Wenn ich mal Cavalli-Sforza zu Rate ziehe, er postuliert, daß eine Sprache nach 1000 Jahren nur noch zu 86% mit der Muttersprache übereinstimme. Zwei Sprachen, die sich von einer Muttersprache isoliert entwickelt haben, hätten somit 74% Übereinstimmung. Zum einen gefällt mir dieses Zahlenspiel, da man so schön damit rechnen kann, zum anderen bin ich skeptisch in wie weit man Sprache mathematisch fassen kann. Eine Sprache A hat also mit der Ausgangssprache O 86% Übereinstimmung, genau wie Sprache B. A und B stimmen nur noch zu 74% überein. Zur Zeitenwende hätte die Tochtersprache von A, AA nur noch 74% Übereinstimmung mit O, genau wie die Tochtersprache von B, BB. AA und BB hätten, wenn ich keinen Rechenfehler habe, nur noch 54% Übereinstimmung. 4000 Jahre nach der Abspaltung von O hätten die Sprachen der A-Linie nur noch 8,5% Übereinstimmung mit denen der B-Linie. 1000 Jahre später nur noch eine von 0,7% und nochmals 1000 Jahre später 0,49%. Das heißt nach 6000 Jahren dürfte nichts mehr zu erkennen sein. Die Frage ist, in wie weit Sprachen isoliert sind, die sich von einer Muttersprache trennen. Ich denke, so etwas gibt es nur in Einzelfällen.
Die große Frage beim Thema Indogermanen ist, wie entstehen Sprachen? Damit meine ich jetzt nicht die von kleinen Einheiten, söndern Sprache von Völkern oder Stämmen. Haben wir eine Ursprache, deren Träger sie in andere Regionen bringen und sich durch die Entfernung der einzelnen Gruppen dann voneinander entfernen oder haben wir unterschiedliche Kleingruppen mit getrennten Sprachen, die durch den Kontakt mit Nachbargruppen zu einer Art Sprachausgleich kommen und somit erst eine, nennen wir es Ursprache, schaffen? Im ersten Fall hätten wir dann eine Indogermanische Ursprache. Im zweiten Fall ist das schwierig zu sagen. Da in einer Region die unterschiedlichen Gruppen verschieden stark miteinander in Verbindung stehen, würde man von stärker oder weniger stark sprachlich angeglichenen Gruppen ausgehen. Eine regelrechte Ursprache wäre nicht zwingend notwendig.
Was für die Sprache gilt, gilt so wohl auch für die Kulturen. Breitet sich ein Urvolk aus, dann wandern auch andere Elemente, wie die Sprache oder die Kultur aus. Beim zweiten Modell ist das wieder nicht notwendig.
Ich tendiere im Augenblick eher zur zweiten Möglichkeit. Sie macht es mir möglich, die Vorgänge in der "Indogermanischen Welt" besser zu verstehen. Leider hilft sie nicht bei der Suche nach einer, wenn auch nur ungefähren Urheimat.