Ein Wort des Dankes
Ein kompetenter User hat mir zum Thema noch ein paar wertvolle Gedankenanstöße und Hinweise übermittelt. Dafür ein herzliches Dankeschön.
Ganz allgemein vorausgeschickt:
Ein wichtiger, grundlegender Punkt, ist, dass sich mit der Entlassung Bismarcks, dessen außenpolitische Maxime, nämlich die außenpolitische Isolierung Frankreichs seit 1871, von den Männern im deutschen Auswärtigen Amte sofort aufgegeben worden war. Diese überaus unglückliche Entscheidung, die Nichtverlängerung des Rückversicherungsvertrages, veränderte natürlich, der Prozess war ja auch schon im Gange, das gesamte außenpolitische Gefüge Europas. Frankreich ergriff entschlossen die Gelegenheit, die die fehlende Achtsamkeit und Sorgfalt der deutschen Außenpolitik eröffnete, und brachte in kurzer Zeit eine Abmachung mit Petersburg zustande. Auch wurde durch die Nichtverlängerung das bündnispolitische Gewicht des Deutschen Reiches gegenüber London reduziert. (1) Über Deutschland hing fortan das Damoklesschwert eines künftigen Zweifrontenkrieges. Die verantwortlichen Männer des deutschen Auswärtigen Amtes haben Bismarcks Albtraum, der
cauchemar des coalitions, war Wirklichkeit geworden.
Aber in der Wilhelmstraße war man der Auffassung auf eine Anlehnung an einer Großmacht, es konnte nach Lage der Dinge eigentlich nur Petersburg sein, 1890 verzichten zu können. (2) Als man diesen verhängnisvollen Fehler bemerkte und korrigieren wollte, da war es viel zu spät.
Der französische Außenminister Ribot schrieb im Jahre 1892, also kurze Zeit vor dem Bündnisabschluss mit Petersburg, an seinen Kabinettskollegen Mercier, „Wir dürfen nicht einen Augenblick den Krieg aus den Augen verlieren, den wir eines Tages gegen Deutschland zu führen haben werden und der für lange Zeit das Schicksal Europas entscheiden wird.“(3)
Zar Alexander III. führte aus, Wir müssen uns wirklich mit den Franzosen einig werden. Und bei einem Krieg zwischen Frankreich und Deutschland sofort über die Deutschen herfallen, um Ihnen keine Zeit zu lassen, zunächst Frankreich zu schlagen, um sich dann gegen uns zu wenden. Wir müssen die Fehler der Vergangenheit wieder gutmachen und Deutschland bei der ersten Gelegenheit zu zerschmettern. ( ebenfalls 3)
Etwas zur Vorgeschichte der ersten Marokkokrise
Die innenpolitischen Zustände in Marokko ließen um die Jahrhundertwende einen baldigen Zusammenbruch des nordafrikanischen Sherifenreiches erwarten. Als im Mai 1900 der junge, unerfahrene und inkompetente Sultan Abdul Asis nach dem Tod des mächtigen Großwesirs Ahmed Ben Mussa die Regierungsgeschäfte übernahm, stand Marokko am Rande einer Anarchie. Das größte Interesse am Schicksal Marokkos hatten Frankreich und England. Aber auch Deutschland war nicht uninteressiert. Es stand im Außenhandel mit Marokko hinter Frankreich und England auf Platz 3. (4). Hinzukommen noch Italien und Spanien als Interessenten.
Im Juli 1902 hatte der französische Botschafter Cambon erstmals das Thema eines kolonialen Interessenausgleichs gegenüber den englischen Außenminister Lansdowne zur Sprache gebracht. Zuerst ging es um Marokko und dann sehr schnell auch um Siam. Cambon gab dem Gespräch gleich eine antideutsche Tendenz, denn er äußerte, Siam gehe Deutschland nichts an und es ist unsere Aufgabe Siam vor einer Einmischung Deutschlands zu schützen. (5,6)
Im September 1902 erhielt das Auswärtige Amt Kenntnis von seinem Vertreter in Tanger, das zwischen Frankreich und England Verhandlungen im Gange sind, die ein Protektorat Frankreichs über Marokko zum Ziele haben. England würde in Siam entschädigt werden. Der deutsche Vertreter hatte diese Information von dem englischen Journalisten der Times Harris erhalten und nach Berlin gemeldet. (7)
Anfang Oktober 1902 berichtete der englische Botschafter Monson in Paris über ein Gespräch mit dem Geschäftsträger Österreich-Ungarns Dumba. Dieser hatte Kenntnis über die Verhandlungen zwischen England und Frankreich bezüglich Marokkos und Siams. Zu Marokko bemerkte Dumba sinngemäß, dass er es nicht für wahrscheinlich halten würde, dass London Paris seine übermäßigen Ansprüche gewähren würde. Dumba könne sich auch nicht vorstellen, dass Rom sich durch eine Entschädigung damit einverstanden sein könnte, das Frankreich Marokko erhalten und das Mittelmeer ein französisches Gewässer werden würde. Auch äußerte er Bedenken hinsichtlich Spaniens. (8)
Am 31.Dezember 1902 meldete der deutsche Botschafter in London nach Berlin, das Lansdowne nicht daran glaube, dass eine europäische Macht einzugreifen wünsche. Aus den Gesprächen mit dem französischen Botschafter, hat der Minister den Eindruck, dass Frankreich nicht gewillt sei, an der marokkanischen Frage zu rühren. (9)
In Marokko war zwischenzeitlich der befürchtete Aufstand gegen den Sultan ausgebrochen.
Ebenfalls am 31.Dezember 1902 schrieb Lansdowne an den englischen Botschafter Monson in Paris über sein Gespräch mit den französischen Botschafter Cambon in London. Es ging u.a. über den Aufstand in Marokko und das eventuelle Eingreifen der Mächte. Cambon führte aus:“ Deutschland habe mit Marokko nichts zu schaffen, obwohl es bei einer oder zwei Gelegenheiten erfolglos versucht habe, über einSpanien und es wäre höchst erwünscht, falls Deutschland dort zu irgendeinem Zeitpunkt auftreten und versuchen sollte dort eine ansehnliche Rolle zu spielen, ihm bedeutet würde, dass es keinen
locus standi (Anmerkung von mir: Klagebefugnis) habe. (10)
(1) Interview Rainer F.Schmidt
https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/historikertag2108
(2) Interview Rainer F.Schmidt
https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/historikertag2108
(3) Interview Rainer F. Schmidt
http://blog.klett-cotta.de/sachbuch...s-st-petersburg-und-der-weg-in-den-untergang/
(4) Winzen, Bülow, S.320 f
(5) BD Band 2.2, Dokument322
(6) Monger, Entente, S.96
(7) GP Band 17, Dokument 51882
(8) BD Band 2.2, Dokument 324
(9) GP Band 17, Dokument 5192
(10)BD, Band 2.2, Dokument 330