Hätte man den Untergang Westroms noch abwenden können?

Ich würde eher sagen, dass der Unterschied zwischen der Zeit des Augustus und der Spätantike die Herausbildung der Großstämme und die Entwicklung des Königtums war, sodass die Germanenstämme effizienter auftreten konnten.

Das hängt doch direkt zusammen. Ein Halbtagskrieger, der morgens noch die Kühe melkt, wirds nicht zum König bringen.
Heather legt sehr interessant dar, wie es durch die Entwicklung der Landwirtschaft, die erstmalig Überschüsse produzierte, durch den Wohlstandstransfer aus dem römischen Reich über Handel, Beute und Subsidien, und nicht zuletzt durch den Kriegsdienst in der römischen Armee, sich eine herrschende Klasse, die aufs Kriegswesen spezialisiert war, erst bilden konnte.
 
Ohne hier direkt auf den Untergang des Westreiches einzugehen, nur mal allgemein in die Runde geworfen.

In der Regel war eine gut trainierte und geführte römische Armee den Germanen weiterhin überlegen.
Das größte Problem des Imperiums lag ja an seinen weiten Grenzen und den im Verhältnis dazu wenigen Soldaten. Um die Grenze effektiv zu schützen, hätte man das Heer verfielfachen müssen. Das ging weder personell noch finanziell.

Die Frage die ich mir schon häufig gestellt habe ist folgende: Hätte das Ostreich auch überlebt, wenn es nicht im 5. Jahrhundert an seiner Ostgrenze Frieden gehabt hätte, und statt dessen auch permanent unter Druck gestanden hätte, wie der Westen?
 
Dafür stand Ostrom im 6. und 7. Jahrhundert unter permanentem Druck, sowohl im Osten als auch auf dem Balkan, der zeitweise komplett verloren ging, inklusive Griechenlands.

Einer der Hauptgründe für den Fortbestand des Ostreiches dürfte die Konzentration auf die Metropole Konstantinopel gewesen sein.
Konstantinopel wurde mit riesigem Aufwand zu einer gewaltigen Festung ausgebaut, die mit damaligen Mitteln uneinnehmbar war und daher erst 1204 bzw. 1453 fiel.
Mehrmals in der Geschichte war es dieser Kern, der das Ostreich zusammenhielt. Hätte z.B. die awarische Belagerung 626 Erfolg gehabt, wäre wohl auch Byzanz von der Landkarte verschwunden.
Im Nachhinein erwies es sich als schwerer Fehler der westlichen Herrscher, Rom zugunsten Mailands oder Ravennas zu vernachlässigen.
 
@ Germanicus:
Schwer zu sagen. Die Perser waren ein harter Gegner, der den Römern weit mehr zu schaffen machte als einst die Parther, schon im 3. Jhdt. und dann wieder unter Herakleios. Es kam aber auch auf ihre Führung und Entschlossenheit an. Andererseits, unter Iustinian I. führten die Römer auch Krieg gegen die Perser und behaupteten sich, obwohl die Lage am Balkan nach wie vor prekär war. Aber ich denke, ein gleichzeitiger massiver Einfall am Balkan und ein entschlossener Angriff durch die Perser wäre für die Oströmer nur schwer zu bewältigen gewesen. Andererseits konnte Herakleios nach etlichen Rückschlägen auch die Perser zurückschlagen, obwohl gleichzeitig die Slawen am Balkan einfielen.
Letztlich kann man also nur spekulieren.
 
Im Nachhinein erwies es sich als schwerer Fehler der westlichen Herrscher, Rom zugunsten Mailands oder Ravennas zu vernachlässigen.
Die Stadt Rom hatte eigentlich nur noch ideelle Bedeutung und als Sitz des Senats. Weder die Eroberung durch die Westgoten noch die durch die Wandalen hatten gravierende reale Auswirkungen auf den Bestand des Reiches. Viel schlimmer wäre es wohl gewesen, wenn bei diesen Eroberungen jeweils auch der Kaiser in Feindeshand gefallen wäre. Insofern war es also eher von Vorteil, dass sich das Machtzentrum nicht mehr in Rom befand.
Außerdem wurde Rom bereits seit dem 3. Jhdt. als Hauptstadt vernachlässigt, denn schon damals hielten sich viele Kaiser kaum noch in Rom auf.
 
Die Stadt Rom hatte eigentlich nur noch ideelle Bedeutung und als Sitz des Senats. Weder die Eroberung durch die Westgoten noch die durch die Wandalen hatten gravierende reale Auswirkungen auf den Bestand des Reiches. Viel schlimmer wäre es wohl gewesen, wenn bei diesen Eroberungen jeweils auch der Kaiser in Feindeshand gefallen wäre. Insofern war es also eher von Vorteil, dass sich das Machtzentrum nicht mehr in Rom befand.
Außerdem wurde Rom bereits seit dem 3. Jhdt. als Hauptstadt vernachlässigt, denn schon damals hielten sich viele Kaiser kaum noch in Rom auf.

Ist ja alles richtig, aber dadurch fehlte dem Westreich der "unantastbare" Kern, an dem sich das Ostreich immer wieder aufrichtete.
Weder Mailand noch Ravenna hatten die Strukturen, einem wirklichen Ansturm Stand zu halten, das entblößte Rom auch nicht mehr. Um so problematischer anhand des sakralen Charakters der Stadt.
Dass es seit dem 3.Jahrhundert vernachlässigt wurde heißt ja nicht, das gleich am nächsten Tag ein Eroberer vor der Tür steht. So lange die Macht im Westen stark genug war, spielte das keine Rolle.

Aber bei Konstantinopel sieht man, dass diese Stadt für das Ostreich das unverzichtbare Zentrum war. Solange man die Stadt hielt, erholte man sich von den schwersten Niederlagen.

Ob ein Kaiser in Feindeshand wirklich eine Rolle gespielt hätte halte ich für sehr zweifelhaft. Nach dem hätte doch am nächsten Tag kein Hahn mehr gekräht, da hätte sich schon schnell Ersatz gefunden.
 
Das hat es ja wirklich gegeben und wurde abgewehrt.
Belagerung von Konstantinopel (626) ? Wikipedia

Das hatte ich doch oben angedeutet. Hier wurde Konstantinopel von Awaren, Slawen und Persern gleichzeitig angegriffen, also von Ost und West.
Das Reich bestand praktisch nur noch aus der Stadt, erholte sich aber nach dem Zusammenbruch beider Feinde schnell wieder.
Ohne die langen Mauern und die Befestigungsanlagen am Goldenen Horn wäre es das gewesen mit Byzanz.
 
Ist ja alles richtig, aber dadurch fehlte dem Westreich der "unantastbare" Kern, an dem sich das Ostreich immer wieder aufrichtete.
Weder Mailand noch Ravenna hatten die Strukturen, einem wirklichen Ansturm Stand zu halten, das entblößte Rom auch nicht mehr. Um so problematischer anhand des sakralen Charakters der Stadt.
Dass es seit dem 3.Jahrhundert vernachlässigt wurde heißt ja nicht, das gleich am nächsten Tag ein Eroberer vor der Tür steht. So lange die Macht im Westen stark genug war, spielte das keine Rolle.

Aber bei Konstantinopel sieht man, dass diese Stadt für das Ostreich das unverzichtbare Zentrum war. Solange man die Stadt hielt, erholte man sich von den schwersten Niederlagen.
Eben! Konstantinopel wurde nicht genommen. Ich würde seine wichtige Rolle nicht so sehr im "unantastbaren Kern" in einem metaphysischen Sinn sehen, sondern in der uneinnehmbaren Hauptstadt als Wirtschafts- und Verwaltungszentrum des Reiches.
Bei Rom war das anders, die Stadt hatte nur noch hauptsächlich symbolische Bedeutung. Ich glaube nicht, dass die Westgoten gescheitert wären, nur weil sich Honorius in der Stadt aufgehalten hätte. Gut befestigt war die Stadt ja, aber wenn es den Verteidigern an der nötigen Entschlossenheit und Zuverlässigkeit fehlt, hilft alles nichts. Petronius hingegen saß 455 sogar in Rom, wollte aber fliehen und wurde ermordet.
Wichtiger war, dass Ravenna nicht erobert wurde. Wenn die Residenz in Feindeshand fällt, bedeutet das schließlich auch eine massive Schwächung der Verwaltung, die dort ihr Haupt hat.

Ob ein Kaiser in Feindeshand wirklich eine Rolle gespielt hätte halte ich für sehr zweifelhaft. Nach dem hätte doch am nächsten Tag kein Hahn mehr gekräht, da hätte sich schon schnell Ersatz gefunden.
Genau darauf wollte ich hinaus: Da hätte sich wohl eher mehrfacher Ersatz gefunden, und der gefangene Kaiser hätte auch noch als Marionette weitergemacht. Alles nicht wirklich stabilisierend.
 
Bei der Diskussion über militärische Stärke wird vergessen, dass der Aufstieg vieler grosser Reiche gerade in einer Phase andauernder existenzbedrohender militärischer Konflikte statt fand.
Das in dieser Phase mehrmals am Abgrund stehende Rom ist da das beste Beispiel, genau wie das klassische Griechenland vor Alexander.
In China heisst sie sogar "Zeit der kämpfenden Reiche".
Die militärische Überlegenheit der Germanen ist ja auch nicht aus dem Nichts entstanden, sonder wuchs in Jahrhunderte wärenden Reibereien mit den Römern und noch wichtiger untereinander.
Die Ursache für den Untergang der römischen Reiche lag wohl darin, dass man letztendlich keine besseren Ideen mehr entwickelte um mit neuen Konfrontationen (militärischer, organisatorischer, kultureller oder politischer Art) fertig werden zu können.
 
Eben! Konstantinopel wurde nicht genommen. Ich würde seine wichtige Rolle nicht so sehr im "unantastbaren Kern" in einem metaphysischen Sinn sehen, sondern in der uneinnehmbaren Hauptstadt als Wirtschafts- und Verwaltungszentrum des Reiches.

Da sind wir doch (fast) einer Meinung. Im Westen fehlte dieses Wirtschafts- und Verwaltungszentrum, die Peripherie war fast wichtiger als die "Zentrale". Trier, Arles, York, Mailand, Karthago wären da u.a. zu nennen.
Meine Aussage von den "Fehlern" der weströmischen Herrscher ist da falsch - muss ich zugeben. Sie passten sich der ökonomischen Realität an.
Im Osten reichte es, die eine Metropole zu halten, was natürlich einfacher war.
 
Da sind wir doch (fast) einer Meinung. Im Westen fehlte dieses Wirtschafts- und Verwaltungszentrum, die Peripherie war fast wichtiger als die "Zentrale". Trier, Arles, York, Mailand, Karthago wären da u.a. zu nennen.

Das war doch in Ostrom nicht anders- da gab es u.a. Alexandria, Antiochia, Pergamon, Ephesos, Korinth und Thessaloniki als große Regionalzentren, von denen vermutlich jedes mehr Einwohner hatte als Trier und York zusammen (die maximale Einwohnerschaft von Trier wird auf um die 80.000 geschätzt).

Ich denke, der wesentliche Unterschied war, das Ostroms Wirtschaft viel stärker auf dem Seehandel basierte (die großen Zentren lagen an bzw. nahe der Küste), während im Westen v.a. inländische Sub-Zentren mit regionaler Funktion zu finden waren. Da ist der Kontakt zur Zentrale sowieso schwerer zu halten, und wird durch Landinvasionen / Kriege empfindlicher gestört.
 
Rom war wirtschaftlich nur mäßig bedeutend, und vom militärischen Aspekt her lag es strategisch eher im Abseits und weit weg von den Fronten. All das war bei Konstantinopel anders.
 
Wie du sagst, Ravenik, man kann bei diesem Thema genauso gut spekulieren wie beim Untergang des Westreiches *g*.

Ich denke es wäre sehr schwierig geworden das Imperium zu halten. Die Situation im 6. und 7. Jahrhundert war doch schon eine andere als vorher. Zahlreiche Reformen haben ja vorher stattgefunden, die es vorher nicht gegeben hat. Und man sollte nicht vergessen, dass Afrika und Ägypten verloren gingen.

Als Arcadius an die Macht kam, war der Westteil des Imperiums wohl noch der stärkere. Alarich und die Westgoten, die ab 395 die römischen Provinzen verheerten, konnte man nicht wirklich entgegengetreten. Es war Stilicho mit dem Westheer, der Feldzüge gegen diese durchführte. Trigibild verheerte 399 Kleinasien, Gainas, der diesen zunächst ruhigstellen konnte, machte später mit ihm gemeinsame Sache, erneut wurde Kleinasien verheert, ja Gainas gelang es sogar, die Hauptstadt zu besetzen! Dazu in der Folge kamen weitere Verheerungen der Provinzen durch die Germanen.

Hätte das Ostreich damals in einem solchen Krieg gesteckt wie bei dem der 603 begann, dann hätte es richtig übel ausgesehen, zumal die Theodosiansiche Mauer noch nicht gebaut war zu dieser Zeit.
Durch diesen Krieg nutzen sich ja beide so sehr ab, dass die Araber in der Lage waren, mehr oder weniger spielend das Sassanidenreich zu schlucken und große Teile des römischen Orients zu erobern.
 
Zuletzt bearbeitet:
Andererseits, unter Iustinian I. führten die Römer auch Krieg gegen die Perser und behaupteten sich, obwohl die Lage am Balkan nach wie vor prekär war.
Hier hatte Justinian das Glück, dass er auf eine gut gefüllte Staatskasse zurückgreifen konnte, wodurch er sich mehrmals ein Waffenstillstand mit den Sassaniden erkaufte, und er so wieder Truppen verlegen konnte.
 
Wäre das Weströmische Reich so zu retten gewesen?

Guten Abend

Ich habe mal wieder eine Frage und ich freue mich schon sehr auf eure Antworten.

Ich habe mal darüber nachgegrübelt wieso Westrom unterging. Klar die Gründe sind deutlich zu erkennen

1. Überall nur noch Feinde die von den Hunnen weg liefen und das konnten sie nur in Richtung Rom

2. Die Überdehnung der Grenzen. Die Grenzen waren einfach zu groß um sie wirklich überall gut zu verteidigen

3. Die Bevölkerungszahl lief wieder rückwärts selbst ohne dies gab es zu wenige Römer zu rekrutieren man musste immer mehr Söldner anwerben.

4. Geld war auch Mangel der Sold der Truppen muss immens gewesen sein.
Aber selbst diese Menge an Truppen die insgesamt immer noch gewaltig war war immer noch zu wenig um das Reich überall schützen zu können.

Alles recht logisch dies alles zusammen brachte den Untergang Roms nur durch fähige Kaiser wie Konstantin der Große, Flavius Claudius Iulianus oder Valentinian I. hield das Römische Reich überhaupt so lange durch.

So jetzt stellt sich mir aber die Frage da die meisten Probleme mit der schieren Größe des Reiches zu tun hatte wieso verkleinerte man dann das Reich nicht?

Klar der Stolz verweigert sowas, aber wenn man Spanien und Gallien aufgegeben hätte dann

1. Hätten die Stämme platz gehabt zu Wandern viel Platz wäre dann da gewesen und sie hätten wohl sehr seltener das Reich angegriffen

2 Hätte man das Reich dann nicht teilen müssen mit den Ostprovinzen hätte das verkleinerte Westreich durchaus gut überlebt der Reiche Orient wäre ja noch vorhanden gewesen

3. Die Grenzen wären um einiges kleiner gewesen das hieße weniger Truppen wären nötig gewesen dadurch weniger Söldner in der Armee und dadurch wieder mehr Geld in der Kasse

Das Reich hätte sich wieder organisieren können und wenn die Zeit reif gewesen wäre hätte das Römische Reich wieder zuschlagen können.


Deshalb die Frage wieso erwog man diese Entscheidung nicht mal? Man hätte den Untergang wohl verhindern können und vielleicht eine neue Blüte erlebt.

Oder ist das viel zu einfach von mir gedacht waren die Gründer des Untergangs noch viel komplizierter?


mfg Höhl
 
Zuletzt bearbeitet:
Über den Untergang Westroms wurde u. a. schon hier diskutiert:
http://www.geschichtsforum.de/f28/h-tte-man-den-untergang-westroms-noch-abwenden-k-nnen-36954/
http://www.geschichtsforum.de/f28/untergang-des-r-mischen-reiches-1069/
Die Gründe für den Untergang waren vielschichtig und sind noch nicht abschließend geklärt.

Deine Frage beantwortet sich eigentlich von selbst, denn das weströmische Reich wurde ja verkleinert, wenn auch nicht freiwillig. Aber zum Zeitpunkt der Machtübernahme Odoakers bestand es nur noch aus Italien, Noricum und Teilen Galliens.
Mit der Verkleinerung des Reiches gingen aber auch wichtige Provinzen verloren. Nordafrika und Sizilien waren für die Getreideversorgung wichtig, Gallien war einst eines der Wirtschaftszentren gewesen, Illyrien hatte im 3. Jhdt. die besten Truppen gestellt. All diese Verluste lösten also keine Probleme, sondern schufen neue - und sei es auch nur durch den Wegfall von Steuereinnahmen. Italien gehörte wirtschaftlich gesehen zu den am wenigsten wichtigen Gebieten, aber Italien konnte man schlecht aufgeben.
Das Beispiel Nordafrika zeigt auch, dass man die germanischen Stämme nicht am Wandern hindern können hätte, indem man ihnen freiwillig weniger wichtige Provinzen überließ, denn die Wandalen zogen von Spanien nach Nordafrika, wenn auch durch innerrömische Intrigen begünstigt. Die meisten germanischen Invasoren bemühten sich ja auch durchaus um eine Verständigung mit Rom und eine Anerkennung ihrer Landnahme, aber genützt hat das den Römern letztlich nicht viel. Eine wirkliche Kontrolle erlangten sie über das Wanderverhalten der Germanen trotzdem nicht, allenfalls konnten sie es beeinflussen, indem sie den einen Stamm auf einen anderen Stamm oder auf einen innerrömischen Gegner hetzten.
Unter Iustinian entstand dann ja auch das, was Dir als Lösung vorschwebt: Sein Reich umfasste den Osten plus Italien und Nordafrika (und den Süden Spaniens), also ohne Gallien und den Großteil Spaniens. Genützt hat das nichts, schon bald ging ein Großteil Italiens an die Langobarden verloren, und in Nordafrika musste man sich permanent der Berber erwehren.
 
Eine Grenze Gibraltar (mit Vorfeld Andalusien) und Alpen hat schon was. Die Sache mit Africa und den Vandalen ist ja eher selten dumm gelaufen und ändert nix am strategischen Sinn einer solchen Grenze. Obwohl ich glaube, mich zu erinnern, daß Justinian anfangs im Grundsatz eine Restauration des gesamten weströmischen Reiches anpeilte.

Ich kenne mich mit der Zeit Justinians nur wenig aus. So weit mir bekannt ist, riss die Pest in Kleinasien dann große Löcher, Justinian hatte sich auch finanziell derbe übernommen und der Adel hatte kein großes Interesse an den Westprovinzen. Ich frage mich, warum das so war, warum solche Unternehmungen überhaupt so vergleichsweise teuer geworden waren, und der erwartete RoI einer Restauration so gering eingeschätzt wurde.

Viel geholfen hätte es wohl ohnehin nicht, denn Ostrom verlor dann auch sukzessive seine Gebiete in Africa und weite Teile des Ostens an die Kalifen; ebenso erging es dann irgendwann auch dem Balkan. Der "alte Mann am Bosporus" war also älter als sein Name und stand in guter Tradition zum "alten Mann am Tiber".

Ich bin eher auf der Seite derer, die langfristige strukturelle Ursachen für den Untergang Roms verantwortlich machen, die bereits Jahrhunderte vorher begannnen, auch wenn sie oft erst spät virulent wurden. Von daher war Westrom zu diesem Zeitpunkt, selbst bei einer Rücknahme der Grenzen, bereits unrettbar verloren. Bei einer langfristig, strukturellen Betrachtung gibt es aussenpolitische Gründe und innenpolitische. Letztere sind wohl am wichtigsten, aber auch vielfältig und komplex. So recht habe ich da daher noch keinen vollständigen, konsistenten Überblick finden können.

Aussenpolitisch schauts einfacher aus, je früher man ansetzt. Die Aufgabe der Expansionspolitik durch Augustus/Tiberius etwa, hat dazu geführt, daß es überhaupt noch Germanen gab, die wandern konnten. Aber mit einer Grenze Weichsel/Karpaten, wären halt andere gewandert, die man genau so wie real die Germanen durch Technologie- und Kulturtransfer aufgerüstet hätte. Wenn es das Reich nicht schon vorher zerrissen hätte. Immer vorausgesetzt, eine solche Expansion wäre politsch, militärisch und wirtschaftlich überhaupt möglich gewesen. Ich glaube, da wird das Römische Reich auch der frühen Kaiserzeit etwas überschätzt. Aber bei Adrianopel oder beim Übersetzen der Vandalen nach Africa, lag das Kind doch schon lange im Brunnen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich bin eher auf der Seite derer, die langfristige strukturelle Ursachen für den Untergang Roms verantwortlich machen, die bereits Jahrhunderte vorher begannnen, auch wenn sie oft erst spät virulent wurden. .

Das ist der eigentliche Kern des Problems, denn es waren letztlich die ökonomische, dynastische und gesellschaftliche Desintegration, die Rom den Untergang bescherte.

Die Desintegration des Römischen Reiches setzt nach Theodosius (379–95) ein. Er war der letzte Kaiser, der die Zügel des gesamten Reichs in seiner Hand hielt, obgleich seine Alleinherrschaft kaum ein Jahr gedauert hatte. Auf seinen Tod fogte der Prozess des Niedergangs, der nie wieder rückgängig gemacht werden konnte. Insofern steht Theodosius "der Große" an einer ganz anderen Stelle der Entwicklung als Diokletian und Konstantin.

Die von Theodosius hinterlassene Dynastie regierte im Westen bis 455, im Osten bis 450. Die Herrscher dieser Zeit erwiesen sich als politisch unfähig: Honorius (395–423) und Valentinian III. (423–455) im Westen sowie Arcadius (395–408) und Theodosius II. (408–450) im Osten zählten als politische Potenzen überhaupt nicht, sondern waren Nullen. Zudem gelangten sie alle als Kinder und Jugendliche zur Regierung. Zeitlebens kamen sie kaum über die Gemächer ihres Palastes, geschweige denn über ihre Resiedenzstadt hinaus, also über Ravenna im Westen und Konstantinopel im Osten.

Ganz fern lag ihnen der Gedanke, an die Spitze eines Heeres zu treten, und das zu einer Zeit, als der Feind nicht mehr an der Grenze stand, sondern sein Lager mitten auf dem Reichsboden aufgeschlagen hatte.– Dieser unfähigen Familie war das Geschick des Römischen Reichs in der kritischsten Phase anvertraut, die es jemals erlebt hatte.

Zu dieser politischen Unfähigkeit – ja Lähmung – an der Staatsspitze kamen die verheerenden ökonischen Daten hinzu. Die Reichsbewohner sahen sich einer unerträglichen Steuerlast gegenüber, was besonders die Landpächter, die Kolonen, traf. Zwar hatte sie der Staat durch Gesetze an die Scholle gefesselt, doch flüchteten immer mehr Menschen, sodass um 400 weite Landstriche verödet waren.

Nimmt man das alles zusammen, so standen Wirtschaft und Gesellschaft am Rande Zusammenbruchs, oder befanden sich bereits mitten darin. Die finanzielle Situation des Reichs wurde immer hoffnungsloser und die Staatsflucht äußerte sich in einer völligen politischen Apathie der Bevölkerung.

Es ist daher kaum verwunderlich, dass die Germanenreiche auf römischem Boden – Burgunder, Ostgoten, Westgoten, Wandalen usw. – den Sturz beschleunugten, da Widerstandskräfte kaum noch vorhanden waren. Die Absetzung des letzten (west)römischen Kaisers durch Odoaker im Jahr 476 markiert eigentlich nur noch das unspektakuläre Ende eines langjährigen Prozesses.
 
Ganz fern lag ihnen der Gedanke, an die Spitze eines Heeres zu treten, und das zu einer Zeit, als der Feind nicht mehr an der Grenze stand, sondern sein Lager mitten auf dem Reichsboden aufgeschlagen hatte.
Das sehe ich allerdings nicht unbedingt als Nachteil. Auch die Kaiser des 1. Jhdts. n. Chr. hatten ihre Feldzüge großteils nicht selbst befehligt, und es gab auch im 5. Jhdt. taugliche Feldherren. Für das Reich war es allemal besser, Profis wie Stilicho, Constantius (III.) oder Aetius übernehmen das Kriegführen, als Honorius oder Valentinian III. bequemen sich persönlich an die Front.
 
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