Zensorische Brüche wären das, wenn es sich um nachträgliche Eingriffe handelte. Genesis erzählt aber mehrere, nicht miteinander vereinbare Geschichte. Es handelt sich also schon hier um eine Kompilation, ein zensorischer Eingriff ist dabei nicht zu beobachten. Was meinst Du mit Moses 2: Exodus? Oder Genesis 2? Die angesprochene Geschichte Noahs und seiner Söhne steht in Genesis 9.
Die kompilatorische Zusammenstellung der Überlieferung durch die Redaktoren des AT war zweifellos zensorisch. Was in das Gottesbild ihrer Zeit nicht passte, wurde in die Kompilation nicht aufgenommen, sofern man es als nicht passend erkannte, was offenbar nicht immer der Fall war. Der Hofstaat Gottes nach persischem Muster im Buch Hiob, wo auch Satan noch dazu gehört, rutschte durch.
Mit den Nicäischen Konzilien wird immer wieder viel Schindluder getrieben. Was ich schon alles gelesen habe, was dort beschlossen worden sei... Was aber sicher ist, ist, dass sowohl die Evangelien, als auch die Apostelgeschichte, die Briefe und die Johannesoffenbarung vor diesem Konzil existierten und sich auch schon durchgesetzt hatten. Die antijüdische Tendenz des Johannesevangeliums würde ich auch eher in der heidenmissionarischen Strömung sehen, denn den Römer zu sagen: "ihr habt den Heiland umgebracht", wenn man dieselben für das Christentum gewinnen will, wäre denkbar ungeschickt. Was dann daraus erwachsen ist - konnte das "Johannes" schon vorhersehen, in einer Zeit, in der die Kirche noch immer stark jüdisch geprägt war?
Da hast Du zwar recht, aber das hat mit dem Fälschungsvorwurf nichts zu tun. Die Masse der alten Manuskripte, die als Quellen gelten, sind ja im Nestle-Aland sorgfältig aufgearbeitet. Da zeigt sich, dass von einer Verfälschung der biblischen Aussagen keine Rede sein kann. Dass aber bei der Zusammenstellung des NT ältere schriftliche Quellen (es wird z.B. immer wieder von einer verlorenen Redequelle "Q" gesprochen, und man spricht vom "Sondergut der Evangelisten", wo die Evangelien voneinander abweichen) frisiert worden sind, ist Gemeingut und wird unter dem Thema "die besondere Theologie des Evangelisten X" abgehandelt. Das bedeutet, dass dieser die ihm vorliegende Überlieferung nach seinem nachösterlich geprägten Bild des auferstandenen Gottessohnes geformt hat. Was dabei aber verloren gegangen ist, weiß man nicht. Das lässt der Phantasie freien Lauf. Dass da etwas anderes herausgekommen ist, als Jesus verkündigt hat, ist reine Spekulation. Sie wird im Wesentlichen bestimmt von der unterschiedlichen Sichtweise auf den irdischen Jesus: War dieser von vornherein davon überzeugt, dass er Gottes Sohn sei und er an der Allwissenheit des Vaters Teil hatte, dann ist die theologisch begründete besondere Verformung der Überlieferung eine Verfälschung. Wusste er es nicht, so ist diese Verformung eine zulässige und notwendige Weiterentwicklung in seinem Sinne (wie man ihn verstand), weil er die nachösterliche Situation nicht voraussehen konnte. Es könnte im ersteren Falle als Kompromiss auch angenommen werden, dass er die künftigen Situationen zwar wusste, aber die Antwort absichtlich offen ließ. Letzteres wäre auch sinnvoll, weil Weisungen, die in seiner Gegenwart gar nicht hätten verstanden werden können, z.B. ob eine befruchtete Eizelle bereits eine unsterbliche Natur habe, nur zu chaotischen Auslegungskrämpfen geführt hätten. Man kann das an seinem Gebot der Nächstenliebe ablesen: Es bezieht sich, wie das Samaritergleichnis zeigt, auf den räumlich nahen Menschen. Eine Organisation wie "Brot für die Welt" mit Sammlungen für den Freikauf von Sklaven in Spanien lagen außerhalb seines Horizontes. Dass Almosen im großen Stil möglicherweise lokale Märkte zerstören und stattdessen Hilfe zur Selbsthilfe angesagt ist, wird bei ihm nicht problematisiert. Das ganze Problem der Nothilfe, also dem gewaltsamen Beistehen einem Verbrechensopfer, fehlt völlig. "Wer dir auf die rechte Wange schlägt ...." versus "Wer deine ältere Tochter vergewaltigt, dem gib auch die jüngere" - wohl nicht im Ernst. Alles wird späterer Entwicklung überlassen. Deshalb ist der Vorwurf, die Kirche habe sich von ihrem Gründer entfernt, oberflächlich und unreflektiert. Eine Anhängerschar von 72 ist eben etwas anderes als eine solche von mehreren hundert Millionen. Die NT-Briefliteratur bezeugt, dass sich die ersten Christen bereits mit Problemen auseinandersetzen mussten, für die es in der Überlieferung keine eindeutige Lösung gab.
Nur in einem waren sich alle einig: Gnosis und Neuplatonismus kamen nicht in Frage. Das ist wohl auch ein Grund dafür, dass das AT beibehalten wurde: Es war ein überzeugendes Bollwerk gegen solche Lehren.