Die Außenpolitik im Kaiserreich: Vergleich Bismarck u. Wilhelm II

Sowie die Auswirkungen der durch die Industriealisierung möglich gewordenen Wettrüstung als Mittel des Friedenserhaltes.

Das wurde ja in den Kreisen, die Bethmanns Art der Politk der Annäherung an Großbritannien sehr kritisch gegenüberstanden, als probates Mittel betrachtet, um einfach abzuwarten, damit die Engländer auf Deutschland zu kämen.
 
Aus einer nicht zitier fähigen Quelle (Führung durch Hamburger Senat) habe ich gehört, dass der Kaiser dem Hamburger Senator Johann Heinrich Burchard den Posten des Reichskanzlers angeboten hat (an anderer Stelle habe ich keine Bestätigung gefunden). Gibt es irgendwelche Informationen welche außenpolitische Ideen die drei genannten zu Beginn der Regierungszeit Bethmann hatten? Welche Strategien wurden von anderen (Parteien, Journalisten) diskutiert? Ein wirkliches Konzept habe ich nur von Tirpitz gesehen.
Die Kommentare geben schon einen Eindruck von Alternativlosigkeit wieder, die besteht, wenn man in Kategorien London, Paris, Wien und St. Petersburg denkt. Ich denke, dass jeder Politiker die Interessen von London, Paris und St. Petersburg analysiert hätte und dann entsprechend dem Ergebnis den Hebel angesetzt hätte. Da der nächste Krieg wiederum im wesentlichen die gleiche Feindkonstellation zeigte, stellt sich schon die Frage, ob niemand einen weiteren Weg sah.

Die Marinepolitik war für Bethmann ein zentrales Thema. Er war der Auffassung, dass eine Verständigung mit England über eine Reduzierung der Kaiserlichen Flotte zu erreichen war.

Meine These ist, dass dies nicht richtig ist.

Warum brauchte das Reich nach überwiegender damaliger Ansicht damals eine Flotte?
Zunächst ein paar Zahlen nach Delbrück (zitiert nach Ritter, Das Deutsche Kaiserreich): Volumen der Einfuhren 1880 RM 2,8 Mrd., 1912 RM 10,69; Ausfuhren 1880 RM 2,92, 1913 RM 10,7. Zitat Delbrück Reichstagsrede vom 20.01.1914: „Ein Vergleich mit Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten zeigt, dass in seinem Gesamthandel noch im Jahre 1891 mit Frankreich und den Vereinigten Staaten auf einer Stufe gestanden hat, britischerseits um rund 75% übertroffen wurde. Heute hat Deutschland die beiden zuerst genannten Länder weit überflügelt und ist dem britischen Gesamthandel nahegerückt……..Der britische Gesamthandel übertrifft hiernach den französischen um 92%, den amerikanischen um 44% und den deutschen nur noch um 16%.“ Der Anteil des Außenhandels am Volkseinkommen betrug 1914 schon 34%, ein Wert, der erst in den sechziger Jahren wieder erreicht wurde. Das Deutsche Reich war in einem enormen Wandel begriffen und die Wirtschaft, Grundlage des Wohlstands, musste natürlich auch militärisch abgesichert werden. Es war der Außenhandel, der für Wohlstand sorgte. 1914 wurde das „Königliche Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft“ – heute Institut für Weltwirtschaft – in Kiel gegründet (die weltweit erste Einrichtung für die Erforschung internationaler Wirtschaftsbeziehungen). Dies zeigt die enorme Bedeutung, die man dem Außenhandel beimaß. Militärisch konnte dieser nur über eine Marine gesichert werden, da das Heer nur auf die unmittelbaren Nachbarn einwirken konnte.

Die Flottengesetze waren Rechtsakte des Reichstags und somit Willen des gesamten Volkes (bei der Abstimmung über das Flottengesetz am 26.03.1898 ergab sich eine fast eine Zweidrittelmehrheit, nämlich 212 zu 139 Stimmen, die Gegenstimmen kamen von Konservativen, die das Heer unterstützen wollten und – allerdings aus grundsätzlicher Opposition gegen das Kaiserreich - von der SPD).
Der Reichstag war vor der Abstimmung durch das Weißbuch "Die Seeinteressen des Deutschen Reiches" gut informiert. Und die Flottengesetze sprachen sich für das Tirpitz’sche Konzept der Schlachtflotte aus (es gab wohl auch keine ernsthafte Alternative zu dieser Zeit; das Konzept von Galster – Kreuzerflotte - wurde 1907 vorgestellt und konnte den Tirpitz’schen Einwand der nicht möglichen Kohleversorgung im Ausland nicht entkräften – siehe auch den „Bärenfell: Maltzahn“ thread, U-boote waren noch nicht wirklich brauchbar, die erste längere U-bootfahrt wurde in den ersten Kriegstagen 1914 durchgeführt – von Deutschen). Ein Verzicht auf den Flottenbau wäre nur möglich gewesen, wenn das Reich in entsprechende Allianzen (so wie heute die NATO) eingebunden gewesen wäre. Solche gab es damals nicht. Der Begriff der „Luxusflotte“ von Churchill anlässlich eines Werftbesuchs in Glasgow 1912 ist in Deutschland auf starken Widerspruch gestoßen.

War die Flotte im Prinzip richtig, aber doch zu groß? Ein Vergleich ist wegen der verschiedenen Definitionen schwierig, aber gibt eine richtige Vorstellung wieder, wenn man sagt, sie hatte etwa 50 - 60% der Größe der englischen und war etwas größer als die französische Flotte. Da vermag ich angesichts der zu schützenden wirtschaftlichen Interessen keine zu große Flotte zu sehen. Als dann als Wettrüsten bezeichnet wird, war doch letztlich eine Folge des Dreadnought-Sprungs, die Konzentration auf ein Kaliber war derart vorteilhaft, dass man die Flotten umrüsten musste – und das war teuer, für beide Staaten. Wenn man dann noch sich die tatsächlichen Bündnisse der Zeit, also die Triple Entente ansieht und dann die Flottengrößen gegenüberstellt, ist die Kaiserliche Marine zumindest als Angriffswaffe ungeeignet (als Abwehrwaffe schon, aber das sollte sie auch sein).

Man wird einwenden, dass der Verlauf der Geschichte diese Auffassung widerlegte.

Dagegen ist zu sagen, dass Bethmann die Flotte nicht aktiv genutzt hat. Sie war für jeden interessant, der das Übergewicht Englands als zu groß empfand. Vereinbarungen müssen ja nicht gleich Bündnisse sein. Für Bethmann günstig war, dass sich das Spektrum der Mächte erweitert hat (Japan, USA). Insbesondere Japan hätte Ziel diplomatischer Schritte sein müssen (thread Geheimdienste # 4-21). Die Möglichkeiten gegenüber den USA wurden nicht genutzt (insbesondere Pressearbeit). Mit der Türkeipolitik hat er aber versucht die Einkreisung zumindest zu unterbrechen. Auch die Marinekonvention von 1913 mit Österreich-Ungarn und Italien bot gute Chancen im Mittelmeer (die vereinigten Flotten Österreich-Ungarns, Italiens und Deutschlands dürften zumindest so stark wie die der Entente im Mittelmeer gewesen sein), leider beachtete die Italienpolitik nicht genügend die inneren Verhältnisse Italiens (von der Seite finde ich es interessant, dass der ehemalige Botschafter in Italien Graf Monts als Reichskanzler im Gespräch war). Schweden war sehr deutschfreundlich und sehr Russland feindlich. Eine derartige Politik hätte deutlich bessere Spielräume bei Verhandlungen gebracht.

Hätte der Verzicht auf ein paar Linienschiffe auf deutscher Seite den Weltkrieg verhindert? Das deutsch-britische Flottenabkommen von 1935 (Stärkeverhältnis 1:3) legt den Schluss nicht nahe. Eine verlorene Seeschlacht auf deutscher Seite hätte den Kriegsgrund entfallen lassen (aber Bethmann hat die Marine zurückgehalten).

Der Konflikt zwischen England und Deutschland hatte tiefere Ursachen. England verlor seine Weltstellung und konnte nichts dagegen machen (es half nicht einmal, dass sie in zwei Weltkriegen auf der Siegerseite waren). Das führte zu permanenten Spannungen, die die Regierungen nicht gut in den Griff bekamen. Es entstand eine Kriegsstimmung. Von deutscher Seite ist das sprunghafte, nicht berechenbare mehr zu kritisieren als Einzelereignisse. Daran hatte in Deutschland die unklare Machtverteilung zwischen Kaiser und Reichskanzler (nach dem persönlichen Regiment) ihren Anteil. Besonders schlimm wurde dies bei Bethmann. Hätte er die Flottenpolitik fortgesetzt (mit der Flotte als Argument für Bündnisse), wäre die Politik zumindest berechenbar gewesen. Die Schiffslisten konnte jeder im Reichsgesetzblatt nachlesen.
 
Die Flottengesetze waren Rechtsakte des Reichstags und somit Willen des gesamten Volkes (bei der Abstimmung über das Flottengesetz am 26.03.1898 ergab sich eine fast eine Zweidrittelmehrheit, nämlich 212 zu 139 Stimmen, die Gegenstimmen kamen von Konservativen, die das Heer unterstützen wollten und – allerdings aus grundsätzlicher Opposition gegen das Kaiserreich - von der SPD).

Hierzu ist ganz kurz anzumerken, das der Flottenbau von einer massiven Propaganda begleitet worden ist, die vom Reichsmarineamt gesteuert wurde. Offiziere wie beispielsweise Admiral von Herringen haben sich in der öffentlichen Meinungsbildung als sehr fähig erwiesen. Es wurden alle Register im Sinne des Aufbaus einer Flotte gezogen. Der deutsche Flottenverein, der vom Nachrichtenbüro des Reichsmarineamts mit Propagandamaterial versorgt wurde, der eine Massenbewegung war, hat die Öffentlichkeit mit einer Flut von von Propagandaschriften zugedeckt.
 
Du argumentierst, die Flotte sei nötig gewesen, um praktisch ein hohes Maß an Sicherheit für den Ex- bzw. Import zu erlangen. Bedurfte es dafür tatsächlich einer der größten Flotten der Welt, um diese Sicherheit zu bekommen? War nicht schon mit der Pariser Seerechtsdeklaration von 1856 ein beträchtliches Maß an Sicherheit rechtsverbindlich vereinbart? Vorausschauenden Politkern ,wie ein Bismarck es war, war jedenfall klar, wenn Deutschland eine große Flotte bauen würde, das die Briten ungeachtet aller sonstigen Gegensätze, mit den Franzosen sich zu einem Bündnis veranlasst sehen würden.

Caprivi sah beispielsweise den Zweck einer Flotte darauf beschränkt, das diese eine eventuelle Blockade, wie im Ersten Weltkrieg von Großbritannien erfolgreich durchgeführt, durchbrechen sollte können. Ansonsten legte er aber doch sehr verstärkten Wert auf eine gedeihliches Auskommen mit Großbritannien.

In Bismarcks und auch noch in Caprivis Amtszeit wurde gegenüber Großbritannien eine äußere Politik betrieben, die sorgfältig darauf geachtet hat, mit GB nicht in Konflikt zu geraten.Caprivs Handelspolitik in Form von Handelsverträgen mit ÖU, Italien, Schweiz, Belgien, Serbien, Rumänien und auch Spanien öffnete diese europäischen Märkte für deutsche Produkte. Caprivi, so meine ich, schwebte doch auch eine europäische Zollunion vor. Jedenfalls kann man doch sagen, das zu dieser Zeit es keine akuten Probleme für den Handel gab und m.E. deshalb dann auch keine Notwendigkeit für so eine riesige Flotte bestand, die Großbritannien unbedingt herausfordern musste.

Jedenfall war die politik Bismarcks oder Caprivs eine ganz andere Politik, als das Weltmachtstreben gewisser anderer Herren.
 
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Tirpitz - bestimmt kein Anhänger des Parlamentarismus - hat die Möglichkeiten (besser die Schwächen) des Parlamentarismus (den Lobbyismus) für sich in hevorragender Weise genutzt. Man muss noch darauf hinweisen, dass daneben auch das Volk über Marinefragen ausführlichst informiert wurde - natürlich im Sinne von Tirpitz. Er hat den politischen Parteien - auch den heutigen - gezeigt, wie man die Öffentlichkeit beeinflusst, das ist keine Frage.

Der nächste Kommentar von Turgot (#87) trifft nicht ganz die von mir geäusserte Auffassung. Zunächst mal: einfache Kaperei (die ist in der Pariser Seerechtsdeklaration geregelt) ist hier nicht das Thema. Es geht um Flottendemonstrationen großen Stils und großräumige Blockierung von Wirtschaftsräumen. Aber wesentlicher ist die Erwähnung von Bismarck und Caprivi. Meine Auffassung ist, dass das Deutsche Reich Anfang 1900 ein anderes war als vorher. Tirpitz (vgl. Erinnerungen, S. 88) ging ja auch zu Bismarck um ihn als Fürsprecher für die Marinepolitik zu gewinnen und Bismarck meinte, die neue Welt verstehe er nicht mehr (Bismarck und Caprivi waren preußische Politiker, sie dachten an Preußen, das sich mit dem Deutschen Reich möglicherweise schon überdehnt hat). Die von mir zitierten Zahlen (#85) sollen die gänzlich andere wirtschaftliche Situation des Reiches beleuchten (d.h. das Reich ist von anderen Interessen getragen worden). Etwa 30% des Aussenhandels betraf den Überseehandel, er konnte von England einfach abgeschnitten werden (die Planer im Admiralstab haben des genau analysiert und zum Gegenstand der Blockade gemacht; wegen der oben erwähnten Seerechtsdeklaration will ich darauf hinweisen, dass die Blockade im 1. Weltkrieg völkerrechtsmäßig sehr umstriten war). Dagegen musste sich Deutschland (und jeder andere Staat zu jeder Zeit) schützen. Ich halte es auch nicht für sinnführend den Gedanken in den Raum zu stellen, Deutschland soll sich nicht schützen, aber dass England sich schützt ist in Ordnung. Ich glaube auch nicht, dass die Flotte der Grund für die Unstimmigkeiten waren (die Hochseeflotte war nach keiner Auffassung zur Offensive, zB zur Invasion, geeignet), es war die hinter dem Flottenbau stehende wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands, die England Angst machte. Solche Phänomäne sehen wir in der Geschichte immer wieder (zB USA - Japan Ende der Achtziger "Pearl Harbour in Silicon Valley, wie sich Konrad Seitz, ein Mitarbeiter Genschers ausdrückte). Die Politik neigt auch in wirtschaftlichen Angelegenheiten dazu sich politisch, und zwar auch militärisch, zu wehren.
Nochmals ein Zitat, diemal Massie, Schalen des Zorns, S. 163: "1890 erzeugte Großbritannien 3,6 Mio Tonnen Stahl im Jahr, Deutschland ungefähr zwei Drittel davon. 1896 übertraf die deutsche Stahlproduktion erstmals die britische. Und 1914 erzeugte Deutschland mit 14 Mio. Tonnen mehr als doppelt soviel Stahl wie Großbritannien (6,5 Mio. Tonnen)." Deutschland war eine Weltmacht, es ging nicht mehr um Weltmachtstreben. Aber es war legitim sowohl das erreichte wie auch die weitere Expansion der Wirtschaft - die ja auf einem Wettbewerbsvorteil beruhte - politisch abzusichern. Nur: das hat die Politik denkbar schlecht gemacht. England war aber nicht in der Lage die Früchte zu ernten. Das taten die USA, nur bei ihnen waren die Voraussetzungen dafür gegeben.
 
@Admiral

Meine Frage, weshalb das Deutsche Reich eine der größten Flotten der Welt benötigte, um seine Außenhandelsinteressen zu schützen, hast du, so finde ich, nicht wirklich überzeugend beantwortet. Zu einer ernsthaften Trübung der Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien kam es doch erst mit der Berufung Bülows zum Staatssekretär des AA und Tirpitz zum Staatssekretär des Reichsmarineamts und den damit verbundenen Beginn der Weltmachtpolitik, sich also überall weltweit zu engagieren und einzumischen bzw. den Bau einer der größten Flotten der Welt. So eine gewaltige Flotte wurde doch nur benötigt, wenn man in der Reichsleitung die Ansicht vertrat, dass eine militärische Auseinandersetzung mit Großbritannien fast für zwangsläufig hielt.Bis 1897 kam man auch ganz gut ohne große Flotte aus.

Für eine freundschaftliche Verbindung mit Großbritannien bedurfte es doch nicht sicher einer großen Flotte. Tirpitz seine fixe Idee, mit Hilfe einer für Großbritannien bedrohlichen Flotte, würde dies zu einer freundlichen Politik gegenüber der deutschen Welt- und Flottenpoltik veranlasst sehen, kann ich nicht so ohne weiteres nachvollziehen. Wenn Tirpitz dann auch noch nach dem verlorenen Weltkrieg bemüht war, die Transvaal-Krise von 1896 als negativen Wendepunkt der deutsch-britischen Beziehungen zu strapazieren, so ist dies wohl doch einfach nur unzutreffend. Denn im Jahre 1898 gab es seitens der Briten doch schon wieder nicht zu verachtende Annäherungsversuche an Deutschland.


Zum Thema Handel lässt sich noch sagen, dass Deutschlands Außenhandelspartner nicht zu einem unerheblichen Teil in Europa waren. Und in diese Richtung, den Handel in Europa zu intensivieren und auszubauen, gingen auch Caprivis Bemühungen. Das hat wohl anderen Herren aber ganz offenkundig nicht gereicht.

Mit ist der Inhalt der Pariser Deklaration von 1856 geläufig. Ich habe den Begriff Sicherheit dann wohl doch etwas weiter gefasst und nicht nur ausschließlich eine militärische Konfrontation mit Großbritannien im Auge gehabt.
Wie kommst du denn zu der Ansicht, das Deutschland damals eine Weltmacht war? , wenn selbst der um große Sprüche nicht verlegenen Staatssekretär von Bülow diesen Anspruch erst am 06.Dezember 1897 im Reichstag geltend machte. Unter anderem kam dann von Bülow auch noch in der gleichen Rede die markige Aussage „Die Zeiten, wo der Deutsche dem einen seiner Nachbarn die Erde überließ, dem anderen das Meer und sich selbst den Himmel reservierte, wo die reine Doktrin thront, diese Zeiten sind vorüber. Wir betrachten es als eine unserer vornehmsten Aufgaben, gerade in Ostasien die Interessen unserer Schifffahrt, unseres Handels und unserer Industrie zu fördern und zu pflegen. Auch das eine klare Ansage, jetzt Weltpolitik betreiben zu wollen. Das dadurch Konflikte vorprogrammiert wurden, war doch klar.
 
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Die Krügerdepesche als Wendepunkt in den deutsch-englischen Beziehungen hat aber auch Bülow (Erinnerungen S. 666) gesehen. Kein Zeichen von Freundschaft war der "Germaniam esse delendam" Artikel in einer Ausgabe von 1897 in der "Saurday Review", einer Wochenzeitschrift der Liberalkonservativen von politischer Bedeutung. Zwei Zitate: "Es (gibt) in Europa zwei, große, unversöhnliche, entgegengesetzte Kräfte...England...und Deutschland." Weiter: "Wenn Deutschland morgen aus der Welt vertilgt würde, so gäbe es übermorgen keinen Engländer in der Welt, der nicht umso reicher wäre." Man mag argumentieren, dass dies keine Äusserung der britischen Regierung ist. Für mich selbst ist ein anderer Punkt wichtig. Es war schon ein Dogma der englischen Politik, das Gleichgewicht der Kräfte in Europa zu gewähren, da sonst das Übergewicht Englands in der Welt nicht aufrechterhalten werden kann. Der Grund liegt auf der Hand: England hat eine Flotte und Expeditionstruppen. Hat eine europäische Macht sich derart durchgesetzt, dass sie Machtmittel aufbauen kann den Ärmelkanal zu überwinden, können die Engländer kaum noch etwas dagegen setzen (Napoleon). Müssen die Engländer eine Armee aubauen, fehlen Mittel für die Marine. Daher war die stärkste Macht auf dem Kontinent der geborene Gegner Englands. Ich bin zwar der Auffassung, dass auch unter Bismarck das Reich die stärkste Macht in Europa war, aber die Dynamik, die am Ende des Jahrhunderts entfaltet wurde (und die ich mit den Zahlen zu belegen zu versuchte), war enorm (und erschreckend für den Konkurrenten). Ende der neunziger Jahre musste sich das Verhältnis Englands zu Deutschland ändern, wenn nicht mit einer jahrhunderte alten Tradition gebrochen werden sollte.

Es ist absolut richtig, dass der meiste Handel in Europa (tatsächlich sogar mit England) durchgeführt wurde. Nur ist der nicht auf Europa entfallende Teil zahlenmäßig sehr bedeutsam und der Überseehandel betraf Rohstoffe, ohne die das Reich viele Produkte nicht herstellen konnte. Wie gesagt, auf diesem Faktum beruhte die englische Kriegsstrategie (so falsch kann diese Annahme nicht sein).

Schon Caprivi wollte (ohne Flotte von Bedeutung) 1893 ein Bündnis mit England, ohne Erfolg. Chamberlain regte 1901 (also nach den Flottengesetzen) ein Bündnis an, stieß aber im Kabinett auf taube Ohren (beides nach Tirpitz, Erinnerungen S. 170). Allerdings begangen die Engländer mit ihrer Einkreisungspolitik, die 1904 bereits Erfolge zeigte. Bülows Politik war zu dieser Zeit gerade nicht auf Konfrontation angelegt (freie Hand). Richtig ist, dass er Weltmachtpolitik betreibte. Das musste er auch, weil Deutschland damals eine Weltmacht war.

Ich bezeichne das damalige Deutschland als Weltmacht, weil es die führende Wirtschaftsmacht der Welt war (wenn man Statistiken bzgl. England daneben legt, mag je nach Zahlenwerk Deutschland auch mal als zweiter dastehen, allerdings aus englischer Sicht musste fast immer - Ausnahme (noch) der allerdings wichtige Kapitalmarkt - mit einem Überholen gerechnet werden). Weiterhin aufgrund der Wissenschaft (Deutschland stelle die meisten Nobelpreisträger), Bildung (entgegen wikipedia soll es aufgrund der strikten Schulpflicht fast keine Analphabeten gegeben haben), Bevölkerungsentwicklung, Rechtssystem (das BGB war ein Exportschlager), Wehrkraft (Deuschland hatte das stärkste Landheer). Wenn man Deutschland nicht als Weltmacht bezeichnen kann, als was denn sonst (ich spreche nicht von einziger Weltmacht)?

Die Größe der Flotte ergibt sich aus den zu schützenden Interesse. Die versuchte ich darzustellen. Die Aussenwirtschaftsinteressen der Staaten damals kann man (in etwa) in Zahlen ausdrücken. Die jeweiligen Flottengrößen auch. Daraus ergibt sich für mich das Ergebnis, dass die deutsche Flotte nicht zu groß war. So sah es auch eine deutliche Reichstagsmehrheit.
 
Bülow, wie auch Tirpitz, haben natürlich versucht sich in ihren Erinnerungen entsprechend zu rechtfertigen. Er wusste ganz genau, das die Krise von 1896 nur vorübergehender natur war. Diesen Ausführungen würde ich kein große Bedeutung beimessen.

Britische Zeitungen sind auch heute noch nicht besonders zimperlich. Deutschland wurde eben ab Mitte der 1890er als sehr starke Wirtschaftmacht wahrgenommen und als solche wegen der Konkurrenz gefürchtet aber auch in zunehmenden Maße als Bedrohung betrachtet. So erschien beispielsweise 1896 von Ernest Edwin William das Buch „Made in Germany“ welches diese Wahrnehmung diesen Umstand Rechung trägt und zum Gegenstand hat und gleich mehrfach aufgelegt wurde. Aber ob es zulässig von einzelnen Pressestimmen gleich auf die Mehrheit der Presse zu schließen oder diese Stimmung auf die politische Führung Großbritanniens zu übertragen sei möchte ich in Frage stellen. Mr. William Ashley äußerte beispielsweise Verständnis für die deutschen Bestrebungen. Die Engländer würden in umgekehrten Fall doch genauso denken und handeln. (1)
Der britische Botschafter in Berlin Spring-Rice meinte schon resignierend, das Deutschland und Russland nach den russisch-japanischen eng zusammenarbeiten würden. Deutschland würde dann unweigerlich Holland und Dänemark in seinen Einflussbereich ziehen und es gäbe nichts, was England dagegen tun könne, da es mit Russland verfeindet sei. (2) Also an Stelle von Einkreisungspolitik ist hier eher Resignation zu konstatieren.

In Großbritannien machte sich eben doch erhebliche Sorgen um den deutschen Flottenbau, den man als ernstzunehmende Bedrohung empfand, und den damit verbundenen Ambitionen. So kam es dann auch zu einer teilweisen überzogenen Berichterstattung in der Presse. Man dachte beispielsweise gleich auch an Holland und seinen Nordseehäfen, „die deutschen Expansionsbestrebungen zum Opfer fallen würden oder aber das sich Holland eben eng mit dem Deutschen Reich verbinden könnte. Das bei diesen Bedrohungsszenarien mächtig übertrieben wurde, war doch eigentlich für den kundigen Leser klar, denn wie sollte die deutsche Flotte denn wirklich zur tödlichen Bedrohung für Großbritannien werden?

Du argumentierst ja, das Deutschland eine große Flotte für den Schutz seines Außenhandels benötigte. Ich bin zwar kein ausgesprochener Marineexperte, aber wäre es zu diesem Zwecke nicht äußerst sinnvoll gewesen, auf einen Kreuzerkrieg zu setzen? Tirpitz baute aber keine Kreuzerflotte. Er baute eine Schlachtschiffflotte. Für Tirpitz war der gefährlichste Gegner zur See Großbritannien, gegen den man auc,h als politischen Machtfaktor, eine starke Flotte benötige. Des Weiteren meinte doch auch gerade Tirpitz, das ein Kreuzerkrieg schon aufgrund des Nichtvorhandenseins an eigenen Stützpunkten, von denen Großbritannien aber eben über in reichlicher Anzahl verfügte, aussichtslos ist. Wenn also ein Kreuzerkrieg als erfolgversprechende Lösung nicht in Frage kommt, ist Argumentation doch brüchig. Stattdessen konzentrierte sich Tirpitz gemäß seinen eignen Angaben von Sommer 1897auf den Bau einer Flotte, die ihre Schlagkraft zwischen Helgoland und Themse entfalten soll. Tirpitz wollte eine Flotte um Großbritannien zu veranlassen in kolonialpolitischen Fragen Deutschland entgegen zu kommen und letzen Endes Deutschland als Weltmacht zu etablieren. Großbritannien sollte wohl als Weltmacht verdrängt werden.

Ich bin mir gar nicht so sicher, ob der Schutz des Außenhandels in Übersee „der Grund“ für den Bau der Flotte von Schlachtschiffen war. Deutschland war wirtschaftlich in einer starken Position, so dass man in Deutschland wohl der Meinung gewesen war, durch eine „kraftvolle“ Außenpolitik wohl auch seinen Niederschlag in neuen Absatzmärkten durch ein entsprechendes Kolonialreich finden müsse. Und da war natürlich Großbritannien im Wege. Hier passt auch die Aussage von Weber bei seiner Antrittsrede in der Freiburger Universität:“Wir müssen begreifen, dass die Einigung Deutschlands ein Jugendstreich war, den die Nation auf ihre alten Tage beging und seiner Kostspieligkeit halber besser unterlassen hätte, wenn sie der Abschluss und nicht der Ausgangspunkt einer deutschen Weltmachtpolitik sein sollte." Dieses Denken war damals verbreitet und das haben Bülow und Wilhelm II. richtig erkannt und entsprechend bedient.

Nach dem damaligen Empfinden galten Großbritannien und Russland als Weltmächte. Die USA wurden schon ganz eindeutig als kommende Weltmacht erkannt und auch anerkannt. Deutschland wollte Weltmacht werden. Du kannst doch den damaligen Status einer anerkannten Weltmacht nicht an der Anzahl der Nobelpreise, der Schulpflicht, der Bevölkerungsentwicklung etc. festmachen. Deutschland verfügte über eine starle Landarmee, war wohl wirtschaftlich und industriell eine Weltmacht, aber verfügte eben nicht wie Großbritannien oder Frankreich über ein riesiges Kolonialreich und wie England über einer gewaltigen Flotte. Auch verfügte Deutschland nicht über so eine gigantische Landmasse wie Russland oder auch schon die USA. Deswegen wurde ja auch mit dem Beginn der Weltpolitik und dem Bau der Flotte begonnen, um den Status einer Weltmacht zu erlangen.

So schrieb beispielsweise 1902 die Cotemporary Review, dass an Deutschlands Ziel, sich im 20.Jahrhundert als Weltmacht zu etablieren, nicht gezweifelt werden dürfe. Das abschließende Fazit lautet, das Deutschlands Weg in dem Klub der Weltmächte nur über Großbritannien führe.(3)

Überhaupt solltest du deine Behauptung, das Großbritannien Deutschland "einkreiste" näher begründen. Ich glaube vielmehr, das Deutschland sich wohl durch seine Weltpolitik ausgekreist hat.


(1) Ashley, S. 202-204 hier zitiert nach Neitzel, Weltmacht oder Untergang, S. 234, Paderborn 2000.
(2) Letters of Cecil Spring-Rice, Bd.1
(3) Ogniben: The United States of Imperial Britain in Contemporary Review 81, S. 305 - 326
 
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Kurz noch eimal zu der Transvaal Krise von 1896:

Das die deutsch-englischen Beziehungen sich vorübergehend ,wegen des Versuchs von Dr. Leander Starr Jameson Krügers Regierung zu kippen und des provokanten Telegramms von Wilhelm amn Krüger, stark eintrübten ist unbestritten. Ich will auch gar nicht behaupten, das die Deutschen von der Sache her im Unrecht waren. Der deutsche Protest als solches war durchaus gerechtfertigt. Das Probelm lag bloß wieder einmal in der großsprecherischen, schroffen und auch drohenden Art und Weise der deutschen auswärtigen Politik. Der britische Regierungschef Lord Roseberry hat sich über die Wort- und Tonwahl der deutschen Korrespondenz dahingehend beklagt, das Großbritannien nicht Monaco sei. Auf diese derbe Art und Weise wurde viel außenpolitisches Geschirr zerschlagen.

Deutschland wurde sowohl von Großbritannien als auch Südafrika dahingehend informiert, das Jameson nicht mit offizieller Unterstützung handle. Das wäre ja schon ein Grund gewesen, die Angelegenheit deutlich tiefer zu hängen. Aber nein, man musste ja die törichte Krügerdepesche abschicken. In Deutschland war man sich so sicher, einen diplomatischen Erfolg mit der Krügerdepesche einzufahren. Doch um so größer die Verwunderung , ja das Erstaunen über die überaus heftige Reaktion der britischen Öffentlichkeit auf diese wirklich dümmliche Krügerdepesche. So eine enorme Reaktion hat man deutscherseits nicht vorhergesehen.

Obwohl, man hätte es besser wissen können, denn der deutsche Botschafter in London, Hatzfeld, hatte doch eindringlich gewarnt. Die Engländer betrachteten eben Deutschland als ihren scharfen wirtschaftlichen Konkurrenten und eben nicht die USA. Deutschland wurde in Großbritannien nicht als gleichberechtigte Weltmacht wahrgenommen und entsprechend fielen dann die britischen Reaktionen aus.

Es machte sich dann in Deutschland auch schnell eine Ernüchterung über die Besorgnis hinsichtlich eines Konflikts mit England breit. Der Staatssekreätr des AA Marschall machte sich nun auch eifrig an der Schadensbegrenzung. Er führte während einer Reichstagsdebatte aus, das die guten Beziehungen zu England trotz des Presserummels nie ernstlich gefährdet gewesen sein. Deutschland zog sich dann auch in der Folge aus Südafrika zurück.

In der Folgezeit meinte man im AA sogar über so viel außenpolitischen Spielraum verfügen zu können, das man numehr wieder einfach mit Russland enge Beziehungen aufnehmen könne. Selbst Holstein vertrat diese Ansicht. Anscheinend war alles was 1890 falsch war, nun vollkommen uninteressant. Das war Schaukelpolitik reinsten Wassers.

Jedenfalls hielt sich die Verstimmung der britischen Regierung wohl doch in gewissen Grenzen, vor allem nach dem klar war, das Deutschland sich aus Südafrika zurückziehen würde, und dass das AA es für gut möglich erachtete, das Verhältnis zu entspannen, was sich dann ja auch von 1898 bis 1901 entsprechend bestätigt hat.
 
Und noch einmal zu Deutschlands angeblichen Status als Weltmacht:

1899 hat Bülow S.M. anläßlich des käuflichen Erwerbs der Karolinen und Marianen von Spanien, das gerade einen Krieg gegen die USA verloren hat, gemeldet: " Dieser Gewinn wird Volk und Marine [.....] aneifern, Eurer Majestät weiter zu folgen auf der Bahn, die zu Weltmacht, Größe und ewigen Ruhm führt." (1)


(1) DZA Merseburg, Rep. 53B, Nr.3, Vollzugsmeldung Bülows 25.02.1899
 
Einkreisung Großbritanniens durch Deutschland?:

Großbritannien hat zur Jahrhundertwende seine Kräfte global wohl überspannt gehabt, siehe beispielsweise 1898 Faschoda, und benötigte beispielsweise in östlichen Asien dringend eine gewisse Ruhe bzw. Unterstützung.

Diese Hilfe versucht man nach Faschoda von Deutschland zu bekommen. Es fanden von 1898 bis 1901 entsprechende Sondierungsgesräche statt. Es kam nur sehr wenig verwertbares dabei heraus.

Schon 1899 wurden die Spannungen mit den USA beseitigt. So verzichtet man auf den Bau eines Kanals durch Mittelamerika. Des Weiteren wurde der Widerstand gegen die Expansionsbestrebungen der USA in Mittelamerika eingestellt. Außerdem wurden auch die Marinestützpunkte in Halifax undEsquimault geschlossen. Die Briten überließen praktisch den USA ganz Amerika. (1)

Nach dem Scheitern eines Arrangements mit Deutschland musste sich Großbritannien nach einen anderen Partner umsehen und dabei fiel der Blick auf Japan. Japan hat 1894/95 im Krieg gegen China seine militärische Stärke aufblitzen lassen . Die Briten demonstrierten nun eindrucksvoll ihre Flexibiliät und schlossen im Jahre 1902 mit Japan eine entsprechende Flottenvereinbarung ab. Mit diesem Bündnis im Rücken griff Japan 1904 Russland an und vernichtete die russische Flotte. Großbritannien wollte in diesem Krieg nicht gegen Russland und dessen Verbündeten Frankreich involviert werden und bemühte sich auch u.a. deshalb, aber natürlich auch wegen der bestehenden erheblich Spannungen mit Frankreich in Afrika, mit Frankreich zu einem Ausgleich zu kommen. Das Ergebnis war die Entente Cordiale von 1904.

Der russisch-britsche Ausgleich von 1907 war eigentlich nur eine konsequente Fortsetzung der britischen Bemühungen seine Unruheherde abzubauen.

(1) Neitzel, Kriegsausbruch, S. 43, München 2002
 
Du argumentierst ja, das Deutschland eine große Flotte für den Schutz seines Außenhandels benötigte. Ich bin zwar kein ausgesprochener Marineexperte, aber wäre es zu diesem Zwecke nicht äußerst sinnvoll gewesen, auf einen Kreuzerkrieg zu setzen? Tirpitz baute aber keine Kreuzerflotte. Er baute eine Schlachtschiffflotte.

Das ist ein richtiger Hinweis, wenn man politische Zielsetzungen, Ressourcen und technische Rahmenbedingungen miteinander verknüpft.

Unterstellt man, dass der Politik des Deutschen Reiches darauf gerichtet war, ein global aktive Großmachtstellung zu erreichen (im Gegensatz zur "nur" kontinentalen, die den Schwerpunkt auf das Heer legen müßte), dann liegt nahe, den Flottenbau zu forcieren. Von dieser Basis aus gerät die Strategie aber in schwieriges "Fahrwasser".

Das Hauptproblem für den Flottenbau mit globalem Auftritt (entsprechend des sich ausdehnenden Handels) waren zur Jahrhundertwende die fehlenden überseeischen Stützpunkte. Große Schlachtflotten benötigten einen enormen logistischen Hintergrund, der betrifft um die Jahrhundertwende:

- die Kohleversorgung, ohne die keine vernünftigen Reichweiten für Operationen gegeben waren

- die großen, auch überseeisch erreichbaren Werft- und Hafenkapazitäten, um die Einsatzfähigkeit zu erhalten.

Beides besaß Deutschland nicht, bzw. war außerhalb Europas leicht durch die großen Seemächte zu blockieren. Die Folge war, dass die (dogmatisch, s.o.) zu bauende Schlachtflotte schon wegen geringer Reichweite eine Nordseeflotte sein würde/sein mußte. Ganz unabhängig vom Blockadegedanken: Große Schlachtflotten, die vor der Ölbefeuerung eine atlantische Reichweite hätten besitzen sollen, hätten eine gigantische Versorgerflotte benötigt. Das (nämlich die Nordseeflotte als einzige technische Option) wurde nun dahingehend ins Konzept eingebracht, als wegen der Sogwirkung der "Risikoflotte" für Großbritannien eine Entlastung der Kolonien erhofft wurde. Man blieb im Schema, und die dogmatische Zielsetzung auf Seemacht liefert sogar die Begründung für das Konzept. In diesem Sinne wurden die Ressourcen auf die Schlachtflotte, nicht auf die überseeische Kreuzerflotte gelegt.

Ein Teufelskreis, der eine Verständigung mit Grßbritannien fast unmöglich gemacht hat.
 
Schon 1899 wurden die Spannungen mit den USA beseitigt. So verzichtet man auf den Bau eines Kanals durch Mittelamerika. Des Weiteren wurde der Widerstand gegen die Expansionsbestrebungen der USA in Mittelamerika eingestellt. Außerdem wurden auch die Marinestützpunkte in Halifax und Esquimault geschlossen. Die Briten überließen praktisch den USA ganz Amerika. (1)

Nicht vergessen sollte man die zu dieser ebenfalls erfolgte Alaska-Grenzregelung bei der die Briten, wie schon 50 Jahre zuvor bei der Oregon-Teilung, den Amis entgegen kamen und einen Vertrag abschlossen, der für Washington vorteilhaft war, was die betroffenen Kanadier unzufrieden stimmte.
Erstaunlich, wie weit London seine Appeasement-Politik gegenüber der VSA trieb, während es gegenüber anderen Staaten viel agressiver auftratt, obwohl die VS-amerikanische Politik nicht weniger "agressiv" war.

Nach dem Scheitern eines Arrangements mit Deutschland musste sich Großbritannien nach einen anderen Partner umsehen und dabei fiel der Blick auf Japan. Japan hat 1894/95 im Krieg gegen China seine militärische Stärke aufblitzen lassen . Die Briten demonstrierten nun eindrucksvoll ihre Flexibiliät und schlossen im Jahre 1902 mit Japan eine entsprechende Flottenvereinbarung ab. Mit diesem Bündnis im Rücken griff Japan 1904 Russland an und vernichtete die russische Flotte. Großbritannien wollte in diesem Krieg nicht gegen Russland und dessen Verbündeten Frankreich involviert werden und bemühte sich auch u.a. deshalb, aber natürlich auch wegen der bestehenden erheblich Spannungen mit Frankreich in Afrika, mit Frankreich zu einem Ausgleich zu kommen. Das Ergebnis war die Entente Cordiale von 1904.

Korrektur bezüglich des 1902-Vertrags: London wollte aufgrund seiner anti-russischen Politik schon 1885, also nachdem Japan in Korea gegen China gescheitert war und eher schwach als stark wirkte, solch ein Abkommen abschliessen.
Da sich Nippon aber nicht von London instrumentalisieren lassen wollte und das Abkommen nicht in seinem Interesse sah, lehnte es ab.
Als man später für den Angriffskrieg gegen Russland rüstete, schloss man das Abkommen als nützliche diplomatische Rücksicherung ab.
 
silesia schrieb:
Das Hauptproblem für den Flottenbau mit globalem Auftritt (entsprechend des sich ausdehnenden Handels) waren zur Jahrhundertwende die fehlenden überseeischen Stützpunkte. Große Schlachtflotten benötigten einen enormen logistischen Hintergrund, der betrifft um die Jahrhundertwende:

- die Kohleversorgung, ohne die keine vernünftigen Reichweiten für Operationen gegeben waren

- die großen, auch überseeisch erreichbaren Werft- und Hafenkapazitäten, um die Einsatzfähigkeit zu erhalten.

Beides besaß Deutschland nicht, bzw. war außerhalb Europas leicht durch die großen Seemächte zu blockieren. Die Folge war, dass die (dogmatisch, s.o.) zu bauende Schlachtflotte schon wegen geringer Reichweite eine Nordseeflotte sein würde/sein mußte

Ganz genau so isses :)und hier liegt auch m.E. das Problem in @Admiral seiner Argumentation. Die Flotte war doch gar nicht in der Lage, wie übrigens Tirpitz bereits sehr frühzeitig mehr oder weniger erkannt (siehe auch mein Ausführung in Post # 91) hat, die deutschen überseeischen Handelsinteressen militärisch zu schützen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Großfürst Pavel schrieb:
Erstaunlich, wie weit London seine Appeasement-Politik gegenüber der VSA trieb, während es gegenüber anderen Staaten viel agressiver auftratt, obwohl die VS-amerikanische Politik nicht weniger "agressiv" war.

In der Tat. Großbritannien hat die USA sehr bereitwillig als Weltmacht anerkannt und das Feld geräumt. Und ja, die Kanonenbootdiplomatie der USA gegenüber kleineren Mächten zur Durchsetzung von Macht- und Handelsinteressen war auch nicht eben harmlos.

Großfürst Pavel schrieb:
Nicht vergessen sollte man die zu dieser ebenfalls erfolgte Alaska-Grenzregelung bei der die Briten, wie schon 50 Jahre zuvor bei der Oregon-Teilung, den Amis entgegen kamen und einen Vertrag abschlossen, der für Washington vorteilhaft war, was die betroffenen Kanadier unzufrieden stimmte.

Ich wollte nicht alle Details des britischen Entgegenkommens aufzählen ;), weil ich dachte, das meine Ausführung

Turgot schrieb:
Die Briten überließen praktisch den USA ganz Amerika.

schon sehr deutlich ist.

Großfürst Pavel schrieb:
Korrektur bezüglich des 1902-Vertrags: London wollte aufgrund seiner anti-russischen Politik schon 1885, also nachdem Japan in Korea gegen China gescheitert war und eher schwach als stark wirkte, solch ein Abkommen abschliessen.
Da sich Nippon aber nicht von London instrumentalisieren lassen wollte und das Abkommen nicht in seinem Interesse sah, lehnte es ab.
Als man später für den Angriffskrieg gegen Russland rüstete, schloss man das Abkommen als nützliche diplomatische Rücksicherung ab.

Deine Ausführung ist m.E. keine Korrektur, sondern vielmehr eine interessante Ergänzung, was aber nichts an der Korrektheit meiner Darlegung ändert. Des Weiteren war die weltpolitische Ausgangslage für Großbritannien und auch Japan, wie du ja selbst schon andeutest, 1902 doch eine andere, als 1885.
 
In der Tat. Großbritannien hat die USA sehr bereitwillig als Weltmacht anerkannt und das Feld geräumt. Und ja, die Kanonenbootdiplomatie der USA gegenüber kleineren Mächten zur Durchsetzung von Macht- und Handelsinteressen war auch nicht eben harmlos.

Der Bürgerkrieg hatte die USA aber eben auch als "Landmacht" bei Bedarf gezeigt.

Wundert es da, dass angesichts der - im Kriegsfall nicht zu haltenden - kanadischen Interessen besser eine Annäherung betrieben wird, zumal man sich auch in Mittel- und Südamerika nicht gerade überschneidet? Umgekehrt halten sich die USA in Afrika, Asien und Australien zurück. Schließlich machte u.a. die britische Handelsflotte 50 Jahre hervorragende Geschäfte mit den USA, abgesehen von den übrigen wirtschaftlichen Verflechtungen.

Kleine Überschneidungen ohne Folgen gab es wohl nur in China.
 
Die Ursachen für den Bau einer großen Flotte in Deutschland liegen m.E. in einem Ursprung, der durch die historische Wichtigkeit von Seemacht allgemein, der weit überspitzt wurde.

in den 60igern bis 80igern Jahren war die Technologisierung der Seestreitkräfte in vollen gange. Alles mögliche an neuer Technik wurde geprüft und wieder verworfen. Genauso hielt es sich mit der Strategie dieser neuen Marine.
Preußen bzw. ab 1871 Deutschland, hatten keinen Grund, sich an dem massiven Wettrüsten, das in greade dieser Anfangszeit zwischen Großbritannien und Frankreich stattfand, zumal der industirelle Hintergrund fehlte. Natürlich gab es fantastische Flottenaufbaupläne, doch diese verleifen zumeist im Sande.

Mit der Beginnenden Kolonialpolitik in Deutschland, wurde der ruf nach einer schützenden Flotte größer und hier liegen m.E. die Wurzeln für den Aufbau einer Flotte.
So wurde in den 70igern unter Stosch und vor allem in den 80igern unter Caprivi die deutsche Marine mit der strategischen Ausrichtung für den Küstenschutz und Handelskrieg aufgebaut.

Und ich glaube nicht, dass man mit dem Aufbau irgendein außenpolitisches Ziel verfolgte oder gar Großbritannien zu gefährden wollte.

Der Aufbau von Flotten wurde nach den 80iger Jahren in allen größeren Ländern betrieben, die genügend finanzielle Mittel besaßen oder in der Lage waren, die Flotte selbst zu bauen. Dies ist nicht nur ein spezifischer Punkt in der deutschen Geschichte.

Der große Flottenaufbau lag einerseits daran, das ab den 90iger Jahren die technischen und strategischen Möglichkeiten der Seestreitkräfte eine klare Linie bekamen ( Einheitsschlachtschiffe z. B.). Damit konnten Marinen aufgebaut werden, die in der Struktur den alten Segelkriegschiffen glichen. Um nun noch an den verschieden Innenpolitischen Problemen der Finanzierung solcher Flottenbauprogramme vorbei zukommen, ohne dabei immer am Parlamentarismus zu scheitern, wurde diese Flottenbauprogramme in Gesetze eingeflochten und dies geschah ebend nicht nur in Deutschland, sondern auch in Großbritannien, in Frankreich, Italien, Russland, USA, Japan usw.

Eine starke moderne Schlachtflotte spiegelt um die Jahrhundertwende die wirtschaftliche Macht einer Nation wieder. Die Landheere konnten nur im Bezug auf die schnelle Mobilisierung (Eisenbahnnetze) technologisiert werden. Die Schlachtflotten waren damals aber das modernste, was eine Nation an Technologiestand nach Außen darstellen konnte, unabhängig von der politischen Macht, einer Schlachtflotte. Der außenpolitische Aspekt hierbei wurde durch diverse Theorien von damaligen Historikern (z.B.Mahan)auch mit politischen Hintergründen natürlich genutzt.

In Großbritannien hatte man auch keinen Angst vor den deutschen Flottengesetzen von 1899 und 1900, sonder die Panik bestand mehr darin, dass man in Deutschland diese auch umsetzten wird, koste es was es wolle.

Ich glaube, dieser antibritische Kurs kam zustande, mit der Thronbesteigung Kaiser Wilhelm II., der die Seemacht total überbewertete und aus persönlichen Gründen den Ausbau einer riesengroßen deutschen Flotte vorantrieb. Zusammen mit Tirpitz, der die strategische und politische Wirkung der Seemacht komplett falsch verstand und umsetzte, war klar, das es letztlich gegen Großbritannien als Gegner ging.

Der Schutz der Kolonien, für den die Marine einst gedacht, so auch von Bismarck, war ab den 90iger Jahren nicht mehr der Mittelpunkt der Flottenbestrebung Deutschlands.
 
silesia schrieb:
Wundert es da, dass angesichts der - im Kriegsfall nicht zu haltenden - kanadischen Interessen besser eine Annäherung betrieben wird, zumal man sich auch in Mittel- und Südamerika nicht gerade überschneidet?

Nein, nicht wirklich. Es ist einfach nur interessant zu konstatieren, das Großbritannien den USA relativ reibungslos das Feld überließ und sie auch als Weltmacht anerkannte. Die USA waren unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ebenfalls ein harter Konkurrent Großbritanniens. Und trotzdem entstand hier keine negative Stimmung gegen den USA wie es im Falle Deutschlands der Fall war. Großbritannien war nicht bereit gewesen, Deutschland auch nur als gleichberechtigt anzuerkennen, geschweige denn als Weltmacht.


Köbis17 schrieb:
Und ich glaube nicht, dass man mit dem Aufbau irgendein außenpolitisches Ziel verfolgte oder gar Großbritannien zu gefährden wollte.

Glaubst du nicht, das die Flotte auch als Druckmittel gegen Großbritannien eingesetzt werden sollte, um beispielsweise Zugeständnisse in kolonialen Fragen zu erreichen oder um Bündisfähigkeit zu demonstrieren? Ich glaube, das auch der Gedanke eine Rolle spielte, das man als Weltmacht anerkannt wird.

Köbis17 schrieb:
Der Schutz der Kolonien, für den die Marine einst gedacht, so auch von Bismarck, war ab den 90iger Jahren nicht mehr der Mittelpunkt der Flottenbestrebung Deutschlands.

Sehe ich auch so. Ergänzend könnte man dann noch hinzufügen, das der überseeische Handel wohl auch nicht mehr die entscheidene Motivation war, da ein militärischer Schutz ohnehin nicht möglich war.
 
Glaubst du nicht, das die Flotte auch als Druckmittel gegen Großbritannien eingesetzt werden sollte, um beispielsweise Zugeständnisse in kolonialen Fragen zu erreichen oder um Bündisfähigkeit zu demonstrieren?
Es gibt zu den kolonialen Auseinandersetzungen eine wirklich lesenwerte Studie:
Fröhlich, Michael: Von Konfrontation zur Koexistenz - die deutsch-englischen Kolonialbeziehungen in Afrika zwischen 1884-1914, 370 Seiten, 1990, Arbeitskreis Deutsche England-Forschung Band 17



Sehe ich auch so. Ergänzend könnte man dann noch hinzufügen, das der überseeische Handel wohl auch nicht mehr die entscheidene Motivation war, da ein militärischer Schutz ohnehin nicht möglich war.
Sachlich ist das natürlich richtig, aber
dennoch wurde so argumentiert, als indirekter Schutz durch die Nordsee-Schlachtflotte.
 
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