Erstmal danke an Euch drei, dass ihr Euch meinen langen Beitrag angetan habt!
@ El Quijote:
Vorgeworfen wird ihm vor allem seine Einseitigkeit und das daraus entstehende schiefe Bild, wie du selbst festgestellt hast - auch wenn du dafür zum Teil entschuldigende Gründe findest
Ja, ich habe zum Teil entschuldigende Gründe gefunden - und zwar, weil ich, seitdem ich im ersten Band gelesen habe (eben auch in seiner Einleitung), die "Kriminalgeschichte" nicht mehr als "Möchtegern-historische-Fachpublikation" einstufe, auch nicht mehr als ein populärwissenschaftliches Werk; denn selbst letzteres ist ja noch nicht mal der Selbstanspruch des Autors. Deschner tut ja gar nicht so, als ob er ein seriöses Geschichtswerk vorlegen wollte, er blendet den Leser eigentlich nicht, sondern er sagt/ warnt ausdrücklich, dass er nur Schlechtes über das Christentum schreiben will. Wenn ich das akzeptiere - und das tue ich! - dann kann ich den Vorwurf der Einseitigkeit persönlich nicht mehr vorbringen.
Etwas anderes ist das "schiefe Bild". Das mache auch ich ihm zum Vorwurf. Zuerst zu Deschners Verteidigung: Das historisch schiefe Bild, das Deschner hat, ist sein persönliches "Problem". Kein Leser ist gezwungen, dieses schiefe Bild zu übernehmen. Und - das muss man Deschner zugute halten - er versucht auch nicht, den Leser durch geschickte, hinterlistige Überredungskunst oder durchs diplomatische Hintertürchen zur Annahme seiner Ansicht zu überreden, sondern er posaunt seine Sicht der Dinge polternd und vollkommen undiplomatisch heraus. Er versucht nicht zu täuschen. In dieser Hinsicht ist er dem Leser gegenüber ehrlich.
Jetzt zur Anklage: Deschner darf in seiner Kriminalgeschichte anklagen und einseitig formulieren, soviel er will, solange er gemäß seinem Grundsatz wirklich nur Schlechtes und Kriminelles aus der Geschichte des Christentums anprangert (Ich sehe darin wirklich kein Problem). Aber wenn er da, wo selbst Fachleute beim besten Willen überhaupt kein Verbrechen ausmachen können, die Christen bzw. ihre Geschichte künstlich kriminalisiert, dann finde auch ich, dass er ein "schiefes Bild" erschafft, welches sich nicht mehr mit seinem frei gewählten Grundsatz rechtfertigen lässt. An solchen Punkten kann man dann letztlich schon von einer "Täuschung" sprechen. Solange Deschner diese Kriminalisierung mittels eigener Formulierung betreibt, will ich dennoch ein Auge zudrücken. Aber - das habe ich schon unmissverständlich dargelegt - sobald Deschner versucht, einzelne Wörter und Halbsätze aus den Quellen für solche Zwecke zu missbrauchen, dann hört auch bei mir der Spaß auf - nicht etwa, weil historische Quellen etwas "Sakrales" wären, sondern weil ich auch irgendein ausgesprochenes Wort meines Nachbarn, welches er in einem bestimmten Kontext geäußert hat, nicht in einem mir gerade wichtig erscheinenden, aber völlig anderen Kontext vor Dritten wiedergebe, mit dem Hinweis, es stamme von meinem Nachbarn. Abgesehen davon, dass so etwas falsch ist, macht es mich unglaubwürdig (sobald es raus kommt - und so etwas kommt raus). Auch jeder Schriftsteller, der wissentlich seinen zeitgenössischen Kollegen das Wort im Mund herumdreht, gilt als unfair. Dieses Kriterium muss man auch auf Kollegen ausweiten, die vor Jahrhunderten schrieben. Genau das ist aber unserem Deschner passiert: Durch seine bedenkenlose Art, Zitate aus Quellen entgegen deren eigentlichen Aussageabsicht in seine Argumentation einzubauen, zeichnet er ein schiefes Bild. Dieses schiefe Bild belastet aber nicht die Quellen, sondern ihn selbst, und er hüllt sich damit bereitwillig in Unglaubwürdigkeit. Und das rede ich ja auch nicht klein und entschuldige es auch nicht; da bin ich ja ganz auf Deiner Seite. Hingegen: Dass Deschner kein wissenschaftlich ausgewogenes, objektives und seriöses Werk geschrieben hat, entschuldige ich mit dem Hinweis, dass so etwas nie sein Anspruch war.
Das ist immer eine Frage des persönlichen Stils und Darstellungstalents. Es gibt durchaus Historiker, die wissenschaftlich seriös und trotzdem anschaulich und alles andere als dröge Q-Arbeit leisten. Dieses Talent ist halt nicht jedem gegeben.
Da hast Du ja auch völlig recht! Ich habe zwar auch die nur streckenweise gelesen, aber Mommsens "Römische Geschichte" (der wissenschaftliche Apparat fehlt weitgehend) hat ja meines Wissens den Nobelpreis für gute Literatur erhalten. Man kann also interessant und unterhaltend schreiben, ohne unwissenschaftlich zu sein; das beweisen Mommsen und andere. Aber angenommen Du, Ravenik, dekumatland oder ich interessieren uns für irgendein historisches Thema ungemein, dann ziehen wir uns begeistert Aufsätze aus wissenschaftlichen Fachzeitschriften rein, die jemand, der am Stück lesen will und unterhalten werden will, niemals auf seinen Nachttisch gelangen ließe. Zuviel Quellenarbeit ist für einen Großteil des potentiellen Lesepublikums wahrscheinlich schon abschreckend, oder?
Alles in allem ein sehr guter Beitrag, aber die kleinen Kritiken musste ich doch eben anbringen.
Erstmal danke für's Lob. Die "kleinen Kritiken" solltest Du ja auch anbringen. Ich will ja im sokratischen Dialog mit Euch zur "Wahrheit" gelangen. Ich hätte meinen Beitrag nicht eingestellt, wenn ich nicht an Eurer Meinung zu meiner Einschätzung interessiert gewesen wäre. Danke nochmal!
@ Ravenik:
Das ist ein sehr gelungenes Parallelbeispiel. Wahrscheinlich sagt es mehr über Deschners "Kriminalgeschichte" aus, als meine vielen Worte. Kompliment!
@ dekumatland:
ist das wirklich missbrauchen oder ist das perspektivisch interpretieren?
Wenn "perspektivisch interpretieren" heißt: perspektivisch, aber dennoch richtig interpretieren, dann ist es das m. E. bei Deschner nicht.
Wenn "missbrauchen" heißt, etwas "miß", nämlich falsch, zu gebrauchen, dann trifft das m. E. in unserem Deschner-Fall zu. Da das nur meine persönliche Einschätzung ist und ich auch nicht wirklich weiß was eine "perspektivische Interpretation" ist, darfst Du nicht nur anderer Meinung sein, sondern mich auch korrigieren.
jetzt wird es interessant: der letzte Satz bezieht sich offensichtlich auf die Kriminalgeschichte - welche sind denn die anderen Hinsichten? Du hast sehr ausführlich dargelegt, was du kritisierst (ein klasse Beitrag!) - was ist nun für die die positive Kehrseite der Medaille? (eine solche scheint es zu geben, wenn man der oft genug zitierten Rezension von Pfahl glaubt)
Was Pfahl meint, weiß ich nicht. Ich habe Deschner in meinem obigen Beitrag jedenfalls gelobt, dass er sich mit dem historischen Geschehen in den verschiedenen Epochen des Christentums auskennt (also mit der Ereignisgeschichte), dass er dem Leser über einen riesigen Geschichts-Zeitraum hinweg einen guten ereignisgeschichtlichen Überblick bietet. Welcher Schriftsteller kann das schon? Ich habe immer Achtung vor Autoren, die sich in solch einem breiten Gegenstand zurecht finden. Jede Zeit und Epoche der Geschichte hat ihre eigenen Quellen, Schwierigkeiten und "Bearbeitungs-Regeln". Wer sich davon nicht abschrecken lässt, sondern sich in jede Geschichts-Epoche wenigstens rudimentär einarbeitet und dann auch noch ein lesbares Werk wie Deschner vorlegt, verdient meine Achtung. Das meine ich ganz ernst. Wer bin ich denn, dass ich solch eine intellektuelle und schriftstellerische Leistung nicht anerkennen müsste?
Darüberhinaus - und das habe ich in irgendeinem meiner Beiträge schon sinngemäß gesagt - erachte ich Veröffentlichungen, die zum historischen Nachforschen und Denken anregen, immer als willkommen. Es war vor meiner Zeit, als Deschener die Konzeption seines Werkes festlegte und die ersten Bände herausbrachte. Ich weiß nicht, was damals landläufig gelesen wurde. Vielleicht haben viele Christen und Kirchenmitglieder tatsächlich durch die damals verfügbare Literatur ein rosa-rotes Bild von der Kirche und ihrer Geschichte vorgemalt bekommen. Wie gesagt, ich weiß es nicht. Deschner ist gewiss nicht der Autor, der in der Lage wäre, das Bild von der Christentumsgeschichte gerade zu rücken, aber wenn er dazu beigetragen hat, dass sich Christen kritisch mit der Geschichte ihrer Kirche und christlichen Gemeinschaften auseinandersetzen, dann ist das für mich generell ein Gewinn. Deschner hat mit seiner Darstellung der Kirchengeschichte nicht recht, aber er hat vielleicht dazu beigetragen, dass das Rechtsempfinden bezüglich der eigenen Geschichte innerhalb der Kirche geschärft wurde.
Damit habe ich mich zu einer sehr subjektiven Einschätzung hinreißen lassen, die eigentlich nicht in ein Geschichtsforum gehört, aber vielleicht besteht darin tatsächlich der Verdienst Deschners.
@buschhons
p.s. dekumatland liest ganz gerne auch mal zynische Texte, egal ob von Heine oder von Th. Mann
Ahha! Vielleicht ist Zynismus ja gar nicht so verwerflich, wie ich immer dachte. Ich meine, Heine und Mann sind ja schließlich Weltliteraten. Bisher hast Du mich allerdings immer mit Deinem Humor überzeugt (der wirklich klasse ist). Wenn Du mal in einem Beitrag zynisch wirst, dann guck ich nochmal genauer hin, ob mir das vielleicht auch zusagt.