. August wird für London unmissverständlich klar, dass sich da ein Westszenario anbahnte, während alle Maßnahmen, die Deutschland am 1. August für das Ausland erkennbar getroffen hatte, durchaus noch auf einen Ost-Aufmarsch und defensives Verhalten im Westen hinauslaufen konnten.

Und ich denke dass da weniger machiavellistische Spielchen einer intriganten Clique im foreign office den Stimmungsumschwung verursacht haben, als viel mehr die Erkenntnis, das Deutschland tatsächlich im Westen loslegen würde, was in London am Vortag überhaupt noch nicht klar war, denn dazu hätte man wissen müssen, dass Deutschland zum Schlieffenplan kein alternatives Ostszenario mehr vorhielt oder die Mobilisierung hätte so weit fortgeschritten sein müssen, dass Schwerpunktsetzung klar erkennbar gewesen wäre (war sie aber am Nachmittag/Abend des 1. August noch nicht), oder aber es hätten andere deutliche Zeichen (Noten an Belgien und Luxemburg) vorliegen müssen, taten sie am 1. August aber auch noch nicht.

So lange es für London und GB so aussehen würde, als handelte Deutschland ausschließlich gegen Osten offensiv und würde sich im Westen ggf. auf die Verteidigung der eigenen Grenze beschränken, gab es im GB erstmal wenig Grund für Kriegsstimmung.
In dem Moment in dem man merkte, dass es sich anders verhielt, änderte sich das.
 
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Man hätte den Vertrag von 1839 sicherlich durchaus als rechtlich bindende Garantierklärung betrachten können, wenn man das gewollt hätte.

Das ist die entscheidende Aussage.

Berlin hatte am 31. Juli 1914 Russland aufgefordert die Mobilmachung zu stoppen und rückabzuwickeln und Frankreich sich für neutral zu erklären.

Das war Stand der Dinge bis zum Nachmittag des 1. August 1914.
Die Anordnung der deutschen Mobilmachung findet am 1. August allerdings erst um 17:00 Uhr statt, wenig später folgt die Kriegserklärung an Russland, aber zunächst eben nur an Russland.

Vom Krieg im Westen ist am Abend des 1. August 1914 noch nicht die Rede.

Schauen wir auf dem 31.Juli und dem 01.August.

Der deutsche Staatssekretär Jagow erklärt am 31.07. dem britischen Botschafter Goschen, dass Deutschland auf den neuerlichen englischen Vermittlungsvorschlag nicht vor russischer Antwort auf das Ultimatum antworten kann und Rücksprache mit Wilhelm II. und den Reichskanzler genommen werden muss.General Fürst Trubetzkoi hatte aber schon am 30.07.dem deutschen Militärbevollmächtigten, siehe oben, signalisiert, dass es zu spät sei und Sasonow den Zaren erfolgreich beeinflusst hatte, ja nicht zurückzuweichen.

Auch am 31.07. lehnte Goschen gegenüber Bethmann ein britisches Neutralitätsversprechen ab.

Sasonow bemüht sich Rumänien mit in den sich abzeichnenden Krieg hineinzuziehen und dieses als Verbündeten zu gewinnen.

Grey erhält Kenntnis, das die Niederlande die Mobilmachung vorbereiten.

Der französische Staatspräsident Poincare bittet gemeinsam mit den belgischen König Albert I. den britischen König Georg V. um Unterstützung in Form einer unmissverständlichen Erklärung über die britische Haltung. Folge dieser Bitte war das Gespräch Georg V. mit Sir Edward Grey, in dem dieser aufgefordert wurde nach einem Kriegsgrund zu suchen.

Kriegsminister Messimy läßt gegenüber Iswolsky keinen Zweifel an der Kriegsentschlossenheit Frankeichs.

Der politische Direktor des französischen Außenministerium Magerie teilt dem englischen Botschafter Bertie mit, das Frankreich die belgische Neutralität achten werde.

Morgens am 31.August bestätigt der französische Ministerrat die Bündnisverpflichtungen. Es wird die Mobilmachung beschlossen.

Nachmittags am 01.August 1914 wird in Frankreich die Generalmobilmachung verkündet. Nicolson und Grey sichern den französischen Botschafter Cambon den Schutz der französischen Küste durch die englische Flotte zu.

Ebenfalls am 01.August kommt ein Telegramm in Berliner Stadtschloss des Inhalts an, wenn Deutschland Frankreich nicht angreife, bleibt England neutral. Konkret habe Lichnowsky eine Nachricht von Sir William Tyrell erhalten, das Sir Edward Grey am Nachmittel einen Vorschlag unterbreiten werde, in dem England neutral bleiben könnte.

Wilhelm II. schickte an den britischen König Georg V. ein Telegramm, „das Frankreich nicht nervös werden möge. Die Truppen an meiner Grenze werden soeben telegraphisch und telefonisch abgehalten, die französische Grenze zu übertreten.“

Und das ist der Beleg, dass die Engländer am 01.August genau wussten, was die Stunde geschlagen hatte.


Ich rufe hier an dieser Stelle auch noch einmal Eyre Crowe seine Auslassung ins Gedächtnis: „Die ganze Politik der Entente kann keinen Sinn haben, wenn sie nicht bedeutet , das England in einem gerechten Streitfall seinen Freunden beistehen werde.“
 
Wilhelm II. schickte an den britischen König Georg V. ein Telegramm, „das Frankreich nicht nervös werden möge. Die Truppen an meiner Grenze werden soeben telegraphisch und telefonisch abgehalten, die französische Grenze zu übertreten.“

Und das ist der Beleg, dass die Engländer am 01.August genau wussten, was die Stunde geschlagen hatte.

Nein, eigentlich nicht, wenn du mich fragst.

Den Briten war klar, dass in einem Westszenario der deutsche Hauptstoß über Luxemburg und Belgien und nicht über Frankreich erfolgen würde.
Und die Themen Luxemburg und Belgien lagen vor den deutschen Noten vom 2. August von deutscher Seite her noch nicht offen auf dem Tisch.

Truppen, die Order hatten die französische Grenze zu überschreiten und die jetzt telefonisch abgehalten würden konnten in einem Westszenario nicht die Hauptarmee sein, das wussste London.

Ebenso, wie dass Deutschland Teile des Friedensheeres immer zur Bedeckung gegen Frankreich an der Westgrenze hatte, also war daraus auch nicht unmittelbar der Aufmarsch eines West-Schwerpunktes erkennbar.

Das deutsche Truppen in eime Zwei-Fronten-Krieg, auch in einem Ost-Szenario Order bekommen würden ins französische Grenzgebiet vorzustoßen, um etwas das Vorfeld zu sichern, gegbenenfalls Handstreiche gegen einige frannzösische Grenzfestungen zu versuchen, war absehbar.
In Großbritannnien, wusste man sehr wohl um die Relevanz der lothringischen Erzgruben für Deutschland, außerdem durfte man durchaus davon ausgehen, dass sich Deutschland um den Schutz der eigenen Gebiete so weit bemühen würde, jedenfalls dafür zu sorgen, dass die Städte im Elasss und in Lothringenn möglichst nicht in Reichweite der französischen Artillerie liegen, um Schaden für die Zivilbevölkerung zu vermeiden.

Gerade Straßburg hatte es ja schon 1870/1871 mit der Beschießung der Stadt durch die deutschn Truppn mächtig abbekommen und ich denke, dass man es auf britischer Seite den deutschen Kaum verübelt hätte so weit im Grenzgebiet nach Frankreich vorzustoßen, um Sorge zu tragen, dass sich das nicht wiederholen würde.

Das vorrausgesetzt, musste das Telegramm durchaus keinen deutschen Westschwerpunkt verraten.

Davon ab, wie du schreibst, es ging an King George V. nicht an die Regierung und das dürfte bereits am Abend/späten Abend gewesen sein.

Ist denn sicher:

1. dass das Telegramm überhaupt noch rechtzeitig raus ging? (auf Grund der Situation überlastete Telegraphenämter und Dienstschluss auf den Stationen am Abend)
2. dass das Telegramm den Beratungen der Regierung und des Parlaments überhaupt noch am glichen Tag zuging?
Denn selbst wenn der König es am Abend noch rechtzeitig erhielt, wäre ja durchaus denkbar, dass das erstmal einige Zeit im Palast liegen blieb, bevor es Asquith und das Kabinett erreichte.



Edit:

Wir hatten ja vor einigen Tagen das deutsche Vorgehen im Osten schon angesprochen.
Am 2. August dürften in London auch Mldungen eigegangen sein, dass deutsche Truppen die russische Grenze übersschritten und Kalisz und Tschenstochau besetzten.

Auch das dürfte für Unsicherheit gesorgt haben, weil das für den Moment so aussehen konnte, als würde Deutschland tatsächlich in größerem Stil im Osten aktiv.
 
Den Briten war klar, dass in einem Westszenario der deutsche Hauptstoß über Luxemburg und Belgien und nicht über Frankreich erfolgen würde.

Es ging gemäß Tyrell ursprünglich darum, das Deutschland Frankreich nicht angreifen solle. Und unter diesem Umstand könne England neutral bleiben. Also wurde in London doch der Hauptstoß im Westen erwartet, den sonst würde die Aktion ja so gar keinen Sinn ergeben.

Das Telegramm Wilhelm II. signalisiert König Georg V. doch unmissverständlich, das deutsche Truppen schon im Marsch gesetzt waren, und wohin die letzten Endes wollten, das wußte jeder, und jetzt händeringend irgendwie aufgehalten werden. ich bin mir doch sehr sicher, das die Briten diese Botschaft einzuordnen wussten. Das der Hauptstoß noch nicht im Gange war, hat nicht unbedingt viel zu bedeuten.

Auch ist es spannend, das alles "ein Missverständnis" gewesen sein sollte. Lichnowsky wird die Ausführung Tyrells ja wohl nicht einfach mal so erfunden haben.

Also ich teile deine Meinung nicht, dass das Telegramm Wilhelm kein Beleg für die deutschen Absichten im Westen das Kriegstheater zu eröffnen sein soll.

Shinigami schrieb:
Ist denn sicher:

1. dass das Telegramm überhaupt noch rechtzeitig raus ging? (auf Grund der Situation überlastete Telegraphenämter und Dienstschluss auf den Stationen am Abend)
2. dass das Telegramm den Beratungen der Regierung und des Parlaments überhaupt noch am glichen Tag zuging?
Denn selbst wenn der König es am Abend noch rechtzeitig erhielt, wäre ja durchaus denkbar, dass das erstmal einige Zeit im Palast liegen blieb, bevor es Asquith und das Kabinett erreichte.

Das der König so eine überragend wichtige Nachricht liegen läßt, das halte ich nun für wenig wahrscheinlich. Immerhin hat Georg V. ja noch am gleichen Tage an Wilhelm II. geantwortet. Spricht also nicht dafür, dass das Telegramm im Palast liegen geblieben war.

Zu Punkt 1 und 2: Da König Georg V. am gleiche Tage antwortete, ist das von auszugehen, dass das Telegramm zügig abgesendet worden war.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein paar Zeilen zu dem britischen Botschafter Buchanan in Petersburg.

Mit dem 30.Juli beginnt nach den vollständigen Einschwenken Buchanans in die russische Linie seine Aktivität im Sinne der russischen Politik.

Als Sasonow den britischen Botschafter die Teilmobilmachung mitteilte, mach Buchanan keinen Versuch diesen umzustimmen. Der belgische Botschafter Baron Beyens in Petersburg berichtete an seinem Minister hierzu, „[…] England gab anfänglich zu verstehen, dass es sich nicht in einen Konflikt hineinziehen lassen wolle. Sir George Buchanan sprach das offen aus. Heute aber ist man in Petersburg fest überzeugt, ja man hat sogar die Zusicherung, das England Frankreich beistehen wird. Dieser Beistand fällt außerordentlich ins Gewicht und hat nicht wenig dazu beigetragen, der Kriegspartei Oberwasser zu verschaffen.“ (1)

Buchanan musste eigentlich die von Sasonow gelieferte Begründungen für die Mobilmachung als Entstellung erkennen, aber mindestens dürfte er doch gewusst haben, das für Punkt 2 und 3 (die Behauptung Österreich setze Truppen sowohl gegen Serbien als auch gegen Russland in Bewegung, und Russland habe Grund zu der Annahme, dass Deutschland aktive militärische Vorbereitungen treffe) ganz unzureichende Quellen vorhanden waren, denen viel schwerwiegendere offizielle entgegenstanden. Mindestens musste Buchanan aber klar sein, dass die Mobilmachung zu einem Zeitpunkt beschlossen worden war, als die Falschmeldungen über deutsche Rüstungen und die österreichische Mobilmachung noch gar nicht vorlagen. (2)

Mit letzter Sicherheit lässt sich nicht sagen, inwieweit Buchanan die tatsächliche Reihenfolge der Mobilmachungen erkannte – aber aufgrund der Meldungen des englischen Militärattachés sollte dies wohl möglich gewesen sind (der deutsche Kollege war hierzu ja auch in der Lage – und wieweit Buchanan die Unwahrheiten Sasonows verwertete, um die englische Teilnahme am Krieg sicherzustellen.

Auch läßt sich nicht feststellen, ob Buchanan eventuell mitverantwortlich dafür ist, für die Verzögerung dieser wichtigen Information, sie erfolgte am 31.07.um 15:10 Uhr, der vom Militärattaché gemeldeten Mitteilung der Mobilmachung läßt sich nicht feststellen. (3)



(1) Die Belgischen Dokumente zur Vorgeschichte des Weltkrieges, 1.Ergänzungsband, S.330

(2) Russisches Orangebuch Nr.47, das die allgemeine österreichische Mobilmachung für den 28.07. meldet, ist schlicht unzutreffend

(3) Die Amtlichen Britischen Dokumente Band 11, 2.Teilband, Dokument 410
 
Es ging gemäß Tyrell ursprünglich darum, das Deutschland Frankreich nicht angreifen solle. Und unter diesem Umstand könne England neutral bleiben. Also wurde in London doch der Hauptstoß im Westen erwartet, den sonst würde die Aktion ja so gar keinen Sinn ergeben.

Die Aktion ergab Sinn, wenn man in London einen Angriff im Westen über Belgien für möglich hielt, was man natürlich tat, weil man vom Schlieffenplan und dem Ausbau der strategischen Bahnen wusste.

Warum musste man in London um derlei zu erörtern unbedingt davon ausgehen, dass Deutschland in jedem Fall im Westen in größerem Stil offensiv werden würde?
Meiner Meinung nach musste man das nicht, es reichte völlig hin das für möglich zu halten, ohne es aber sicher zu wissen.

Das der König so eine überragend wichtige Nachricht liegen läßt, das halte ich nun für wenig wahrscheinlich. Immerhin hat Georg V. ja noch am gleichen Tage an Wilhelm II. geantwortet. Spricht also nicht dafür, dass das Telegramm im Palast liegen geblieben war.

Naja, KWII. wollte ja bekanntlich auch Wien wegen der serbischen Antwort auf das Ultimatum zurückhalten und den Krieg absagen.
Bekanntlich erreichte diese Nachricht - sicherlich eine in dieser Situation eminent wichtige - Wien nicht rechtzeitig.

Ohne jemandem bösartiges Kalkül vorwerfen zu wollen:

Ist es so undenkbar dass möglicherweise irgendwelche Pannen passiert sind (Verwechslungen, Unklarheit/Fehlinformation über den Aufenthaltsort von Kabinettsmitgliedern, W-Lan-Verbindungen hatten sie noch nicht), die die Information der maßgeblichen Personen um einige Stunden verzögert haben könnten?
 
Das britische Kabinett hatte sich ja nicht einfach mal eben so mit der Frage der Belgischen Neutralität und des Vertrages von 1839 und seiner Konsequenzen beschäftigt.

Warum musste man in London um derlei zu erörtern unbedingt davon ausgehen, dass Deutschland in jedem Fall im Westen in größerem Stil offensiv werden würde?

Die Ankündigung Tyrells gegenüber Lichnowsky und zum anderen das Telegramm Wilhelm II. an Georg V. und dessen Antwort vom gleichen Tagen sprechen meiner Meinung nach doch deutlich dafür, das die Briten von einem Hauptstoss im Westen ausgingen bzw. dass das Telegramm zügig zugestellt worden waren.

Naja, KWII. wollte ja bekanntlich auch Wien wegen der serbischen Antwort auf das Ultimatum zurückhalten und den Krieg absagen.
Bekanntlich erreichte diese Nachricht - sicherlich eine in dieser Situation eminent wichtige - Wien nicht rechtzeitig.

Das lag nachweislich auch daran, dass das Auswärtige Amt sich nicht eben beeilt hatte, den Befehl Wilhelm II. umzusetzen.

st es so undenkbar dass möglicherweise irgendwelche Pannen passiert sind (Verwechslungen, Unklarheit/Fehlinformation über den Aufenthaltsort von Kabinettsmitgliedern, W-Lan-Verbindungen hatten sie noch nicht), die die Information der maßgeblichen Personen um einige Stunden verzögert haben könnten?

Undenkbar? Nein, aber im vorliegenden Fall doch recht unwahrscheinlich.
 
Das britische Kabinett hatte sich ja nicht einfach mal eben so mit der Frage der Belgischen Neutralität und des Vertrages von 1839 und seiner Konsequenzen beschäftigt.

Nein, dass sicherlich, nicht, aber meiner Meinung nach setzt du nach wie vor zu viel vorraus, was das betrifft.
In London kannte man den Schlieffenplan in Grundzügen, also gab es Anlass sich mit der Frage der belgischen Neutralität zu beschäftigen, für den Fall dass Deutschland zu dieser Option greifen würde.
Der Umstand, dass das im Kabinett thematisiert wurde ist in meinen Augen kein Nachweis dafür, dass das von vorn herein als gegeben vorrausgesetzt wurde, die Regirung hatte sich aus strategischen Gründen mit allen denkbares Szenarien zu befassen um nicht von der Realität überrumpelt zu werden, unabhängig davon, ob man sie als gegeben annahm.

Die Ankündigung Tyrells gegenüber Lichnowsky und zum anderen das Telegramm Wilhelm II. an Georg V. und dessen Antwort vom gleichen Tagen sprechen meiner Meinung nach doch deutlich dafür, das die Briten von einem Hauptstoss im Westen ausgingen bzw. dass das Telegramm zügig zugestellt worden waren.
Meiner Meinung nach macht das nur deutlich, dass die Briten von dieser Option als valider Möglichkeit durchaus ausgingen, was an sich keine Überraschung ist, weil sie die Intention des Schlieffenplans kannten und London ja auch gegnüber dem Bau der strategischen Bahnen niht blind war.
Das heißt aber nicht, dass man zu diesem Zeitpunkt in London wusste, dass das tatsächlich ein West-Schwerpunkt würde.

Das lag nachweislich auch daran, dass das Auswärtige Amt sich nicht eben beeilt hatte, den Befehl Wilhelm II. umzusetzen.
Belegt aber eben, dass Verschleppungen von Nachrichten auch bei wichtigerem Inhalt durchaus vorkamen.

Soll das heißen GB wäre ohnehin in den Krieg eingetreten

Auf dem Standpunkt steht @Turgot

Ich für meinen Teil bin mir da weniger sicher.
London hielt sich zwar dadurch, sich zu weigern seine Neutralität zu garantieren, wenn Deutschland in Westeuropa wesentlich deffensiv bleiben und die Neutralität Luxemburgs und Belgiens achten würde, diplomatisch die Türe für einen Kriegseintritt aus anderem Anlass offen, allerdings musste das nicht die tatsächliche Absicht intendieren tatsächlich am Krieg teilzunehmen.
Sich die Option offen zu halten, sich später noch in den Krieg einzuschalten kann auch der Absicht geschuldet gewesen sein einen Hebel in der Hand zu behalten bei Zeiten Druck in Richtung Fridensverhandlungen aufzubauen und allzu große in GB als nachteilig empfundene Verschiebungen abzuwehren.

Ohne durch Luxemburg und Belgien zu gehen, war für Deutschland kein Westszenario denkbar, dass wusste London.
Ebenso dass das ein Erschöpfungskrieg würde, wenn Deutschland seine Schwerpunkte im Osten setzte, weil Russland auf Grund der nummerischen Stärke seiner Armee, wegen der großen Entfernungen, dem schlechter ausgebauten Bahnetz und der russischen Spurweite nicht in einem Blitz-Szenario niederzuwerfen war.

Bei einem Erschöpfungsszenario wäre ein drohender britischer Kriegseintritt, für den Fall einer Weigerung in Friedensverhandlungen einzutreten ein geegen beide Seiten einsetzbares starkes politisches Instrument gewesen auf ein Ende der Feindseeligkeiten im britischen Sinne zu wirken.

Sich der Erklärung der Neutralität zu verweigern und die Tür für einen Kriegseintritt offen zu lassen, konnte auch der Absicht Dienen die eigene Einwirkungsmöglichkeit in Sachen Beendigung des Krieges zu erhalten.
 
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Soll das heißen GB wäre ohnehin in den Krieg eingetreten,
oder war die Verletzung der Neutralität Belgiens Voraussetzung?

Ja, ganz genau. Belgien war der willkommene Vorwand, der zudem von der Öffentlichkeit und Presse entschieden unterstützt wurde.

Öffentlichkeit, Parlament und ein größerer Teil des Kabinetts wussten überhaupt nicht davon, wie weit Grey Großbritannien schon an die Seite Frankreichs geführt hatte. Das wäre schon deutlich schwieriger gewesen, England an die Seite der Franzosen in dem Krieg zu bringen, ohne das die belgische Neutralität verletzt worden wäre. Auch das Verhandlungen mit den Russen über eine Marinekonvention liefen, wusste so wie niemand. Grey hatte auch keinen Hemmungen auf entsprechenden Nachfragen zu lügen.

Die Gründe habe ich in diesem Faden schon vorgestellt. Zuletzt noch der britische Botschafter in Petersburg Buchanan, auch ein Antideutscher, der den Zaren die Antwort an Wilhelm II. Nikolaus in die Feder diktierte. Nachzulesen in den britischen Dokumenten in einen Privatbrief an Nicolson.
Auch hatte er am Ende die Verdrehungen, man könnte auch Sachen Lügen, Sasonows ungeprüft und ungefiltert 1:1 nach London weitergegeben. Nicolson wollte Ende Juli/Anfang August den Eintritt seiner Heimat in dem Krieg; was er in seiner Berichterstattung sehr, sehr deutlich macht. Er war in der Tat ein würdiger Nachfolger Nicolsons in Petersburg.
 
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@Shinigami
Was benötigst du denn noch mehr als den handfesten Beleg, das der britische König, der ganz sicher, angesichts der Tragweite der Information, keinen Moment gezögert hat, diese an die Regierung weiterzugeheben. Warum fällt es dir denn so schwer, dies anzuerkennen? Du suchst nach den unwahrscheinlichsten Gründen, damit du dies verneinen kannst. Mehr als ein Beleg kann dir keiner liefern.
 
Warum fällt es dir denn so schwer, dies anzuerkennen?
Tut es doch gar nicht, habe ich es mit irgendeinem Wort bestritten?

Ich weise nur darauf hin, dass sich der Stimmungsumschwung in britischen Kabinett und im Parlament möglicherweise auch mit dem verzögerten Zugang von Informationen erklären lässt.

Wenn man sich über die Gründe dafür unterhalten will, warum Regierung und Parlament umschwenkten, wäre es schon nicht ganz unbdeutend zu wissen, wann exakt ihnen welche Informationen bekannt wurden.

In diesem Sinne könnte durchaus von Bedeutung sein, ob das Telegramm, dessen Weiterreichen George V. angeordnet hatte einen größeren Kreis von Abgeordneten und die einzelnen Kabinettsmitglieder noch am 1. August erreichte oder ob sie erst am 2. August Kenntnis davon bekamen.
 
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