Der Europäer: Ein Jäger, kein Bauer

Pope schrieb:
http://www.wissenschaft.de/wissen/news/232809.html

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Ok, wagen wir eine Synthese aus den beiden Forschungsergebnissen. Wir müssen uns also die Indogermanen als anatolische Bauern vorstellen, die in kleinen Grüppchen um 5.000 v.Chr. nach Europa kamen und dort die Kultur der Bandkeramik hervor- bzw. mitbrachten. Während der demographische Beitrag der Einwanderer gering blieb, verbreiteten sich Sprache und Techniken der Einwanderer rapide unter der europäischen mesolithischen Urbevölkerung...

Lieber Pope,
im neusesten Artikel des Spiegels steht, dass auch die Brandkeramiker, welche Europa die Landwirtschaft brachten, trotz ihrem Erfolg ausstarben und nicht die Grundlage der heutigen europäischen Bevölkerung bilden.
Es wurden 57 Skelette von einem Mainzer Forscherteam untersucht, wobei es in 24 Fällen gelang eine brauchbare DNA zu isolieren und dabei stellte sich heraus, dass alles was die genetiker bisher über den Ursprung der Europäer zu wissen glaubten, falsch ist.:rolleyes:
 
heinz schrieb:
Lieber Pope,
im neusesten Artikel des Spiegels steht, dass auch die Brandkeramiker, welche Europa die Landwirtschaft brachten, trotz ihrem Erfolg ausstarben und nicht die Grundlage der heutigen europäischen Bevölkerung bilden.
Es wurden 57 Skelette von einem Mainzer Forscherteam untersucht, wobei es in 24 Fällen gelang eine brauchbare DNA zu isolieren und dabei stellte sich heraus, dass alles was die genetiker bisher über den Ursprung der Europäer zu wissen glaubten, falsch ist.:rolleyes:

Bis auf das Wort "Aussterben" sind wir uns einig.
 
Dieter schrieb:
Ich habe hier ein Buch "Die Urheimat der Indogermanen" , das 1970 in der Wissenschaftlichen Buchgemeinschaft Darmstadt erschienen ist. Es bietet mit etwa 20 verschiedenen Beiträgen einen interessanten Überblick über die Indogermanenfrage im Spiegel der Zeit, beginnt mit einem Beitrag von Kossinna aus dem Jahr 1902 und endet mit Beiträgen aus den 60er Jahren. Keiner dieser Wissenschaftler - vorwiegend Linguisten und Archäologen - lehnt jedoch die Frage nach der hypothetischen Urheimat so vehement ab, wie der zitierte Alexander Häusler.

Bei näherem Hinschauen sehe ich noch den Aufsatz von Heinz Kronasser, Vorgeschichte und Indogermanistik, wo die "linguistische Paläontologie" ("l. P.") mit mindestens ebenso deutlichen Worten verworfen wird, hier allerdings aus linguistischer und nicht aus archäologischer Sicht:

Kronasser schrieb:
Sobald wir es aber mit rekonstruierten Sprachstufen zu tun haben, treten Schwierigkeiten auf, die bisher m. E. micht überwunden sind, ja von den Autoren der l. P. nicht einmal ganz gewürdigt wurden. Diese Schwierigkeiten sind zwar schon vor mehreren Jahrzehnten in aller Deutlichkeit aufgezeigt worden, aber es scheint fast, daß die Vertreter der l. P. sie nicht wahr haben wollen und daß bisher noch gar kein wirklich objektiver Versuch gemacht worden ist, sie zu überwinden. Unter Objektivität verstehe ich aber hier auch die absolute Beschränkung auf sprachwissenschaftliche Mittel. Die oft genannte und so sehr gepriesene Zusammenarbeit der l. P. mit anderen Disziplinen sieht in Wirklichkeit so aus: Die allenthalben auftretenden Erkenntnislücken der l. P. werden unbedenklich durch Kenntnisse überbrückt, die aus der Vorgeschichte, Völkerkunde oder sonstwoher stammen. Es werden also ohnehin handgreifliche Gegebenheiten linguistisch scheinbar bestätigt; in Wahrheit ist aber der hergestellte Zusammenhang willkürlich. Besonders vorgeschichtliche Befunde werden mit Vorliebe herangezogen, die in jenen Gebieten liegen, wo der Autor die Urheimat zu suchen gewohnt oder zu finden bestrebt ist. Hier ist der Schlüssel zum Verständnis der an sich fast unglaubwürdigen Tatsache zu suchen, daß z. B. zwei so hervorragende Linguisten wie Alfons Nehring und Franz Specht in zahlreichen Einzelfragen und im Gesamtergebnis zu ganz verschiedenen Meinungen gelangt sind [...]

Kronasser S. 494 schrieb:
Daß die l. P. ihre Methoden ausschlaggebend verfeinern wird können, ist mir nicht wahrscheinlich, weil bisher trotz des aufgewendeten Scharfsinnes und vieler Mühe kein Fortschritt erzielt werden konnte [...]

Kronasser S. 496 schrieb:
So komme ich leider zum Schluß, daß die gepriesene Zusammenarbeit zwischen Linguistik und Vorgeschichte im Rahmen der l. P. bisher nur eine Anzahl zwar sehr schöner, aber auch sehr verschiedener Seifenblasen getätigt hat, unter denen man nach Geschmack wählen kann. [...]



Ebenfalls aus linguistischer Sicht verurteilt der Aufsatz des bereits erwähnten Ernst Pulgram, Indoeuropäisch und "Indoeuropäer", die Methoden und Ergebnisse der "linguistischen Paläontologie":

Pulgram S. 465 schrieb:
[...] da alle romanischen Sprachen Wörter enthalten, die mit französische prêtre und évêque, 'Priester' und 'Bischof' verwandt sind, waren die Lateiner Christen; auch Wörter, die mit französisch bière, tabac, café verwandt sind, sind gemeinromanisch und veranschaulichen, wie die Soldaten Cäsars in Straßencafés ihr Bier herunterkippten und Zigaretten rauchten [...]

Pulgram S. 466 schrieb:
Aber es ist genauso richtig, daß in manchen zeitgenössischen Kreisen solche Naivität als besonderer Scharfsinn zu gelten scheint, wie jeder sehen kann, der einige von den zahlreichen Bänden liest, die von den 'Indoeuropäern', von ihrem Leben und ihren Sitten handeln. Und wenn es nicht erstaunlich genug ist, daß solche Werke überhaupt verfaßt werden, so muß man sich doch jedenfalls wundern über die unkritische und bewundernde Gläubigkeit, mit der sie von vielen Forschern aufgenommen werden.

Pulgram S. 470 schrieb:
Wenn wir jetzt die vorangegangene Diskussion zusammenfassen, so müssen wir, so sehr wir dies bedauern, zugeben, daß alle Versuche, eine Urheimat und ein Urvolk für die urindoeuropäische Sprache zu einem prähistorischen Nullpunkt festzusetzen, aus Mangel an Beweisen fehlgeschlagen sind. Und man kann kaum erwarten, daß die unangebrachten und schlecht fundierten Vermutungen der linguistischen Paläontologie diese Lücke ausfüllen.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
heinz schrieb:
und dabei stellte sich heraus, dass alles was die genetiker bisher über den Ursprung der Europäer zu wissen glaubten, falsch ist.:rolleyes:

Auf eine solche Aussage kann man eigentlich nur kommen, wenn man nicht recht zur Kenntnis genommen hat, was die Genetiker bisher behauptet haben.

Die Genetiker glaubten nämlich bisher zu wissen, daß die Europäer größtenteils von den Sammlern und Jägern des Spätpaläolithikums und nur zu einem geringen Teil von eingewanderten Ackerbauern abstammten, wie ich bereits geschrieben habe:

http://www.geschichtsforum.de/showpost.php?p=122635&postcount=18
 
Aufgegangen - absorbiert - genetisch verdünnt?

Immerhin ist ein Rest von 0,2% nachweisbar.
 
meine Gendanken

Es wurden 57 Skelette von einem Mainzer Forscherteam untersucht, wobei es in 24 Fällen gelang eine brauchbare DNA zu isolieren und dabei stellte sich heraus, dass alles was die genetiker bisher über den Ursprung der Europäer zu wissen glaubten, falsch ist..


Ob das als statistisch repräsentativ ausreicht? Es könnte doch durchaus sein, dass es sich dabei um eine ganz bestimmte Gruppe gehandelt hat, die von der sonstigen Bevölkerung erheblich abgewichen ist (...könnte...!)

Ich hatte vor einiger Zeit im Spektrum der Wissenschaft (Dossier: Die Evolution der Sprachen) einen Überblick der verschiedenen IDG-Theorien gelesen. Danach scheint es mir am wahrscheinlichsten zu sein, dass die Ausbreitung der Landwirtschaft aus Anatolien zu einer generationsweisen Verbreitung der Idg-Bauern über ganz Europa geführt hat. Die Ausbreitungsgeschswindigkeit korreliert dann mit dem errechneten Landbedarf bei einem Anstieg der Bevölkerung bedingt durch Ackerbau auf das 50-fache! Somit gab es keinen Eroberungs-Feldzug oder Katastrophen oder Völkerwanderungen, die zur Ausbreitung der Idg nötig gewesen wären. Ausserdem kann man davon ausgehen, dass erst nach der Einführung der Landwirtschaft die nötige Masse vorhanden war, um organisierte Staatsformen zu gründen, die wieder Vorraussetzung für grossräumige Eroberungen waren.
Die Jäger und Sammler dagegen sind wahrscheinlich herumgezogen, ohne auf ein bestimmtes Land fixiert zu sein.
Andererseits ist es extrem unwahrscheinlich, dass sich die ursprünglichen Jäger und Sammler bei einer so gravierenden zahlenmässigen Unterlegenheit (von ca 1:50 gegenüber den Ackerbauern)
genetisch durchgesetzt haben sollen.
 
Zuletzt bearbeitet:
kleinerKurfürst schrieb:
Ob das als statistisch representativ ausreicht? Es könnte doch durchaus sein, dass es sich dabei um eine ganz bestimmte Gruppe gehandelt hat, die von der sonstigen Bevölkerung erheblich abgewichen ist (...könnte...!)

Nun stammen ja die Proben nicht von einer kleinen Gruppe, sondern von verschiedenen Fundorten aus Deutschland und Ungarn. Sicher lassen sich die 24 Proben nicht 1:1 auf die gesamte bandkeramikzeitliche Bevölkerung hochrechnen, aber sie zeigen doch eine gewisse Tendenz.



kleinerKurfürst schrieb:
Andererseits ist es extrem unwahrscheinlich, dass sich die ursprünglichen Jäger und Sammler bei einer so gravierenden zahlenmässigen Unterlegenheit (von ca 1:50 gegenüber den Ackerbauern)
genetisch durchgesetzt haben sollen.

Und das heißt wiederum: Die Sammler und Jäger müssen schon relativ früh selber zum Ackerbau übergegangen sein. Es kann ja nicht sein, daß die Ackerbauern "unvermischt" aus dem Südosten donauaufwärts nach Mitteleuropa gezogen sind; vielmehr haben sie in jeder Generation neuen Zulauf von den Einheimischen bekommen.
 
Ich frage mich, wo dieses N1a-Gen heute noch auftritt. Oder woher weiss man, dass die N1a-Träger aus Anatolien kamen?
 
Pope schrieb:
Ich frage mich, wo dieses N1a-Gen heute noch auftritt. Oder woher weiss man, dass die N1a-Träger aus Anatolien kamen?

Das weiß man natürlich nicht. Man weiß lediglich, daß sich die Ausbreitung des Ackerbaus von Anatolien nach Ost- und Mitteleuropa archäologisch verfolgen läßt.

Zum N1a-Gen habe ich folgendes gefunden:

The N1a haplogroup was not observed among the native American, east Asian, Siberian, Central Asian, and western European populations. The geographic distribution of haplogroup N1a is restricted to regions neighboring the Eurasian steppe zone. Its frequency is very low, less than 1.5% (Table 6), in the populations located in the western and southwestern areas of the Eurasian steppe. Haplogroup N1a is, however, more frequent in the populations of the southeastern region of the Eurasian steppe, as in Iran (but only 12 individuals were studied) and southeastern India (Karnataka and Andhra Pradesh territories). More precisely, in India haplogroup N1a is absent from the Dravidic-speaking population and is present in only five Indo-Aryan-speaking individuals, four of whom belonged to the Havik group, an upper Brahman caste (Mountain et al. 1995).

http://dienekes.ifreepages.com/blog/archives/2004_03.html
 
hyokkose schrieb:
The N1a haplogroup was not observed among the native American, east Asian, Siberian, Central Asian, and western European populations. The geographic distribution of haplogroup N1a is restricted to regions neighboring the Eurasian steppe zone. Its frequency is very low, less than 1.5% (Table 6), in the populations located in the western and southwestern areas of the Eurasian steppe. Haplogroup N1a is, however, more frequent in the populations of the southeastern region of the Eurasian steppe, as in Iran (but only 12 individuals were studied) and southeastern India (Karnataka and Andhra Pradesh territories). More precisely, in India haplogroup N1a is absent from the Dravidic-speaking population and is present in only five Indo-Aryan-speaking individuals, four of whom belonged to the Havik group, an upper Brahman caste (Mountain et al. 1995).

http://dienekes.ifreepages.com/blog/archives/2004_03.html

Bin ich alleine, wenn ich sage: Na, wenn das nicht interessant ist ... ! :grübel:

Muss es mir morgen nochmal nüchtern durchlesen :rolleyes:
 
N1a kommt heute noch in

  • der Eurasische Steppe
  • Iran
  • Indien

vor.

Und trat bei den Bankkeramikern vor 7.000 Jahren auf.

Das heisst doch, dass die Bandkeramiker genetisch mit Teilen der heutigen Inder, Iraner und Kasachen verwandt sind.

Das korreliert m.E. schon stark mit der Verbreitung der indogermanischen Sprachen.:fs:
 
Pope schrieb:
Aufgegangen - absorbiert - genetisch verdünnt?

Immerhin ist ein Rest von 0,2% nachweisbar.

Einverstanden, lieber Pope.:)
0,2% sind nicht gerade viel, war zwar in Mathe niemals sehr gut, aber es ist besser als garnichts.:rolleyes:
 
Und nochwas:

Das Kaspische Meer war um 8.000 v.Chr. ein Süßwassersee, dessen Nordufer sich 500km nördlicher befand, als heute. Es gab eine Verbindung zwischen Aralsee, Kaspischem und Schwarzem Meer. Das Land nördlich des Kaukasus war eine von Wasser eingeschlossene (Halb-)Insel, zudem nach Süden abgeriegelt durch den Kaukasus.

Es gab damals auch keine Möglichkeit, trockenen Fußes vom Donezk-Becken in den Kaukasus zu gelangen.

Wie das mit der Schwarzemeer-These zusammengeht, weiss ich noch nicht.
 
Pope schrieb:
Das heisst doch, dass die Bandkeramiker genetisch mit Teilen der heutigen Inder, Iraner und Kasachen verwandt sind.

Warum mit "Teilen"? Jeder ist mit jedem genetisch verwandt. Jeder heutige Ire hat mit jedem heutigen Japaner eine ganze Reihe gemeinsamer Vorfahren in den letzten 7000 Jahren.
(Nicht immer in "lupenreinen Abstammungslinien" denken, lieber Pope!)




Pope schrieb:
Das korreliert m.E. schon stark mit der Verbreitung der indogermanischen Sprachen.:fs:

Wenn man mal davon absieht, daß die indoeuropäischen Sprachen in Westeuropa doch ziemlich verbreitet sind...
 
heinz schrieb:
Einverstanden, lieber Pope.:)
0,2% sind nicht gerade viel, war zwar in Mathe niemals sehr gut, aber es ist besser als garnichts.:rolleyes:

Nach Hyokkoses Link, findet sich das Gen tatsächlich garnicht mehr unter den Westeuropäern. Also wären die Bandkeramiker wirklich "ausgestorben"!;)
 
Pope schrieb:
Nach Hyokkoses Link, findet sich das Gen tatsächlich garnicht mehr unter den Westeuropäern. Also wären die Bandkeramiker wirklich "ausgestorben"!;)

Da würde ich mal abwarten, bis es aussagekräftige DNA-Befunde aus dem Pariser Becken gibt.
 
Pope schrieb:
Nach Hyokkoses Link, findet sich das Gen tatsächlich garnicht mehr unter den Westeuropäern. Also wären die Bandkeramiker wirklich "ausgestorben"!;)

Das meinte ich, lieber Pope.
Der Spiegel schreibt zum Schluß: "Das erlaubt nur einen Schluss: In den folgenden Wirren von Bronze- und Eisenzeit gingen die Nachfahren der Brandkeramiker unter. Die heutigen Europäer aber bleiben gleichsam als Waisen der Geschichte zurück. Ihre Herkunft bleibt im Ungewissen".:rolleyes:
Diesmal ist der Beitrag nicht von Martin Schulz sondern von Johann Grolle verfasst.:confused:
 
hyokkose schrieb:
Warum mit "Teilen"? Jeder ist mit jedem genetisch verwandt. Jeder heutige Ire hat mit jedem heutigen Japaner eine ganze Reihe gemeinsamer Vorfahren in den letzten 7000 Jahren.
(Nicht immer in "lupenreinen Abstammungslinien" denken, lieber Pope!)

(Na, da haste den ganzen Tag schon darauf gewartet, nich?! :p )

Sodelle. Isch Genetik nix wissen. Aber so mir vorstellen:

1. Ein Gen (hier: N1a) hat sich in einer (isolierten?) Population herausgebildet und unter den Mitgliedern dieser Population (nennen wir sie: "Volk") verbreitet.

2. Nachkommen dieses Volkes kamen um 7.000 nach Mitteleuropa.

3. Nachkommen dieses Volkes sind heute nur noch in Kasachstan, Iran und Indien anzutreffen - sonst (scheinbar) nirgends auf der Welt.

-> Popes Genetik-1-mal-1: Die weiblichen Ahnen ("Urmütter dieses Urvolks" :still: ) haben es geschafft, ihre Nachkommenschaft dort zu verbreiten, wo zu irgendeinem Zeitpunkt einmal eine indogermanische Sprache benutzt wurde.

Versuche eine treffendere (ausschließliche!) Korrelation!

N1a tritt nur dort auf, wo es heiss ist? Nein
N1a tritt nur dort auf, wo Rinder heilig sind? Nein
N1a tritt nur dort auf, wo man Kannabis raucht? Schon eher :p
 
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