Christentum Schuld an den dark ages?

Eine markante Zäsur war sicherlich die Schließung der "heidnischen Akademien / Universitäten" auf Geheiß des byzanthinischen Kaisers Iustinian im 6.Jh. Wie man oft liest, wanderten nach dieser Zäsur angeblich die Gelehrten in seinerzeit tolerantere Gebiete aus (erstaunlicherweise in den Raum der damals brandaktuellen, d.h. neuen islamishen Kultur- und Herrschaftsräume)
Soweit es die Akademie in Athen betrifft, wanderten ihre Gelehrten zwar zunächst ins Perserreich aus, kehrten aber bald wieder ins Römische Reich zurück.
Außerdem verging ohnehin noch ein Jahrhundert, bis Persien und der Nahe Osten islamisch wurden.
 
Außerdem verging ohnehin noch ein Jahrhundert, bis Persien und der Nahe Osten islamisch wurden.
was aber nach meiner Kenntnis nichts daran ändert, dass im arabischen bzw. später islamischen Kulturraum einiges an antiker Wissenschaft und Kultur überlebte, was innerhalb der weströmischen Nachfolgestaaten und auch innerhalb des byzanthinischen Kaiserreichs nicht weiter tradiert wurde; wenn ich nicht irre, resultiert u.a. aus diesem frühmittelalterlichen Kulturtransfer (wenn man es so nennen will) eine zeitweilige zivilisatorisch-kulturelle Überlegenheit des arab.-islam. Raums im Mittelalter.
war es nicht einer der Staufer, der arab. Gelehrte im 12. und 13. Jh. nach Sizilien holte? medizinische Fakultät in Palermo? - mir ist nicht nach googeln, ich kram nur in meiner Erinnerung an Schulgeschichte :grübel:
 
In der Antike war meines Wissens Papyrus nur in Ägypten heimisch, wo bereits die Ptolemäer ein Monopol begründeten. In der hohen Kaiserzeit war Papyrus in 4 Qualitätssorten erhältlich. Papyrus war recht teuer, so dass man der Klage Martials wohl nicht viel Glauben schenken muss. Den wurmte es, als er entdeckte, dass seine Epigramme als Verpackungsmaterial für geräucherte Makrelen herhalten mussten.

Auf Sizilien machten die Araber
die Papyrusstaude heimisch, die dort noch am Fluss Anapo gedeihen.

Ergänzend hierzu: Papyrus war in der Spätantike und im Frühmittelalter noch ein häufiger Beschreibstoff. Die Papsturkunden wurden erst ab 1000 n. Chr. auf Pergament, davor über Jahrhunderte auf Papyrus geschrieben. Nur noch wenige dieser Stücke sind erhalten, einige davon behaupten sich entgegen aller Widrigkeiten sogar schon seit z.T. über 1000 Jahren in unseren Breiten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Fraglich allerdings ist für diesen Zeitraum (Zusammenbruch oder Zerfall des weströmischen Reichs), wieviel an antik-heidnischer Kultur im zerfallenden weströmischen Reich überhaupt noch Bestand hatte.

Als letzter "Römer" in der Historiografie gilt ja Gregor von Tours, der 594 starb. In die Zeit um 600 setzt man auch das Aussterben der römischen Senatorengeschlechter in Gallien bzw. die Übernahme der Bischofsämter - die bis dahin gewissermaßen noch eine "innerrömische" Angelegenheit waren - durch Germanen.
 
war es nicht einer der Staufer, der arab. Gelehrte im 12. und 13. Jh. nach Sizilien holte?

Jep, das war Friedrich II. von Hohenstaufen (1194-1250) , das berühmte "Staunen der Welt" :)

Auch wenn es eine schlechte Angewohnheit von Mediävisten ist, im Zweifelsfalle alle Fortschritte des Abendlandes zu Kopien arabischer Originale zu erklären - ohne die freiwillige oder unfreiwillige Unterstützung durch die Moslems wäre die kulturelle Blüte des Hochmittelalters nur schwer denkbar gewesen, wo das Potenzial der Lateiner vor der Jahrtausendwende doch noch recht begrenzt erscheint.
(Nun gut, man hätte die Philosophie des heiligen Thomas natürlich auch auf den Erkenntnissen des Häuptlings Denkmirnix aufbauen können.)
 
Es gibt ja auch Historiker, die sich gegen die Sichtweise von "dark ages" wehren; da wäre vor allem an Georg Scheibelreiter zu denken, der sich in seinem Buch "Die barbarische Gesellschaft" - nicht zur Gänze überzeugend - gegen die vermeintliche Quellenarmut wendet.
Immerhin fällt auf, dass Bild der "dark ages" doch in England und Deutschland sehr stark für die frühmittelalterlich-spätantiken Epochen bemüht wird. Rein auf die Quellensituation bezogen, gibt es über die provinzialrömische Epigrafik, die freilich und sehr deutlich wegfällt, hinaus in diesen Gebieten ohnehin nicht sehr viele historiografische Quellen aus der antiken Zeit.
 
Naja die Probleme die zum Untergang des römischen Reiches als eine mehr oder weniger zentrale Ordnung für große Teile Europas, des Nahen Ostens und Nordafrikans geführt haben.

-Ständige Angriffe von Außen
-Inflation
-Verkleinerung der Städte
-Dezentralisierung

würde ich schon in die Zeit der Soldatenkaiser geben.

Außerdem ist die meiste Literatur wahrscheinlich verloren gegangen weil private Bibliotheken verwahrlosten und die Luftfeuchtigkeit ihr übriges tat.
 
Will man von einem Untergang sprechen, dann sei die Gegenfrage gestattet, was mit "Untergang" gemeint ist. Das christliche Ostrom blieb noch Jahrhunderte bestehen und wurde schließlich erst, militärisch ermattet, auf dem falschen Fuß erwischt und anschließend nach und nach erobert.

Statt "Untergang" wird ja auch häufiger der Begriff der Transformation verwendet. In Beitrag # 3 hat El Quijote ja bereits auf Unterschiede zwischen den einzelnen Gebieten des (west-)römischen Territoriums hingewiesen. Zum einen die stark romanisierten Gebiete Frankreichs, Italien und der iberischen Halbinsel, dann wiederum die germanischen Gebiete in Deutschland, Niederlande, Belgien und England. Heute noch mehr oder weniger durch die Sprachgrenze zwischen den germanischen und romanischen Sprachen ersichtlich.

Bei einem kürzlich erfolgten Besuch einem gallo-römischen Museum im (flämischen) Tongeren habe ich erfahren, dass die flämisch-wallonische Sprachgrenze in Belgien entlang einer mit Festungen ausgestatteten Römerstraße liegt. In die südlich dieser Straße gelegenen Gebiete flüchtete die romanische Bevölkerung, während nördlich davon die germanischen Stämme sich ansiedelten.



Werden hier die islamische und die christliche Haltung zur Buchkultur erfragt sei auf die Bibliothek von Alexandria verwiesen. Angeblich fielen die den vorhergegangenen Katastrophen, Kriegen und Bürgerkriegen entkommenen Büchern bei der islamischen Eroberung den Flammen anheim, als alle Bücher die dem Koran widersprechen und alle die nur wiederholen was der Koran ohnehin beinhaltet zum Heizen verwendet worden sein sollen. So groß sind die Unterschiede zweifellos nicht.

"Angeblich" ist hier das entscheidende Wort. Wann die Bibliothek von Alexandria ihr Ende fand, ist umstritten. Möglicherweise im Rahmen der Umsetzung der Theodosianischen Erlasse Ende des 4. Jahrhunderts. Dann wären es Christen gewesen, die die Bibliothek "auf dem Gewissen" hatten.

Bibliothek von Alexandria ? Wikipedia

Lt. Wiki wird die Überlieferung, dass die Bibliothek von Alexandria von den Arabern zur Beheizung der Thermen verwendet wurde, als eine im MA entstandene Legende angesehen.




Was Bergmeier an Fakten von sich gibt, ist - zumindest in Teilen - richtig. Im frühen Christentum gab es radikale (und sicher auch wissenschaftsfeindliche) Tendenzen, sei es von den Hauptströmungen der Kirche, sei es von Nebenströmungen. Dies allerdings auf das gesamte damalige Christentum zu projezieren halte ich für ungerecht. Ein Ambrosius, ein Augustinus oder ein Isidor haben sich bemüht Wissen zu bewahren, auch wenn man Augustinus in Teilen durchaus Radikalität vorwerfen kann (aber die ist auch als Abgrenzung zu seinem früheren Leben zu verstehen).
Ein weiterr Denkfehler, den mir Bergmeier zu machen scheint, das ist die Wahrnehmung des Heidentums als tolerant im Sinne eines heutigen Toleranzbegriffs. Das Heidentum konnte sicher Götter fremder Kulte einer eignenen Interpretation unterwerfen und/oder integrieren, aber es hatte eben auch immer Probleme mit den monotheistischen Religionen, obwohl z.B. das Judentum eine religi licita war.
Dass das Christentum der Antike hier weniger tolerant war, weil es fremde Götter nicht so leicht integrieren konnte, dass es Mobs gab, die Tempel und Bildnisse (und Bibliotheken) zerstörten ist natürlich richtig, wiewohl man hier ein Vermischung religiöser Motive mit politischen beachten muss.

Für seine Schlussfolgerung, dass die Wissenschaftsfeindlichkeit des spätantiken Christentums zum Untergang des römisches Reichs führte spricht genau so wenig, wie für die These vom Untergang Roms wegen der Verweichlichung seiner Oberschicht oder der schleichenden Vergiftung durch Bleirohre.

Allerdings bezieht sich Bergmeier auf den Untergang der römischen Kultur, nicht auf den Untergang des römischen Reiches. Zudem schreibt er ja auch, dass die Situation im oströmischen Teil anders war als im Westen. Interessant wäre, welche Strömungen im Christentum denn dominant gewesen sind.

Und in Lugdunum gab es eine hochschulartige Einrichtung, die gerade in der Spätantike wirkte, in der einige Kirchenväter ausgebildet wurden.

Was war denn das für eine Einrichtung? Evtl. eine rein theologische Anstalt?

Außerdem ist die meiste Literatur wahrscheinlich verloren gegangen weil private Bibliotheken verwahrlosten und die Luftfeuchtigkeit ihr übriges tat.

Papyrus kann schon einige Jahrhunderte halten. Die nächste Frage wäre, warum private bzw. öffentliche Bibliotheken verwahrlosten.

Der von mir oben schon erwähnte Bergmeier vertritt die These, dass das Christentum für die Zerstörung der Bibliotheken verantwortlich ist:

Insbesondere Theodosius' Edikt „Cunctos populos“ aus dem Jahre 380 wird von Rolf Bergmeier als der Schlüssel dieser gesellschaftlichen Entwicklung gesehen. Darin wurden alle christlichen Varianten, die bis dahin in einer Vielzahl nebeneinander existierten, verurteilt. Es sollte nur noch eine einzig gültige Religion geben, die trinitarische, die von der Gotthaftigkeit Jesu ausgeht. Dies wurde jedoch nicht von den Bischöfen und der Kirche verlangt, sondern wurde von einem Kaiser erlassen. Der Wechsel zum ausschließlichen Monotheismus war damit vollzogen und eine Staatskirche geschaffen. Gemäß Paulus' Worten „Wer den Herrn nicht liebt, sei verflucht.” wurde die Missionierung „mit dem Hammer” durchgesetzt. Im Zuge der Durchsetzung des Ediktes wurden die Bibliotheken und Schulen geschlossen, der Zugang der Menschen zu Schrift, Sprache und Bildung war damit abgeschnitten.[eigene Hervorhebung]

?Schatten über Europa? | hpd

Leider steht mir das Werk (Schatten über Europa: Der Untergang der antiken Kultur, 2011 ) von Bergmeier (noch) nicht zur Verfügung. Die Argumentation anhand der Quellen ist sicherlich interessant.
 
war es nicht einer der Staufer, der arab. Gelehrte im 12. und 13. Jh. nach Sizilien holte? medizinische Fakultät in Palermo? - mir ist nicht nach googeln, ich kram nur in meiner Erinnerung an Schulgeschichte :grübel:

Salerno, nicht auf Sizilien, sondern auf dem Stiefel.


Was war denn das für eine Einrichtung? Evtl. eine rein theologische Anstalt?

Wohl eine Schule die Rhetorik nach dem alten Muster lehrte. Genaueres weiß ich auch nicht, sie wird aber wohl für einige Archaismen im Franzöischen verantwortlich gemacht, sie sich aus einer vulgärlateinischen Entwicklung nicht erklären lassen.

Papyrus kann schon einige Jahrhunderte halten. Die nächste Frage wäre, warum private bzw. öffentliche Bibliotheken verwahrlosten.
Die Aufrechterhaltung einer Bibliothek kostet Geld. Es bedarf Nutzer und eines breiten Interesses. Hier sind wir auch wieder bei der wirtschaftlichen Depression: Bildung ist ein Luxus, der auf der Bedürfnispyramide (Maslow) sehr weit oben steht.
 
Ich habe nur eine ziemlich grobe Vorstellung von dieser Thematik, aber welchen Fortschritt sollte denn das christliche Dogma, wonach der Mensch qua Erbsünde sündig und verderbt sei, gegenüber den Erkenntnissen eines Epikur oder Lukrez dargestellt haben?
Als ehemaliger Zwangskatholik könnte ich mir jedenfalls einen weitaus netteren Geschichtsverlauf vorstellen, wäre die Menschheit nur einigermassen immun gegenüber absurden Gottesvorstellungen gewesen :)=
 
Ich habe nur eine ziemlich grobe Vorstellung von dieser Thematik, aber welchen Fortschritt sollte denn das christliche Dogma, wonach der Mensch qua Erbsünde sündig und verderbt sei, gegenüber den Erkenntnissen eines Epikur oder Lukrez dargestellt haben?

Mit "Fortschritt?" machst du nun ein ganz neues Fass auf.
Man könnte daraus aber die Fragestellung entwickeln (und in einem anderen Thread diskutieren), ob die Menschheit in der Antike schon bereit war für materialistische Weltauffassungen und wenn die Frage mit Nein beantwortet werden müsste, warum nicht.

könnte ich mir jedenfalls einen weitaus netteren Geschichtsverlauf vorstellen, wäre die Menschheit nur einigermassen immun gegenüber absurden Gottesvorstellungen gewesen :)=

Das ist kein Alleinstellungsmerkmal des Christentums im Besonderen oder der monotheistischen Religionen im Allgemeinen. Ja nicht einmal der Religionen.
Man könnte sogar die Frage stellen, ob die Menscheitsgeschichte ohne Religionen - die ja in gewisser Hinsicht auch ein Korrektiv darstellen, absurde Gottesvorstellungen hin oder her - nicht viel schlimmer verlaufen wäre.
 
Die Aufrechterhaltung einer Bibliothek kostet Geld. Es bedarf Nutzer und eines breiten Interesses. Hier sind wir auch wieder bei der wirtschaftlichen Depression: Bildung ist ein Luxus, der auf der Bedürfnispyramide (Maslow) sehr weit oben steht.
und das in Krisenzeiten umso mehr...

Gehen wir davon aus, dass die Spätantike mit dem Zerfall / der Transformation des weströmischen Reichs eine Krisenepoche war, gebeutelt von Misswirtschaft und Kriegen, so müsste der Luxus Bildung nahezu erloschen gewesen sein - aber offensichtlich hat sich doch so manche Nische für Bildung etabliert: Cassiodors Gründung des Klosters Monte Cassino, die Gelehrten bei den span. Goten, bei Karl dem Großen, bei den Franken Gregor von Tours und später der so genannte Fredegar, in Italien Paulus Diaconus - - - also gänzlich erloschen war die Bildung in den wechselhaften und kleinräumigeren Nachfolgestaaten des weström. Imperiums nicht. Zumal die jeweiligen Herrscher einerseits an die imperialen Traditionen anknüpfen wollten (Purpurmantel, Spiele, Renovierung von Aquaedukten usw.) und andererseits als Chefs einer vornehmlich militärischen, aber demografisch kleinen Oberschicht die noch vorhandenen römischen Verwaltungsstrukturen benötigten (Ausbildung der Notare usw)

In manchen Gebieten des vormaligen weströmischen Reichs war die Herrschaft barbarischer Militärs nur eine Änderung der politischen Spitzenfunktionen: es war den Leuten egal, ob ein von Rom bestellter General oder ein gotischer oder fränkischer Warlord an der Spitze stand - jedenfalls dort, wo regional einigermaßen florierende wirtschaftliche und soziale Verhältnisse herrschten (z.B. die südfranzös. ehemaligen Provinzen)

Interessant hierbei ist, dass die neuen barbarischen Herrscher durchaus versuchten, die Verwaltungsstrukturen der vormaligen röm. Provinzen aufrecht zu erhalten und sehr bedacht waren auf römische Akzeptanz, d.h. auf entsprechende Titel und Funktionen. So mussten die Merowingerkönige gegen ihre "Landsleute" das Steuersystem nach röm. Vorbild bzw. nach röm. Praxis durchsetzen (vgl. Scheibelreiter und Geary)

Innerhalb dieser jeweils regional differierend ablaufenden Transformation scheint es doch genügend Refugien für Kultur und Bildung gegeben zu haben: sonst hätten wir ja die mannigfaltigen Schriftzeugnisse des 5.-9. Jhs. nicht.

Zu fragen ist, ob und wie in der Zeit von Constantin bis Iustinian - und da sind wir in der Krisenepoche der Spätantike - Bildung, Cursus honorum etc funktionierten - und daran gemessen wäre zu vergleichen, ob die Autoren des 6.-8. Jhs. weniger als konnten als die des 4.-5. Jhs. --- einige, wie auch Gregor von Tours, verwenden ja die Floskel, dass sie nicht mehr so ganz über das klass. Latein verfügen würden: ich habe aber den Verdacht, dass das ein wenig rhetorisches Understatement ist.

Wie auch immer: die Regulative christlich orientierter Administration (Theodosius, Iustinian) fielen in keinen bildungsfreien Raum, trotz aller Krisen. Mir scheint, dass im Bereich von "Bildung/Kultur" ebenfalls eine Transformation stattfand: der Lebenslauf des römisch-heidnisch gebildeten Augustinus scheint mir da typisch. Mit der Kenntnis der antiken Literatur die Entscheidung für die christliche Perspektive (contra Celsum und ähnliche Argumentationen) -- oder anders gesagt: es waren keine ungebildeten Barbaren, die sich in Spätantike/Frühmittelalter für eine christliche und gegen eine heidnische bzw. agnostische Perspektive entschieden.

also ganz so dark sind die ages nicht :)
 
Zuletzt bearbeitet:
Gehen wir davon aus, dass die Spätantike mit dem Zerfall / der Transformation des weströmischen Reichs eine Krisenepoche war, gebeutelt von Misswirtschaft und Kriegen, ...

Du deutest ja selbst schon an, vielleicht war die Krise gar nicht so dramatisch, wie wir es retrospektiv sehen. Von den Jahren durchziehender Kriegshorden abgesehen, scheint sich recht bald doch wieder eine Stabilität eingependelt zu haben, die nicht unruhiger war als in den späteren Phasen des Imperiums. Ob sich nun ein paar fränkische Königshäuser gegenseitig niedermetzelten oder vergifteten hatte doch wenig Einfluss auf die staatstragende Kirchenorganisation und die innere Struktur des Reiches.
Es gab zwar einen Bruch, weil etwa technische Berufe und Ingenieurswesen nicht mehr entsprechend gefördert wurden und weil die neue Adelselite recht bildungsfremd blieb, aber so dunkel scheinen die Zeiten wirklich nicht gewesen zu sein.
 
was aber nach meiner Kenntnis nichts daran ändert, dass im arabischen bzw. später islamischen Kulturraum einiges an antiker Wissenschaft und Kultur überlebte, was innerhalb der weströmischen Nachfolgestaaten und auch innerhalb des byzanthinischen Kaiserreichs nicht weiter tradiert wurde; wenn ich nicht irre, resultiert u.a. aus diesem frühmittelalterlichen Kulturtransfer (wenn man es so nennen will) eine zeitweilige zivilisatorisch-kulturelle Überlegenheit des arab.-islam. Raums im Mittelalter.
Das muss allerdings nicht daran liegen, dass römische Gelehrte ausgewandert wären. Immerhin unterwarfen die Araber ehemals oströmische Gebiete und können dort die Bücher in die Hände bekommen haben.

Nicht zustimmen kann ich auch der Aussage, dass im byzantinischen Reich nichts aus der Antike tradiert wurde. Ich verweise z. B. auf die Suda, für deren Erstellung eine Fülle antiker Autoren verwertet worden sein muss, oder auf die Arbeiten von Historikern wie Xiphilinos und Zonaras, die ebenfalls verschiedene antike Autoren verwerteten. Weiters wäre die "Griechische Anthologie" zu nennen, in der Gedichte zahlreicher antiker Dichter gesammelt wurden. Im 14. und 15. Jhdt. schließlich gelangten viele antike, vor allem griechische, Werke aus dem Byzantinischen Reich nach Italien, was also zeigt, dass sie im Osten erhalten geblieben waren und man sie dort auch noch kannte, da diese Schriften nicht zufällig in irgendwelchen alten Archiven entdeckt wurden, sondern mitunter gezielt an die Sammler aus dem Westen verkauft. Aber auch Byzanz selbst brachte bedeutende Gelehrte hervor wie den Arzt Alexander von Tralles (6. Jhdt.), den Mathematiker und Architekten Anthemios von Tralles (6. Jhdt.) und vor allem den Universalgelehrten (und Neuplatoniker!) Michael Psellos (11. Jhdt.). Es existierten auch angesehene Schulen wie die "Akademie von Mangana" in Konstantinopel, wo es auch eine Art Universität gab.

Wohl eine Schule die Rhetorik nach dem alten Muster lehrte.
Lugdunum war kein Einzelfall, auch in Vienne, Bordeaux und Clermont bestanden Grammatik- und Rhetorikschulen fort.
 
Nicht zustimmen kann ich auch der Aussage, dass im byzantinischen Reich nichts aus der Antike tradiert wurde.
Hab ich das explizit so gesagt?
Die byzanthinische Literaturgeschichte ist mir einigermaßen bekannt, ebenso die Sonderrolle des öströmischen (oder romäischen) Kaiserreichs - und freilich ist mir da auch bekannt, dass im 6. Jh. einiges an heidnisch-antiker Literatur und Kulturtradition verboten wurde. Mit der Durchsetzung des Christentums als Staatsreligion ging eine Schließung heidnischer Tempel einher (gelegentlich gewaltsam durchgesetzt), aber auch Diskussionen um den Erhalt von Kunstgütern. Die gelinde gesagt "Abschaffung" heidnischer Religionen und Philosophie im spätantiken imperialen Raum betraf anfangs freilich beide Reichsteile (nur dass der westliche davon recht bald nicht mehr handlungsfähig war und sich trotz der Iustinianschen Reconquista nicht wieder herstellen ließ) --- einigen wir uns so: das byzanthinische Reich und seine kulturellen Institutionen hatten den Erhalt antiker heidnischer Kulturtraditionen nicht unbedingt als höchste Priorität :) sondern überlieferten das, was ihnen im Rahmen der eigenen Perspektive nützlich erschien (und das war nun mal nicht der komplette technische und philosophische Bestand der Antike)
 
Ich habe nur eine ziemlich grobe Vorstellung von dieser Thematik, aber welchen Fortschritt sollte denn das christliche Dogma, wonach der Mensch qua Erbsünde sündig und verderbt sei, gegenüber den Erkenntnissen eines Epikur oder Lukrez dargestellt haben?
Als ehemaliger Zwangskatholik könnte ich mir jedenfalls einen weitaus netteren Geschichtsverlauf vorstellen, wäre die Menschheit nur einigermassen immun gegenüber absurden Gottesvorstellungen gewesen :)=

Es stellt sich die Frage, was das Christentum gegenüber dem römischen Staatskult oder Mysterienkulten wie des Mithras, des Serapis, des Hermes Trimegistos oder der Isis attraktiv machte. Außer transzedentalen Vorteilen wie Auferstehung und Erlösung auch finanzielle, denn Christen brauchten keine Opfer zu bringen, außer natürlich in Krisenzeiten wie zur Zeit der Verfolgung des Decius. Die Mehrheit der Christen hatte verständlicherweise wenig Lust auf Martyria, und die Kirche musste sich fragen, wie sie mit all den libellatici verfahren solle, die sich eine Opferbescheinigung gekauft oder geopfert hatten.
 
Es stellt sich die Frage, was das Christentum gegenüber dem römischen Staatskult oder Mysterienkulten wie des Mithras, des Serapis, des Hermes Trimegistos oder der Isis attraktiv machte. Außer transzedentalen Vorteilen wie Auferstehung und Erlösung auch finanzielle, denn Christen brauchten keine Opfer zu bringen
Ich sehe einen Hauptvorteil des Christentums gegenüber anderen Mysterienkulten (die mitunter auch Erlösungsversprechen enthielten) in seinem nicht-exklusiven, missionarischen Charakter. Die Mysterienkulte waren meist halb geschlossene Gesellschaften, denen sich nicht einfach jeder anschließen konnte, sondern nur nach komplizierten Auswahl- und Aufnahmeritualen, und der Mithraskult war gar nur Männern zugänglich. Christ zu werden war hingegen relativ einfach, und die Christen warben auch aktiv dafür. Ein weiterer Vorteil war wohl auch seine Morallehre, die die meisten anderen Kulte in dieser Form nicht hatten.

einigen wir uns so: das byzanthinische Reich und seine kulturellen Institutionen hatten den Erhalt antiker heidnischer Kulturtraditionen nicht unbedingt als höchste Priorität sondern überlieferten das, was ihnen im Rahmen der eigenen Perspektive nützlich erschien (und das war nun mal nicht der komplette technische und philosophische Bestand der Antike)
Das war allerdings keine byzantinische Eigenheit. Es wurde in vielen Zeiten und Kulturen nur das überliefert und weiterbenutzt, was im Rahmen der eigenen Perspektive nützlich und erhaltenswert erschien. Etwas bloß aus Respekt vor der Kultur oder dem Alter zu überliefern, war eher die Ausnahme. Auch die Römer legten keinen Wert darauf, die Literatur Karthagos (mit Ausnahme von Magos Landwirtschaftslehrbuch) zu erhalten - geschweige denn, dass sie die mündlichen Überlieferungen der Gallier niedergeschrieben hätten.
Aber auch das Interesse an der eigenen Vergangenheit und ihren Schriften scheint schon vor dem Sieg des Christentums deutlich abgenommen zu haben. Ich denke da an die Beliebtheit von Kurzdarstellungen, auch Zusammenfassungen älterer Werke, ab dem 3. Jhdt. n. Chr. Statt vielbändige Werke wie einst von Livius, Pompeius Trogus oder Tacitus verfassten jetzt Autoren wie Iustinus, Eutropius, Aurelius Victor oder Rufius Festus Kurzdarstellungen römischer und sonstiger Geschichte. Ausführliche Werke wie das von Ammianus Marcellinus wurden eher selten.
Dass man den (negativen) Einfluss des Christentums auf das Kulturleben auch nicht überbewerten sollte, sieht man schon daran, dass Zosimos noch zu Beginn des 6. Jhdts. ein ausgesprochen christenfeindliches Geschichtswerk veröffentlichen konnte - und es auch erhalten blieb.
 
Das war allerdings keine byzantinische Eigenheit.
...ich habe das auch nicht als typisch oder gar einzigartig bezeichnet...

Tatsache ist, dass nicht wenige der christlichen Perspektive unliebsame Literatur im Lauf der Zeit erfolgreich beseitigt wurde - um nur ein Exempel zu nennen: wir kennen Celsus gegen das Christentum gerichtete Argumentation nur fragmentarisch aus ausgewählten Zitaten eines berühmten Celsusgegners :winke:

Tatsache ist auch, dass man im frühen Mittelalter Mühe hatte, an zivilisatorische antike Architektur anzuknüpfen: kein Merowinger oder Karolinger war in der Lage, Gebäude wie die Palastaula in Trier zu bauen oder große Aquaedukte (Köln, Rom) zu errichten (frühmittelalterliche Stadtgründungen außerhalb des ehemaligen Imperiums hatten keine Aquaedukte) - - eine antike Großstadt unterschied sich doch erheblich von einer mittelalterlichen.

Die Gründe hierfür sind sicher mannigfaltig und können nicht eindimensional
-- z.B. nur den bösen Christen angehängt werden (warum hätten die bautechnische Literatur kicken sollen? die wollten doch große Gotteshäuser haben und funktionierten anfangs antike Profan- und Sakralbauten um, ehe sie die ersten großen romanischen Dome zu errichten in der Lage waren)
-- oder den Barbaren (die waren doch eher daran interessiert, zu halten, was noch da war und funktionierte: z.B. Theoderich ließ die Wasserleitungen von Ravenna erneuern - das freilich war recht früh, etwas anders sieht es im 8. oder 9. Jh. aus: da war dann tatsächlich viel in Vergessenheit geraten bzw. verfallen)
-- oder der verfallenen Wirtschaft (arm war der ostgotische Königsschatz nun wirklich nicht, oder gar der hunnische, der awarische)
 
Ich habe nur eine ziemlich grobe Vorstellung von dieser Thematik, aber welchen Fortschritt sollte denn das christliche Dogma, wonach der Mensch qua Erbsünde sündig und verderbt sei, gegenüber den Erkenntnissen eines Epikur oder Lukrez dargestellt haben?
Als ehemaliger Zwangskatholik könnte ich mir jedenfalls einen weitaus netteren Geschichtsverlauf vorstellen, wäre die Menschheit nur einigermassen immun gegenüber absurden Gottesvorstellungen gewesen :)=

Wenn man nicht davon ausgeht das der größte Teil der Menschen sowas wie Religionen braucht, seien es Religionen im klassischen Sinne, politische Ideologien e.t.c.
 
-- oder der verfallenen Wirtschaft (arm war der ostgotische Königsschatz nun wirklich nicht, oder gar der hunnische, der awarische)

Ob eine Wirtschaft gesund ist oder nicht hängt nicht von der Menge von Edelmetallen ab oder gar von dem wie viel bedrucktes Geld hat, sondern von der technischen Fähigkeiten und der Produktivität der Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Und diese ist klar gesunken was man schon daran sieht das Handwerk und Dienstleistungen doch verkümmerten.
 
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