Schlafwandler I
Betrachtet man Clark im Detail,
- stellt er den bisherigen Forschungskonsens in Frage, die "langen Wege" und die "kurzen Wege" in den Weltkrieg zu unterscheiden.
- an diese Stelle rückt er die These von der "komplexen Interaktion", angebliche unbeherrschbare Krisendynamik und irrtümliche Eskalation, natürlich aufbauend auf politischen Fehlern, Missverständnissen, Zeitnot und falschen oder fehlenden Lageanalysen der Akteure (in der Kurzfassung = Schlafwandler).
Soweit, so gut.
Beispiel: Großbritannien. Auch von Clark unbestritten ist Großbritannien "im kurzen Weg" nicht direkt an der Kriseneskalation beteiligt gewesen. Die Verantwortung konzentriert er dann vielmehr auf fünf Vorgänge:
(Schlafwandler I: ) in Analogie zum Kalten Krieg: Großbritannien habe schlafwandelnd keine Politik der Stärke, keine klare Abschreckungspolitik gegen das Deutsche Reich betrieben, um klarzustellen, dass ein kontinentaler Krieg definitiv Großbritannien als Kriegsgegner des Deutschen Reiches bringen werde. Das Argument ist erstaunlich, wird es doch in Bezug auf Frankreich pervertiert: Frankreich habe eine glasklase Bündnispolitik betrieben, Russland inoffiziell beim Poincare-Beruch in Petersburg den Bestand des Bündnisses für den Ernstfall versichert, und das auch in der Juli-Krise dem Deutschen Reich nicht verschleiert. Was also bei Frankreich schlafwandelnd kriegstreibend gewertet wird, konvertiert zum Fehler-Vorwurf anderer Akteure.
Den logischen Widerspruch, eine (der deutschen Seite) offene Mäßigungspolitik gegen Frankreich zu betreiben (Klartext: den französisch-russischen Zweiverband aufzuweichen), und gleichzeitig eine harte Abschreckungspolitik gegenüber dem Deutschen Reich zu betreiben (das bisher vermiedene continental commitment), kann Clark nicht klären.
(Schlafwandler II: ) das Deutsche Reich sei über die Verhandlungen der Marinekonvention schlafwandelnd getäuscht worden. Abgesehen davon, dass folgende Probleme derzeit unbeantwortet sind:
Die Fragen sind nicht nur von Clark unbeantwortet geblieben.
Übrigens ist auch die Kernfrage, warum die Marine-Supermacht Großbritannien eine Marinekonvention mit Russland braucht, wenn sie a) bereits eine mit Frankreich und b) einen Two-Power-Standard hat, der sowohl die Überlegenheit im Mittelmeer wie die in der Nordsee sichert. Diese Überlegenheit würde sich kurzfristig c) aufgrund der bestehenden, aufgelegten Neubauprogramme binnen 3 Jahren noch erheblich ausbauen.
Einzige Erklärung: man war von Russland erpreßbar (warum wohl?, und wo? und seid wann?). Deutsches Rätselraten??
(Schlafwandler III: ) schlägt sich die geplante Marinekonvention weder beim schlafwandelnden deutschen Generalstab noch bei der Marineleitung als Bedrohungsszenarion materiell nieder. Warum hat hier nicht helle Aufregung geherrscht?
(Schlafwandler IV: ) wäre die kommende Marinekonvention tatsächlich ernstgenommen worden: sind die Warnsignale von russisch-englischen Marinegesprächen genau das eingeforderte britische Abschreckungsverhalten, was Clark zu vermissen meint. Greift das Argument durch, war die "Risikopolitik" Bethmann-Hollwegs tatsächlich ein Vabanquespiel, denn die britisch-russische Annäherung war weiter demnach angeblich - konsequenterweise: - weiter gediehen als ein bloßer Interessenausgleich. Wie "behandelt" Clark diesen Widerspruch?
(Schlafwandler V: ) Wo ist die harsche deutsche Risikopolitik-Reaktion auf die unzweifelhaft wesentlich bedeutendere britisch-französische Konvention auszumachen, indem man sich seid 1912 die Flottenräume Mittelmeer und Nordsee aufteilte? Feststellbare Reaktion: Verbesserung des deutsch-britischen Verhältnisses 1913/14?
(Schlafwandler VI: ) Warum kein deutsches "Gegenangebot", waren doch (1.) die Beziehungen 1914 zu GB vor der Juli-Krise so entspannt wie nie seid 1905, (2.) das Flottenwettrüsten entschieden, (3.) die russisch-britischen Konflikte 1914 durch Liman-von-Sanders-Krise (wo sich GB der Unterstützung Russlands versagt hatte) und durch die Entwicklung in Persien verschärft.
Welche Antworten gibt Clark hierauf detailliert? Und: welche davon sind "neu"?
Betrachtet man Clark im Detail,
- stellt er den bisherigen Forschungskonsens in Frage, die "langen Wege" und die "kurzen Wege" in den Weltkrieg zu unterscheiden.
- an diese Stelle rückt er die These von der "komplexen Interaktion", angebliche unbeherrschbare Krisendynamik und irrtümliche Eskalation, natürlich aufbauend auf politischen Fehlern, Missverständnissen, Zeitnot und falschen oder fehlenden Lageanalysen der Akteure (in der Kurzfassung = Schlafwandler).
Soweit, so gut.
Beispiel: Großbritannien. Auch von Clark unbestritten ist Großbritannien "im kurzen Weg" nicht direkt an der Kriseneskalation beteiligt gewesen. Die Verantwortung konzentriert er dann vielmehr auf fünf Vorgänge:
(Schlafwandler I: ) in Analogie zum Kalten Krieg: Großbritannien habe schlafwandelnd keine Politik der Stärke, keine klare Abschreckungspolitik gegen das Deutsche Reich betrieben, um klarzustellen, dass ein kontinentaler Krieg definitiv Großbritannien als Kriegsgegner des Deutschen Reiches bringen werde. Das Argument ist erstaunlich, wird es doch in Bezug auf Frankreich pervertiert: Frankreich habe eine glasklase Bündnispolitik betrieben, Russland inoffiziell beim Poincare-Beruch in Petersburg den Bestand des Bündnisses für den Ernstfall versichert, und das auch in der Juli-Krise dem Deutschen Reich nicht verschleiert. Was also bei Frankreich schlafwandelnd kriegstreibend gewertet wird, konvertiert zum Fehler-Vorwurf anderer Akteure.
Den logischen Widerspruch, eine (der deutschen Seite) offene Mäßigungspolitik gegen Frankreich zu betreiben (Klartext: den französisch-russischen Zweiverband aufzuweichen), und gleichzeitig eine harte Abschreckungspolitik gegenüber dem Deutschen Reich zu betreiben (das bisher vermiedene continental commitment), kann Clark nicht klären.
(Schlafwandler II: ) das Deutsche Reich sei über die Verhandlungen der Marinekonvention schlafwandelnd getäuscht worden. Abgesehen davon, dass folgende Probleme derzeit unbeantwortet sind:
Man mag weiter der Schlußfolgerung von Schröder folgen, dass dies Einfluß auf Bethmann-Hollwegs "Risikostrategie" hatte.
Zu bedenken ist, dass
1. der Nachweis fehlt, dass dieses verstärkend gewirkt hat. Tatsächlich gab es eine Instrumentalisierung des Vorganges, den Bethmann zur "Erklärung" auch gegenüber Dritten genutzt hat.
2. wo ist die politisch-militärische Wirkungsanalyse, wäre die Konvention tatsächlich zustande gekommen? Was hätte das an der deutschen Lage geändert, welche seestrategischen Gewichte verschoben, welche bekannten Konflikte zwischen GB und RUS gelöst? "Mehr" Einkreisung - unterstellt man mal diese Einschätzung als Treiber - hätte es ohnehin nicht gegeben.
3. Welche Rolle soll das für die (unterstellt ohnehin gegen GB angriffsunfähige) deutsche Hochseeflotte gespielt haben? Eine (defensive!) Wirkungsanalyse für deren Fähigkeit zur Blockade der Ostseezugänge selbst bei koordiniert russisch-britischem Vorgehen fehlt. Wieso rüstete dann Deutschland überhaupt russische Flottenneubauten aus, wenn doch diese Gefahr so drohend war?
4. wieso wäre dann der britisch-russische Interessenausgleich "verfestigt" worden? Die bestehenden massiven Konflikte im Mittleren Osten, die deutscherseits bestens bekannt waren, und auch in Form von Indiskretionen zuvor ausgenutzt worden sind (etwa hinsichtlich Gesprächen über Dardanellen, Persien, Bagdadbahn) wären dadurch nicht beseitigt worden.
5. Wieso soll diese Konvention überhaupt in der Lage sein, deutsche Optionen des Zugehens auf Großbritannien zu beseitigen oder auch nur zu schwächen? Noch 1911/12 zeigte man sich im Rüstungswettlauf halsstarrig. Sollte erst diese Konvention der Sargnagel auf den Rüstungswettlauf sein, wenn dieser doch aufgrund der bekannten britischen Neubauprogramme bis 1916 ohnehin verloren war, und sich die Risikokapazität der deutschen Flotte als Verhandlungspfand ohnehin als Illusion erwiesen hatte.
Die Fragen sind nicht nur von Clark unbeantwortet geblieben.
Übrigens ist auch die Kernfrage, warum die Marine-Supermacht Großbritannien eine Marinekonvention mit Russland braucht, wenn sie a) bereits eine mit Frankreich und b) einen Two-Power-Standard hat, der sowohl die Überlegenheit im Mittelmeer wie die in der Nordsee sichert. Diese Überlegenheit würde sich kurzfristig c) aufgrund der bestehenden, aufgelegten Neubauprogramme binnen 3 Jahren noch erheblich ausbauen.
Einzige Erklärung: man war von Russland erpreßbar (warum wohl?, und wo? und seid wann?). Deutsches Rätselraten??
(Schlafwandler III: ) schlägt sich die geplante Marinekonvention weder beim schlafwandelnden deutschen Generalstab noch bei der Marineleitung als Bedrohungsszenarion materiell nieder. Warum hat hier nicht helle Aufregung geherrscht?
(Schlafwandler IV: ) wäre die kommende Marinekonvention tatsächlich ernstgenommen worden: sind die Warnsignale von russisch-englischen Marinegesprächen genau das eingeforderte britische Abschreckungsverhalten, was Clark zu vermissen meint. Greift das Argument durch, war die "Risikopolitik" Bethmann-Hollwegs tatsächlich ein Vabanquespiel, denn die britisch-russische Annäherung war weiter demnach angeblich - konsequenterweise: - weiter gediehen als ein bloßer Interessenausgleich. Wie "behandelt" Clark diesen Widerspruch?
(Schlafwandler V: ) Wo ist die harsche deutsche Risikopolitik-Reaktion auf die unzweifelhaft wesentlich bedeutendere britisch-französische Konvention auszumachen, indem man sich seid 1912 die Flottenräume Mittelmeer und Nordsee aufteilte? Feststellbare Reaktion: Verbesserung des deutsch-britischen Verhältnisses 1913/14?
(Schlafwandler VI: ) Warum kein deutsches "Gegenangebot", waren doch (1.) die Beziehungen 1914 zu GB vor der Juli-Krise so entspannt wie nie seid 1905, (2.) das Flottenwettrüsten entschieden, (3.) die russisch-britischen Konflikte 1914 durch Liman-von-Sanders-Krise (wo sich GB der Unterstützung Russlands versagt hatte) und durch die Entwicklung in Persien verschärft.
Welche Antworten gibt Clark hierauf detailliert? Und: welche davon sind "neu"?