Hätte man den Untergang Westroms noch abwenden können?

Von Strukturen des Römischen Reiches

Ich sehe dieser Beitrag ist wieder bei dem alten Thema angekommen, wo die Gründe für den Untergang des Römischen Reiches liegen und nicht, ob der Untergang Westroms noch abzuwenden gewesen sei. Ich plädiere daher dafür die Masse der entsprechenden Beiträge in den entsprechenden Thread zu verschieben, inklusiver meiner Antwort!Ich finde, Augusto hat eine Antwort verdient:
[FONT=&quot]1. Fehlende Expansion:[/FONT][FONT=&quot] Traditionelle Grundlage des römischen "Erfolgs" war konstante Expansion, und nachfolgende Umverteilung aus den neueroberten Gebieten an "Rom" (einschließlich seiner Legionnäre). Je größer "Rom" im Verhältnis zu den neueroberten Gebieten wurde, desto problemarischer wurde dieser Ansatz. Spätestens als die Expansion nach Trajan zum Erliegen kam, wurde ein neues "Finanzierungsmodell" erforderlich, das aber letztendlich nie erfolgreich konzipiert und umgesetzt wurde. [/FONT]
Nur Stichworte: „Grand Strategie“ des Augustus + Vereinnahmung der städtisch geprägten Mittelmeerwelt. Sogenannter „Verzicht“ auf Germanien nach der Varusschlacht „Dem Fuchs hingen die Trauben zu hoch“. Hinweis darauf, dass das römische Militär in Kopfzahlen gesehen eher klein war und sich regelmäßig durch Stellung von Verbündeten verstärkte. Die Auxiliar-Einheiten wurden zusätzlich ein fester, integrierter Bestandteil des römischen Berufsheeres (ungeachtet der Verbündeten).
oldenbourg-link | Der Wechsel zu einer neuen <i>grand strategy</i> unter Augustus und seine langfristigen Folgen<br/>The new concept of <i>grand strategy</i> under Augustus and its longterm effects
2. Wirtschaftsstrukturelle Defizite: Das römische Reich hatte traditionell ein strukturelles Handelsbilanzdefizit mit dem Osten (Seidenstraße, Weihrauchstraße etc.), das regelmäßig in Edelmetallen finanziert werden musste. Ab etwa Ende des 2. Jahrhunderts ging zudem die Edelmetallförderung im Reich zurück. In Folge beider Faktoren kam es zu einer stetigen Münzeverschlechterung.

Die archäologische Fundsituation läßt einen römischen Handelsbilanzüberschuss mit dem nichtrömischen Mittel- und Osteuropa vermuten. Dieser wurde allerdings weitgehend nicht in Edelmetallen, sondern durch Leistungserbringung (Stellung von Legionären) finanziert. Insofern könnte die "Barbarisierung" der Armee wirtschaftspolitisch durchaus Sinn gemacht haben, ja u.U. sogar wirtschaftspolitisch begründet gewesen sein.


Die Defizite in der Handelsbilanz sind nicht unumstritten. Laut „Die Wirtschaft des Römischen Reiches (1.-3. Jht.)“ [ab S 137] war der Osthandel der bei weitem Umfangreichere (gegen den Nordhandel) und ist auch deutlich besser dokumentiert und erforscht, ohne völlig bekannt zu sein. Rom bezahlte die über den Osthandel importierten Luxusgüter (vor allem Gewürze, Seide uä.) keineswegs ausschließlich über Edelmetalle. Zumindest der Indienhandel (über den auch die Masse des „China-Handels“ abgewickelt wurde) sei lange ausgeglichen gewesen. In Indien habe man große Mengen römischer Importgüter an Keramik-, Metall- und Glasfunden gemacht. Seit Plinius wird vor allem der Abfluss von Edelmetallen nach Osten beklagt. Dieser ist an sich unstrittig, unterlag aber Schwankungen. Hinzu kommt die Exklusivität der importierten Ostwaren, die sich in der Regel nur die oberste Schicht Roms leisten konnte - sowie Waren für den öffentlichen Betrieb (Weihrauch für Tempel). Der Staat schöpfte Gewinne hier sehr stark ab. Während es im römischen Binnenhandel zwischen den zu Gruppen zusammengefassten Provinzen meist nur 2,5 % Zollaufschlag gab, galt für den Osthandel seit der Ptolemäerzeit aus Ägypten einen Außenhandelszoll von 25 %!

Die Aussagen über den „Nordhandel“ (mit dem „barbarischen Europa“) kann man stehen lassen. Die Germanen dort kannten zumindest einen „Sekundären Geldhandel“, der für den Austausch mit dem Reich wichtig war. Tributforderungen und römische Subsidien waren weitere wichtige Grundlagen für den Warenaustausch. Tribute in Form von Erntegütern, Vieh und Stellung von Soldaten erleichterten nicht nur die römische Militärpräsenz an den Grenzen, sondern schöpfte auch das germanische Potential zur eigenständigen Politik ab, wie ich es bereits in zahlreichen Beiträgen im Kontext zu Foederaten und dem Grundsatz „Teile & Herrsche“ beschrieben habe.

Die Münzverschlechterung ist ein derart weites Thema, dass es einem Minenfeld gleicht auf das ich mich eigentlich kaum wagen will, zumal ich mich auf diesem Boden „nicht eben sicher fühle“. Im oben genannten Buch wird betont, dass römische Münzen zwar als „Realgeld“ (über den Edelmetallwert) galten, sich dieses Prinzip aber zunehmend aufweichte. Politische und wirtschaftliche Stabilität erlaubten Münzverschlechterungen ohne Akzeptanz zu verlieren, oder die Inflation (Anfangs) bemerkenswert zuanzuheizen. [S207] wird bemerkt, dass sich auch in den Wirren des 3. Jht. in Münzhortfunden auch „schlechte Münzen“ finden, sie also einen „wertstabilisierenden Faktor“ darstellten. Beachtenswerter finde ich die Grafik zur Münzverschlechterung des Silberdenars von S 206. Hier ist zu erkennen, dass Münzverschlechterungen häufig parallel zu innenpolitischen Krisen einhergingen! Auffällig ist vor allem der erste große Einbruch zwischen den Jahren 64 und 70 n.Chr. Das ist die Zeit der späten Herrschaft des Nero, sowie der Usurpationen mit Höhepunkt des 4-Kaiser-Jahres 69 an deren Ende die Dynastie der Flavier sich etablieren konnte. Der Silbergehalt schwand in dieser Zeit von 3,65 g auf nur noch 3 g und kurz darauf noch niedriger, ehe ab dem Jahre 82 wieder ein kurzzeitiger Anstieg zu erkennen ist! Eine langsame Abwärtsentwicklung ist später zu erkennen. Der nächste auffällige Fall ist gerade um das Jahr 193/194 zu erkennen – Überraschung: Das ist der Bereich des zweiten Vierkaiserjahres, in dem sich die Dynastie der Severer letztlich durchsetzte! Der nächste deutliche Einbruch lässt sich bei oberflächlicher Betrachtung auch mit dem Fall dieser Dynastie mit Ermordung Caracallas im Jahre 217 und nachfolgendem Bürgerkrieg in Verbindung bringen. Mit Caracalla begann auch die Erstemission neuer Münzen, die man heute als Antoninian bezeichnet und eine Reaktion auf die sinkende Akzeptanz der zunehmend wertlos gewordenen Münzen war. Im Jahre 215 war der Silbergehalt auf nur noch um 1,5 g gesunken (nicht gut in der Grafik zu erkennen). Bei Einführung des römischen Denars um 211 v.Chr. hatte der Silbergehalt noch bei rund 4,5 g gelegen. Die Antoniniar-Münzen wurden später teils nur noch mit einer Silberschicht verblendet! Allein den Silbergehalt auf der Grafik zu betrachten ist teils irreführend. Besonders kurzzeitige Gehaltsanstiege sind auf Umprägung bereits im Umlauf befindlicher Altmünzen mit höherem Silbergehalt zurückzuführen.
M.E. wichtig als Essenz dieser Betrachtung ist eine doppelte Feststellung: 1. Den massiven Einfluss innenpolitischer Entwicklungen auf den Münzfuß und 2. Die Entwicklung römischer Münzen weg vom „Realgeld“ und hin zum „Kreditgeld“. Dem bleibt hinzuzufügen

[obige Quelle, S 206]“Die in der Forschung oft als knapp bezeichnete Geldmenge wurde [...] noch durch Kreditgeld „vermehrt“ […] resultierte aus dem Geldverleih gegen Zins […], sowie der Kapitalschöpfung aus Stiftungen und Bankgeschäften.“

PS: Sorry, wenn ich so weit vorne im Thema rückblende, was mE. sowieso in einen anderen Thread gehört
 
Von der Bedeutung des Heeres und Geldes

3. "Urban bias": Der innenpolitische Schwerpunkt lag auf der Pazifizierung revolutionärer Potentiale, insbesondere der Armee ("Soldatenkaiser") und der städtischen Unterschichten. Das Motto "Brot und Spiele" schlug sich spätestens ab dem 3. Jahrhundert nieder in der Einführung von Preiskontrollen für Grundnahrungsmittel ("Brot"), und der Fokussierung öffentlicher Investitionen auf städtische Repräsentationsbauten ("Spiele").
Schön formuliert, aber: Die Armee war eine der wichtigsten Grundlagen des Staates für seinen Bestand nach Außen und Zusammenhalt nach innen! Sie verbrauchte Schätzungen zufolge in der frühen Kaiserzeit etwa 75 % des Staatshaushaltes. Man sollte sie in erster Linie als Garant GEGEN innere, revolutionäre Potentiale sehen! Das Wesen des Kaiserreichs beruhte darauf. Seine Kosten waren Systeminhärent und unvermeidlich für die Aufrechterhaltung des Staatssystems. Sie war einst Motor der Expansion, dann der Romanisierung und Aufrichtung der Infrastruktur (Straßenbau etc.) gewesen und hatte damit die Grundlagen für ein „römisches Bewusstsein" der Bevölkerung bis hin zur Spätantike geschaffen.

Peter Heather beschreibt die Basis des römischen Imperiums als die herrschende Schicht römischer Großgrundbesitzer [Quelle: Der Untergang des Römischen Weltreiches], die flexibel genug war Aufsteiger und unterworfene Standesgenossen aufnehmen und integrieren zu können. Im Abschnitt „Der bessere Teil der Menschheit“ [S32ff] beschreibt er diese Selbstsicht der „Upperclass“, der die Zugehörigkeit zum von ihnen dominierten Senat höchstes Ziel war. Reichtum war Grundlage für einen Anteil an dieser Klasse und neben anderen Aspekten war der „kulturelle Schraubstock“ klassischen Lateins [S 35]. Die Sprache der Oberschicht hatte sich wohl schon einige Zeit verselbstständigt und Wandlungen des „Volkslateins“ teils ausgeklammert, wie Graffiti etwa in Pompeij beweisen. Man merkte einem Angehörigen der Oberschicht also schon an Kleidung und Sprache an, das er zur entscheidenden Klasse des Reiches gehörte! Peter Heathers bildhafte Sprache kumuliert in der Erkenntnis, dass der römische Staat geleitet und aufrecht erhalten wurde >von den Großgrundbesitzern für die Großgrundbesitzer< der oben angeführten Sozialschicht.

Rein aus Sicht von Selbstdarstellung und Beschwichtigung der Massen wurden schon seit republikanischer Zeit Repräsentationsbauten errichtet und gelegentlich der Pöbel mit Spenden von Nahrungsmitteln und Spielen abgespeist. Dies waren auch wesentliche Instrumente der Romanisierung, da neue Städte aus dieser Haltung heraus ähnliche städtische Einrichtungen erhielten, wie sie in Italien und Rom vorexerziert wurden.

Die Grundlagen des Imperiums waren also die Großgrundbesitzer und die Armee. Der Plebs spielte kaum eine Rolle und konnte nur zu Krisenzeiten gefährlich werden. Wer letztlich das Sagen hatte beweisen die vielen Bürgerkriege, wo das Heer einen Kaiser einsetzte, selbst wenn der Alte vom städtischen Plebs verjagt oder getötet worden war. Dieser Punkt 3 beschreibt also ein unveränderliches Funktionsprinzip des Imperiums, vielleicht einen strukturellen Schwachpunkt des Systems (das gut 400 Jahre funktionierte?!) aber wohl nicht einen Schwerpunkt der geeignet ist, den Untergang des Reiches zu beschreiben.


4. Entmonetarisierung ländlicher Räume: Da die festgesetzten Preise für Grundnahrungsmittel vielfach nicht kostendeckend waren, und sich die Münzqualität steitig verschlechterte, wurden viele lämdliche Räume aus der Markt- in die Subsistenzproduktion abgedrängt. Dies betraf v.a. getreideproduzierende Räume außerhalb des unmittelbaren Versorgungsgebiets größerer Städte. Für einige mediterrane Nahrungsmittel, z.B. Wein oder Olivenöl, scheinen die Preise allerdings durchaus auskömmlich gewesen zu sein, so dass diese Produkte auch weiterhin aus den Provinzen nach Rom verhandelt wurden.
Mit der Verdrängung der Marktproduktion einher ging die Herausbildung frühfeudaler Strukturen (Leibeigenschaft, Fronarbeit), vermutlich zur Sicherung der Armeeversorgung.

Selbstversorgung war auch in der römischen Antike gewichtigster Teil des Wirtschaftslebens großer Massen. Einzig städtische Handwerker, Händler und andere, eher kleine Sondergruppen (angesichts der Reichsbevölkerung insgesamt) waren weitgehend auf Erwerb über Geld angewiesen. Der prinzipielle Unterschied zwischen Sklavenhaltung als Basis großer ländlicher Produktionsbetriebe und „leibeigenen Kolonen“ zur Bewirtschaftung in diesem Kontext erschließt sich mir nicht ausreichend. Bis zum Ende des Reiches finden sich auch in ländlichen Strukturen – selbst im wenig romanisierten Britannien – noch Münzfunde, was eine weiter lebendige Geldwirtschaft beweist [Bryan Ward-Perkins]. Aufgrund der Krisen der Spätantike mit den Gefahren weitläufigen Handelsverkehrs (Versorgungsengpässe) tat man aber weiterhin gut daran, sich nicht ausschließlich von Zukäufen abhängig zu machen! Aber ist das nicht eher Folge eines Zusammenbruchs statt Auslöser? „Festpreisedikte“ sollte man auch nicht überbewerten, allein ihre häufige Wiederholung deutet doch eher darauf hin, dass ihre Einhaltung „schwierig war“ und politisch motiviert. Temporäre und lokal begrenzte Hungersnöte gehörten auch während der ganzen römischen Antike zum Alltag. Die Menschen starben aber vergleichsweise lautlos in der Überlieferung. Aufsehen erregten nur Hungerrevolten (häufig durch Spenden oder Truppeneinsatz „geregelt“), während frühes dahinsiechen wegen Mangelernährung oder Krankheiten alltäglich blieb. Man sollte sich hier nicht zu sehr von modernen Ansichten über Menschlichkeit vorpositionieren lassen. Der kleine Mann arbeitete auf dem Lande vornehmlich für die Subsistenz mit einem Zubrot für den Markt. Nur große Betriebe (Großgrundbesitz – mal wieder!) war auf Marktbedarf ausgerichtet. Profitable Märkte bildeten volkreiche Städte und Militärgarnisonen. Die geographische Lage entschied vielfach ob überhaupt für den Markt produziert werden konnte oder nicht. Wichtig hierfür waren (mit absteigender Relevanz) die Lage nahe an einem Überseehafen, einem leistungsstarken Flusshandelssystem (etwa der Flüsse Guadalquivir, Rhone-Rhein & Nebenflüsse, oder Nil), die Anbindung an die großen Römerstraßen oder wenigsten passable Straßen niedrigerer Ausbaustufen, sowie produktionstechnische Besonderheiten für Spezialgüter.
Fronarbeit ist übrigens keineswegs erst eine Forderung der Spätantike, sondern war Teil der Steuerlast in fast allen Gebieten der relevanten Gegenden der Antike! Vor allem die mittellose Unterschicht konnte ja nur körperliche Leistungen zugunsten des Gemeinwesens erbringen. Im Rahmen mittelalterlicher Entmonetarisierung musste sie freilich weiter an Gewicht erlangen, zumal die „Pioniereinheiten“ des römischen Heeres für Anforderungen an die Infrastruktur nicht länger verfügbar waren.
 
Steuerpolitik, oder wie eine Krise gemeistert wurde?

5. Steuerpolitik: Um die Finanzierung des Militärs sicherzustellen und so Militärputschen ("Soldatenkaiser") vorzubeugen, wurde im Laufe des 4. Jahrhunderts das Steuerwesen mehrfach reformiert. Schwerpunkte waren Straffung und Erhöhung der Grundsteuern, und Abschaffung der Finanzautonomie der "civitates" (Landgemeinden), jedoch nicht der "coloniae" (gößere Städte). M.a.W: Der Hauptteil der Finanzierungslast wurde dem ökonomisch sowieso schon geschwächten ländlichen Raum zugewiesen. Es erscheint mir diskutierenswert, ob der Untergang Westroms nicht durch stärkere Ausrichtung der Besteuerung auf städtische Oberschichten (z.B. Verbrauchssteuern auf Luxusgüter, Einkommens-/Gewerbesteuer, Zölle auf asiatische Importwaren) hätte vermieden werden können.

Hier kommen wir in einen sehr interessanten Bereich. Wie wichtig das Militär für das Reich war habe ich bereits früher hervorgehoben. Die Ausgaben sind daher nicht relevant diskutabel. Einen Zusammenhang von „Mangelfinanzierung des Heeres“ mit Militärputschen und den „Soldatenkaisern“ schließe ich überwiegend aus, da dies mehr mit Politik, statt mit Steueraufkommen zu tun hat!

Die Wirtschaft der Antike beruhte ganz überwiegend auf der Landwirtschaft, wo Anders waren ausreichende Erträge kaum zu erwirtschaften. Die hohen „Ostzölle“ habe ich bereits erwähnt. Inwieweit der ländliche Raum ökonomisch „sowieso schon geschwächt“ war, muss offen bleiben. In der Regel waren Missernten, Pest und feindliche Invasionen eher regionale Probleme, bei denen Provinzen nachhaltig geschwächt werden konnten, während andere Regionen weiter prosperierten und in einigen Fällen davon vielleicht sogar profitieren konnten. Hier alle Fakten feststellen zu können ist wohl gar nicht möglich. Die Quellenlage lässt hier völlig divergierende Schlussfolgerungen zu.

Nun zu den Reformen des Steuerwesens. Es lässt sich nicht bestreiten, dass es diese gab und aufgrund staatlicher Anforderungen auch nicht zu umgehen waren. Auslöser waren politische Veränderungen, die eng mit der Krise des 3. Jht. zusammenhängen, wozu auch das Stichwort der Soldatenkaiser passt. Dies zu verstehen muss man allerdings über die Grenzen des Reiches blicken! Es waren der Aufstieg Persiens (Sassaniden) und ihre expansive, militärisch weit potentere Politik (verglichen mit den vorherigen Parthern), sowie die Bildung germanischer Großgruppen in Europa. Dies führte zu einer Überforderung des bestehenden Militärs, gefolgt von politischer Destabilisierung des Reiches (Bürgerkriege, Soldatenkaiser) und erhöhtem Geldbedarf, was mit den bisherigen Systemen nicht realisierbar war. Peter Heather beschreibt das Dilemma mit der Überschrift „Der Preis des Überlebens“ [S 139ff]
Der Preis waren Steuerreformen zugunsten der Reichszentrale, die für den Ausbau des Militärs benötigt wurden. Mit diesen Mitteln wurde das Militär reformiert und vergrößert und letztlich in die Lage versetzt die äußere Bedrohung unter Führung der Soldatenkaiser in die Schranken zu weisen. Die Alternative wäre der Zusammenbruch des Reiches oder die Dezentralisierung (Gallisches Sonderreich, Palmyrenisches Reich) gewesen.

Der Ausweg scheint in einer Erweiterung (!) der agrarisch genutzten Flächen durch Landausbau (Landgewinnung) und damit einer erweiterten Steuerbasis [S143f], sowie dem Zugriff der Zentrale auf bisher den „Kommunen“ vorbehaltene Mittel gewesen zu sein. Peter Heather betont, dass „maßvolle Steuererhöhungen“ damals die Produktion nicht etwa abgewürgt hätten, sondern zusätzlich stimulierten! Der direkte Zugriff auf die Mittel städtischer Selbstverwaltung bewirkte einen ganz epochalen Rückgang des für die Antike so typischen Euergetismus. [Heather S 145]“ Im 3.Jht. machte die Konfiszierung lokaler Stiftungen und Steuern durch den Staat die Kommunalpolitik zu einer wenig vergnüglichen Angelegenheit. Im 4.Jht. gab es wenig Grund, durch freiwillige Spenden die Macht in der eigenen Heimatstadt zu erringen […] Was im spätrömischen Reich geschah, war mit anderen Worten eine deutliche Machtverlagerung: weg von den Stadträten und hin zur Reichsbürokratie.“ Hausmachtpolitik in der Heimatstadt lohnte sich also nicht mehr, die Fleischtöpfe, welche für die lokale, römische Aristokratie erstrebenswert waren, befanden sich nicht mehr im Heimatort, sondern in der Reichspolitik! Eine ungewollte Folge dieser Fokussierung auf den Staat war auch, dass Regionen, die sich in der Reichspolitik unterrepräsentiert fühlten, von nun an stärker zur Usurpation neigen sollten – parallel zu dem Verhalten der einzelnen, römischen Heeresgruppen im Reich. Diese Punkte sollten im Laufe der Völkerwanderung eine zunehmend destabilisierende Note bekommen, während sie halfen, die Reichskrise des 3. Jht. zu überwinden!
 
Von Theodosius und Ost-West-Konflikt?

6. Theodosius "Kulturrevolution": Die Durchsetzung des Christentums scheint mit beispielloser Radikalität erfolgt zu sein, und ging mit weitreichender Zerstörung lokaler und kultureller Identität und Infrastruktur einher (z.B..Abschaffung der olympischen Spiele). U.a. scheint der Großteil der Bibliotheken einchließlich des dort dokumentierten technischen Wissens zerstört worden zu sein. Während für die vor-theodosianische Zeit von einem Buchbestand von etwa 1 Million Titel ausgegangen wird, konnte der zur Rettung der antiken Literatur angetretene römische Adlige Cassiodor Mitte des 5. Jahrhunderts gerade mal knapp über hundert Titel in seine Bibliothek aufnehmen. Vgl. hierzu (absolut lesenswert!) Bücherverluste in der Spätantike ? Wikipedia

Ich halte diese Beurteilung für viel zu weitgehend, radikal und häufig unzutreffend. Die Bücherverluste sind auch durch technische Umstellungen (weg von der Schriftrolle) und Zufälle bestimmt. Bücherverbrennungen betrafen vor allem religiöse Heidnische und „ketzerisch-Christliche“ Werke. Besonders fällt auf, das in der Agenda bis Punkt 5 alles „Fehlentwicklungen“ waren, die weit zurückliegen (teils bis Augustus, andere ins 3. Jht.) und nun plötzlich Theodosius genannt wird.

Um den Bogen dazwischen anzureißen sei erwähnt: Die Militärreform, - die ihren Anfang bei den (letztlich erfolgreichen) Soldatenkaisern nimmt, welche die Krise des 3.Jht. überwanden, - wurde vollendet während der Tetrarchie und den Zeiten Konstantin d. Gr. Diokletian, viel gepriesener Gründer der Tetrarchie, hatte selbst als Usurpator begonnen (in Tradition der Soldatenkaiser) nach dem Tode Kaiser Numerians. Er verlor die Schlacht gegen den legitimen Kaiser Carinus, doch wurde Letzterer von seinen Truppen ermordet, die dann Diokletian anerkannten. Diokletian wurde zum Schöpfer der Tetrarchie, die eine Episode blieb. Er vollendete weitgehend die bereits genannten politisch/finanziellen Reichsreformen und stabilisierte die Heeresreform mit ihrem massiven Anstieg der Zahl der „Legionen“ und Mannschaften. Gerade die Heeresreform wurde vom „Zerstörer“ der Tetrarchie, Konstantin vollendet. Das Heer basierte nun auf einem System von Regionalheeren (Bewegungsheer) und der Grenzarmee, die unter den Schlagworten Comitatenses und Limitanei bekannt geworden sind.

Kaiser Konstantin begründete die neue Konstantinische Dynastie, den zukünftigen neuen Mittelpunkt des östlichen Reiches (die Stadt) Konstantinopel/Istanbul, legte die Grundlagen für die Christianisierung des Reiches und Aufbau einer christlichen Kirche. Die Christianisierung begann also bereits unter dieser Dynastie und nicht erst unter Theodosius. Die Reformen, die Konstantin in der Religionspolitik einleitete, war der grundlegende Wandel römischer Identität. Anstelle der eine „Reichsidentität“ fördernden, staatlich instrumentalisierten Kaiserkulte und klassisch-heidnischer Götterdienste, trat nun langsam die christliche Religion. Zunehmend wurde Römisch und Christlich (/katholisch) zu einem untrennbaren Gleichklang. Wer Karriere machen wollte tat gut daran ein Christ zu sein (es war von Vorteil, noch kein Muss!). Selbst germanische Fürsten traten besser zum Christentum über, wenn sie als römische Foederaten im Reichsgebiet (seit dem Hunneneinfall) mit ihren Völkern leben wollten. Die (West)Goten des Fritigern erhielten ihre Erlaubnis zum Übertritt ins Reich nur unter dieser Prämisse, während andere, heidnische Gruppen von Anfang an bekämpft wurden.

Die Zeit von Theodosius d. Gr. ist gekennzeichnet durch kriegerische Umwälzungen und dem Bestreben die angeschlagene römische Militärmacht zu konsolidieren (Schlacht von Adrianopel 378!, Gotenkriege, Hunnengefahr, Usurpationen). Er setzte stärker auf die Identitätsstiftende Rolle des Christentums als seine Vorgänger und übte dabei auch Druck aus. Man mag dies als eine aktive Kulturrevolution bezeichnen mit dem Ziel eine einheitlich/christliche römische Identität zu stiften. Die Abschaffung der Olympischen Spiele als einen Angriff auf römische- oder griechische Identität aufzufassen, ist m.E. deutlich verfehlt. Gerade im griechischen, deutlicher christianisierten Osten dürften die Olympischen Spiele kein wichtiges Merkmal ihrer Identität mehr gewesen sein! Die lokalen Identitäten als Galloromanen, Galater, Griechen, Ägypter etc. blieben ebenfalls von diesen Maßnahmen unberührt. Ich frage mich wo hier die negativen Veränderungen festgemacht werden könnten?! Glaubst du wirklich, dass Aufgabe der (längst nur noch religiös genutzten) Hieroglyphen die ägyptische Identität vernichtet habe? Lange schon wurde im privaten Bereich Demotisch geschrieben, im öffentlichen Bereich dagegen Griechisch und teils Latein! Genauso könntest du sagen, die Abschaffung der lateinischen Gottesdienste nach dem 2.Vatikanischen Konzil habe die katholische Identität abgeschafft. Die Infrastruktur wurde geschädigt? Viele philosophische, antike Traditionen hatten mit geholfen die christliche Identität zu prägen und wurden (in Teilen) noch zum Kanon mittelalterlicher, gelehrter Mönche. Sie war zu großen Teilen bereits vereinnahmt worden, bevor die antiken Philosophenschulen geschlossen wurden. Außerdem gab es noch private Philosophenschulen und frühe „Klöster“ der Oberschicht pflegten solche Traditionen weiter. Welche Infrastruktur wurde hier völlig und gar gewalttätig zerschlagen? Es gab Auslaufen, vielleicht einen Schnitt, doch kein Ende vieler wichtiger Traditionen und einiges wurde nur quasi „christlich umgetauft“. Viele Ausschreitungen und Kämpfe zwischen christlichen und paganen Bevölkerungsschichten waren lokale Ereignisse! Ausgelöst von charismatischen Menschen oder Predigern – oft in Widerspruch zum erklärten Willen der Reichsführung! Viele davon setzten sich auch unter christlicher Ägide fort zwischen verschiedenen, christlichen Glaubenslehren. Das beste Beispiel dafür ist mit Sicherheit die Geschichte von Athanasius (dem Mönch). Nicht alles war also staatlich organisiert und dem „armen“ Theodosius zuzuschreiben. Manch scharfe Formulierung der kaiserlichen Anweisungen wurde letztlich nur gedämpft umgesetzt. Theodosius ging schärfer in innerchristlichen Auseinandersetzungen vor, als gegen pagane Religionsausübung. Gewöhnlich wird nach der Reichsteilung die gemeinsame Religion weithin als besonders verbindendes Element angesehen!
Athanasius der Große ? Wikipedia
Theophilos von Alexandria ? Wikipedia

6.Ost-West-Konflikt von 392-395: In engem zeitlichen Zusammenhang zu Theodosius "Kulturrevolution", teilweise auch als Reaktion auf diese, kam es zum Krieg zwischen Ostrom unter Theodosius und Westrom unter dem Ursupator Eugenius. Die Schlacht vom Frigidus gilt allgemein als eine der blutigsten Schlachten der Antike, und schwächte Roms Miltärmacht ganz erheblich Schlacht am Frigidus ? Wikipedia .
In der Folge verlagerte Ost-Rom den Großteil der verbliebenen Truppen auf das eigene Territorium. Hierbei spielten vermutlich sowohl außenpolitische (Goteneinfall / Hunnenbedrohung an der Donau) als auch innenpolitische (Schwächung des weströmischen Widerstands gegen die Christianisierung) Gründe eine Rolle. Faktisch bedeutete diese Verlagerung u.a. die (militärische) Aufgabe Britanniens und weitgehenden Truppenabzug von der Rheingrenze, was die Völkerwanderung erheblich erleichterte.
Erst nach dem Sieg am Frigidus konnte die Christianisierung auch im Westen durchgeführt werden. Es steht zu vermuten, dass hier sehr viel radikaler als im Osten vorgegangen wurde. Das Christentum war im Osten traditionell viel weiter verbreitet als im Westen, so dass man sich dort vermutlich ein "sensibleres" Vorgehen erlauben konnte, ansässige Christengemeinden vielleicht auch die eine oder andere "heidnische" Institution von lokaler Bedeutung schützten, während im Westen das Christentum wohl weitgehend mit "Feuer und Schwert" durchgesetzt wurde. Dies könnte z.B. erklären, warum die Konstantinopeler Bibliothek oder einzelne griechische Philosophenschulen die theodosianische "Kulturrevolution" überlebten, während in der Stadt Rom offenbar sämtliche Bibliotheken untergingen.

Diesen Punkt möchte ich verneinen! Nach der (administrativen!!) Reichsteilung gab es wohl Rivalitäten zwischen beiden Teilreichen, aber keinen tiefer gehenden Ost-West-Konflikt und schon gar nicht im genannten Zeitrahmen! Auch fehlt mir jeder Zusammenhang zur „Kulturrevolution des Theodosis“ (die Christianisierung begann, wie bereits betont weit früher)! Überhaupt erscheint mir die Chronologie hier sehr deutlich gestört.

Der Kampf zwischen Eugenius und Theodosius reiht sich nahtlos ein in zahlreiche römische Bürgerkriege und Usurpationen. Eugenius wusste um die christliche Ausrichtung des Theodosius und um seine Hausmacht zu stärken setzte er ZUSÄTZLICH noch mit wenig Erfolg auf pagane Rivalitäten zu dieser Religion. Dies löste bei Theodosius natürlich entsprechende Gegenmaßnahmen aus! Militärisch hatten bislang überwiegend (!) die westlichen Heeresgruppen das politische Übergewicht behalten (Konstantin!). Das östliche Heer war seit Kaiser Valens sehr deutlich geschwächt (Adrianopel 378!!! Bei dem das thrakische Regionalheer und die Palastarmee vernichtet worden waren!). Theodosius erhielt die undankbare Aufgabe das von Hunnen und Sassaniden bedrohte, von Aufständen geschüttelte und durch in die Rebellion getriebene Westgoten verheerte Ostreich zu konsolidieren. Es gelang ihm nur unter großen Zugeständnissen, westlicher Militärhilfe und einem Ausgleich mit den Westgoten (Foederatenverträge „neuen Stils“). Um der Herausforderung des Eugenius entgegentreten zu können war seine Armee nur durch die (foederierten) Westgoten in der Lage siegreich zu sein. Es waren auch vor allem die Westgoten, die auf Seiten des Theodosius den größten Blutzoll zu leisten hatten (also keine Römer)!

Theodosius war nicht sonderlich zimperlich in der Durchsetzung des Christentums als „Leitkultur“ für das römische Reich. Wie wenig vollständig seine Maßnahmen blieben zeigen doch noch die „Kulturrevolution“ des Justinian (gest. 565). Ein Durchsetzen mit „Feuer & Schwert“ im Westen war so nicht der Fall, es hätte sonst sicherlich Aufstände gegeben, von denen aber keine bekannt sind. Wenn ja, welche denn? Du gibst ja selbst zu, dies nur zu vermuten.
http://de.wikipedia.org/wiki/Justinian_I.#Religionspolitik
Theodosius war der letzte Kaiser über das Gesamtreich gewesen. Mit seinem Sieg über Eugenius befand sich die Masse seines Heeres auch im Westteil des Reiches, keineswegs im Osten. Erst nach seinem Tode traten die üblichen Schwächen des „römischen Systems“ bei einem Machtvakuum wieder offen zutage. Die Rivalitäten der „Sachwalter“ theodosianischer Kindkaiser fanden zu einem kritischen Moment statt, als gerade die nächste Expansionswelle der Hunnen neue, gewaltige Völkerbewegungen auslösen sollte. Der Fall des Reichsfeldherren Stilicho ist dafür symptomatisch. Er gab widerstrebend Teile des Ostheeres wieder frei. Die kompletten Vorgänge zu schildern führt zu weit. Stichworte sind weiterhin Alarich (Westgoten), Radagais („gotische Völkerlawine“ – ausgelöst durch die Hunnen), Rheinübergang (Vandalen, Alanen und Sueben - wohl im Kontext mit Radagais!) und Hunnen ganz allgemein. Truppen aus Britannien wurden abgezogen auch um die entblößte Rheingrenze zu decken, doch löste dies nur eine Anfangs erfolgreiche Usurpation in Britannien aus (Konstantin III.). Dieser hatte nichts Eiligeres zu tun als nach der Macht auch in Rom zu greifen und einen Bürgerkrieg dem Kampf gegen die Invasoren vorzuziehen. Sein Ende markiert auch das Ende des römischen Britanniens.
 
Von Christianisierung und Steuerausfällen

7. Christliche Steuerprivilegien: Ein wesentliches Mittel der Zwangs-Christianisierung war die Steuerfreiheit sämtlicher kirchlicher Würdenträger. Dies führte dazu, dass viele wohlhabende Bürger Kirchenämter anstrebten (hier dürften daneben auch kulturelle Gründe eine Rolle gespielt haben - Priesterämter hatten traditionell hohes Sozialprestige). Im Endeffekt schwand die Steuerbasis weiter, und die Steuerlast fiel noch stärker auf ländliche Räume. Dies setzte dann letztendlich einen Teufelskreis in Gang: Weniger Geld zur Unterhaltung von Truppen -> Verlust weiterer Gebiete an die Germanen -> Weniger Geld zur Unterhaltung von Truppen u.s.w. Kein Wunder, dass die (weströmischen) Kaiser immer schwächer wurden..
Viele, „Reichskulte“ alter paganer Priesterschaften und Tempel hatten die gleichen Privilegien genossen wie sie nun die christliche Kirche erhielt. Hatte dies nicht die Steuerbasis Roms „entscheidend geschwächt“? Was bewog einen Hirten zum „Zwangs-Christen“ zu werden, wenn reiche Städter durch Steuerfreiheiten zur Taufe bewogen worden waren? Auf diese Weise waren nur die (staatstragenden) Oberschichten anzulocken… Steuerliche Privilegien gab es unter den Römern ungemein viele! Reeder & Schiffseigner (welche Mindestleistungen für die Getreideversorgung Roms erbrachten), städtische Kurialen, Senatoren, Hofbedienstete, Beamte, Soldaten und Veteranen, gewisse Kollegien wirtschaftlicher Art etc. Wie du selbst sagst hatten Priesterämter traditionell hohes Sozialprestige. Statt eines Priesters der Ceres genossen nun halt christliche Kleriker diese Privilegien. Wo ist der entscheidende Unterschied? Tatsächlich gab es zeitweilig aus finanziellen Erwägungen einen Rush auf christliche Priesterämter, dem aber sehr bald ein Riegel vorgeschoben wurde. Nicht mehr jeder konnte Priester sein, Privilegien genossen vor allem nur Bischöfe. Umgekehrt vereinnahmte der Staat auch die Kirche in vielen Dingen: Anstelle traditionell kurialer Selbstverwaltung konnten in „Konkurrenz“ nun auch Bischöfe öffentliche Aufgaben verrichten und teils in kaiserlichem Namen Recht sprechen. Sie galten als weniger korrupt als städtische Gerichte, welche kaiserliche Richtlinien vielleicht auch weniger eifrig übernahmen.

Völlig vergessen wird bei dieser Aufzählung, dass die Auflösung der paganen Strukturen mit Sicherheit weniger Geld kostete, als es brachte! Wie das? Nun, seit Jahrhunderten hatten manche Tempel durch Schenkungen Landbesitz und Kapital aufgehäuft, welches (weltlich gesprochen) dem Wirtschaftskreislauf zu guten Teilen entzogen worden war. Mancher Tempelstandort wurde zur Kirche umgebaut oder umgeweiht. Manche Fläche kam erst einmal wieder der öffentlichen Hand zugute. Es ist der gleiche Effekt, den mancher deutsche Fürst während der Reformation und Auflösung katholischer Kirchen und Klöster zu seinen Gunsten anwendete. Primär „Haushaltsschädlich“ kann ich das nicht gerade bezeichnen!

@all: Sorry, dass ich so weit im Thread zurückgegangen bin und auf Ereignisse weit vor der für das Thema relevanten Zeit eingegangen bin. Ich wollte damit auf keinen Fall die inzwischen laufende, angeregte Diskussion abschneiden :winke:

...ach und ich bin weiterhin für ein Verschieben von Teilen des Threads, da es um die Beschreibung des Untergangs geht und nicht um dessen Abwendung.

Für die Rot-Bommler: Keiner zwingt euch so viel zu lesen. Der Bogen war bis zu 400 Jahre, da sind ein paar Posts nicht generell unleserlich, gerade wenn ich ihn aufdrösele in Themen..
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo, tejason



danke für Deinen umfang- und kenntnisreichen Kommentar meiner Analyse der Gründe des Zerfalls Westroms. Zusammengefasst verstehe ich Dich so:
  1. Die wirtschaftsstrukturellen Faktoren der römischen "Schwäche" wurden von mir überbetont;
  2. Das römische Reich litt weniger unter einem "urban bias" als generell unter Elitismus (Politik "von den Großgrundbesitzern für die Großgrundbesitzer");
  3. Ein entscheidender Zerfallsfaktor war die politisch / fiskalische Entmachtung der Regionen, die letztendlich auch die Loyalität zu Rom erodierte;
  4. Die "Kulturrevolution" Theodosius und den daraus hergeleitete "Ost-West-Konflikt" habe ich in Ausmaß und Relevanz deutlich überschätzt;
  5. Meiner analytischen Beschreibung fehlt das Eingehen auf die konkreten Ereignisse der Völkerwanderung.
Deine Einschränkungen bzgl. meiner wirtschafsstrukurellen Analyse (Nr.1) lasse ich erstmal gerne so stehen - Du bist da offenbar sehr viel tiefer in die Quellen eingestiegen als ich. Was die Entmachtung der Regionen (Nr. 3) angeht, sind wir uns einig. Die Völkerwanderung (Nr 5) kommt in meiner Beschreibung nicht vor, weil es mir ja nicht um (kürzerfristige) Ursachenbeschreibung, sondern Analyse der tieferliegenden Wurzeln (Gründe) des Zerfalls ging - eine komplette Betrachtung muss sie natürlich beinhalten, und sich auch der (in anderen Diskussionsbeiträgen behandelten) Frage stellen, ob ohne Völkerwanderung / Hunneneinfall / Klimaverschlechterung sich Westrom, bei allen vorhandenen inneren Schwächen, nicht durchaus noch ein paar Jahrhunderte länger hätte halten können.

Bei den beiden übrigen Punkten ('urban bias', 'Kulturrevolution') habe ich jedoch noch Diskussionsbedarf, den ich in nachfolgenden Beiträgen formulieren werde. Das wird etwas Zeit brauchen ..

P.S: In diesem Zusammenhang werde ich dann auch ein paar Thesen zur möglichen Abwendung des Untergangs machen (was aber erstmal einen gewissen Konsens über die Ursachen voraussetzt). Ich verstehe Deinen Wunsch, aus Gründen der thematischen Geschlossenheit diesen Diskussionsfaden in einen älteren Faden zum Untergang Roms zu verschieben. Auf mich als Neuling wirken allerdings 'uralte' Fäden mit zehn und mehr Seiten eher abschreckend - vor lauter Lesen alter Beiträge (deren Kommentierung sich meist nicht mehr lohnt, weil gar nicht klar ist, ob die Autoren überhaupt noch mitlesen) komme ich kauim dazu, eigene Gedanken zu formulieren. Ich bevorzuge einen kürzeren, aktuellen Diskussionsfaden, auch wenn dann sicherlich das eine oder andere wiederholt wird, was in einem älteren Faden auch schon mal stand
 
Zuletzt bearbeitet:
Was Du hier nennst, sind eher Ursachen. Die Gründe liegen viel tiefer, und setzen zeitlich schon ab dem 3. Jahrhundert ein:

... Ein kleineres sei das kleinere Übel und wofür muss ein Organismus Größe haben, wenn er an der eigenen Größe krank wird.
...
Alle Imperien haben ähnlich wie ein Individuum ihre Ihnen zugemessene Zeit, ihren Aufstieg und Niedergang...

Aus der Ausstellung „Luxus und Dekadenz“ in Bremen habe ich noch passende Zitate in Erinnerung:
von Juvenal (Satiren X 77) :
… das Volk, das einst dem Imperium … alles verlieh, hält sich zurück jetzt: nach zwei Dingen lechzt es nur – nach Brot und Spielen.
Recht passend auch, was von Plinius dem Älteren stammt (Naturgeschichte XXIX 19.):
Wir gehen auf fremden Füßen, wir leben durch fremde Mühe
So betrachtet, finden wir schon sehr früh (1. + 2. Jh. n. Chr.) Äußerungen, die im Nachhinein auf eine entspr. Entwicklung hindeuten könnten; Kritik der Zeitgenossen. Und dennoch hat es Jahrhunderte gedauert bis zum „echten“ Untergang

Ebenso aussagekräftig die Meinung eines Zeitgenossen - Salvianus von Massilia (ca. 400 - 480 n. Chr.), woraus hervorgeht, dass es sehr wohl zu der Zeit Menschen gab, die sich Gedanken machten, die allerdings nicht in die militärische Richtung (Germanen u.ä.) gingen:
Rom war nie so üppig und nie so elend wie heute: es lacht und lacht - bis es stirbt.
Joachim Fernau fasst den Niedergang Roms so zusammen:
Rom ging sang- und klanglos unter. Es wurde nicht wie Hellas besiegt, zerfetzt, verschlungen; es verunglückte nicht in der Kurve, es prallte mit niemand zusammen, es stürzte nicht ab und bekam keinen Herzschlag. Es verfaulte.
 
untergang westroms

da ich mich im moment auch verstärkt mit den unterschiedlichen theorien zum sogenannten untergang des weströmischen reiches beschäftige hier ein buch-tip zu dem thema: heather, peter: der untergang des römischen weltreichs, hamburg 2010. das buch ist meiner meinung nach gut geschrieben und beleuchtet das phänomen des "untergangs" des weströmischen reichen aus vielen blickwinkeln und geht den unterschiedlichsten theorien zu diesem thema nach.unterhaltsam und äusserst informativ.:cool:
 
Peter Heather: Der Untergang ...

Dieser Empfehlung möchte ich mich anschließen. Zumal das Taschenbuch erschwinglich ist.

Zu allen auch hier im Forum diskutierten Fragen zur "Völkerwanderung" ist Peter Heathers "Empires and Barbarians: Migration, Development and the Birth of Europe" empfehlenswert. Wenn mich nicht alles täuscht, bald auch in deutsch.
 
Abwenden können hätte man den Untergang meiner Meinung nach höchstens sehr früh, wahrscheinlich 180, als Mark Aurel vom bewährten System des Adoptivkaisertums abging und seinen unfähigen Sohn Commodus an die Macht brachte.
 
Abwenden können hätte man den Untergang meiner Meinung nach höchstens sehr früh, wahrscheinlich 180, als Mark Aurel vom bewährten System des Adoptivkaisertums abging und seinen unfähigen Sohn Commodus an die Macht brachte.
Dass Mark Aurel seinen Sohn zum Nachfolger machte und vom Adoptivkaisertum abging, wird häufig kritisiert. Dazu möchte ich aber zweierlei anmerken:
- Nerva, Trajan, Hadrian und Antoninus Pius hatten allesamt keine leiblichen Söhne. Wenn sie ihre Nachfolge selbst regeln wollten, war eine Adoption nun einmal das sicherste Mittel. (Außerdem adoptierte Nerva den Trajan eher, weil er keinen Rückhalt in der Armee hatte und einen Militärputsch fürchtete; Trajan sollte ihm helfen, die Loyalität der Armee zu wahren. Und bei Hadrian ist unsicher, ob Trajan ihn wirklich adoptiert hatte, die Umstände waren jedenfalls höchst dubios.) Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob die früheren Adoptivkaiser leibliche Söhne ignoriert und trotzdem jemanden adoptiert hätten, ich bin aber skeptisch.
- Wäre es wirklich besser gewesen, wenn Mark Aurel Commodus ignoriert und jemand Fähigen adoptiert hätte? Commodus (übrigens der erste im Purpur geborene Kaiser) hätte sich das bestimmt nicht so einfach gefallen lassen, und er hätte wohl auch Unterstützer gefunden. Das Ende wäre vielleicht ein Bürgerkrieg gewesen.
 
Abwenden können hätte man den Untergang meiner Meinung nach höchstens sehr früh, wahrscheinlich 180, als Mark Aurel vom bewährten System des Adoptivkaisertums abging und seinen unfähigen Sohn Commodus an die Macht brachte.


Vorsicht vor monokausalen Erklärungsansätzen. Das ganze geht schon wieder in Richtung Gibbon'sche Dekadenztheorie mit der Unterordnung Cäsarenwahnsinn.
 
VDas ganze geht schon wieder in Richtung Gibbon'sche Dekadenztheorie mit der Unterordnung Cäsarenwahnsinn.

Das war aber doch so schön einfach: die erbgesunde, vitale römische Bevölkerung verschwindet und macht einer verkommenen, dekadenten und genetisch minderwertigen Herrscherclique Platz, währenddessen die Reichsbevölkerung dem ungesunden orientalischen Einfluss erliegt und ebenfalls verrottet - Herz, was willst du mehr? =)
 
Dass Mark Aurel seinen Sohn zum Nachfolger machte und vom Adoptivkaisertum abging, wird häufig kritisiert. Dazu möchte ich aber zweierlei anmerken:
- Nerva, Trajan, Hadrian und Antoninus Pius hatten allesamt keine leiblichen Söhne. Wenn sie ihre Nachfolge selbst regeln wollten, war eine Adoption nun einmal das sicherste Mittel. (Außerdem adoptierte Nerva den Trajan eher, weil er keinen Rückhalt in der Armee hatte und einen Militärputsch fürchtete; Trajan sollte ihm helfen, die Loyalität der Armee zu wahren. Und bei Hadrian ist unsicher, ob Trajan ihn wirklich adoptiert hatte, die Umstände waren jedenfalls höchst dubios.) Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob die früheren Adoptivkaiser leibliche Söhne ignoriert und trotzdem jemanden adoptiert hätten, ich bin aber skeptisch.
- Wäre es wirklich besser gewesen, wenn Mark Aurel Commodus ignoriert und jemand Fähigen adoptiert hätte? Commodus (übrigens der erste im Purpur geborene Kaiser) hätte sich das bestimmt nicht so einfach gefallen lassen, und er hätte wohl auch Unterstützer gefunden. Das Ende wäre vielleicht ein Bürgerkrieg gewesen.


Marc Aurel selbst wurde jahrelang als Kronprinz ausgebildet, nur dass Antoninus, eigentlich ein Verlegenheitskandidat, länger lebte, als erwartet. Es hatte sich Rom unter Marc Aurel bereits in eine Erbmonarchie unter der Dynastie der antonine verwandelt. Marc Aurel konnte nicht voraussehen, dass eine ähnlich sorgfältige Erziehung die er selbst unter Hadrian genossen hatte, bei seinem eigenen Blut versagen sollte. sein ganzes Leben galt der Sicherung der Thronfolge und der Dynastie, weshalb seine Tochter Lucilla zunächst Lucius Verus und dann Claudius Pompeianus heiraten musste, der im übrigen wohl ein potenzieller, brauchbarer Nachfolgekandidat gewesen wäre. Dieser lehnte das Angebot nach Commodus Ermordung übrigens dankend ab, worauf Helvius Pertinax, ein fähiger General ernannt wurde, der dummerweise nicht soviel Glück wie Nerva bei ähnlicher Gelegenheit hatte und von den Prätorianern ermordet wurde.

Commodus Zurücksetzung hätte mit großer Wahrscheinlichkeit zu Bürgerkrieg oder dessen Ermordung, wenn nicht zu beidem geführt. Marc aurel war ein Familienmensch, seine Frau Faustina gebar ein gutes Dutzend Kinder, von denen aber nur Lucilla und Commodus überlebten.

Marc aurel war zweifellos eine beeindruckende Persönlichkeit, der das Reich durch die schlimmste Krise seit Hannibal führte. Es ist aber die Frage, ob eine solche Persönlichkeit zur Zeit der Reichskrise sich hätte halten können. Manche Soldatenkaiser wie Gallienus und vor allem Aurelian hatten mehr Format als manche der hohen Kaiserzeit, und es waren die Leistungen eines Diocletian und Konstantins nicht geringer, als die des Augustus.

An Persönlichkeiten mangelte es nicht, doch die Inflation, die Barbareneinbrüche, der Zusammenbruch des Wirtschaftssystems, die Kriege gegen Gegenkaiser und der Abfall von Provinzen wie dem Gallischen Sonderreich und dem von Palmyra waren Probleme, die die Einflussmöglichkeit einer Einzelpersönlichkeit überforderten. Eine Ahnung dieser Probleme brach bereits unter Marc aurel herein. Die Parther drangen vor, die Markomannen erschienen in Italien, die antoninische Pest raffte 10- 20 % der Reichsbevölkerung dahin. Marc Aurel war als Oberbefehlshaber teilweise überfordert, konnte sich aber auf fähige Generale wie Pertinax und Claudius Pompeianus stützen.

Die Nachricht von seinem Tod führte zum abfall des Avidius Cassius, der sich zum Kaiser ausrief. Es ist durchaus fraglich, ob sich eine solche Persönlichkeit während der Reichskrise hätte behaupten können. Trotzdem erschien der Tod Marc Aurels Zeitgenossen wie Cassius Dio als Zäsur. Das Goldene Zeitalter Trajans, Hadrians, Antoninus und Marc Aurels habe sich in Eisen und Rost verwandelt.

Wirtschaftlich setzte bereits unter Hadrian eine Rezession ein. Die Partherkriege Trajans waren kostspielig, und es gab keine Neugründungen von Städten, keine Kriegsbeute mehr. Immerhin konnte sich das Imperium einer langen Friedensperiode erfreuen, die unter Marc Aurel abrupt endete. Der Gürtel von Klientelfürstentümern funktionierte nicht mehr, das system einer stationären Grenzlinie war reformbedürftig. waren die Grenzlegionen erst mal geschlagen, konnten sie über das Straßensystem weit ins Landesinnere vorstoßen. Die Stationierung von grßeren Truppenteilen in Grenzprovinzen konnte bei mangelndem Informationsfluss leicht dazu führen, dass sich ein heeresgruppenchef zum Kaiser ausrief.

Den Militärs blieb freilich oft gar keine andere Wahl, wollten sie eine koordinierte Verteidigung organisieren. Der Übergang in die Spätantike war ein überaus grausamer Transformationsprozess. Unter den genannten Bedingungen war es viel, wenn sich ein Kaiser wie Gallienus halten konnte, und Aurelians Leistungen, der in 5 Jahren die Reichseinheit wiederherstellte, das Geldsystem reformierte, die Disziplin in der Armee erneuerte waren enorm, ebenso wie die Diocletians und Constantins. Der spätantike Staat mutet finster und autoritär an, doch es war sicher nicht Dekadenz und der Mangel an großen Persönlichkeiten, der zum Niedergang des Imperium Romanums beitrug.
 
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Um meinem Vorredner eine Zusammenfassung nachzustellen:
Nein, der Untergang des römischen Reiches konnte nicht abgewendet werden, weil er nicht dem Versagen eines Einzelnen, sondern der Kulmination interner und externer Faktoren geschuldet war.
 
Sehr interessant zur Thematik ist Peter Heathers Buch
Empires and Barbarians: Migration, Development and the Birth of Europe
oder deutsch
Invasion der Barbaren, die Entstehung Europas im ersten Jahrtausend nach Christus
in dem er intensiv auf die Migrationsbewegung und den gesellschaftlichen Wandel bei den Germanen eingeht.
Augustus hatte es noch mit Bauern zu tun, die im Kriegsfall zur Waffe griffen, in späteren Jahrhunderten standen den Römern hochspezialisierte Militärkönige gegenüber, die eine ganz andere Bedrohung darstellten.
 
Ob man das wirklich in dieser Schärfe sagen kann? Ein echtes Berufsheer hatten die spätantiken Germanenkönige (abgesehen von ihrem Gefolge) auch nicht. Andererseits soll Marbods Armee schon recht gut trainiert und organisiert gewesen sein, und schon die Krieger der Kimbern waren hervorragend ausgerüstet. Nicht zu vergessen die Bataver, die sich durch ihren Kriegsdienst für die Römer professionalisierten.
Ich würde eher sagen, dass der Unterschied zwischen der Zeit des Augustus und der Spätantike die Herausbildung der Großstämme und die Entwicklung des Königtums war, sodass die Germanenstämme effizienter auftreten konnten.
 
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