deutsche Identität bei den Schweizern

Die schriftlichen Dokumente wurden also in Schweizerdeutsch geschrieben. Erst mit der Aufklärung übernahmen sie in den Amtlichen Dokumenten die neuhochdeutsche Sprache. Gesprochen wurde und wird in den einheimischen Mundarten. Somit gibt es einen Unterschied zwischen den schriftlichen Dokumenten und der gesprochenen Sprache.
Das erst im 20. Jhdt flächendeckend verstandene Standardhochdeutsch scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein.
Geschichtlich gab es diese Standardsprachen zur Zeit des HRR doch nicht. Man sprach verschiedene Dialekte, hauptsächlich deutsche aber auch andere, wie in der Schweiz.
Die Herleitung der Identitäten über die Sprache, wie es in diesem Thema und in dem Bayern/Preußen-Thread kontrovers diskutiert wird, greift mE zu kurz. Ich vermisse vor allem die Religion als Gruppenbildner in den größeren Blöcken und die Nachwirkungen des Gefolgschaftswesens.
 
Ursi, da hast Du mich aber gänzlich falsch verstanden im Post 39!!!!
die Frage war oben ursprünglich
ab wann sehen sich die Schweizer nicht mehr als Deutsche. Die hast Du eineindeutig beantwortet, die Schweizer sahen sich nie als Deutsche.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Problem ist doch,daßhier mal wieder zwei völlig unterschiedliche Begriffe durcheinander gebracht werden, nämlich die im Mittelalter so bezeichnete "deutsche Zunge"-also der deutsche Sprachraum zu dem die Schweiz in Teilen zuzuordnen ist und die im 19.Jahrhundert aufgekommene,viel enger gefasste nationale Identität preußisch-deutscher Provinienz , der die Schweiz,ebenso wie die Niederlande,Luxemburg, belgisch Flamen, Elsass,Lothringen ,Liechtenstein oder Österreich zweifelsfrei nicht zuzuordnen ist, owohl das deutsch-nationale Kreise des letzten Jahrhunderts immer gerne reklamiert haben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wieso werden die hier durcheinander gebracht? Doch eher von den "Deutschnationalen" die einfach nicht verstehen können, das es deutschsprachige Völker gibt, und somit nie eine Nation wie in Frankreich. Und wegen der Sprache ist eine Abgrenzung dieser Völker, wie es für eine Nation ja notwendig wäre , nicht möglich.
 
Es ist vermutlich schon fast impertinent, einen Link ein zweites Mal zu posten. Dennoch:

Nation - Nationalität - Nationalismus - Christian Jansen, Henning Borggräfe - Google Bücher

Das Buch liegt vollständig digitalisiert vor. Abgesehen davon, dass beispielsweise Osterhammel diese Buch im Rahmen seiner Diskussion zum Nationalismus für relevant hält und es systematisch unteschiedliche Dimensionen des Nationalismus sehr gut beleuchtet, wird ab S. 144 speziell auf die Schweiz und ihr Nationbuilding ausführlich eingegangen.

Und vor allem deutlich gemacht, dass Sprache nicht in jedem Fall die Grundlage für ein Nationbuilding - im Sinne einer Weiterentwicklung einer Kultur-Nation - sein muss, sondern die Schweiz eine "Willens-Nation" ist.

In diesem Sinne sind die gemeinsamen sprachlichen Wurzeln in dem deutschsprechenden Teil der Schweiz als einheitsstiftendes Element für ein Nationbuildung nachrangig im Vergleich zu regionalen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Strukturen bzw. Interessen.

Die originären Wurzeln zum Nationbuilding der Schweiz - so Jansen/Borggräfe in ihrem Review der bisherigen Ergebnisse - basieren auf der Abgrenzung gegenüber externen Hegemonialansprüchen und gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen.

Dieses Modell hat dabei eher Ähnlichkeiten mit dem Nationbuilding der USA und weniger bespielsweise mit dem Modell der Verwirklichung eines National-Staates von Frankreich.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Herleitung der Identitäten über die Sprache, wie es in diesem Thema und in dem Bayern/Preußen-Thread kontrovers diskutiert wird, greift mE zu kurz. Ich vermisse vor allem die Religion als Gruppenbildner in den größeren Blöcken und die Nachwirkungen des Gefolgschaftswesens.


Die christliche Gesellschaft in der Schweiz war nicht anders aufgebaut wie die im Reich. Auch die grundherrschaftlichen Strukturen und Stände sehen nicht anders aus.

Damit wir hier mal was einordnen können und nicht von unzähligen Epochen sprechen, die sogar vermischt werden spreche ich mal von der Zeit um 1500.
Da waren die kirchliche Präsenz und das religiöse Leben sehr intensiv. In allen grösseren Städten der Schweiz gab es mehrere Klöster, wenn die Priester und Chorherren zusammen zählen waren dies ca. fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung in einer Stadt. Auf dem Land war das kirchliche Netz ebenfalls sehr dicht. Als Beispiel nehme ich den Kanton Thurgau. Der hatte um 1500 herum ca. zwanzigtausend Einwohner, es gab in diesem Kanton 76 Pfarreien mit 162 Geistlichen.

Die Reformation war eine Zäsur. Die Schriften von Martin Luther gelangten in die Schweiz und dies wirkte sich sehr rasch auf die kirchliche Situation aus. Einzelne Prediger beriefen sich auf ihn und die einzelnen Orte mussten nun auf Druck der Anhänger Luthers Stellung nehmen.

Das sah in der Praxis gab es dann drei Möglichkeiten:

1. Rascher Anschluss an die reformatorische Bewegung
2. Ein abwartendes Verhalten
3. Ein schnelles Vorgehen gegen die "Ketzerei"

Zürich wählte mit Huldych Zwingli den ersten Weg. Als erstes gab es ein Bruch des kirchlichen Fastengebots. Dies führte dazu dass der Bischof von Konstanz einschritt. Der Zürcher Rat entschied sich für die Durchführung einer öffentlichen, kontradiktorischen Disputation über das Thema und beschloss das Zwingli seine Tätigkeit ungehindert weiterführen durfte.

Die Reformatoren in Zürich brachten eine eigene Bibelübersetzung heraus die in "tütsch eidgnossischen Landsprach" der schweizerischen Kanzleisprache verfasst wurde.
 
zaphodB.
Das Problem ist doch,daßhier mal wieder zwei völlig unterschiedliche Begriffe durcheinander gebracht werden, nämlich die im Mittelalter so bezeichnete "deutsche Zunge"-also der deutsche Sprachraum zu dem die Schweiz in Teilen zuzuordnen ist und die im 19.Jahrhundert aufgekommene,viel enger gefasste nationale Identität preußisch-deutscher Provinienz , der die Schweiz,ebenso wie die Niederlande,Luxemburg, belgisch Flamen, Elsass,Lothringen ,Liechtenstein oder Österreich zweifelsfrei nicht zuzuordnen ist, owohl das deutsch-nationale Kreise des letzten Jahrhunderts immer gerne reklamiert haben.

Richtig, die Frage in diesem Thread setzt voraus, dass "deutsch" in früheren Jahrhunderten idR "deutsch sprechend" meinte, und in diesem Sinne (so meine Vermutung) auch die Bevölkerung der Schweiz mitinbegriff.
Die Frage, ob sich Schweizer jemals als Deutsche (in sprachlich-ethnischer Hinsicht) begriffen, wurde von ursi, zu meiner Überraschung, mit einem klaren Nein beantwortet.
Wieso werden die hier durcheinander gebracht? Doch eher von den "Deutschnationalen" die einfach nicht verstehen können, das es deutschsprachige Völker gibt, und somit nie eine Nation wie in Frankreich. Und wegen der Sprache ist eine Abgrenzung dieser Völker, wie es für eine Nation ja notwendig wäre , nicht möglich.
Ich verstehe den Unterschied zu Frankreich, wie er hier formuliert ist, nicht. Es gibt ebenso französischsprachige Völker, die nicht zu Frankreich gehören:
Romandie, Wallonien, Quebec...
 
Die christliche Gesellschaft in der Schweiz war nicht anders aufgebaut wie die im Reich. Auch die grundherrschaftlichen Strukturen und Stände sehen nicht anders aus.
Du hast mich mißverstanden, Ursi. Ich wollte keinesfalls die Schweiz nach Deutschland eingemeinden oder von diesem abgrenzen, weil es Unterschiede in Religion und Strukturen gegeben hat.
Nein, ich wollte diese Sprachnationfixierung hinterfragen, die immer wieder diese Diskussion über die Schweiz und Österreich aufkommen läßt.


.......Die Reformation war eine Zäsur. Die Schriften von Martin Luther gelangten in die Schweiz und dies wirkte sich sehr rasch auf die kirchliche Situation aus. Einzelne Prediger beriefen sich auf ihn und die einzelnen Orte mussten nun auf Druck der Anhänger Luthers Stellung nehmen.

Das sah in der Praxis gab es dann drei Möglichkeiten:

1. Rascher Anschluss an die reformatorische Bewegung
2. Ein abwartendes Verhalten
3. Ein schnelles Vorgehen gegen die "Ketzerei"

Zürich wählte mit Huldych Zwingli den ersten Weg. Als erstes gab es ein Bruch des kirchlichen Fastengebots. Dies führte dazu dass der Bischof von Konstanz einschritt. Der Zürcher Rat entschied sich für die Durchführung einer öffentlichen, kontradiktorischen Disputation über das Thema und beschloss das Zwingli seine Tätigkeit ungehindert weiterführen durfte.

Die Reformatoren in Zürich brachten eine eigene Bibelübersetzung heraus die in "tütsch eidgnossischen Landsprach" der schweizerischen Kanzleisprache verfasst wurde.

Die Zäsur der Reformation greift auch in anderen ehemaligen HRR-Gebieten und ist evtl. Mitursache für die Differenzen zwischen dem preußischen Norden und dem Süden mit seiner Vielzahl von staatsähnlichen Gebilden.
Damit entferne ich mich aber zu weit von der Schweiz, für mich ist es ohnehin keine Frage, dass die Schweiz ihre eigene staatliche Identität hat.
 
Richtig, die Frage in diesem Thread setzt voraus, dass "deutsch" in früheren Jahrhunderten idR "deutsch sprechend" meinte, und in diesem Sinne (so meine Vermutung) auch die Bevölkerung der Schweiz mitinbegriff.
Die Frage, ob sich Schweizer jemals als Deutsche (in sprachlich-ethnischer Hinsicht) begriffen, wurde von ursi, zu meiner Überraschung, mit einem klaren Nein beantwortet.

Ich verstehe den Unterschied zu Frankreich, wie er hier formuliert ist, nicht. Es gibt ebenso französischsprachige Völker, die nicht zu Frankreich gehören:
Romandie, Wallonien, Quebec...

MacX, laß uns die Sprachnationenfragen doch in einem eigenen Thema diskutieren. Thanepower hatte weiter oben einen passenden theoretischen Einstieg gepostet. Diese Fragen nur in Bezug auf die Schweiz abzuhandeln, erlaubt keinen breiteren Blick auf die europäische Geschichte der Nationenbildungsphase und das frühe 20. Jhdt.
 
Richtig, die Frage in diesem Thread setzt voraus, dass "deutsch" in früheren Jahrhunderten idR "deutsch sprechend" meinte, und in diesem Sinne (so meine Vermutung) auch die Bevölkerung der Schweiz mitinbegriff.
Die Frage, ob sich Schweizer jemals als Deutsche (in sprachlich-ethnischer Hinsicht) begriffen, wurde von ursi, zu meiner Überraschung, mit einem klaren Nein beantwortet.

Die Frage kann man ja auch umgekehrt stellen - wann sahen sich Deutsche als Deutsche an?

Das kann man doch auch nicht klar beantworten. Nur weil man heute das gerne sehen würde, dass jeder der in irgendeiner Form Deutsch spricht oder sprach sich auch als Deutsche ansehen muss/sollte.

Ich bin da eben immer noch der Meinung, da wird viel zu viel hineininterpretiert.

Die Habsburger zum Beispiel haben im 14. Jahrhundert eine Chronik in Auftrag geben, diese Chronik der 95 Herrschaften wurde in bayrisch-österreichisch verfasst. Was sagt uns das nun - sie hatten eine deutsche Identität, sahen sich als Deutsche? Es sagt überhaupt nichts aus als was sich der Schreiber oder Auftraggeber gesehen hat. Wenn man natürlich was hineininterpretierten möchte, kann man das nur ob das dann historisch Korrekt ist bezweifele ich.

Dann meine nächste Frage, weshalb ist das so wichtig ob sich die Schweizer je als Deutsche sahen?

Man muss schon eine Unterscheidung machen, ab wann es eine Nationenbildung gab und ab wann dieses Nationengefühl aufkam. Über die Sprache selber kommen wir auf keinen grünen Zweig. Dazu fehlen uns eben auch wichtige Quellen und ohne Quellen gibt es keine historische Arbeit.
 
Zuletzt bearbeitet:
rena8
MacX, laß uns die Sprachnationenfragen doch in einem eigenen Thema diskutieren. Thanepower hatte weiter oben einen passenden theoretischen Einstieg gepostet. Diese Fragen nur in Bezug auf die Schweiz abzuhandeln, erlaubt keinen breiteren Blick auf die europäische Geschichte der Nationenbildungsphase und das frühe 20. Jhdt.
Das Thema ist die Eigenbezeichnung der Schweizer in der Geschichte als "deutsch", und das will ich diskutieren. Von Sprachnationen habe ich höchstens in Reaktion auf andere Beiträge gesprochen.


ursi
Die Frage kann man ja auch umgekehrt stellen - wann sahen sich Deutsche als Deutsche an?
Das ist dann also die Frage nach der frühesten Selbstbezeichnung als "Deutsche"; und die haben wir in vielen anderen Threads schon besprochen.

Dann meine nächste Frage, weshalb ist das so wichtig ob sich die Schweizer je als Deutsche sahen?
Ich finde es ist eine interessante Frage, vorallem vor dem Hintergrund, dass sich die Bedeutung von "deutsch" über die Jahrhunderte gewandelt hat, bzw. von steter Wandelung betroffen ist. Wenn es eine Eigenbezeichnung als "deutsch" in der Schweiz einmal gegeben hat, (was ja meine Vermutung ist), dann wäre es interessant zu wissen, wann und wodurch bedingt diese Eigenkategorisierung aufhörte.
 
Ich finde es ist eine interessante Frage, vorallem vor dem Hintergrund, dass sich die Bedeutung von "deutsch" über die Jahrhunderte gewandelt hat, bzw. von steter Wandelung betroffen ist. Wenn es eine Eigenbezeichnung als "deutsch" in der Schweiz einmal gegeben hat, (was ja meine Vermutung ist), dann wäre es interessant zu wissen, wann und wodurch bedingt diese Eigenkategorisierung aufhörte.

Ich finde es müsig über eine Vermutung zu diskutieren. Wenn du mir eine Primärquelle bringst die deine Vermutung unterstützt, dann diskutiere ich weiter.
 
Dann meine nächste Frage, weshalb ist das so wichtig ob sich die Schweizer je als Deutsche sahen?

Eine schwierige Frage!

Die Schweizer Eidgenossen fühlten sich bis zum Ausgang des Mittelalters dem Reich zugehörig, was allerdings nicht deckungsgleich mit einer "deutschen Identität" ist. Überhaupt sind solche Vokabeln in dieser Zeit mit Vorsicht zu genießen.

Im Hochmittelalter besaßen die Fürstbischöfe von Basel, Genf und Lausanne Reichsstandschaft und waren somit auf den Reichstagen vertreten, ebenfalls die Reichsabtei St. Gallen oder die Reichsstädte Basel, Bern und Zürich. Um die Gotthardstraße für das Reich zu sichern, kaufte König Heinrich VII. 1231 den Grafen von Habsburg, dem bedeutendsten Dynastengeschlecht, die Leute von Uri ab und versprach ihnen die ewige Reichsunmittelbarkeit. 1240 erlangten die Leute von Schwyz ein ähnliches Privileg von Kaiser Friedrich II.

Als 1291 die drei so genannten Waldstätte auf unbefristete Zeit im Ewigen Bund ein Landfriedensbündnis schlossen, wurde das zur Keimzelle der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Ab hier ändert sich allmählich das Verhältnis zum Reich, denn die Schweizer Reichsstädte treten ab dem 14. Jh. in das Bündnis ein, der Einfluss eines übergeordneten Reichsvogts schwindet.

Im 15./16. Jh. erreichte die Eidgenossenschaft ungefähr ihren heutigen Umfang, das Verhältnis zum Reich kühlte sich immer mehr ab. Ein letzter Unterwerfungsversuch König Maximilians nach der Nichtanerkennung der Reformbeschlüsse des Wormser Reichstags von 1495 durch die Orte scheiterte im Schwabenkrieg 1499. Der Friede von Basel vom 22.9.1499 besiegelte mit dem Verzicht Maximilians auf alle Hoheitsrechte im Bundesgebiet de facto das Ausscheiden der Schweiz aus dem Reich, auch wenn es völkerrechtlich erst 1684 im Westfälischen Frieden dazu kam.

Dass sich die Schweizer als "Deutsche" gefühlt hätten, scheint mir bis zum 16. Jh. eine anachronistische Sichtweise zu sein, nach der völkerrechtlichen Souveränität 1644 setzte sich die Entwicklung einer schweizerischen Identität verstärkt fort.
 
Ursi, wenn sich die Schweizer in direkter Nachbarschaft zu "Deutschen" nicht als Deutsche sahen, könnten die Gründe dafür auch zur Erklärung des Scheiterns z.B. der Paulskirche und anderer Einigungsversuche "der Deutschen" heran gezogen werden.
Die Schweizer als ein Extrem der deutschsprachigen Völker in Sachen "deutsches Nationalgefühl", der Nullpunkt sozusagen. Allgemein Schriftdeutsch ja, Deutsche nein

Eine der ersten Bezeichnungen "Teutonicum" (Deutsch) stammt von Bremischen und Lübschen Kaufleuten im Hlg Land. Die Gründung des "Deutschen Ordens"
Da diese Herren nun alles, aber kein Hochdeutsch sprachen ....
 
Dass sich die Schweizer als "Deutsche" gefühlt hätten, scheint mir bis zum 16. Jh. eine anachronistische Sichtweise zu sein, nach der völkerrechtlichen Souveränität 1644 setzte sich die Entwicklung einer schweizerischen Identität verstärkt fort.

Anachronistisch könnte diese Sichtweise ja nur sein, wenn es zeitgleich bzw. vorher nirgendwo eine Selbstbezeichnung als "Deutsche" gegeben hätte. Da es das gab, kann es höchstens im Falle der Schweizer unzutreffend sein.
 
Anachronistisch könnte diese Sichtweise ja nur sein, wenn es zeitgleich bzw. vorher nirgendwo eine Selbstbezeichnung als "Deutsche" gegeben hätte.

Diese "deutsche Identität" war bis zum 15. Jh. nur in Spuren vorhanden, schon gar nicht beim einfachen Volk, das in großer Mehrheit zu etwa 80-90% auf dem Land lebte.
 
Ich kann nicht beurteilen, in welchem Umfang eine deutsche Identität vor dem 15. Jhd verbreitet war, wohl aber, dass es sie bei bestimmten Akteuren gegeben hat.
Inwiefern das auf die Bauern anzuwenden wäre, unterliegt wohl im Allgemeinen der Mutmaßung.
 
Diese "deutsche Identität" war bis zum 15. Jh. nur in Spuren vorhanden, schon gar nicht beim einfachen Volk, das in großer Mehrheit zu etwa 80-90% auf dem Land lebte.

Im Neolithikum lebten laut Schätzungen von Archäologen 10 000 bis 20 000 Menschen im schweizerischen Mittelland, in der Eiszeit dann ca. 30 000 bis 40 000. In der Bronzezeit führte der verstärkte Handel zur Besiedlung der Berggebiete. Die Angaben werden dann mit der Eroberung der Römer zuverlässiger. Nach der Niederlage der Helvetier bei Bibracte wird die Bevölkerung auf knapp 150 000 Menschen geschätzt.
Während der römischen Herrschaft bestand die Landbevölkerung im 2. Jahrhundert nach Christus aus ungefähr 120 000 Einwohnern, die in den drei Coloniae Augusta Rurica, Aventicum und Colonia Iulia Equestris, in Marktort Forum Claudii Vallensium und dem Legionslager Vindonssia lebten. Dazu kamen noch zwanzig Vici wo weitere 70 000 Menschen lebten. Im Zuge der Alemannen- und Burgundereinfälle verringerte sich die Bevölkerung stark und erst im 6. Und 7. Jahrhundert entstanden dann neue Siedlungen. Die Bevölkerung wuchs im 1300 von 500 000 auf 700 000 bis 850 000 Personen an. Dieses Wachstum war von einem wirtschaftlichen Aufschwung begleitet. Nach neusten Schätzungen konnte die landwirtschaftliche Nutzfläche im schweizerischen Mittelland durch die Urbanisierung bis zu einem Drittel erweitert werden. Es entstanden neue Siedlungen, nicht nur im Flachland sondern auch in den Höhenlagen, wie im Jura, in den Voralpen und in den Alpen.
Es kam zu Städtegründungen und –Erweiterungen. Die seit der Antike bestehenden Städte wurden zu Bischofsresidenten, das waren Genf, Lausanne, Sitten, Basel und Chur. Siedlungen um Klöster und Pfalzen wurden zu Stadt, wie Luzern, St. Gallen oder Zürich. Die Siedlungsfläche vergrösserte sich im 12. Jahrhundert auf das Doppelte bis Dreifache.
Als Beispiel Genf:
Einwohnerzahl im 11. Jahrhundert: 1 350
Einwohnerzahl im 13. Jahrhundert: 3 800

17 Städte haben das Frühmittelalter überdauert, dazu kamen im 12. Jahrhundert 15, im 13. Jahrhundert 156 und im 14. Jahrhundert 8 neue Städte dazu. Einige davon blieben im schweizerischen Mittelland sehr klein. Um 1300 lebten weniger als 3% der Gesamtbevölkerung in den Städten, als Vergleich Deutschland 7,9%, Frankreich 8% und Italien 20,8%.

Quelle: Historisches Lexikon der Schweiz
 
Identitätsstiftung und Abgrenzung

Abgesehen von Sprach- & Kulturgruppen, sowie von religiöser Konfession gibt es noch weitere, Identitätsstiftende Faktoren.

In den antiken, germanischen Stämmen waren das nicht zuletzt die durch R. Wenskus schön herausgearbeiteten „Traditionsgruppen“. Diese waren oft Träger von Sprache oder Konfession… Ich erwähne sie aber gerade, weil ihnen zu Recht eine Identitätsstiftende Bezugsfunktion zugesprochen werden kann. Das mögen „königliche Familien“ gewesen sein, oder auch mehrere. Es hat offensichtlich funktioniert.
Ganz ähnlich wirkten auch im Mittelalter die ursprünglich auf Lehnsabhängigkeiten zurückgehenden Bande zwischen Adeligen und ihren Untertanen. Bis zur Neuzeit hin ist es vielen, ursprünglichen Feudalherrschaften gelungen, eine erfolgreiche Territorialisierung ihrer Besitzungen durchzusetzen. Hier hat gerade in der Neuzeit oft eine eigene Identitätsbildung der dortigen Bevölkerung stattgefunden, ungeachtet älterer sprachlicher, oder kultureller Bande! Sicherlich mögen hier die Folgen der Reformation (und damit religiöser „Vereinheitlichung“ in einem Herrschaftsgebiet) eine verstärkende Rolle gespielt haben. Aber bereits vor diesem Zeitpunkt waren einige Territorialisierung weit fortgeschritten. Für „Außenstehende“ ist die oft sehr deutliche Selbst-Abgrenzung zwischen „Badensern & Württembergern“, oder von „Westfalen und Lippischen“ kaum zu verstehen, zumal vor allem das Fürstentum Lippe besonders eindeutig Folge einer Territorialisierung ist. Dem „Eigenbewusstsein“ der jeweiligen Einwohner ist das aber Zweitrangig. Trotz dieser schönen Ableitung ist dieser Ansatz aber für die Schweiz und ihre direkte Identitätsstiftung (abgesehen vielleicht nur innerhalb ihrer Kantone?) untauglich. Sehr wohl aber etwa für Luxemburger oder Liechtensteiner. Auch für Österreichs Identität waren diese Prozesse gewiss nicht unwichtig…

Aber es gibt noch einen anderen Identitätsansatz, der ebenfalls aus der Antike heraus bekannt ist. Ich meine gerade nicht die bereits damals bekannte Abstammungsgemeinschaft als Basis für eine eigene Identität. Dieser war durchaus wichtig für die Bewohner einer griechischen Polis ebenso, wie für manchen mitteleuropäischen Stamm und wurde in der Vergangenheit gerne als Basis für eine deutsche Identität beschworen… Darauf will ich aber gar nicht hinaus: Ich meine das spezielle Identitätsbewusstsein der Römer. Römer war man nicht einfach nur durch Abstammung, sondern auch durch Gesetz. Die Römer definierten fast alle Lebensbereiche durch das Gesetz. Römischer Bürger zu sein war eine Rechtsstellung – in gewissem Sinne in den Provinzen Anfänglich auch so etwas wie ein bevorzugter Stand, aber das führt hier zu weit. Durch einen offiziellen Rechtsakt wurde einem Menschen das römische Bürgerrecht verliehen. In der Schweiz wird dem „Rütlischwur“ wohl eine ähnliche Bedeutung zugemessen, auch wenn er vielleicht eher legendär ist. Fakt ist, dass die „Ur-Schweizer“ sich in einem gemeinsamen Rechtsakt zusammenschlossen, eben der „Eidgenossenschaft“. Das erscheint mir als eigentlicher, Identitätsstiftender Akt für die Schweiz. Selbst wenn diese Eidgenossenschaft anfänglich gemäß der Ständegemeinschaften, welche zu jener Zeit in ganz Europa üblich waren, nur von den Vertretern dieser Untergemeinschaften (vereinfacht der Kantone) beschworen worden waren!

In der Folge der Schweizer Geschichte findet sich eine m.E. durchaus bemerkenswerte Rivalität der „Deutschschweizer“ gegenüber den mit ihrer „alemannischen Sprache“ doch relativ „nahe verwandten Brüder“ Süddeutschlands. Manifestiert besonders in der Rivalität zwischen „Schweizer Reisläufern“ und den ursprünglich im süddeutschen Raum aufkommenden „Landsknechten“. Diese Rivalität hatte weitere Gründe, entfaltete aber sicherlich eine weitere, abgrenzende Wirkung gegenüber den nördlichen Nachbarn, genau wie die „Unabhängigkeits-Kriege“ gegen die Aufgebote der Habsburger mit ihrem österreichischen Machtzentrum im Osten.
Frankreich dagegen war lange der natürliche Verbündete im Kampf um die eigene Souveränität und gleichzeitig wichtigster Arbeitgeber für die schweizer Reisläufer. Frankreich brauchte die schweizer Verbündeten und seine Könige achteten deren Souveränität! Italien, als weiterer „Pool einer anderen, eher ethnischen Orientierung“ war für Jahrhunderte kein vergleichbarer „Sammelpunkt“ einer alternativen Identität. Im Gegenteil verfolgte die Schweiz über einige Zeit hinweg eine Expansionspolitik in diese Richtung. Es war also eher Ventil, statt Druckgeber! Bis zum Entstehen eines italienischen Nationalstaates war die schweizer Identitätsbildung abgeschlossen. Das Gleiche gilt eigentlich auch für den deutschen Nationalstaat. Da aber die Schweiz aus deutscher Sicht überwiegend deutschsprachig ist und man im Gegensatz zu Frankreich und selbst Italien immer eine eher föderale Struktur besaß, glaubte man wohl im Norden dass die Schweizer auch in einem deutschen Nationalverband genug ihrer Eigenheiten bewahren können würden, wenn sie sich dieser Nation anschließen würde. Der bei der Gründung des deutschen Nationalstaates bestimmende Grundgedanke einer eher „ethnischen Gemeinsamkeit“ hataber keine Attraktivität für die auf einem Rechtsakt fußende, schweizer Identität gezeigt. Auch die Römer haben aus ethnisch-mythologischen Überlegungen heraus keinen anderen „Trojanern“ (sie leiteten sich mythisch von diesen ab!) besondere Vorteile gewährt. Sie bestanden auf ihren Rechtsakt als alleingültiges Identifikationsmerkmal!
 
Die Schweizer sahen sich früher genauso als Deutsche wie die Österreicher, die Liechtensteiner und die Luxemburger. Im kulturell-ethnischen Sinne! Der Begriff "deutsch" bezeichnete früher zwei Sachverhalte:

1. Die politische Zugehörigkeit zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, zum Deutschen Bund oder zum Deutshen Reich.
2. Die Zugehörigkeit zum deutschen Kulturraum.

Was damals als deutsch im kulturell-ethnischen Sinne galt, würden wir heute als "deutschsprachig" bezeichnen, aber die Vokabel trifft die Bedeutung nur zur Hälfte, denn die "Deutschsprachigen", die unabhängig von ihrer Staatszugehörigkeit existierten, verstanden sich als eine kulturell-ethnische Einheit, was beim heutigen Begriff "deutschsprachig" nicht mehr mitschwingt.

Aus dem Buch "Geschichte der Deutschen" (Band 2) von Wolfang Menzel heißt es:

Der Kaiser [Maximilian]: "Seit vielen Jahrhunderten waret ihr Eidgenossen ein fester Schirm teutscher Nation wider das wälsche Volk. Ist nun alte Treue und Glauben von euch gewichen? werdet ihr ferners solche unchristliche und ungerechte Händel befördern? Genua habt ihr für Frankreich erobert. Werdet ihr dem fremden König ferner eure Waffen leihen, so steht euch Schande bevor, so wird die alte teutsche Ehre, Würde und Freiheit vom wälschen Volk geraubt werden. Die höchste weltliche Würde steht bei den Teutschen, die Eidgenossen sind Teutsche, als gleicher Sprache, Sitten, Wesens und Vaterlandes. Nun trachtet der französische König, der teutschen Nation Ehre und Würde durch der Schweizer mächtige Waffen zu rauben. Soll seine unersättliche Ländergier ferners befriedigt werden, welches drückende Joch wird er dann seinen Nachbarn, voraus euch Schweizern selbst an den Hals werfen. Er hat noch allen sein Wort gebrochen. Hättet ihr wahre Kenntniß dieser Sachen gehabt, eure angeborne Treue und Liebe für teutsche Ehre und Würde hätte nie erlaubt, wider teutschen Vaterlandes eignen Vortheil dem französischen König die Waffen zu leihen."

Marx Roüst, Bürgermeister von Zürich, sprach: "Wahrlich, der Eidgenoß ist noch nicht geboren, der so verworfen wäre, die Zierde des deutschen Volks, deß Bluts und Stammes auch wir sind, die Kaiserkrone, Ehre und Würde auf die wälsche Nation der Franzosen übertragen zu wollen. Und weil solche Beschuldigung auf den französischen König fallen, wollen wir unser Kriegsvolk von ihm zurückziehen."
Zu dem Zeitpunkt gehörten die Eidgenossen noch zum Reich. Hier ist also vom Deutschtum im 1. und 2. Sinne die Rede.

Im Jahre 1902 hielt der Berner Professor Dr. Ferdinand Vetter in Nürnberg anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Germanischen Nationalmuseums folgende Rede, wo dann eben kein politisches, sondern nur noch ein kulturell-ethnisches Deutschtum gemeint ist (2.):

»Hochgeehrtes Direktorium des Germanischen Nationalmuseums!

Hochansehnliche Versammlung!

Zum Jubelfeste Ihres Museums habe ich die Ehre, Ihnen im Namen der schweizerischen Hochschulen deutscher Zunge Gruß und Glückwunsch zu entbieten. Das Schweizervolk deutschen Stammes, das seine Hochschulen meist selbst gegründet hat und nach bestem Vermögen hegt und pflegt, denkt nicht immer daran, wie eng diese Anstalten mit dem geistigen Leben der gesamten deutschen Nation verknüpft sind, und wie namentlich unsere Vergangenheit eine gemeinsame ist. So kommt es uns deutschen Schweizern hier und heute an diesem Feste der deutschen Vergangenheit auch erst wieder recht zum Bewußtsein, daß wir geistig immer wieder zusammengehört haben: daß Karl der Große und die Nibelungen uns mit gehören, und daß die Vorbilder von Allerheiligen zu Schaffhausen und des Münsters zu Bern in Hiersau und in Ulm stehen oder gestanden haben. Aber andererseits empfinden wir es hier auch aufs Neue wieder, daß die bescheidenen Eigenheiten unseres schweizerischen Alpenhauses, unserer schweizerischen Schlösser und Klöster ein wichtiger und nicht wegzudenkender Teil der Kultur und Kunstgeschichte des großen deutschen Gesamtvolkes sind, trotz der Burg und dem Karthäuserkloster zu Nürnberg, trotz Wartburg und Kloster Maulbronn. Eine deutsche Provinz in geistiger Beziehung also wollen wir in der deutschen Schweiz sein und bleiben, aber allerdings mit sehr bestimmten Reservatrechten! Wir freuen uns heute — und hier in Nürnberg — daß wir deutschen Schweizer nicht wie ein Teil des niederdeutschen Stammes mit der politischen Abtrennung vom Reiche auch die sprachliche und kulturelle vollzogen haben; wir freuen uns, daß wir uns geistig hier als Deutsche unter Deutschen, als Landsleute Goethes und Schillers, Erwin von Steinbachs und Albrecht Dürers fühlen können; wir freuen uns heute und hier, nicht blos, wie Gottfried Keller, der in trüber Zeit einen stillen Ort am Rhein gefunden hat, wo er ›Schweizer darf und Deutscher sein‹, sondern wir freuen uns unter Deutschen am Feste dieser deutschen Anstalt, daß wir als deutsche Schweizer zugleich dem Geiste nach Deutsche sind und es zu bleiben hoffen!

Diese werbende Kraft, dieser stammverbrüdernde Geist lebt für uns Deutschschweizer vor allem in Nürnberg und seinem Germanischen Museum, und so rufen wir deutschschweizerischen Hochschulen denn heute aus vollem Herzen mit Ihnen:
Heil, Nürnberg, Stadt der alten Reichskleinodien, Stadt des neuen und schönsten Reichskleinods! Heil Germanisches Museum, du weit über die Grenzen des deutschen Reichs hinaus und auch für uns deutsche Schweizer auf geistigem Gebiete ›allezeit Mehrer des Reichs‹!«
Heute können viele Leute das nicht mehr nachvollziehen, weil wir nur noch in Staatsgrenzen denken. Deutsch ist, wer zur Bundesrepublik gehört. Wenn Brandenburg morgen austräte, wäre es eben nicht mehr deutsch. Unsere Vorfahren hatten da aber eine andere Meinung und sahen die Sache etwas anders.

_______________

Gleiches gilt auch für die (relativ großen) Minderheiten in den USA oder Australien - ich hab noch nie einen US-Amerikaner deutschen Ursprungs sagen hören, er wäre Deutscher.
Ich schon. Bei den Amerikanern ist es gang und gäbe, sich als Irish, English, Puerto Rican oder eben German zu bezeichnen, je nachdem, woher sie größtenteils stammen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben