Mir stellt sich die Frage, ob es vor 1914 schon Kriege gab, die sich wie ein Flächenbrand ausweiteten: vielleicht die vielen wirren Befreiungskriege in Süd- und Mittelamerika im 19. Jh. (aber da kenne ich mich zu wenig aus), vielleicht indirekt der Krimkrieg (viele Beteiligte), ansatzweise der russ.-jap. Krieg 1904 - - - die anfänglichen Absichten einzelner Beteiligter (wir hatten den Schlieffenplan ausgiebig diskutiert) sind nachvollziehbar, aber nirgendwo wird eine gezielte Absicht a la "hurra, jetzt ziehen wir alle mit hinein, das wird ein Mordsspaß" sichtbar,
Ich hatte mich eigentlich einige Zeit raushalten wollen, aber das halte ich für einen recht sinnvollen Diskussionsansatz, zu dem ich doch gerne kurz noch etwas schreiben würde:
Der Erste Weltkrieg und seine Eskalationsdynamik sind aus meiner Sicht aus vier Gründen realtiv einzigartig:
1. Hier standen sich in der Ausgangssituation an die 70-80 Prozent des modernen Militärpotentials (Die USA unterhielten ja bis zum Kriegseintritt durchaus kein besonders großes Landheer und ansonsten standen im Besonderen noch im britischen Empire und in Japan modern ausgerüstete Truppen, außerhalb Europas, der Rest ballte sich dort) gegenüber und zwar ohne das irgendeine Form von Pufferzone vorhanden gewesen wäre.
2. Es hatte, nicht aus der Absicht irgendeine Partei anzugreifen, sondern aus einem übertriebenen Sicherheitsbedürfnis der Akteure heraus eine Lagerbildung stattgefunden, die letztendlich in ein Sicherheitsparadoxon einmündete und ständig Gegenmaßnahmen und Gegengegenmaßnahmen der Blöcke auf bündnispolitischer oder rüstungstechnischer Ebene herbeiführte.
3. Mindestens die Entente als Block hatte keinen klaren Anführer (auch wenn Frankreich hier sicherlich eher Juniorpartner war, aber Großbritannien und Russland hatten ein ähnlich starkes Gewicht), so dass es für Berlin und Wien sehr schwer einzuschätzen war, wie die Entente agieren würde.
4. Die beiden Blöcke hatten auch keine wirklich klar ausdefinierte Geschäftsgrundlage. Die Entente stellte de jure kein militärisches Bündnis dar, enthielt aber Absprachen mit eindeutlig militärischem Charakter (britisch-französische Marinekonvention, projektierte britisch-russische Marinekonvention), so das eigentlich nicht unbedingt klar auszumachen war, welchen Charakter dieser Block nun eigentlich hatte, war die Sache etwas schwer berechenbar machte und sicherlicher mit dem angeführten problematischen Sicherheitsbedürfnis, vor allem in Berlin korresponiderte.
Die Anmachungen im Hinblick auf den Dreibund waren zwar expliziter, in Teilen aber auch wiedersprüchlicher, so könnte man etwa anmerken, dass die österreichisch-italienische Kompensationsvereinbarung für den Fall territorialeer Zugeweinne oder Zugewinne von anderen Vorteilen, dem ursprünglich rein defensiven Charakter des Abkommens ein ganzes Stück weit wiedersprach, hinzu kommt die in den letzten 10-15 Jahren vor dem Krieg ja doch eher als "sprunghaft" zu bezeichnende Deutsche Außenpolitik, die andersherum im Lager der Entente für Probleeme gesorgt haben mag die Lage seriös einzuschäten.
Ich denke, wenn man diese Faktoren zusammen nimmt, wir man feststellen, dass diese Konstellation einzigartig ist.
Ich würde sagen, wenn es eine Konstellation gibt, die dem noch einigermaßen nahe kommt, ist das die Situation die in den 30-Jährigen Krieg einmündete, allerdings eben mit der massiven Einschränkung, dass es keine modernen stehenden Heere gab und dass mindestens auf dem Gebiet des Reiches immernoch Pufferzonen existierten, die eine potentielle Eigendynamik hier ausbremste.
Was an Schlüsselkomponenten hier in meinen Augen aber sehr ähnlich ist, ist eine sehr diffuse Blockbildung, bereits in Friedenszeiten, mit dem Zusammenschluss der protestantischen Union und der katholischen Liga, die ja auch eher diffuse Interessenbünde mit nicht so ganz klaren Zielen waren, wobei ein maßgeblicher Unterschied hier natürlich ist, dass die protestantische Union nie als de facto kriegsführende Partei in Erscheinung trat.
Wenn ich das auf den Punkt bringen sollte, ist der Grund, warum das im Ersten Weltkrieg so eskalieren konnte eine kollektive Überzeugung gewesen, Phantome bekämpfen zu müssen und zwar ohne einen wirklich funktionierenden Plan zu haben, wie man das anstellen wollte.
In allen anderen größeren Kriegen, mindestens in Europa ist es ja eigentlich so gwesen, dass die Zwecke von Bündnissen relativ klar festgehalten und herausgestellt wurden, so dass sie nur begrenzt anschlussfähig waren und in der Regel auch umrissen, wo die Grenzen waren.
Selbst in der Napoléonischen Zeit ist es ja durchaus so gewesen, dass in der Koalitionskriegsführung relativ wenig Eigendynamik war, sondern in der Regel hat sich GB mit einer oder mehrerer Kontinentalmächte für ein begrenztes Ziel gegen Frankreich zusammengeschlossen.