Für mich stellt sich hier im Vergleich dann auch die Frage ob es im Kaiserreich möglich gewesen wäre als Kaiser/Kanzler innen und außenpolitisch so zu agieren wie es zur Zeit auf der anderen Atlantikseite möglich ist.
Theoretisch?
Schauen wir uns in der Bismarck-Verfassung mal die Artikel 19 und 24 an.
Artikel 19. bestimmte die Möglichkeit der Reichsexekution gegen Teilstaaten des Reiches.
Er musste mit einer Mehrheit des Bundesrates beschlossen werden, es steht aber nicht dabei, dass es einer 2/3-Mehrheit bedurft hätte, insofern dürfte die einfache genügt haben, er schreibt nicht vor, mit welchen Mitteln die Reichsexekution auszuführen war, was theoretisch den Einsatz von Truppen gegen einen Gliedstaat erlaubte (später in der Weimarer Republik wurde das ja in ähnlicher Weise 1923 gegen Sachsen und Thüringen praktiziert) und es steht in dem Artikel auch nicht drinn, wie lange so eine Exekution dauern durfte und was während der Exekution mit den Stimmen des betroffenen Gliedstaates im Bundesrat zu passieren habe.
Artikel 24 Regelte die Möglichkeit der Auflösung des Reichstags durch gemeinsamen Beschluss von Kaiser und Bundesrat.
Wenn wir jetzt mal etwas den advocatus diaboli spielen wollen:
Bis 1911 (Änderung bezüglich Elsass-Lothringen), hatte der deutsche Bundesrat insgesamt 58 Sitze, davon entfielen 17 auf Preußen, dessen Regierung ja durch den Kaiser in seiner Funktion als preußischer König eingesetzt war. Die Mehrheit hätte sich also aus 30 Stimmen ergeben.
Wenn sich nun also der Kaiser etwa sagen wir mal mit den Monarchen der Thüringischen Kleinstaaten, von Hessen-Darmstadt und Mecklenburg-Schwerin und deren Regierungen verschworen hätte, wären dass genügend Stimmen gewesen um theoretisch unter Vorwänden Reichsexekutionen gegen das übrige Reich zu beschließen und es militärisch zu besetzen.
Da für den Akt der Reichsexekution keine Zeitdauer festgelegt war, bis wann das ausgeführt und beendet sein musste, hätte man diesen Zustand theoretisch wahrscheinlich auf Dauer einrichten und für die Zeit der Reichsexekution die Stimmen der betroffenen Gliedstaaten für erloschen erklären, oder sie durch eingesetzte provisorische kaiserliche Statthalter wahrnehmen lassen können.
Anschließend hätte der Kaiser mit einem solchen Bundesrat Auflösungen und Neuwahlen des Reichstags in Dauerschleife veranstalten und durch einen so manipulierten Bundesrat und einen dauerhaft handlungsunfähigen Reichstag quasidiktatorisch (ggf. theoretisch auf sowas wie Bismarcks Lückentheorie gestützt) regieren können.
Also vorrausgesetzt, dass das Volk das geschluckt und keine Revolution veranstaltet hätte.
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Interessant ist im Übrigen, dass im Vergleich zwischen der Bismarck'schen Reichsverfassung und der Verfassung der Weimarer Republik, die Regelung, was diese beiden wirklich scharfen Schwerter angeht, in der Republik laxer gewesen zu sein scheint, als im Kaiserreich, insofern wenn ich das recht übersehe in der Weimarer Republik sowohl Reichsexekution, als auch Auflösung des Reichstags, allein dem Reichspräsidenten oblagen, ohne Kontrolle durch die Institution des Bundesrates oder eine andere Institution.
Man kann hier also feststellen, dass in diesen beiden Fragen, die Gewaltenteilung im Kaiserreich austarierter war, als in der Republik, was für sich genommen eine interessante Beobachtung ist.