Biturigos
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Sepiola und Stilicho haben dazu schon einiges gesagt: Klaus Tausend stellt in seinem Werk "Im Inneren Germaniens" fest, dass es fast keine Bündnisse zwischen den "Rhein-Weser-Germanen" und "Elbgermanen" gegeben hat, er analysierte alle aus den Schriftquellen bekannten Bündnisse und Foedus/Klientel-Verhältnisse zwischen den Stämmen. Sepiola erwähnt auch, dass die "Nordseegermanen" entweder neutral verblieben, oder sich auf Selbstverteidung beschränkten, oder sich sogar Rom unterwarfen, und sich den Konflikten zwischen Rom und dem Arminius-Bündnis fernhielten. Der Krieg zwischen dem "elbgermanischen/suebischen" Marbod-Bündnis (die Langobarden und Semnonen sind kurz vor der entscheidenden Schlacht allerdings auf Arminius Seite gewechselt) und der "rhein-weser-germanischen" Arminius-Koalition (aus der dessen Onkel Inguiomer mit seinem Klientel zu Marbod übergegangen - erfolgte nur kurz nach dem Ende der römischen Expeditionen 17.n.Chr. Das Letzte als Hinweis, dass von Anfang an eine Parteifraktionierung innerhalb der Cherusker bestand, die durch die stirps regia verlief, und sogar die Brüder Arminius und Flavius trennte.Dass sich diese Stämme dann trotzdem untereinander bekriegten, unabhängige Ziele verfolgten und auch später getrennt voneinander in das Römische Reich "einwanderten", sagt ja nichts über ein gemeinsames ethnisches Zusammengehörigkeitsgefühl aus.
Davon abgesehen verfügten die Kelten im benachbarten Gallien ja auch nicht über gemeinsame Staatlichkeit; die eklatante Mehrheit entschied sich dann aber doch dafür, gegen Caesar und nicht gegen Vercingetorix in den Krieg zu ziehen.
Ein ganz ähnlicher Prozess wird wohl auch ein paar Jahrzehnte später mit Arminius auf dem anderen Rheinufer stattgefunden haben.
Aber das nur nebenbei. Es ging mir ursprünglich überhaupt nicht um die Frage der politischen Einheit, die es selbstverständlich nicht gab, sondern um ein Zusammengehörigkeitsgefühl als Kultur.....
Die Einteilung in verschiedene Kultverbände bei Tacitus und eingeschränkt Plinius, Kultverbände, die meiner Ansicht nach durchaus real waren, geschahen aus dem römischen Bedürfnis einen territorialen Raum ethnographisch zu ordnen. Gemeinsame Heiligtümer von Stämmen waren den Römern aus der eigenen Historie geläufig, ihres/ das der Latiner war das Heiligtum des Iuppiter Latiaris in den Albaner Bergen. Tacitus wollte seinen römischen Lesern den Status der gesellschaftlichen Entwicklung innerhalb der Germania nahebringen - ihr eigener Iuppiter war inzwischen vom an Naturerscheinungen verknüpften Himmelsgott zum Staatsgott mit Zentralheiligtum auf dem Kapitol geworden, auf den die griechische Mythologie des Zeus übertragen worden war.
Nach dem Vorschlag von Brandt, die Jastorf-Kultur als segmentierte Stammesgesellschaft zu kategorisieren, würde ich den Religionstyp in der vorrömischen Eisenzeit nach der Kultpraxis als kommunalen Religionstyp vermuten:
"Bei dieser Kultform handelt es sich um die Riten, die gemeinsam von den Mitgliedern einer Gruppe abgehalten werden (etwa Initiationsriten, religiös inspirierte Tanzzeremonien, Opferzeremonien usw.). Viele dieser Zeremonien orientieren sich an kalendarischen Zyklen. Ethnien, die neben den individuellen und schamanischen Kulten auch noch gemeinsame Riten kennen, bezeichnet Wallace als „kommunalen“ oder „kollektiven Religionstyp“.
Bei diesem Typ kommt zum animistischen Glauben vor allem der Ahnenkult hinzu. 52 % der Anhänger kommunaler Religionstypen leben vom Feldbau, sie sind zu 52 % in Stammesgesellschaften und zu 31 % in Häuptlingstümern organisiert und besitzen zu 81 % keine Schrift.
Sanderson sieht den wichtigsten Erfolgsgrund für diese traditionellen Religionen im Ahnenkult als wichtigem Sozialfaktor für den Zusammenhalt der komplexer strukturierten Gesellschaften" (wikipedia)
Nach der Typologie nach Lebensweise würde ich die Protogermanen der vorrömischen Eisenzeit zu den Religionen der langjährig sesshaften Feld- und Ackerbauern, polytheistisch mit einer Vielzahl von Göttern und Geisteswesen, Ahnenkult, Hauptgott, Erd- und Fruchtbarkeitsgöttin zuordnen. Es treten auch religiöse Funktionäre auf, die die Kulthandlungen organisieren. Wie sehr diese sich jedoch von Schamanen bei den protogermanischen Stämmen unterscheiden (die aus den Quellen bekannten Seherinnen z.B.) kann ich nicht berurteilen.
Cäsar konstatiert allerdings eine Abwesenheit von Kultpersonal und Opferhandlungen bei den Germanen (b.g. VI,21):"die Germanen haben ganz andere Einrichtungen. Denn weder kennen sie Druiden, die den Kult verstehen, noch sind sie um Opfer bemüht. Unter die Götter rechnen sie nur die, die sie mit Augen sehen und durch die sie sich spürbar unterstützt fühlen: Sonne, Feuergott und Mond; die übrigen kennen sie nicht einmal vom Hörensagen".
Cäsar typisiert die Germanen wie eine Wildbeuter-und Sammlergesellschaft - ein animistischer, schamanistischer Religionstyp - von dem sich das gallische Druidentum mit offiziellem Kult und Theokratie als den Römern verwandt wohltuend abhebt. Vielleicht gab es wirklich Nachrichten von kleinen Gemeinschaften, die in den Sümpfen von Jagd-und Fischfang lebten, im Großen und Ganzen trifft diese Lebensweise nicht mehr auf die Germania zu, sondern ist ein Konstrukt Cäsars aus politischen Interessen.
Trotzdem lässt sich feststellen, dass gerade in Nordostmitteleuropa die Jastorfkulturen in der vorrömischen Eisenzeit die Struktur komplexer sesshafter Kulturen (mit Handel, Polis, Handwerk, Kulturfunktionären) und mit ihr eine komplexe (olympische) Götterwelt noch nicht erreicht hatten, und Naturbezug mit entsprechenden totemistischen Glauben und Geistervorstellungen noch dominant sind - und keine größere soziale und territoriale Ordnung ausgeprägt haben, sondern eher kommunal waren. Gesellschaft und (ethnische) Religion sind immer nur in engster Symbiose anzutreffen; eine gleichartige „religiöse Umwelt“ – gemeint ist an erster Stelle die konkrete Nutzung der naturräumlichen Gegebenheiten, aber auch die soziale Organisation, Wirtschaftsfaktoren, Technologie und die politische Konstellation – führt häufig zu relativ ähnlichen Vorstellungen. Die Kultverbände der Ingaevonen, Hermionen und Istaevonen könnten genau solche sozioökologische "religiöse Umwelten" abbilden: die an Nordsee, das Wattenmeer, die Inseln lebenden Ingaevonen der Marschlandschaften, von Fischfang und Viehhaltung lebend, und den Hermionen im Landesinneren, die auf fruchtbaren Lössböden auch Ackerbau betrieben; (die Istvaeonen lassen sich meiner Ansicht nach schwer zuordnen, da keine Gentilnamen bekannt sind, am Rhein lebend ist eine ungenaue Verortung bei Tacitus - da er rheinwesergermanische Stämme wie die Cherusker den Hermionen zuordnet, zusammen mit den Sueben, kann hier allerdings auch ein Überlieferungsfehler vorliegen - es wäre logischer die Hermionen den Sueben, vielleicht mit einem Zentralheiligtum wie dem bei Tacitus selbst beschriebenen Semnonenhain zuzuordnen, und die "Rhein-Weser-Germanen" in den rechtsrheinischen Schiefergebirgen als rheinnahe Istaevonen, aber dies bleibt spekulativ, da dies die Quellen nicht hergeben).
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