Indogermanen, Konstrukt oder Wirklichkeit?

Das ist doch auch in Afrika nicht anders.

Um mal eine besonders starke Korrelation herauszugreifen:
40% der Sprecher einer Niger-Kongo-Sprache tragen den Marker E-P1*, 60% tragen ihn nicht.
Was besagt das über einen Träger des Markers E-P1*? Spricht er nun eine Niger-Kongo-Sprache oder nicht?
Ein individueller Träger des Markers E-P1* mag diverse Sprachen sprechen, einschließlich in der Schule oder an der Universität erlernter Fremdsprachen.
Du hast aber vorher nicht von einer Einzelperson gesprochen, sondern von "den Genen"und "ihren Trägern". Die durch diese Formulierung implizierte statistische Betrachtung zeigt eben durchaus starke Korrelation zwischen Sprache und genetischer Struktur, übrigens nicht nur für Bantu, sondern auch für afroasiatische und KhoiSan-Sprachen.
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass "die Gene" neben der väterlichen yDNA u.a. auch die mütterliche mtDNA beinhalten, welche in Afrika v.a. geographisch differenziert ist. In der Kombination wird das ziemlich spezifisch.
[Ich gebe zu, dass Deine "auf die Schnelle" formulierte Aussage auch ein willkommener Aufhänger war für einen Post, den ich sowieso früher oder später als Beitrag zur "Vater- vs. Muttersprache"-Diskussion hier im Faden machen wollte.]
 
Neue Studie zu den Veränderungen in der Bronzezeit:

Bronze Age DNA Gives Clues to How Modern Eurasia Was Formed | Anthropology | Sci-News.com

"The Bronze Age of Eurasia (around 3000–1000 BC) was a period of major cultural changes. However, there is debate about whether these changes resulted from the circulation of ideas or from human migrations, potentially also facilitating the spread of languages and certain phenotypic traits. We investigated this by using new, improved methods to sequence low-coverage genomes from 101 ancient humans from across Eurasia. We show that the Bronze Age was a highly dynamic period involving large-scale population migrations and replacements, responsible for shaping major parts of present-day demographic structure in both Europe and Asia. Our findings are consistent with the hypothesized spread of Indo-European languages during the Early Bronze Age. We also demonstrate that light skin pigmentation in Europeans was already present at high frequency in the Bronze Age, but not lactose tolerance, indicating a more recent onset of positive selection on lactose tolerance than previously thought."
 
@silesia: Danke für die Info! Werde mir den Link gelegentlich in Ruhe ansehen - derzeit habe ich ein anderes individuelles Projekt am Start...
Grundsätzlich gehört die Badener Kultur zu den heissen Kandidaten für die Indo-Europäisierung, ihr nordwestlichster Ausläufer war die Salzmünder Gruppe, die für die frühesten derzeit bekannten Pferdebestattungen in Mitteleuropa verantwortlich zeigt. Eine sehr schöne Arbeit zur Ausbreitung der Badener Kultur in Mitteleuropa ist:
Quantifying Spatial Similarity Patterns in Material Culture: The Baden Complex in a Polythetic culture model :: Aegean and Balkan Prehistory (beachte die enthaltenen Karten!).
Zur, wohl mit dem Vordringen der Badener Kultur in Verbindung stehenden Ausbreitung der Kupfermetallurgie vom unteren Donauraum aus nach Mitteleuropa hatte ich im Ötzi-Thread einiges geschrieben und verlinkt.
Wie weit die These von der Badener Kultur als Träger der Indoeuropäisierung zur von Dir verlinkten Studie passt, muss ich mir noch genauer ansehen.

Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, nach einem Vortrag länger mit Dr. Markus Merkel, dem Sammlungsleiter des Archäologischen Museums Hamburg, zu sprechen. Er verwies darauf, daß ab etwa 2.500 v. Chr. eine deutliche Änderung der anthropologischen Eigenschaften (Schädelgeometrie etc.) in norddeutschen Gräbern fassbar wird, die auf starke Zuwanderung aus (Süd-)Ost-Europa hindeutet.
Archäologisches Museum Hamburg | Home
 
Mit Blick auf den T-Allel-Mangel in Menschen, die an zwei großen Routen der europäischen Neolithisierung, der Donau- und der Mittelmeerroute, leben und auf der Grundlage seiner hohen Frequenz im nördlichem Iberien, die Präsenz in Skandinavien und dem geschätzten Vorkommen in Zentralpolen, schlagen Witas et al. eine alternative Nordroute der Verbreitung der Laktasepersistenzmutation LCT-13910*T als sehr wahrscheinlich vor.
http://journals.plos.org/plosone/ar...id=info:doi/10.1371/journal.pone.0122384.g005
PLOS ONE: Hunting for the LCT-13910*T Allele between the Middle Neolithic and the Middle Ages Suggests Its Absence in Dairying LBK People Entering the Kuyavia Region in the 8th Millennium BP
Um nochmal die heutige Verbreitung ins Bewusstsein zu rufen www.biomedcentral.com - Figure
 
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Na das ist doch mal was.

Die Herkunft der Kalasha, einer rätselhaften isolierten indoeuropäisch sprechenden Population, die seit Jahrhunderten in den Hindukush-Bergketten des heutigen Pakistan lebt, aus einer alten Nordeurasischen Bevölkerung, verwandt mit altsteinzeitlichen sibirischen Jägern und Sammlern?
The Kalash Genetic Isolate: Ancient Divergence, Drift, and Selection

Schönen Dank für diese interessante Information über ein Volk, von dem ich bisher nie gehört habe. :winke:

Dass es sich bei den Kalasha um einen Rest der gräco-indischen Bevölkerung handelt, wie es in ihrer Herkunftssage heißt, hat sich anscheinend nicht bewahrheitet.

Möglicherweise sind die Kalasha ein versprengter Rest der indoarischen Einwanderer, die im 2. Jahrtausend v. Chr. Nordindien besetzten. Darauf deutet die indoarische Sprache hin, die sie im Gegensatz zur iranisch sprechenden angrenzenden Bevölkerung sprechen. Aber solche Vermutungen stehen auf wackligen Füßen, denn es gibt viele Wege, auf denen indoeuropäische Bevölkerungsgruppen in eine solche Isolation kommen konnten.
 
Haarmann ist hier schon häufiger erwähnt, aber auch wegen seiner Schlüsse und Behauptungen kritisiert worden. Nimmt man zusammenfassend und ebenfalls aktuell zB Pereltsvaig/Lewis, The Indo-European Controversy - Facts and Fallacies in Historical Linguistics, findet er in den sprachwissenschaftlichen Kontroversen international eher wenig Beachtung.

Bringt das wirklich Neues?
 
Ich bin auf einen Artikel zu dem neuen Buch von dem hier schon häufiger erwähnten Haarmann aufmerksam geworden:

Indoeuropäer: Dies ist die Heimat der meisten Sprachen der Welt - DIE WELT

Ich habe Harald Haarmanns neues Buch über die Ursprünge der Indoeuropäer in den letzten Tagen gelesen. Er setzt dort linguistische Befunde mit archäologischen Erkenntnissen und neuesten humangenetischen und klimageschichtlichen Forschungen in Beziehung. Wirtschaftsweisen, Gesellschaftsformen und religiöse Vorstellunegen der frühen Sprecher indoeuropäischer Sprachen werden ausführlich dargelegt. Das Buch ist anschaulich geschrieben und gibt einen guten Überblick auch über die Entstehung der aktuellen indoeuropäischen Sprachen und Sprachzweige.

Klar ist, dass vieles davon hypothetisch bleiben muss, und manche Aussagen Haarmanns zur Verortung und Ausbreitung indoeuropäischer Sprachträger sind in der aktuellen Forschung durchaus umstritten. Das wird leider in der Darstellung nicht immer deutlich sichtbar.

Wer also keine Lust hat oder nicht in der Lage ist, sich durch englischsprachige Fachliteratur hindurchzuarbeiten, ist mit dieser Publikation gut bedient (368 S., Verlag C.H. Beck).
 
Sprachgeschichte: Sprechen Sie Nostratisch?

Diesen Artikel habe ich gerade entdeckt. Ich weiß nicht, ob über die Theorie bereits hier diskutiert worden ist. Da ich die Diskussion immer wieder mit Interesse verfolge, bin ich gespannt, was dazu gesagt wird. Da ich keine Expertenmeinung habe, ziehe ich mich wieder in die Position des stillen Mitlesers zurück. :)
 
Oben ist der Kontext der Yamnaja-Welle beschrieben, der die Verbindung zu der von Carolus verlinkten Studie aufweist.

Archäologisch nachgewiesen gibt es davor eine Welle etwa 4200/3900 bzw. 3800 BC, Migrationen aus der pontisch-kaspischen Steppe, die zeitlich für Donau-Balkan mit der Aufgabe zahlreicher Besiedlungen zusammenfällt. Der Rückgang der Besiedlung ist zunächst eine Frage gravierender klimatischer Veränderungen, da der Siedlungsrückgang bis nach Nord-Griechenland reicht (was von diesen Steppe-Kontakten nicht betroffen war). Andererseits dehnten sich die Tripolje-Bereiche auch - gegenläufig der Migrationsbeengungen! - nach Osten aus, zT unter erheblicher Ausdehnung der Siedlungsgrößen, und "überlebten" weitere - kleinere, flexiblere - Siedlungsbereiche des "Old-Europe" bis 3500 BC, ...

... so dass zusammenfassend aus diesen Faktoren zB Anthony, Bailey und andere die Meinung vertreten, dass klimatische Änderungen die primäre Ursache waren. Diese wurden von einer Umwälzung der Wirtschaft, kriegerischen Auseinandersetzungen wie auch "geplanten", organisierten und vollständigen Räumungen alter Siedlungen, und einer Migration besser angepasster, weil auf Herdenhaltung ausgerichteter "Steppenbewohner" begleitet.

Der Beitrag oben bezog sich nur auf die "Welle" des genannten Zeitraumes, unter Bezug auf den Yamnaja-Horizont.

Eine neue Studie schätzt nun den "männlichen Anteil" dieser Migration etwa um den Faktor 5 höher ein als beim frühen neolithischen "spread" der Landwirtschaft von Anatolien durch Europa (5:1 zu vermutlich 1:1):

Goldberg et. al., Familial migration of the Neolithic contrasts massive male migration during Bronze Age in Europe inferred from ancient X chromosomes
Familial migration of the Neolithic contrasts massive male migration during Bronze Age in Europe inferred from ancient X chromosomes | bioRxiv
 
Eine neue Studie schätzt nun den "männlichen Anteil" dieser Migration etwa um den Faktor 5 höher ein als beim frühen neolithischen "spread" der Landwirtschaft von Anatolien durch Europa (5:1 zu vermutlich 1:1):

Das stützt die Theorie von Gimbutas, Haarmann und anderen über eine kriegerische Unterwerfung der indigenen Kulturen (Alt-)Europas, denen ein ihnen fremdes maskulin-dominiertes und hochgradig hierarchisches System aufgezwungen wurde. Welchen anderen Sinn konnte der ca. 10 (bzw. 5-14) mal höhere Anteil von Männern gegenüber Frauen bei den ´einwandernden´ Gruppen haben als den, ihre polygamen Interessen in den eroberten Gebieten auf eine Weise ausleben zu können, die ihnen in den heimatlichen Steppen nicht möglich war?

Ein indoeuropäischer Chief verfügte in den Steppen über einen Harem von bis zu 10 Frauen, während die polygamen Gelüste niedriger Situierter schnell an statistische Grenzen stießen (bei einer 1zu1-Verteilung der Geschlechter kann nicht jeder Mann mehrere Frauen haben). Was lag daher näher, als in geographische Zonen zu expandieren, wo für die IE-Männer jede Menge indigener Frauen zur Verfügung standen? Also zogen sie - begleitet von gerade mal ca. 10 % IE-Frauen und bis an die Zähne bewaffnet - in diese Gebiete und nahmen sich, was sie begehrten, nämlich pro IE-Mann mehrere indigene Frauen, und zeugten Kinder mit ihnen. Das mag zunächst in Form von Überfällen und Kidnapping geschehen sein und später in der Folge einer militärischen Unterwerfung der indigenen Population.

Der wichtigste IE-Gott, Zeus, zeichnet sich bekanntlich durch seine Neigung zur Gewaltigung aus, was der mythologische Reflex einer historischen Realität sein dürfte. Bezeichnend ist das Verhalten von Zeus zu Hera, einer der wichtigsten indigenen Muttergöttinnen. Im Mythos wirbt Zeus um die schöne Göttin, wird aber zurückgewiesen, woraufhin er sich in einen Vogel verwandelt, den die gutherzige Hera aufnimmt. Da nimmt Zeus seine eigene Gestalt an und vergewaltigt Hera. Aus Scham ist sie bereit, ihn zu heiraten. Aus dieser Zwangsehe gehen drei Kinder hervor.
 
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