Indogermanen, Konstrukt oder Wirklichkeit?

Ich habe vor einiger Zeit im Thread http://www.geschichtsforum.de/f106/angels-chsische-eindringlinge-germanisierten-briten-11731/ eine Arbeit von Heinrich Härke erwähnt:


Ich bin kürzlich auf eine Arbeit von Heinrich Härke aufmerksam gemacht worden:

Anglo-Saxon immigration and ethnogenesis. Medieval Archaeology 55, 2011. 1-28. | Heinrich Härke - Academia.edu

Anhand von archäologischen Funden/Befunden, Ortsnamen und Schriftquellen beschreibt er die Angelsächsische Invasion/Immigration und das temporäre Zusammenleben zweier Kulturen bis hin zur vollendeten Ethnogenese der Engländer im 7./8. Jhdt.

Auf Seite 13f. stellt er drei verschieden Modelle vor, die das Zusammenleben zwischen der alten (romano-keltisch)-britischen Bevölkerung und den neuen Einwanderern beschreiben:

Das "Kin-Group-Model" / "Familien- oder Sippen-Modell"
Hier sind die kontinentalen Einwanderer sozusagen mit Frau, Kind & Kegel ausgewandert, lebten in ihrer eigenen Parallelgesellschaft zur alten Gesellschaft in Koexistenz. Heiraten zwischen beiden Gruppen kamen anscheinend nicht vor. Desweiteren hatten die Angelsachsen einen höheren sozialen Status, wie an den reicheren Grabbeigaben und an der ethnisch orientierten Gesetzgebung zu erkennen ist.

Das "Warband-Model"/ Krieger-Modell
In diesem Modell kamen eine große Anzahl germanischer Krieger, die die Kontrolle über die Gemeinde übernommen haben, und sich mit einheimischen Frauen verheirateten.

Das Elite-Transfer-Model/Elite-Transfer-Modell=) (ÜS war nicht so notwendig...)
Hier wurden ganze Stämme/Gesellschaften von einer neuen Führungsschicht übernommen und weitergeführt.

Im Laufe der Zeit setzten Prozesse der Assimilierung ein, in denen die alte Bevölkerung die Kultur und Sprache der Neueinwanderer übernahm, und ein neues Volk entstand: die Engländer.


Diese drei verschiedenen Modelle wird man wahrscheinlich auch auf die Ausbreitung der Indogermanen, der Türken, Araber, Slawen und Spanier übertragen können.

Ich vermute, dass die Ausbreitung in mehreren Wellen über Jahrhunderte / Jahrtausende vor sich ging. Von ihrer Urheimat (wo immer sie gelegen haben mag) indogermanisierten die Indogermanen andere Bevölkerungen, diese wiederum führten das Werk fort. Letztendlich ist auch die Besiedlung von Amerika, Australien, Afrika und Teilen Asiens auch eine Ausbreitung der Indogermanen, auch wenn diese dann Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch sprachen.
 
Letztendlich ist auch die Besiedlung von Amerika, Australien, Afrika und Teilen Asiens auch eine Ausbreitung der Indogermanen, auch wenn diese dann Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch sprachen.

Letztendlich ist das für die Analogiebildung ja egal, ob es sich um Sprecher einer indoeuropäischen Sprache handelt oder einer nichtindoeuropäischen Sprache, die Prozesse sind dieselben.

Wir haben einfach einen Sachverhalt, nämlich dass zu Beginn der historisch fassbaren Zeit vom Keltikum bis nach Indien und Westchina Sprachen ein- und derselben Sprachfamilie zu finden sind. Man kann einigermaßen sicher die gemeinsame Ursprache rekonstruieren und mit diesem Wissen linguistisch auf die Suche nach der - bei aller Problematik dieses Begriffs - "Urheimat" gehen, indem man ein Gebiet sucht, indem eine besonders hohe Konzentration von im Sinne der rekonstruierten Ursprache besonders archaischen Namensformen zu finden ist. Theoretisch zumindest. Wäre das auch praktisch "so einfach", wäre die Frage längst einvernehmlich geklärt.

Man kann auch versuchen anhand genetischer und archäologischer Untersuchungen eine Ausbreitung nachzuvollziehen. Hierbei ist allerdings mit einem erhöhten Risiko an Fehldeutungen zu rechnen. Man kann sich eben das Rad oder den Pflug auch abschauen, ohne dass man zwingend die Sprache übernimmt... Oder man sieht, dass der bereits neolithisierte Nachbar gezähmte Auerochsen hat, die viel friedlicher sind als die wilden Biester, die man hin und wieder mal im Wald erlegt. Dafür lohnt es sich auch mal den Nachbarn mitsamt seiner Sippe zu erschlagen und die gezähmten Auerochsen mitzunehmen.

Historische fassbare Sprachübertragungen, wie wir sie beispielsweise aus der römischen, slawischen, türkischen, islamischen oder spanischen etc. Landnahme kennen, dienen letztlich nur zur Sichtbarmachung möglicher Prozesse. Es kann sich hierbei nur im Analogiebildungen handeln.
 
Ich habe immer noch Probleme mit der Methodik der Evolutionsbiologen.
Eine Weltkarte, basierend auf nur 112 Einzeldaten, davon etwa zwei aus Sardinien, keine aus z.B. Ägypten - wo liegt die Aussagekraft?
Hallo Stilicho,
ich glaube, da hast du dich etwas verzählt.;)
Z.B. beträgt die Anzahl der Probanden für die Tabelle der mit Laktasepersistenz verbunden Allelfrequenzen -13910*T, -13,907*G, -13,915*G und -14,010*C wenn ich mich nicht verzählt habe 20.837 (Additional file 2.).

Eine ständige Aktualisierung der Daten soll hier zu finden sein: GLAD

Hier ist übrigens eine schöne Veröffentlichung bzgl. Indien/Nepal mit einer Stichprobengröße von 2284: Herders of Indian and European Cattle Share Their Predominant Allele for Lactase Persistence

Laut Computermodell Evolution of lactase persistence: an example of human niche construction in Südost-Mitteleuropa (das "Mittel" wurde in der Presse oft unterschlagen).
Uupps da habe ich nicht das verlinkt, was ich wollte. Gemeint ist dieses hier: PLOS Computational Biology: The Origins of Lactase Persistence in Europe

Bzgl. der in meinem ersten Beitrag genannten Zitate hinsichtlich dem Ursprung dieser Mutation ist zu ergänzen, dass eine Untersuchung der geographischen Verteilung der Genvariationen, welche die sechs wichtigsten Milchproteine kodieren, in 70 einheimischen europäischen Rinderrassen, eine erhebliche geografische Übereinstimmung zwischen hoher Diversität der Milchgene bei Rindern und den Standorten europäischer jungsteinzeitlicher Viehzüchter vor über 5000 Jahren und heutiger Laktosetoleranz bei Europäern ergab. Dies deutet auf eine Gen-Kultur-Koevolution zwischen Rindern und Menschen hin. Albano Beja-Pereira et al. - Gene-culture coevolution between cattle milk protein genes and human lactase genes - http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&frm=1&source=web&cd=3&ved=0CD0QFjAC&url=http%3A%2F%2Fpsych.colorado.edu%2F~carey%2FpdfFiles%2FGECoevolution_ng1263.pdf&ei=wMrHVPSbKMfEO-qOgfAE&usg=AFQjCNG4hXc0UXkgmvmiA5uhTkh4rMOZMA&bvm=bv.84607526,d.ZWU

Ursprünglich hatten erwachsene Menschen eine Laktoseintoleranz (Milchzuckerunverträglichkeit). So wie bei Ötzi z.B. ist dies heute noch bei der Mehrheit der erwachsenen Weltbevölkerung der Fall. Es sind weltweit nur wenige unabhängig voneinander entstandene Mutationen für Milchverträglichkeit im Erwachsenenalter (adulte Laktasepersistenz) bekannt.
Die Laktasepersistenz in europäischen und davon abstammenden Populationen ist fast vollständig mit der Anwesenheit der -13.910 C/T-Mutation des Lactase-Gen (LCT) korreliert. Diese Mutation ist in 80% der Europäer und Amerikaner europäischer Abstammung zu finden (en. wikipedia). Sie ist ebenfalls die in der Welt am weitesten verbreitete Laktasepersistenzmutation.
 
Zuletzt bearbeitet:
Alle von den Türken unterworfene Balkanvölker haben ihre Sprache behalten, weil dort die Türken in der Minderheit waren und nicht siedelten. Das im Gegensatz zu Kleinasien, wo sie in der Mehrheit waren und auch siedelten.

Das ist aber kein allgemein gültiges Muster. So waren z.B. die Araber, Südslawen oder anatolischen Turkvölker in der Minderheit und haben dennoch ihre Sprache in den eroberten Gebieten durchgesetzt. Langobarden, Goten oder Normannen konnten hingegen ihr Idiom nicht dauerhaft verbreiten.

Ich habe darauf hingewiesen, dass bei den Legionärslagern Siedlungen entstanden, von denen manche bis in die heutige Zeit fortbestehen. Und zweitens haben aus der Armee entlassenen Legionäre Land zugewiesen bekommen, wo sie sich niederließen, Familien gründeten, Landwirtschaft betrieben, Nachkommen zeugten, was zur Ausbreitung des Lateins beitrug. All das taten die Türken auf dem Balkan, wenn überhaupt, nur selten.

Die Westgoten beherrschten Spanien rund 250 Jahre. Dennoch konnte sich Gotisch nicht durchsetzen.

Wie Du und Dieter schreibt, gibt es kein Muster, das für alle Fälle des Sprachwechsels anwendbar wäre.

Nein, ein solches Muster gibt es nicht. Man kann höchstens vermuten, dass das hohe Prestige einer Sprache und eine dauerhafte Ansiedlung in beträchtlichem Umfang einen Sprachwechsel erleichtert.

Meine Theorie: Ohne ausreichend viele mitgebrachte Frauen haben zugewanderten Krieger keine Chance ihre Sprache zu bewahren, denn wenn sie in den eroberten Gebieten bleiben, zeugen sie mit einheimischen Frauen Kinder, die – vor allem Töchter! – dann hundertprozentig wieder die Muttersprache sprechen. Etc.

Gegenbeispiel ist die Ausbreitung des Arabischen nach der Expansion der Araber. Arabisch wurde von Mesopotamien bis zum Atlantik gesprochen, ohne dass überall Araber in nennenswertem Umfang ansässig waren. Die Sprache genoss in Verbindung mit der neuen Religion und dem arabisch geschriebenen Koran ein so hohes Prestige, dass auch Ägypter, Libyer oder Berber die Sprache übernahmen.
 
Warum sollten die Töchter nur die Muttersprache und nicht die Vatersprache sprechen? Und die Söhne? Nur die Vatersprache?
In einer patriarchalischen Gesellschaft waren und sind Frauen meistens nur für Kinder und Haushalt zuständig. Ihre Töchter erwartet der gleiche „Schicksal“, deshalb hat man den Töchtern traditionell nur so viel „Bildung“ angedeihen lassen, um diese auf das Haus begrenzten Aufgaben erledigen zu können. Söhne dagegen mussten sich in einer Männerwelt bewegen, und die wird bestimmt durch (fremdsprachige) Eliten, was mindestens die Zweisprachigkeit der Söhne zur Folge hat.


Die entstehende Bevölkerung war ein Misch aus Europäern und Indianern in der ersten Generation. Gesprochen wurde in den von den Spaniern gegründeten Siedlungen und Kolonialstädten Spanisch.
Die Kolonisation – und Christianisierung! - Amerikas war eine sehr gewaltsame, was die Annahme der Sprache der Eroberer natürlich „günstig“ beeinflusste.


Auch hier waren die Türken also in der Minderheit. Allerdings hatten sie vielmehr Zeit, Kleinasien zu turkisieren als etwa den Balkan, der ja nie zum seldschukischen und kürzer zum osmanischen Herrschaftsgebiet zählte.
Das bestätigt nur, dass für die Annahme einer fremden Sprache auch Dauer der Fremdbesetzung des Territoriums wichtig ist.


Der Kern des Modells ist - wie gesagt, ich halte es für nicht plausibel, gebe es nur weiter - dass es eine Art unausgesprochenen Gesellschaftsvertrag gab, wonach Söhne interreligiöser Verbindungen Muslime wurden und Arabisch lernten, Töchter dagegen eine christliche Erziehung genossen und Griko oder ggf. eine italoromanische Sprache als Muttersprache lernten. Es geht hierbei nicht um Bildung sondern um religiöse Zugehörigkeit. Ich sehe in diesem Modell mehr Probleme als Lösungen. Vor allem dürfte es schwierig sein, im Praxistest zu bestehen.
Ich sehe das nicht, denn gerade die Religion kann eine wichtige Trägerin der Kultur und der Sprache sein. Gerade Araber haben ihre Sprache mittels Religion verbreitet, weil Koran nicht übersetzt werden darf – dem ist noch heute so: In Koranschulen wird Koran auswendig gelernt, anfangs ohne die Sprache zu verstehen.

Und bezogen auf das Modell oben kann man sagen: Töchter waren damals nicht wichtig – was bei mancher strengen Strömungen innerhalb des Islams noch heute gilt: Mädchen wird deshalb die Schulbildung verweigert.


Deine Ur-Hypothese war: Sprachen setzen sich deshalb durch, weil die Bevölkerung der Sprache die sich nicht durchsetzt im Meer der Mehrheitsbevölkerung schlicht verloren geht.
Es gibt aber zahlreiche Beispiele, wo das einfach nicht stimmt (Araber, Römer, Slawen, Türken). Du hast daraufhin eine Hilfshypothese gebildet: Wenn sich die Sprache der Minderheit durchsetzte, dann wurde sie mit Gewalt durchgesetzt. Dementsprechend müssen Goten, Langobarden, Franken, Rugier, Skiren, Sueben und Vandalen richtig nette Leute gewesen sein, denn sie konnte sich ja sprachlich nicht durchsetzen.
Nein. Für die Araber habe ich eine Erklärung schon geliefert: Religion.

Und die Römer waren genauso gewalttätigt – siehe z.B. das harte Vorgehen gegen Gallier oder später gegen Juden – wie Goten und Langobarden, aber sie hatten auch viel mehr Zeit als diese: Auf der iberischen Insel z.B. hatten Römer 500 Jahre gegen 250 Jahre, die Sueben, Alanen, Vandalen und Westgoten zur Verfügung standen. Die hatten zudem nicht mal eine einheitliche Sprache und bekämpften sich gegenseitig.

Die Langobarden hatten auch nur 150 Jahre zur Verfügung. Während dieser Zeit konvertierten sie vom Arianismus zum Katholizismus, das lateinische Sprache benutzte. Außerdem siedelten sie in Italien auf 3 Gebiete verteilt, was deren Zusammenhalt nicht gerade förderte. Trotzdem beeinflussten sie nicht unerheblich die Bildung der italienischen Sprache aus dem Vulgärlatein. Lombardisch starb laut Wikipedia spätestens bis zum Jahr 1000.


Wulfilas BibelÜS - Wulfila war auch Arianer - lag auf Gotisch vor, der Codex von Uppsala (Codex Argenteus) als wichtigstes Zeugnis der BibelÜS des Wulfila ist nach allgemeiner Auffassung unter Theoderich dem Großen in Norditalien hergestellt worden, die christliche Religion kann es also nicht gewesen sein, welche die Goten zum Gebrauch des Lateinischen bewegte.
Doch – siehe bitte den vorhergehenden Absatz.
 
Zunächst einmal setzt dieser Gedanke voraus, dass die Männer wesentlich stärker in die gesellschaftliche Interaktion eingebunden sind als die Frauen, was wiederum damit korrespondiert, dass Männer eine Vorherrschaft über Frauen ausüben. Ich vermute, dass dies für sehr viele Settings zutreffen wird, jedenfalls dürfte dies in den hier betrachteten historischen Beispielen als gesichert gelten.
Das ist ein wichtiges Argument: In Europa hatten in fraglichen Zeit Männer das sagen. Sie waren draußen, Frauen drinnen. Und nur draußen brauchte man die Sprache der Herrscher.


Mitunter verlangt eine politische Führung, dass alle Unterworfenen die Regierungssprache lernen.
Ja, das war bei den Türken der Fall: Sie ließen den Unterworfenen Völkern ihre Sprache und ihre Religion, aber wer in Staatsdienst treten wollte, der musste Moslem werden und natürlich die türkische Sprache sprechen. Hat ein Mann das getan, standen ihm alle Ämter im ganzen Osmanischen Reich offen.


Das ist aber kein allgemein gültiges Muster. So waren z.B. die Araber, Südslawen oder anatolischen Turkvölker in der Minderheit und haben dennoch ihre Sprache in den eroberten Gebieten durchgesetzt. Langobarden, Goten oder Normannen konnten hingegen ihr Idiom nicht dauerhaft verbreiten.
Dass Südslawen in der Minderheit waren, wage ich zu bezweifeln – was meinst Du konkret?

Was Langobarden, Goten und Normannen betrifft, habe ich schon das Nötige gesagt. Falls noch Fragen offen bleiben, bin ich gern bereit darauf einzugehen.


Gegenbeispiel ist die Ausbreitung des Arabischen nach der Expansion der Araber. Arabisch wurde von Mesopotamien bis zum Atlantik gesprochen, ohne dass überall Araber in nennenswertem Umfang ansässig waren. Die Sprache genoss in Verbindung mit der neuen Religion und dem arabisch geschriebenen Koran ein so hohes Prestige, dass auch Ägypter, Libyer oder Berber die Sprache übernahmen.
Ob man das Prestige nennen kann (die Sprachen Mesopotamiens und Ägyptens waren schließlich auch Schriftsprachen), sei dahin gestellt, aber wahr ist, dass die Religion die arabische Sprache transportierte.
 
Da ich keine Zeit habe, nur kurz zum Modell Siziliens. Du versteifst dich hier sehr auf Geschlechtlichkeit und die Unterdrückung der Frau in patriarchalen Gesellschaften, auch in Bildungsbelangen. Das ist aber nicht der Punkt. Abgesehen davon, dass auch bzw. gerade in patriarchalen Gesellschaften die frühkindliche Erziehung von den Müttern gestemmt wird, ignoriert das Modell einer intrafamiliären Zweisprachigkeit nach Geschlecht über Generationen hinweg einfach jede Form von Pragmatismus. Die innerfamiliäre Kommunikation würde schlichtweg nicht funktionieren.
 
Um wieder zu den Indogermanen zurückzukommen: wir haben aus der schriftlosen Zeit keine Dokumentation über Wanderungsbewegungen und Sprachweitergabe. Wir wissen nicht, von wo die Indogermanen aufgebrochen sind, wir wissen nicht, wie die Bevölkerungszusammensetzung in den Gebieten waren, wo sie sich angesiedelt haben.

Wir wissen aus besser dokumentierten Zeiten, wie sich Ethnien und Sprachen ausgebreitet haben und in einer Vermischung von Einwanderern und Ureinwohner zu neuen Ethnien geführt haben. Aus diesen besser dokumentierten Zeiten wissen wir, dass es zumeist gemischte Prozesse sind (Immigration und Assimilation). Die Beispiele der römischen, arabischen und spanischen Expansion zeigen, dass auch eine Minderheit ihre Sprache durchsetzen kann.

Auch die germanischen Sprachen expandierten: von der Völkerwanderungszeit bis ins Mittelalter dehnte sich die germanische Sprachgrenze Richtung Westen aus, d. h. in ehemalig romanischsprachige Gebiete. Vom Mittelalter an expandierte die Sprachgrenze in slawischsprachige Gebiete. Viele Ortsnamen (vor allem zwischen Elbe und Oder), die auf -itz, -in, -ow bzw. -au enden, zeigen noch heute an, wo ehemals der slawischsprachige Bereich war. Allerdings gibt es auch in anderen Regionen Ortsnamen auf -au, die nicht auf auf ein slawisches -ow zurückgehen. Noch heute gibt es einige slawische Sprachinseln in Brandenburg/Sachsen (Sorben ? Wikipedia). Westlich der Elbe wurde noch bis ins 17. Jhdt. im Wendland (d. h. das Land der Wenden, d. h. Slawen) das Polabische Polabische Sprache ? Wikipedia gesprochen.


Da ich keine Zeit habe, nur kurz zum Modell Siziliens. Du versteifst dich hier sehr auf Geschlechtlichkeit und die Unterdrückung der Frau in patriarchalen Gesellschaften, auch in Bildungsbelangen. Das ist aber nicht der Punkt. Abgesehen davon, dass auch bzw. gerade in patriarchalen Gesellschaften die frühkindliche Erziehung von den Müttern gestemmt wird, ignoriert das Modell einer intrafamiliären Zweisprachigkeit nach Geschlecht über Generationen hinweg einfach jede Form von Pragmatismus. Die innerfamiliäre Kommunikation würde schlichtweg nicht funktionieren.

Ich kann dieses Modell auch nicht nachvollziehen. Alleine aus Gründen der Kommunikation müssen Männer und Frauen die gleiche Sprache sprechen (allerdings klappt die Kommunikation trotz gleicher Sprache häufig trotzdem nicht:pfeif:).
 
Wir wissen aus besser dokumentierten Zeiten, wie sich Ethnien und Sprachen ausgebreitet haben und in einer Vermischung von Einwanderern und Ureinwohner zu neuen Ethnien geführt haben. Aus diesen besser dokumentierten Zeiten wissen wir, dass es zumeist gemischte Prozesse sind (Immigration und Assimilation). Die Beispiele der römischen, arabischen und spanischen Expansion zeigen, dass auch eine Minderheit ihre Sprache durchsetzen kann.
Bei diesen Beispielen kamen die Expansionen durch Eroberungen zustande.
Die Minderheit kam nicht durch ein "Einsickern" von Siedlern ins Land, sondern im Rahmen organisierter Feldzüge.
Die Minderheit kontrollierte die Mehrheit durch eine flächendeckende Verwaltung. Die Verwaltungsbehörden kommunizierten in einer Schriftsprache, die der Minderheit eine überregionale sprachliche Hoheit sicherte. (Im Fall der arabischen Eroberung haben wir als Besonderheit die überragende religiöse Bedeutung der Schriftsprache.)

Was man von diesen Beispielen auf die indogermanische Expansion übertragen kann, ist mir nicht klar.
 
Ob man das Prestige nennen kann (die Sprachen Mesopotamiens und Ägyptens waren schließlich auch Schriftsprachen), sei dahin gestellt, aber wahr ist, dass die Religion die arabische Sprache transportierte.

Das bringt uns doch alles bei unserer Indogermanenfrage nicht weiter.

Wir haben festgestellt, dass es Sprachwechsel bei unterschiedlichen politisch/ethnischen Konstellationen gab und wir haben auch gegenteilige Beispiele gefunden. Was heißt das nun bei der Verbreitung indoeuropäischer Sprachen?

Nimmt man an, dass die Indoeuropäer aus der mesolithischen Bevölkerung Zentraleuropas und deren Nachfahren hervorging, ohne dass es Invasionen von außen gab, so haben sich die indoeuropäischen Sprachen organisch und kontinuierlich in Europa entwickelt. Dss zumindest ist die Theorie von Alexander Häusler, der eine indoeuropäische Invasion als "Mythos" bezeichnet, was er in seiner Schrift "Nomaden, Indogermanen, Invasion: Zur Entstehung eines Mythos" (2002) nachzuweisen versucht. http://www.nomadsed.de/fileadmin/us...ationen/Mitteilungen_des_SFB/owh3haeusler.pdf
Für seine Behauptung hat er gute Gründe, aber es gibt auch Kritikpunkte. So kann Häusler nicht stimmig erklären, warum sich indoeuropäische Sprachen bis in den Iran und nach Indien ausgebreitet haben.

Folgt man dem Archäologen David Anthony, so liegt die "Urheimat" der Indoeuropäer in den Steppen Südrusslands, was u.a. schon zuvor die Archäologin Marija Gimbutas in verschiedenen Publikationen behauptet hat. Bei Anthony beruht die Verbreitung indoeuropäischer Sprachen vor allem auf einer Kulturtrift, getragen von wenigen Kriegsherren oder Cllanchefs, die zusammen mit einer eher geringen Zahl von Steppenkriegern einige Stämme Europas indoeuropäiosierten. Nach Anthony wurden sodann weitere Stämme in Form eines Schneeballsystems indoeuropäisiert. Das hohe Prestige der Sprache und die Dominanz einiger Clanherren bot dafür eine Grundlage. Die Verortung in Südrussland ist insofern plausibel, als von dort Richtung Iran/Indien historisch belegte Einwanderungen von indoarischen Bevölkerungsruppen erfolgten. Ob allerdings die Verbreitung indoeuropäische Sprachen vor allem durch eine Kulturtrift erfolgt sein könnte, ist in der Kritik.
 
Zu #380:
Chan schrieb:
(von Joan Marler, frühere enge Mitarbeiterin von Gimbutas)

Belili: The Myth of Universal Patriarchy: A Critical Response to Cynthia Eller's Myth of Matriarchal Prehistory

The peoples from north of the Black Sea (Proto-Indo-European speakers whom Gimbutas named Kurgans) who began entering Europe after 4400 BC lived in small bands and, Gimbutas writes, "their encroachment on Old Europe cannot be thought of as an organized, massive invasion of the type we know from historical times."
Was die Gimbutas-Jüngerin Marler da zur Gimbutas-Diskussion schreibt, ist Unsinn.

Statt vieler zwei Hinweise zum herrschenden Stand der Kontroverse, da Chans Verlinkung ideologisch vorbelastet ist (und außerdem noch werbend):

Alexander Häusler: Nomaden, Indogermanen, Invasion. Zur Entstehung eines Mythos:

"M. Gimbutas (1921–1994; zur Biographie Milisauskas 2000) ist in zahlreichen, sich in den Details oft widersprechenden Publikationen mit einer Konzeption an die Öffentlichkeit getreten, die in weiten Kreisen von Sprachwissenschaftlern, insbesondere der angelsächsischen Länder, immer wieder als neu, sensationell und überzeugend bezeichnet wird. Danach sollen die Vertreter einer von ihr aus der Taufe gehobenen, aus den Steppen des Ostens aufbrechenden Kurgankultur, kriegerische Reiter (Abb. 1), patriarchalisch organisierte Hirtenkrieger, Nomaden bzw. Halbnomaden, ausgerüstet mit neuartigen Waffen (Dolchen) aus Arsenbronze, in drei verheerenden Wellen über die friedliebenden, matriarchalisch organisierten Ackerbauern von "Old Europe" hergefallen sein. Durch diesen "militärischen Sieg" (Gimbutas 1986, 5) hätten die von ihr mit den Idg. identifizierten Träger der Kurgankultur die Bevölkerung von "Old Europe" transformiert. Im Ergebnis wäre in Europa eine patriarchalische Sozialstruktur entstanden. Durch die Kreuzung von Siegern und Besiegten hätten sich schließlich die Kelten, Germanen, Balten, Slawen und Griechen herausgebildet. Die östlichen Invasoren hätten den Unterworfenen eine neue Sprache, eine neue Religion und ein neues Verwaltungssystem gebracht, ferner ein "tripartite class system of rulers, warrior-nobility and laborers" (Gimbutas 1986, 5). Die Vorbevölkerung von "Old Europe" sei dagegen der Antipode der anbrandenden Hirtenkrieger gewesen und hätte in "theocratic monarchies presided by a queen-priestess" (Gimbutas 1986, 6) gelebt.

Zur Geschichte der Vorstellungen über ein Matriarchat, von im Neolithikum verehrten "Muttergöttinnen", der ideologischen Hintergründe, sowie der Rolle von M. Gimbutas bei der Propagierung des betreffenden Mythos geben weitere Arbeiten Auskunft (Meskell 1994; Haaland, Haaland 1995; Hutton 1997; Biehl 1996; 1997). R. Hutton (1997, 67) spricht im Bezug auf M. Gimbutas: "Their attitude to the prehistoric past was likewise bound by relative inflexible ideological models, which included a belief in primitive matriarchy".


Bailey, Balkan Prehistory:
"Furthermore, as Whittle has noted, if the geo-chronology of the changes in the Balkans suggests anything, it is that some of the earliest changes took place to the west and not closer to the steppes as the invasion hypothesis would suggest (Whittle 1996:138–40). In many versions of the population replacement explanation, it is proposed that the new inhabitants of the Balkans were speakers of a common, imported language, Proto-Indo-European, the appearance of which in the Balkans can be dated, through a not uncontroversial connection of linguistic and archaeological evidence, to the fourth millennium BC (see Mallory 1989 and discussion in Whittle 1996:137–8). There are inconsistencies in all of these explanations and Whittle has reviewed them in detail (Whittle 1996:136–43); at their core is the mistaken assumption that dramatic change in material culture, settlement and burial such as are evident in the Balkans between 4000 and 3000 BC demands an explanation in terms of population replacement. Considering the time-span over which these changes took place, the regional diversity, especially in settlement and burial, and the threads of continuity noted above, it seems a much wiser approach to look for local patterns and rates of change.

The scale of the changes that distinguish the post-4000 BC Balkans from the previous two-and-a-half thousand years has stimulated equally grand explanations. For a long time, the most influential interpretation was phrased in terms of population replacement caused by an invasion of horse-mounted warriors pouring from the steppelands of the east (Gimbutas 1973, 1977, 1991). According to this school, the invaders were a mobile male-dominated, patriarchal, aggressive group which swept all before them, destroying the villages and lifestyles of the late fifth and early fourth millennium BC communities. Accordingly, the bodies inhumed in the mound burials along the Danube were proposed to be the invader’s remains. As we expand and refine our understanding of fifth millennium BC Balkan communities, as well as of those who lived in the steppes to the east and those who lived along the Danube after 4000 BC, the invasion explanation finds increasingly little support.


Die Klarstellung ist erforderlich, damit hier keine Legenden über Gimbutas Theorien erzeugt werden.
 
Weiter zu #380:

Chan schrieb:
Einerseits schreibt Anthony in "The Horse, the Wheel, and Language", S. 369-370:...(alle Hervorhebungen in diesem Beitrag von mir...
Andererseits finden sich, siehe unten, viele Passagen, welche den ausgesprochen kriegerischen Aspekt der Usatovo-Kultur im Zusammenhang mit Migration und Landnahme betonen. Meine Frage: Ist das wirklich eine "Eindampfung" der Gimbutas´schen These (die allerdings nicht so krass ist wie oft angenommen, siehe ganz unten), oder versucht Anthony nur (Gimbutas´ Ansatz lediglich euphemistisch modifizierend), die kriegerische Natur der Einwanderungen herunterzuspielen durch Formulierungen wie "opportunities acquiring clients" und "organized islands of authority"?

Es ist nicht notwendig, über Anthony rumzurätseln.

Die "Frage" stellt sich nur anhand von Textschnipseln aus Google-Books und nicht, wenn man sich Anthony komplett beschaut. Selbstverständlich wird nirgends die Abwesenheit von lokaler Gewalt oder lokalen kriegerischen Auseinandersetzungen postuliert, schon gar nicht über die hier beschriebene Entwicklung mehrerer Jahrhunderte, und selbstverständlich setzt sein Patron-Client-Modell Hierarchien voraus.

Es bringt wenig, "Warrior"/Warlord/usw.-Textschnipsel bei Anthony zu suchen, die er in keinen Zusammenhang zum "spread" der Indo-europäischen Sprache stellt, den er kulturell-sozio-ökonomisch erklärt:

Anthony:
If I had to hazard a guess I would say that this was how the Proto–Indo–European dialects that would ultimately form the root of Pre–Germanic first became established in central Europe: they spread up the Dniester from the Usatovo culture through a nested series of patrons and clients, and eventually were spoken in some of the late TRB communities between the Dniester and the Vistula. These late TRB communities later evolved into early Corded Ware communities, and it was the Corded Ware horizon (see below) that provided the medium through which the Pre–Germanic dialects spread over a wider area.
...
The widely separated pockets of Yamnaya settlement in the lower Danube valley and the Balkans established speakers of late Proto–Indo–European dialects in scattered islands where, if they remained isolated from one another, they could have differentiated over centuries into various Indo–European languages. The many thousands of Yamnaya kurgans in eastern „Hungary suggest a more continuous occupation of the landscape by a larger population of immigrants, one that could have acquired power and prestige partly just through its numerical weight. This regional group could have spawned both pre–Italic and pre–Celtic. Bell Beaker sites of the Csepel type around Budapest, west of the Yamnaya settlement region, are dated about 2800–2600 BCE. They could have been a bridge between Yamnaya on their east and Austria/Southern Germany to their west, through which Yamnaya dialects spread from Hungary into Austria and Bavaria, where they later developed into Proto–Celtic. Pre–Italic could have developed among the dialects that remained in Hungary, ultimately spreading into Italy through the Urnfield and Villanovan cultures. Eric Hamp and others have revived the argument that Italic and Celtic shared a common parent, so a single migration stream could have contained dialects that later were ancestral to both. Archaeologically, however, the Yamnaya immigrants here, as elsewhere, left no lasting material impression except their kurgans.
...
The wide–ranging pattern of interaction that the Corded Ware horizon inaugurated across northern Europe provided an optimal medium for language spread. Late Proto–Indo–European languages penetrated the eastern end of this medium, either through the incorporation of Indo–European dialects in the TRB base population before the Corded Ware horizon evolved, or through Corded Ware–Yamnaya contacts later, or both. Indo–European speech probably was emulated because the chiefs who spoke it had larger herds of cattle and sheep and more horses than could be raised in northern „Europe, and they had a politico–religious culture already adapted to territorial expansion. The dialects that were ancestral to Germanic probably were initially adopted in a small territory between the Dniester and the Vistula and then spread slowly. As we will see in the next chapter, Slavic and Baltic probably evolved from dialects spoken on the middle Dnieper.“
...
There was no Indo–European invasion of Europe. The spread of the Usatovo dialect up the Dniester valley, if it happened as I have suggested, was quite different from the Yamnaya migration into the Danube valley. But even that migration was not a coordinated military invasion. Instead, a succession of Pontic steppe tribal segments fissioned from their home clans and moved toward what they perceived as places with good pastures and opportunities for acquiring clients. The migrating Yamnaya chiefs then organized islands of authority and used their ritual and political institutions to establish control over the lands they appropriated for their herds, which required granting legal status to the local populations nearby, under patron–client contracts. Western Indo–European languages might well have remained confined to scattered islands across eastern and central Europe until after 2000 BCE, as Mallory has suggested. Nevertheless, the movements into the East Carpathians and up the Danube valley occurred in the right sequence, at the right time, and in the right directions to be connected with the detachment of Pre–Italic, Pre–Celtic, and Pre–Germanic
 
Da keine Antwort auf meine mehrmalige Frage nach der "Urheimat" der Anthony-Zitate erfolgt ist, ist die Antwort klar.

Folgt man dem Archäologen David Anthony, so liegt die "Urheimat" der Indoeuropäer ...

Ich weiß nicht, wem Du da folgst, aber jedenfalls nicht Anthony.

Man muss seinen Theorien ja nicht folgen, aber es ist interessant und lohnenswert, sie zu lesen.
 
In einer patriarchalischen Gesellschaft waren und sind Frauen meistens nur für Kinder und Haushalt zuständig. Ihre Töchter erwartet der gleiche „Schicksal“, deshalb hat man den Töchtern traditionell nur so viel „Bildung“ angedeihen lassen, um diese auf das Haus begrenzten Aufgaben erledigen zu können. Söhne dagegen mussten sich in einer Männerwelt bewegen, und die wird bestimmt durch (fremdsprachige) Eliten, was mindestens die Zweisprachigkeit der Söhne zur Folge hat.
(…)
Und bezogen auf das Modell oben kann man sagen: Töchter waren damals nicht wichtig – was bei mancher strengen Strömungen innerhalb des Islams noch heute gilt: Mädchen wird deshalb die Schulbildung verweigert.
Du versteifst dich hier sehr auf Geschlechtlichkeit und die Unterdrückung der Frau in patriarchalen Gesellschaften, auch in Bildungsbelangen. Das ist aber nicht der Punkt. Abgesehen davon, dass auch bzw. gerade in patriarchalen Gesellschaften die frühkindliche Erziehung von den Müttern gestemmt wird, ignoriert das Modell einer intrafamiliären Zweisprachigkeit nach Geschlecht über Generationen hinweg einfach jede Form von Pragmatismus. Die innerfamiliäre Kommunikation würde schlichtweg nicht funktionieren.
Eine zweisprachige innerfamiliäre Kommunikation ist gegeben, sobald Kinder geboren werden, die zwangsläufig die Sprache ihrer Mutter sprechen, es sei denn, der (sonst fremdsprachige) Vater lernt auch ihre Sprache. In heutigen Familien wachsen Kinder nur dann zweisprachig auf, wenn der Vater mit seinen Kindern konsequent in seiner Sprache spricht, sonst lernen die Kinder seine Sprache nicht oder erst in der Schule. In die Schule aber gingen damals nur Jungs. Das war alles, was ich in dem Fall sagen wollte.

Wir haben festgestellt, dass eine dauerhafte Übernahme einer fremden Sprache von folgenden Faktoren abhängt:

1. Wenn die Fremden ihre Frauen mitbringen und durch ihre schiere Zahl die autochthone Bevölkerung so majorisieren, dass diese gar nicht anders kann als auf die neue Sprache anzunehmen. Beispiel: Eindringen der Slawen nach Europa in der Völkerwanderungszeit.

2. Ist die Zahl der Fremden (auch inkl. ihrer Frauen) gering oder haben sie zu wenig Zeit, um sich auszubreiten, verschwindet ihre Sprache bzw. geht in der der autochthonen Bevölkerung auf, die sie bestenfalls ein wenig beeinflussen. Beispiele: Normannen in England, Langobarden in Italien.

3. Gehen die Träger der fremden Sprache brutal gegen autochthone Bevölkerung vor (Auslöschung ganzer Stämme) und haben sie anschließend genügend Zeit, so kann sich ihre Sprache bei verbliebener Bevölkerung auch durchsetzen. Beispiele: Römer in Gallien, Spanier und Portugiesen in Amerika.

4. Ist die fremde Sprache eine Schriftsprache und gleichzeitig Religionsträgerin, so kann auch eine zahlenmäßige Minderheit die Mehrheit majorisieren. Beispiele: Ausbreitung der arabischer Sprache im Mittelalter, der spanischer und der portugiesischen Sprache in der Neuzeit.

Das ist wahrscheinlich nicht alles.

Aber was mich jetzt interessiert: Auf wie viele Personen schätzt man die Bevölkerung in Old-Europe, bevor sich dort die Urnenfeldkultur durchsetzte? Ich frage das deswegen, weil die indo-germanische Sprache überall da zu finden war, wo sich auch die Urnenfeldkultur ungefähr zur gleichen Zeit durchsetzte – siehe die beiden folgenden Bilder:

Europe_late_bronze_age.png


IE3500BP.png
 
Der Schulbesuch im aġlabidischen Sizilien dürfte, wie in allen vormodernen Gesellschaften, eher kein Massenphänomen gewesen sein, ganz unabhängig vom Geschlecht...
 
Was die Gimbutas-Jüngerin Marler da zur Gimbutas-Diskussion schreibt, ist Unsinn..

Joan Marler als "Jüngerin" zu bezeichnen, ist so unsachlich wie einige ´Argumente´ des Herrn Häusler. Marler ist in Gimbutas´ letzten Jahren ihre engste Mitarbeiterin gewesen und hat ihr letztes Werk "Die Zivilisation der Göttin" herausgegeben und mit einer Einführung versehen. An manchen Stellen äußert sie sich auch kritisch über einzelne Aspekte der Gimbutas-Theorie (in dem Sinne, dass das Grundgerüst richtig ist, viele Details aber aufgrund neuerer Forschung anfechtbar sind), man kann Marler also keineswegs Hörigkeit vorwerfen, wie das deine "Jüngerin"-Metapher suggerieren soll.

Alexander Häusler: Nomaden, Indogermanen, Invasion. Zur Entstehung eines Mythos.

"Danach sollen die Vertreter einer von ihr aus der Taufe gehobenen, aus den Steppen des Ostens aufbrechenden Kurgankultur, kriegerische Reiter (Abb. 1), patriarchalisch organisierte Hirtenkrieger, Nomaden bzw. Halbnomaden, ausgerüstet mit neuartigen Waffen (Dolchen) aus Arsenbronze, in drei verheerenden Wellen über die friedliebenden, matriarchalisch organisierten Ackerbauern von "Old Europe" hergefallen sein..."

Hier kommt wieder die olle und verstaubte Kamelle, Alteuropa sei Gimbutas zufolge "matriarchalisch" gewesen, hinterm Ofen hervor. Auf die Falschheit dieser Unterstellung habe ich schon in meinem Beitrag über Martina Schäfers Verleumdungskampagne hingewiesen, natürlich vergebens. Gimbutas hielt die Sozialorganisation von AE für egalitär, z.B. in:

"Göttinnen und Götter im Alten Europa" , Vorwort zur Neuausgabe 1982:

Der Begriff Old Europe bezieht sich auf eine vorindoeuropäische Kultur in Europa, die matrifokal und möglicherweise matrilinear organisiert, durch Ackerbau und Sesshaftigkeit geprägt sowie egalitär und friedlich ausgerichtet war. Sie stand in scharfem Gegensatz zu der nachfolgenden proto-indoeuropaischen Kultur mit ihrer patriarchalen und hierarchischen Gliederung, ihrer Viehzucht, Mobilität und ihrem kriegerischen Charakter, die sich zwischen 4500 und 2500 v. Chr. in drei Einwanderungswellen aus der russischen Steppe in den gesamten europäischen Kontinent, mit Ausnahme der südlichen und westlichen Ränder, ergoss.

Zur Geschichte der Vorstellungen über ein Matriarchat, von im Neolithikum verehrten "Muttergöttinnen", der ideologischen Hintergründe...
(...)
R. Hutton (1997, 67) spricht im Bezug auf M. Gimbutas: "Their attitude to the prehistoric past was likewise bound by relative inflexible ideological models, which included a belief in
primitive matriarchy".
Wie ernstzunehmen sind Argumente von Autoren, die nicht fähig sind, ein weitverbreitetes Falschurteil über Gimbutas zu durchschauen, z.B. anhand ihrer Originaltexte, die ganz klar eine egalitäre Sozialordnung des AE - und nicht eine matriarchale - konstatieren? Dem Gegner eine Auffassung zu unterstellen, die er oder sie nicht hat, ist der billigste aller rhetorischen Tricks.

Gimbutas zufolge ist das Massaker von Talheim, für viele ihrer Gegner eine Widerlegung ihrer Hypothese eines friedlichen AE, ein Indiz für das gewaltsame Eindringen einer Kurgan-Gruppe. Die offizielle Datierung scheint gegen Gimbutas zu sprechen (der ersten unkalibrierten Messung nach um 5.000 BCE), da die erste Kurgan-Welle laut Gimbutas etwa 4.500 BCE einfiel. Allerdings wurde 1997 eine kalibrierte Messung nachgeholt, wobei die unteren Grenze auf 4.670 BCE bei der einen Probe und 4.700 BCE bei der anderen herabsank. Dass die Obergrenzen beider Proben um 200 Jahre differerieren, zeigt, wie fragwürdig die C14-Methode ist, wenn es wirklich um Genauigkeit geht. Im Ganzen gesehen kann die C14-Methode nicht als beweiskräftig gelten, was bedeutet, dass die Talheim-Datierungen Gimbutas´ These vom Beginn der Kurgan-Einwanderungen um 4.500 BCE nicht zwingend widerlegen.

Die Klarstellung ist erforderlich, damit hier keine Legenden über Gimbutas Theorien erzeugt werden.

Diese "Legenden" werden leider nur durch Falschbehauptungen à la Häusler über die angeblich matriarchalistische Gimbutas-Theorie sowie durch eine Verleumdung (die du nicht zitiert hast, aber von deinem Favoriten Häusler stammt - siehe unten) ersetzt. Kein guter Tausch.

Einen üblen Ausrutscher von Häusler im gleichen Text hast du nämlich verschwiegen:

(S. 16-17)

H. Güntert (1934, 183) fügt seinem Buch triumphierend folgende Sätze an. "Das deutsche Volk ist nicht anders entstanden wie fast alle der uns bekannten wirklich schöpferischen Kulturvölker der Welt. Eine kleine organisationsfähige und kulturell schöpferisch begabte Rasse hat im Lauf vieler Jahrhunderte andere Völker überlagert und zum Teil aufgesaugt, zum Teil sich angepasst. Alle einzelnen Bestandteile unseres Volkes haben selbstverständlich ihre besonderen Fähigkeiten in diesen Bund mitgebracht, geschaffen aber wurde es nur von einem einzigen volk- und staatbildenden Kern. Aus Siegern und Besiegten ist unterdes längst eine Gemeinschaft geworden. Es ist unser heutiges Volk. Und so wie es ist, lieben wir es und hängen an ihm".
Dieses Zitat stammt aus einer Rede von A. Hitler vor dem Reichsparteitag in Nürnberg am 13. September 1933, die H. Güntert als eine "gewaltige Zielsetzung unserer deutschen Kulturentwicklung" bezeichnete. Man könnte fast geneigt sein, in M. Gimbutas den Ghostwriter des Führers zu sehen, würden die Lebensdaten nicht dagegen stehen.


Zu diesem Häusler´schen Blackout kann ich nur sagen: Das ist ja das Allerletzte. Gimbutas als Verherrlicher von kriegerischen Indoeuropäern? Geht´s noch? Erst gilt sie als Verherrlicherin eines ´utopischen´ friedlichen Alteuropa, dann als Verherrlicherin des martialischen Kriegertums. Wie´s gerade passt, Hauptsache, auf Gimbutas einprügeln.

Auch Ian Hodder, der aktuelle Catal-Hüyük-Ausgrabungsleiter, leistet sich den üblichen verleumderischen Gimbutas=Matriarchalität-Blackout, überträgt aber zugleich ihre Egalitätshypothese auf Catal Hüyük, wie Haarmann berichtet:

Harald Haarmann (Foundations of Culture, 167)

Hodder (2004) states that there was no distinction in the social status between the sexes (...) Ironically, Hodder does not perceive the resemblance between his findings about social egalitarianism at Catalhöyük and those made by Gimbutas for the Danube civilization. On the contrary, he criticizes Gimbutas for something she never said or intended: "Marija Gimbutas ... argued forcefully for an early phase of matriarchal society, ..." (Hodder 2006: 208).

Auf deinen Anthony-Beitrag gehe ich ein andermal ein. Das mit den "Schnipseln aus Google-Büchern" ist lustig. Glaubst du im Ernst, ich hätte diese langen Zitate alle abgetippt? Nein, ich habe sie aus dem Originaltext von "The Horse, the Wheel, and Language" zusammengestellt, der mir digital vollständig vorliegt.
 
Zuletzt bearbeitet:
1. Wenn die Fremden ihre Frauen mitbringen und durch ihre schiere Zahl die autochthone Bevölkerung so majorisieren, dass diese gar nicht anders kann als auf die neue Sprache anzunehmen. Beispiel: Eindringen der Slawen nach Europa in der Völkerwanderungszeit.

Dass die Slawen die Bevölkerung "majorisiert" hätten, ist nichts weiter als eine Behauptung. Beleg?

2. Ist die Zahl der Fremden (auch inkl. ihrer Frauen) gering oder haben sie zu wenig Zeit, um sich auszubreiten, verschwindet ihre Sprache bzw. geht in der der autochthonen Bevölkerung auf, die sie bestenfalls ein wenig beeinflussen. Beispiele: Normannen in England, Langobarden in Italien.
Die Normannen und Langobarden führten sehr wohl ihre Frauen mit. Dagegen die Spanier in Lateinamerika die ersten Jahrhunderte kaum.

3. Gehen die Träger der fremden Sprache brutal gegen autochthone Bevölkerung vor (Auslöschung ganzer Stämme) und haben sie anschließend genügend Zeit, so kann sich ihre Sprache bei verbliebener Bevölkerung auch durchsetzen. Beispiele: Römer in Gallien, Spanier und Portugiesen in Amerika.
Auch dies trifft's nicht. Einen Genozid diesen Ausmaßes gab es weder in Gallien noch in Lateinamerika, mit Ausnahme der Karibikinseln.

4. Ist die fremde Sprache eine Schriftsprache und gleichzeitig Religionsträgerin, so kann auch eine zahlenmäßige Minderheit die Mehrheit majorisieren. Beispiele: Ausbreitung der arabischer Sprache im Mittelalter, der spanischer und der portugiesischen Sprache in der Neuzeit.
Das trifft es schon eher. Hängt mit dem Sprachprestige zusammen.
Das lässt sich allerdings nicht auf die Verbreitung des Indoeuropäischen in vorschriftlicher Zeit übertragen, siehe sepiolas Hinweis.
 
Zuletzt bearbeitet:
...des dubiosen Herrn Häusler...

Es handelt sich um einen ausgewiesenen Experten der eurasischen Archäologie, zunächst Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR und nach der Wiedervereinigung der Sachwalter dieses Bereichs am Deutschen Archäologischen Institut, der bundesunmittelbaren archäologischen Stiftung schlechthin. Auch wenn ich mit ihm in Sachen Indoeuropäer nicht übereinstimme, "dubios" ist sicher keine treffende Vokabel.

Irren sich denn alle in Gimbutas, nur du nicht, chan?
 
Irren sich denn alle in Gimbutas, nur du nicht, chan?

Das hat den Anschein.

Chan schrieb:
Das mit den "Schnipseln aus Google-Büchern" ist lustig. Glaubst du im Ernst, ich hätte diese langen Zitate alle abgetippt? Nein, ich habe sie aus dem Originaltext von "The Horse, the Wheel, and Language" zusammengestellt, der mir digital vollständig vorliegt.

Wie sonst kann man die Anthony-Zitate so zusammenschnipseln, dass die relevanten Aussagen - an anderen Stellen - verunstaltet werden. Wenn Du es vorliegen hast - Prima. Hätte ich nach den Zitatschnipseln, die am Kern von Anthony vorbeigehen, nicht gedacht. Dann solltest Du es erstmal ganz lesen.

Zur "Zitierweise" siehe auch hier (da war es das verdeckte Abschreiben von Detering):
http://www.geschichtsforum.de/f30/verbreitung-des-christentums-49254/index10.html#post733746

Wie ernstzunehmen sind Argumente von Autoren, die nicht fähig sind, ein weitverbreitetes Falschurteil über Gimbutas zu durchschauen, z.B. anhand ihrer Originaltexte, die ganz klar eine egalitäre Sozialordnung des AE - und nicht eine matriarchale - konstatieren? Dem Gegner eine Auffassung zu unterstellen, die er oder sie nicht hat, ist der billigste aller rhetorischen Tricks.

Der oben von mir zitierte Bailey:

Douglass W.Bailey is Lecturer in European Prehistory at the School of History and Archaeology, Cardiff University. He has carried out extensive fieldwork in Bulgaria and Romania.

(aus der zitierten Quelle - auch der wird natürlich falsch liegen. :rofl: )

Chan schrieb:
Diese "Legenden" werden leider nur durch Falschbehauptungen à la Häusler über die angeblich matriarchalistische Gimbutas-Theorie sowie durch eine Verleumdung (die du nicht zitiert hast, aber von deinem Favoriten Häusler stammt - siehe unten) ersetzt. Kein guter Tausch.

Ach ja, die "angeblichen" matriarchalistischen Gimbutas-Theorien::D

Anthony ist ganz bei Häusler, was Gimbutas Matriarchal-Theorien angeht: in dem Band: The Lost World of Old Europe: The Danube Valley, 5000-3500 Bc führt er kurz und knackig aus:


"According to Gimbutas, it was patriarchal Indo-European people who, in a war of the genders, destroyed and replaced the goddess-centered societies of Old Europe."

Bailey findest Du übrigens auch unter den Tagungs-Experten. Er wird Anthony gut zugehört haben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich will auf Deine wichtigste Einwände, El Quijote, nur kurz eingehen, weil uns das alles nicht wirklich weiter bringt.

Der Schulbesuch im aġlabidischen Sizilien dürfte, wie in allen vormodernen Gesellschaften, eher kein Massenphänomen gewesen sein, ganz unabhängig vom Geschlecht...
Die aġlabidischen Araber waren belesen, ihre Stadt Qairawān drüben in Tunis galt als Zentrum der Gelehrsamkeit. Überhaupt waren Araber zu der Zeit in Sachen Wissenschaft ganz oben, und das geht ohne Schulen nicht.


Dass die Slawen die Bevölkerung "majorisiert" hätten, ist nichts weiter als eine Behauptung. Beleg?
Anders lässt sich die Tatsache, dass von der autochthonen christliche, römischen bzw. latinisierten Bevölkerung so gut wie keine sprachlichen Merkmale blieben, nicht deuten. Es gibt aber in der Sprache der Slawen Wörter, die auf die Existenz der Altsiedler hinweisen. So gab es in der Sprache der Slowenen, eines der am weitesten in den Westen eindringenden slawischen Stämme, das Wort krščenica (Getaufte) für eine Magd, was auf eine untergeordnete Rolle der Christen unter den heidnischen Slawen hindeutet. Quelle: https://www.academia.edu/7519936/Št..._romanischen_germanischen_und_slawischen_Welt Seite 254.


Auch dies trifft's nicht. Einen Genozid diesen Ausmaßes gab es weder in Gallien noch in Lateinamerika, mit Ausnahme der Karibikinseln.
Ich verweise auf diesen Thread: http://www.geschichtsforum.de/f28/v-lkermord-gallien-7564/
 
Zurück
Oben