Guten Morgen,

im WP-Artikel Drusus-Feldzüge Drusus-Feldzüge – Wikipedia
ist die Rede, dass die Römer bestimmte Germanenstämme dazu gebracht hat, ihr angestammtes Siedlungsgebiet zu ändern. Sugambrer links und rechts des Rheins, sogar die Chatten. Es ist die Rede von "zugewiesenen Siedlungsgebieten". Wie ist das zu lesen?

Rom bestimmt auf der Karte: Stamm XX wird ins "Indianerreservat" überführt und die romfreundliche Führungsschicht dieses Stammes (Sugambrer) z.B. veranlasst, dass die Familien ihre Hütten verlassen und sich mit fast nichts auf den Marsch in ein neues Gebiet begeben.
Aber wie ist so etwas zu bewerkstelligen? Freiwillig verlassen die Bauern nicht ihr Land. Reichen Versprechungen (hinter dem Großen Hügel ist das Gras grüner als hier) oder geht das nur mit Waffengewalt?

Ich bin da etwas skeptisch, dass die Germanen alles mit sich machen ließen. Ein unterworfenes Volk hat wohl keine Wahl, unterjocht, versklavt etc.
Vielleicht waren die Germanen auch nicht so seßhaft wie wir das zuvor immer glaubten. Der Boden war irgendwann ausgelaugt, die Hütten nicht auf 100 Jahre Bestand konstruiert und irgendwann musste es dann weitergehen.

Immerhin hatten sie doch ihre Heiligtümer, Altäre, heilige Quellen, Begräbnisstätten (bei Feuerbestattung eher weniger) auf ihrer angestammten Erde. Das verlässt man doch nicht so einfach.

Vielleicht kann einer von Euch das besser einordnen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Schade, ich dachte es könnte jemand ernsthaft etwas dazu sagen.
Vielleicht war diese Relozierung oder wie auch immer man die Umsiedlungen von Völkern bezeichnete, ja Praxis im Römischen Reich.

Mit Androhung von Waffengewalt ja natürlich aber man muss es sich nur praktisch vorstellen.
Da kommt jemand und zwingt die Leute aus ihren Häusern, sie konnten vielleicht mitnehmen, was möglich war. Rinder, Schweine, Gänse, die Alten auf den Ochsenkarren und dann in eine völlig ungewisse Zukunft.
Die Hütten werden dann niedergebrannt?

Also mich erinnert das an "Indianerreservate", es fehlt nur noch das Feuerwasser und die mit Pocken verseuchten Decken.
Im Wikipedia-Artikel Drusus-Feldzüge fällt immer wieder der Begriff Vernichtungsfeldzug. Also sollten bestimmte unbotmäßige Germanenstämme nicht nur unterworfen, sondern bei entsprechenden Widerstand ausgerottet oder zumindest stark dezimiert werden.
Und wenn sie das nicht schafften, dann wollte man sie zumindest aus den angestammten Siedlungskammern vertreiben, um einen ewigen Unruheherd endlich in den Griff zu bekommen.
 
Wikipedia ist immer nur so gut, wie seine Autoren. Im Artikel Sugambrer steht beispielsweise folgendes:

Die endgültige Unterwerfung der Sugambrer gelang aber erst Tiberius im Jahr 8 v. Chr.[4] der Stammesteile in linksrheinisches Gebiet in etwa ins Land der Sunuker umsiedelte. In der Gegend von Xanten gründeten sie eine Siedlung, aus der die Colonia Ulpia Traiana hervorging.
und das ist Quatsch. Zunächst war an der Stelle ein römisches Gräberfeld, dann siedelte sich dort ein Versorgungsdorf für die römischen Truppen aus Vetera I an, das während des Bataveraufstandes - wahrscheinlich von der Besatzung Veteras selbst, um den Batavern keine Gelegenheit zur Plünderung zu bieten - niedergelegt wurde. Was heißt Versorgungsdorf (cannabae)? Hier war ein Seitenarm des Rheins, der sich als Hafenanlage eignete, dort siedelten die (illegalen) Familien der Soldaten, Schankwirte, Händler und Prostituierte. Da mögen auch Sugambrer dabei gewesen sein. Als dann über 100 Jahre später und einige Jahrzehnte nach der Niederlegung der cannabae wiederum durch Trajan die CUT gegründet wurde, mögen in der Wohnbevölkerung wiederum (Nachfahren der) Sugambrer einen Anteil ausgemacht haben. Aber die Aussage des Wikipedia-Artikels ist in der dortigen Verkürzung schlicht falsch.

Du musst also die Wikipedia-Artikel kritisch lesen. Manche sind richtig gut, andere richtig schlecht. Der Vater eines Freundes von mir ist lange Vorsitzender eines fachwissenschaftlichen Vereins gewesen, der auch einen Wikipedia-Artikel hat - die Eltern meines Freundes sind Historiker bzw. Archäologen, er ist Historiker -, mein Freund wollte diesen Artikel bearbeiten. Er saß ja direkt an der Quelle... keine Chance. Jede seiner Veränderungen wurde rückgängig gemacht, er konnte nicht einmal die korrekte Schreibweise des Vereins bei Wikipedia durchsetzen. Für mein Dafürhalten hat er zu schnell aufgegeben, aber das ist zweitrangig. In Wikipedia steht halt manchmal auch deshalb Blödsinn, weil sich die falschen Leute als durchhaltewilliger erweisen.
 
Nicht immer so ungeduldig, hier im Forum dauert es schon mal etwas, bis es mehrere Antworten gibt und eine Diskussion in Gang kommt.

Rom hatte es gerne, wenn eine politische Entität mit klaren Ansprechpartnern in einem bestimmten Gebiet lebte. Im Germanicum trafen sie nun aber auf Gruppen, die gerade in einer Phase beschleunigter Bewegung und Entwicklung waren, sowohl sozial als auch ethnographisch und oft auch geographisch. Das war zumindest teilweise durch das Vordringen der Römer nach Gallien mitverursacht, hatte aber viele Ursachen.

Wenn du dich wirklich interessierst, dann musst du die Quellen lesen, die mitunter extrem knapp sind. Die Geschichtswissenschaft unterscheidet zwischen 'Quellen' und 'Sekundärliteratur'.* Quellen sind Überreste aus der Vergangenheit, seien es archäologische Funde, Bauwerke, Urkunden oder die Werke antiker Geschichtsschreiber. Nur aus Quellen können historische Erkenntnisse gewonnen werden. Dies geschieht in der Regel in der Sekundärliteratur, die die Quellen auswertet. Das geschieht mithilfe der 'Quellenkritik' als historischer Methode. Dabei werden die Quellen mit allen möglichen Mitteln daraufhin untersucht, was daraus zu entnehmen ist. Hier im Forum stehen dabei oft sprachwissenschaftliche Mittel im Vordergrund, aber auch andere Methoden, etwa aus Statistik, Archäologie, Soziologie oder Paläographie tragen dazu bei. Sogar ein einfacher Funktionstest wie in der experimentellen Archäologie oder ein simples Nachmessen einer Entfernung können dazu gehören.

In den Quellen steht oft sehr wenig, woraus dann weitgehende Schlüsse gezogen werden. Oft muss auch um die antiken Theorien, Begrifflichkeiten und Vorurteile gewusst werden, um etwas einzuschätzen. Cäsar berichtet zu Galliern und Germanen viel, was einfach aus einer typologisch-entwicklungsgeschichtlichen Einteilung folgte. Er erschien so als zuverlässiger Autor, ohne dass diesen 'wissenschaftlichen Topoi' irgendein Quellenwert zukommt. Darauf geht auch zurück, dass die Germanen einen Drang zur Wanderschaft hatten. Aber Cäsar gelingt es, wie so oft, nicht direkt zu lügen, sondern die Tatsachen in seinem Sinn wiederzugeben. Auch die Felder sollen nach etwa einer Generation erschöpft gewesen sein. Also wurde die Hofstelle verlegt, was aber keine Migration darstellt. Die Unruhe im Barbaricum des 2. und 1. vorchristlichen Jahrhunderts, die Migration verursachte, hatte andere Ursachen. Es lag nahe, einzugreifen, dies zu lenken oder ihm zuvorzukommen, um das zu beruhigen.

Es wurden auch nicht alle Chatten umgesiedelt. Sie sind noch später in Nordhessen zu finden, während die Mattiaker oft als Nachfahren der umgesiedelten gesehen werden. Es wird auch über innere Konflikte bei den Chatten diskutiert. Bei den Sugambrern wissen wir nicht einmal, ob es sich um einen Oberbegriff für mehrere Stämme, einen Stammesbund oder einen Stamm** handelte. Betrachteten sich Marser, Chattuarier, Brukterer, Usipeter, Tenkterer, Tubanten und Gambrivier als Sugambrer? Waren nach einer Tacitusstelle 'Marser' und/oder 'Gambrivier' der Oberbegriff und Sugambrer ein Einzelstamm? Durchschauten die römischen Geschichtsschreiber diese Zusammenhänge oder reimten sie sich die Bezeichnungen irgendwie zusammen? Und wie naheliegend ist überhaupt die Vermutung, dass die als Nutzer eines Heiligtums erwähnten Marser, Brukterer, Usipeter und Tubanten überhaupt untereinander und mit Chattuarier, Tenkterer, Gambriviern sowie Sugambrern zusammenhängen? Das sind alles sehr weitgehende Schlüsse, teils nur, weil Namen in Aufzählungen nebeneinander stehen.

Ich hoffe, dass sich das nicht zu verwirrend liest, mir geht es gerade nicht gut, ich hatte aber schon mit der Antwort begonnen. Es geht mir einfach darum, dass das nicht zu monokausal wirkt und klar wird, dass teilweise nur spekuliert werden kann und Wikipedia seine Probleme hat.

*Wikipedia sieht sich heute im Idealfall als Zusammenfassung der Sekundärliteratur unter Berücksichtigung der Forschungsgeschichte mit Quellenzitaten als Garnierung, ein Lexikon eben. Leider sieht das nicht jeder Autor dort so und es ist auch nicht jeder Autor qualifiziert. Da gibt es immer wieder ganz dicke Klöpse, oft sogar gut gemeinte. Im Artikel hat mal jemand gestrichen, dass Trier einst zu den Hauptständen des Römischen Reichs gehörte, weil er das für Blödsinn eines Trolls hielt. Viel ist besser geworden, aber es ist immer noch Vorsicht geboten. Was El Quijote da erzählt ist leider kein Einzelfall. Da braucht es dann auch Erfahrung und Vernetzung in der Wikipedia, um sich durchzusetzen. Ich habe selbst schon mehrfach aufgegeben. Heute sind die großen Editwars vorbei, aber es gibt noch Artikal, die von extremen oder religiösen oder antireligiösen oder verschwörungstheoretischen Gruppen verteidigt werden, als ob es um die Rettung der Welt ginge. Daher gibt es das Phänomen, dass zuverlässige Artikel unter einem anderen Stichwort zum selben Phänomen entstehen, um dann irgendwann die Integration in den unzuverlässigen Artikel durchzudrücken. Und es gibt noch andere Mittel. Ich setze wie viele andere Wikipedianer oft darauf, dass ich Kommentare auf der Diskussionsseite schreibe. Daher ist es sinnvoll, dort zu schauen, um einen Artikel einzuschätzen. Die Karten zum Thema Germanen bei Wikipedia sind durchweg nicht zu gebrauchen. Bei den Germanienfeldzügen ist es nur etwas besser. Zuerst wurden Fehler älterer Karten übernommen. dann teils auch versucht, die eigene Ansicht über die Karten durchzudrücken.

** Ich bevorzuge den allgemeineren Begriff 'Ethnie'. Bei 'Stamm' schwingen zu viele achronistische Voraussetzungen und Vorstellungen mit.
 
Guten Morgen Riothamus,

besten Dank für Deine detaillierten Ausführungen!
Ja, ich sollte und muss geduldiger sein, sorry für meine Drängelei. Ja, auch ich habe vor irrsinnig langer Zeit im Geschichtsunterricht der Schule gelernt, zwischen Primär- und Sekundärquellen zu unterscheiden. Ist natürlich längst verdrängt und vergessen.
Ein WP-Artikel ist nur so gut wie die Qualität bzw. Recherchevermögen seiner Autoren. Auch das ist vollkommen klar. Ich hatte mich sehr gefreut, dass es zum Hauptartikel Augusteische Germanenkriege sogar noch drei ebenso umfangreiche Nebenartikel zu den Drusus-Feldzügen, Immensum Bellum und Germanicus-Feldzügen gibt.

Hatten die römischen Feldherren, die in Germanien kämpften, ihre Hofchronisten/Militärschreiber, die jede einzelne Bewegung aufzeichneten, eigene Lage/Feindlage, Geographie/Topographie, Karten (hierzu hatten wir schon etwas gesagt), Organisation der Stämme? Wenn man registriert, welche gigantischen Bemühungen, die Römer unternahmen, um Germanien zu unterwerfen, dann gehe ich mal davon aus, dass es eigentlich so etwas gegeben haben müsste.
Der Hellweg und die römischen Sommer-/Winterlager hatten schon sehr beachtliche Dimensionen, die auf eine beachtliche Größe der Militärunternehmungen schließen lassen. Es wurde mit Flotten operiert, Rheinüberquerung, Auxiliarien, Aufbau von Nachschubbasen etc., etc.
Also ich kann mir nicht vorstellen, dass bei all dem Risiko, die ein Drusus, Tiberius oder Germanicus einging, nicht intensiv mit dem Gegner beschäftigte und darüber keine Aufzeichnungen hatte.

Vielleicht gab es diese Dokumente und sie gingen später verloren, wurden vernichtet oder vermoderten in Geheimarchiven des Vatikans (Verschwörungstheorie ;-) ).
Natürlich färbten diese Feldherren ihre Taten zu ihren Gunsten ein, wollten sie auf den Thriumphzügen als glänzende Helden darstehen, die den Barbaren mal gezeigt haben, "wo Barthel den Most holt".

Es könnte auch sein, dass die Römer mit den germanischen Verhältnissen vollkommen überfordert waren. Es widersprach vielleicht ihrem Ordnungssinn. Vielleicht war der Gallische Krieg des Julius Cäsar ja viel klarer, durchschaubarer und eindeutiger als die "zotteligen Verhältnisse" jenseits des Rheins.
Völkerwanderungen, keine klaren Verhältnisse, Stämme|Ethnien verlagern/verschieben ihre Wohnsitze (die Cherusker waren anscheinend mehr oder weniger ortstreu), sind mal romfreundlich und im nächsten Moment wieder aufsässig. Man konnte anscheinend mit Gefolgsherren, Stammesfürsten etc. mal verhandeln, mal bekam man von den gleichen Leuten einen Dolch in den Rücken.

Und dennoch haben sie diese Augusteischen Germanenkriege mit einem gewaltigen Aufwand geführt, der beeindruckend ist. Vor allem die Hartnäckigkeit und der Starrsinn der Römer, die Militäroperationen in Germanien um jeden Preis zu Ende zu führen.
Ein Tiberius eilt dem verunfallten und im Sterben liegenden Drusus zur Hilfe entgegen, anstatt sich über den bevorstehenden Tod eines (möglichen) Konkurrenten zu freuen und vielleicht an einem anderen Brennpunkt des Römischen Reiches, gegen die Parther oder was weiß ich wo Stärke zu zeigen und sich zu engagierten.

Verwundert bin ich über die Erwähnung dieser auf mich vollkommen nebensächlich wirkenden Ereignisse wie dieser Bienenschwarm im Römerlager oder die Prophezeiung der großen Germanin an der Elbe. Gab es nichts Wichtigeres/Bedeutsameres, als über diese Lappalien - so erscheinen sie mir - zu berichten? Eigenartig.

Grüße
 
Zuletzt bearbeitet:
Es ist so, als würde die USA mit ihrer Full Spectrum Dominance-Doktrin mit mehreren vollmechanisierten Divisionen in den Kongo/Zaire einmarschieren, um im Tropischen Regenwald einen modernen Panzerkrieg führen zu wollen, um am Ende Seltene Erden ausbeuten zu können.
So erscheinen mir die Bemühungen Roms mit der damals stärksten Streitkraft der Welt, Germanien zu unterwerfen und zivilisieren zu wollen.
Oder es war eine Hybris des Kaiser Augustus und seiner Nachfolger, eine unbesiegbare Supermacht zu sein.

Ich bleibe dabei, dass sie doch mit einem klassischen Stellvertreterkrieg (Chatten hochrüsten, Brukterer ausbilden mit modernen Kriegsmaterial ausstatten) zu einem sehr viel geringeren Preis eventuell auch Erfolge erzielt hätten.
Alles relativ "gemütlich" von diesseits des Rheins aus gesteuert und vor allem unter Schonung der wertvollen römischen Legionen, die man für eine mögliche Invasion auf das Römische Imperiums an mehreren Stellen bereithält.
 
Vielleicht war der Gallische Krieg des Julius Cäsar ja viel klarer, durchschaubarer und eindeutiger als die "zotteligen Verhältnisse" jenseits des Rheins.
Nur am Rande: Der Rhein als Grenze zwischen Germanen östlich davon und Galliern/Kelten westlich davon wurde von Cäsar aus mehr oder weniger politischen Gründen so postuliert. Dennoch gab es germanische Ethnien westlich des Rheins und keltische östlich des Rheins. Zusätzlich fällt die Abgrenzung, was tatsächlich "germanisch" und was "keltisch" war oft nicht leicht.
Sprachlich ist so etwas möglich. Aber wir wissen ja meist nicht, welche Sprache im Dorf xy zum Zeitpunkt z wirklich gesprochen wurde.
 
Ich bin zwar krankheitsbedingt durch den Wind, kann aber nicht schlafen und schreibe ein wenig. Hier im Forum gibt es ja immer jemanden, der auf Blödsinn hinweist.

Das unwichtige Detail, dass Napoleon bei Waterloo nicht nur seine Kutsche, sondern auch seinen Hut zurückließ empfanden und empfinden viele interessant. Vorzeichen und mögliche Tricks schienen den Römern interessanter als ein zurückgelassener Hut.

Das Ausspielen der Germanen gegeneinander soll ja des Tiberius Ansatz für Germanien gewesen sein und nicht zufällig wird diese Strategie auf Latein angesprochen: Divide et impera! (dt.: Teile und herrsche)

In der Republik hatten Feldherren dem Senat zu berichten; n der Kaiserzeit sehr wahrscheinlich dem Kaiser.Julius Caesar hat seine Bericht aus Gallien in überarbeiteter Form veröffentlicht. Wenn es dich interessiert, lies seine Erinnerungen an den Gallischen Krieg und die an den Bürgerkrieg. Und dann lies, was Tacitus als Geschichtsschreiber in den Annalen zu den Germanicus-Feldzügen schreibt und achte bei Tacitus genau darauf, wie er ungenau bleibt und die Verbindungen in seinem Sinn dem Leser überlässt und bei Cäsar darauf, wie manipulativ er schreibt, meist ohne direkt die Unwahrheit zu schreiben. Und diese Schilderungen sind für diese Zeit schon das Maximum an ausführlicher Überlieferung, bei Cäsar sogar aus erster Hand. Leider sind die Schriften Plinius des Älteren zu Germanien verloren. Er hat nicht nur dort gedient, sonder war nach Ausweis seiner Naturgeschichte auch interessiert an Details, die vom Bekannten abwichen und die Mehrheit eher ignoriert.

Im übrigen sind Schriftstücke der militärischen Verwaltung nicht gerade Chroniken. Der Wüstensand und bei Vindolanda in Britannien die Feuchtigkeit haben uns Briefe und andere Gebrauchsschriften erhalten. Bestellungen für die Truppe und für den eigenen Bedarf, private Briefe und was sonst noch zu erwarten ist.

Die Senatssitzungen wurden protokolliert. Die Protokolle gingen verloren. Es wurde auf Papyrus geschrieben, das in feuchtem, europäischen Klima nach 40 oder 50 Jahren vermodert. Es musste also regelmäßig abgeschrieben werden. Irgendwann wurde darauf verzichtet. Ob dem Senat das Geld ausging, nachdem nur noch der in Konstantinopel gefördert wurde, beschlossen wurde, dass die alten Protokolle unwichtig seien, spätestens als Papst Gregor der Große feststellte "Senatus deest." (dt. Der Senat fehlt / ist nicht mehr da.) war es damit vorbei. Die antike Verwaltung Roms brach damals zusammen und Gregor, der selbst einst noch Stadtpräfekt Roms gewesen war, versuchte, die Aufgaben zu übernehmen, wozu er Mittel der Kirche nutzte. Dies begründete dann die päpstliche Herrschaft über Rom. Klar, wer den Laden schmeißt und dafür bezahlt, ... Es ist unwahrscheinlich, dass er oder einer seiner Vorgänger als Pontifex Maximus das Staatsarchiv rettete oder gar in einer geheimen Bibliothek versteckte.*

Was das Kartenbild des freien Germaniens betraf, zeigen alle Untersuchungen, dass es sehr verzerrt war. Es wurde wohl wie zu anderen Zeiten auch nach Wegstrecken geplant und im Krieg Aufklärung betrieben. So seltsam es für uns klingt, funktioniert das und so mancher Stadtbewohner bewegt sich genauso durch seine Stadt.

*Eine ungewöhnliche Geheimbibliothek gibt es im Vatikan tatsächlich. In der frühen Neuzeit wurden zeitweise Beichten ausspioniert. Dies Wissen gelangte in Akten, die heute nicht geöffnet werden dürfen. Und das wird wegen des Beichtgeheimnisses so bleiben, auch wenn es sich teils um Informationen über bedeutende Personen handelt.
 
Hallo Riothamus,

erst einmal wünsche ich Dir eine Gute Besserung und dass Du bald wieder durchschlafen mögest!

De Bello Gallico wurde auch streckenweise natürlich auch im Lateinunterricht der Schule gelesen (meine Lateinkenntnisse sind wie weggewischt), allerdings erinnere ich mich nicht an den Interpretationsansatz. War eher eine ermüdende Lektüre, Krieg gegen die Helvetier, hier und dort die Belger unterworfen, soundso viele Gefangene gemacht, etc.
Außerdem eine Beweihräucherung der großartigen Heldentaten. Von einem manipulativen Ansatz lese ich erst hier im Forum, doch daran wird sicherlich etwas sein.

Senatsprotokolle finde ich hochinterssant! Das bedeutet, dass die hohen Ausgaben der Feldzüge auch "beantragt" bzw. legitimiert etc. werden mussten, um die Geldmittel dafür zu bekommen.

In einer Quellen (Magna Germania - Aliso - Varusschlacht - ALISONENSIS - wahrscheinlich keine valide Quelle, wird daher von Euch vielleicht auch sofort zerrissen werden) lese ich, dass es in Germanien sehr wohl ein vitales römisches Interesse gab, welches Begehrlichkeiten weckte.
Also nicht nur Frauenhaar und Tierfelle (;-)), sondern auch Eisenerz, Blei, etc. was u.a. ja wohl auch für die römische Kriegsmaschinerie von Interesse war.
Und auch die Lößböden und die somit möglichen hohen Getreideerträge bei geeigneter Bewirtschaftungsmethode. Im Leinegraben des Cheruskerlandes fand sich dann wohl überwiegend Auenlehm mit hohem Wasserhaltevermögen aber auch entsprechender Schwere, ihn mit dem Ochsenpflug zu bewirtschaften.
Die HILDESHEIMER BÖRDE (ebenfalls Cheruskergebiet) war ebenfalls aus Lößboden und daher ist es verwunderlich, warum sich dort keine komplexeren und höher entwickelten Kulturen entwickelt haben. Vielleicht hatte die geschichtliche Entwicklung den Germanen auch keine Zeit gelassen, diese zu entwickeln.
Germanische Lößböden als neue Kornkammer Roms? Niederschlagsreicheres Klima i. Vergleich zum Mittelmeerklima und damit stabiliere Erträge? Stickstoffintensiver Hochleistungsweizen für einen Zivilisationsschub in der Antike? Nein, in der Epoche noch nicht.

Der Hellweg (hell, licht, von Vegetation/Unterholz befreit) in Westfalen war wohl so etwas wie eine Transamazônica bei der Erschließung, Kolonialisation und Provinzialisierung Germaniens.
Die kultivierten Römer (europäische Siedler) und die halbnackten Wilden (Yamomani-Indios) als Clash der Kulturen. Der Hellweg als Römerstraße und Signalkette bei der Erschließung des düsteren und lebensfeindlichen Barbarenlandes, um bei Tacitus Bild zu bleiben.

Interessant ist auch, dass hauptsächlich gallo-römische Veteranen als Kolonialierungstruppe ins Rheingebiet geschickt wurde oder sich als Glücksritter/Abenteuer dorthin bewegten, um sich dort eine Zukunft zu suchen.
Also waren es überwiegend keine Römer aus Italien, die die Rheinlegionen stellten, sondern vielleicht Kelten u.a. im Dienste Roms.
Na ja, das ist jetzt schwammig. Einerseits die Militärmacht in Form der Legionen und andererseits die Volksgruppen, die neue Siedlungsgebiete suchten.

Grüße
 
Vielleicht war der Gallische Krieg des Julius Cäsar ja viel klarer, durchschaubarer und eindeutiger als die "zotteligen Verhältnisse" jenseits des Rheins.
Falls das auf ein mutmaßliches Aussehen der Germanen bezogen sein sollte: Rasiermesser sind in der Bronze- und Eisenzeit häufig mitgegebene Grabbeigaben. Du solltest also von durchaus gepflegt auftretenden Germanen und Kelten ausgehen.

Ein Tiberius eilt dem verunfallten und im Sterben liegenden Drusus zur Hilfe entgegen, anstatt sich über den bevorstehenden Tod eines (möglichen) Konkurrenten zu freuen
es war sein Bruder! Klar, wir kennen in der Geschichte - auch in der julisch-claudischen Familie - genug Verwandtenmorde, um Konkurrenten aus dem Weg zu räumen und mancher Erbschaftskonflikt heute kommt aus derselben Richtung dennoch sollten wir das nicht ausbaden Normalfall, sondern als die Abweichung von der Norm betrachten.

Verwundert bin ich über die Erwähnung dieser auf mich vollkommen nebensächlich wirkenden Ereignisse wie dieser Bienenschwarm im Römerlager oder die Prophezeiung der großen Germanin an der Elbe. Gab es nichts Wichtigeres/Bedeutsameres, als über diese Lappalien - so erscheinen sie mir - zu berichten? Eigenartig.
In einer Gesellschaft, in der Naturereignisse bis hin zum Vogelflug eine wichtige Rolle als gute oder schlechte Omen spielten, ist das wichtig, auch wenn der aufgeklärte Mensch das nicht verstehen mag. Germanicus war Augur und das Wort auguri bedeutet im Italienischen heute etwas wie ‚gute (Zukunfts)Wünsche‘, im Katalanischen ‚Omen‘.
 
Es ist so, als würde die USA mit ihrer Full Spectrum Dominance-Doktrin mit mehreren vollmechanisierten Divisionen in den Kongo/Zaire einmarschieren, um im Tropischen Regenwald einen modernen Panzerkrieg führen zu wollen, um am Ende Seltene Erden ausbeuten zu können.
So erscheinen mir die Bemühungen Roms mit der damals stärksten Streitkraft der Welt, Germanien zu unterwerfen und zivilisieren zu wollen.
Oder es war eine Hybris des Kaiser Augustus und seiner Nachfolger, eine unbesiegbare Supermacht zu sein.
Du übersiehst dabei, dass die Kongolesen nicht ständig Raubzüge über die gemeinsame kongolesisch-us-amerikanische Grenze organisieren.
 
Okay, das sehe ich ein.
Das Römische Reich hatte eine lange Grenze und war ständigen Bedrohungen und Unruheherden von außen ausgesetzt. Daher musste man sicherlich seinen Fokus setzen und konnte unmöglich überall gleichsam präsent sein. Also es muss schon etwas Großes auf dem Spiel stehen, um die Rheinlegionen aus ihrer Grenzschutzfunktion abzuziehen, für einen größeren Feldzug abzulösen und diesen gigantischen Aufwand zu betreiben, um eine ungewisse Expedition entlang des Hellweges ins Innere Germaniens zu wagen.

Daher die naheliegende Lösung, eben diesen Stellvertreterkrieg zu führen.
Vielleicht hatte man das ja auch im kleineren Maßstab versucht und es funktionierte nicht. Ein anderes Volk zu bewaffnen und möglicherweise militärisch auszubilden, hätte ja vielleicht auch zu einem Bumerangeffekt führen können.
Daher musste man es wohl mit eigenen Kräften und eigenen Verlusten durchführen.

Im WP-Artikel Drusus-Feldzüge hat man das Wagnis des Drusus ja auch angesprochen:

Auf dem germanischen Kriegsschauplatz konnten wichtige Ziele als erreicht gelten: Die Germaneneinfälle nach Gallien waren unterbunden; die Friesen, Brukterer, Chauken, Usipeter und Tenkterer hatten sich unterworfen; die Sugambrer wurden durch das Lager Oberaden militärisch kontrolliert. Darüber hinaus haben die Feldzüge das geographische Wissen erheblich erweitert, insbesondere über die Wasserwege und die Nordsee. Diesen Erfolgen stehen die Beinahe-Katastrophen der Flottenfahrt 12 v. Chr. und der Schlacht bei Arbalo gegenüber. Augustus war skeptisch geworden gegenüber dem riskanten Vorgehen des Drusus. Auch vor diesem Hintergrund dürfte dem Imperator an einer Beendigung des Germanieneinsatzes gelegen gewesen sein. Möglicherweise hatten die Ehrungen für Drusus auch den Charakter einer Abfindung an den „allzu waghalsigen Militär“.

Das ist natürlich die Erklärung dafür. Anscheinend hatte sich der Kosten-Nutzen-Aufwand für Rom doch gelohnt.
 
Tiberius zog am 1. Januar 7 v. Chr. im Triumphzug durch Rom und erhielt ein zweites Konsulat. Die Erweiterung des Pomeriums (sakrale Stadtgrenze Roms; eine Erweiterung steht symbolisch für eine Vergrößerung des Reiches) gestand dem abgeschlossenen Germanenkrieg „ausdrücklich auch eine räumlich relevante Dimension“ zu. Münzen wurden geprägt, die die Übergabe von germanischen Geiseln an Augustus darstellten. Die rechtsrheinische Lagerinfrastruktur wurde stark verändert: Sämtliche Stützpunkte des Drusus wie Oberaden, Beckinghausen oder Rödgen wurden aufgelassen, dafür entstanden neue Kastelle zum Beispiel in Haltern. Die Bilanz des fast fünfjährigen Ringens war aus römischer Sicht positiv: Die Gefahr germanischer Einfälle in Gallien war gebannt, die Streitkräfte der Stämme dezimiert und der militärische Aktionsradius der Legionen bis zur Elbe ausgedehnt. Die Umsiedlung der Sugambrer hatte den hartnäckigsten und mächtigsten Gegner in Rheinnähe ausgeschaltet und der Abzug der Markomannen und Quaden den Druck der suebischen Stämme beendet. Die Feldzüge haben die geographischen Kenntnisse der Römer enorm erweitert und die germanischen Landstriche zumindest in Teilen erschlossen. Dennoch war eine dauerhafte Befriedung der germanischen Stammeswelt nicht erreicht. Aufstände, die im Jahr 7 v. Chr. wegen der Radikalität der römischen Maßnahmen aufflackerten, konnte Tiberius noch rasch unterdrücken. Das immensum bellum der Jahre 1 bis 5 n. Chr. jedoch forderte Rom heraus und machte ein massives militärisches Eingreifen des Tiberius notwendig. Nach der clades Variana (9 n. Chr.), der vernichtenden Niederlage des Varus im Teutoburger Wald, sowie nach den verlustreichen Feldzügen des Drusus-Sohnes Germanicus in den Jahren 14 bis 16 n. Chr. verzichtete Tiberius, mittlerweile dem Augustus als Imperator nachgefolgt, endgültig auf das, was der junge Drusus unter hohem Einsatz zu erreichen versucht hatte: Die Beherrschung der westlichen Germania magna.
 
Natürlich färbten diese Feldherren ihre Taten zu ihren Gunsten ein, wollten sie auf den Thriumphzügen als glänzende Helden darstehen, die den Barbaren mal gezeigt haben, "wo Barthel den Most holt".
Man darf aber nicht vergessen, dass in der frühen Kaiserzeit (wie in der Republik) die Feldherren noch aus der Mitte der stadtrömischen Oberschicht stammten und die Offiziere ebenfalls noch aus der Mitte der römischen Gesellschaft. Das waren also Männer, die während ihrer Abwesenheit in brieflichem Kontakt mit der römischen Heimat standen (aus dem Gallischen Krieg ist ein Teil des Briefwechsels zwischen Cicero und einem jungen Militärtribunen in Caesars Heer erhalten, in dem durchaus auch militärische Aspekte angesprochen wurden) und irgendwann, sofern sie überlebten, nach Hause zurückkehrten. Somit war es kaum möglich, Berichte allzu sehr zu verfälschen, weil es genügend Augenzeugen gab, die die Wahrheit erzählen konnten.
Man nehme etwa Caesars Werk über seinen Gallischen Krieg: Klar versucht sich Caesar in ein gutes Licht zu setzen, aber Misserfolge werden dennoch nicht verschwiegen, nicht einmal solche, die Caesar selbst zu verantworten hatte wie den gescheiterten Angriff auf Gergovia.

Es könnte auch sein, dass die Römer mit den germanischen Verhältnissen vollkommen überfordert waren. Es widersprach vielleicht ihrem Ordnungssinn. Vielleicht war der Gallische Krieg des Julius Cäsar ja viel klarer, durchschaubarer und eindeutiger als die "zotteligen Verhältnisse" jenseits des Rheins.
Völkerwanderungen, keine klaren Verhältnisse, Stämme|Ethnien verlagern/verschieben ihre Wohnsitze (die Cherusker waren anscheinend mehr oder weniger ortstreu), sind mal romfreundlich und im nächsten Moment wieder aufsässig. Man konnte anscheinend mit Gefolgsherren, Stammesfürsten etc. mal verhandeln, mal bekam man von den gleichen Leuten einen Dolch in den Rücken.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Kriegsführung in Gallien und der in Germanien war, dass es in Gallien Oppida, also städtische Siedlungen, gab, die man belagern und in denen man den Feind festnageln konnte. Ansonsten waren die Probleme durchaus vergleichbar: Auch in Gallien gab es Stämme mit unklaren oder wechselnden Führungsstrukturen, die mal romfreundlich, mal romfeindlich waren, oder in denen es mächtige Gefolgsherren gab, die ihr eigenes Ding machten.

Ein Tiberius eilt dem verunfallten und im Sterben liegenden Drusus zur Hilfe entgegen, anstatt sich über den bevorstehenden Tod eines (möglichen) Konkurrenten zu freuen und vielleicht an einem anderen Brennpunkt des Römischen Reiches, gegen die Parther oder was weiß ich wo Stärke zu zeigen und sich zu engagierten.
Tiberius konnte doch nicht selbst entscheiden, wo er sich engagieren wollte.

Verwundert bin ich über die Erwähnung dieser auf mich vollkommen nebensächlich wirkenden Ereignisse wie dieser Bienenschwarm im Römerlager oder die Prophezeiung der großen Germanin an der Elbe. Gab es nichts Wichtigeres/Bedeutsameres, als über diese Lappalien - so erscheinen sie mir - zu berichten? Eigenartig.
"Lappalien" sind das aus heutiger Sicht, nicht aber für die Römer. Für sie waren "Vorzeichen" aller Art (bzw. alles, was dafür gehalten wurde oder - bei Bedarf - als solches ausgegeben werden konnte) als vermeintliche Manifestation des Übernatürlichen von eminenter Bedeutung. Immerhin konnten sogar Wahlen (und erst recht Beschlüsse der Volksversammlung) für ungültig erklärt werden, wenn die Vorzeichen (angeblich) ungünstig waren. Religion, Politik und Krieg - all das war für die Römer eng verwoben. (Caesar war nebenher Pontifex maximus, also oberster Priester, und Cicero Augur, also Vogelschauer.)
Daher darf es einen nicht verwundern, wenn römische Autoren eifrig über Vorzeichen schrieben. Beliebt war es z. B., über Vorzeichen zu berichten, die sich vor oder bei der Geburt oder in der Kindheit oder Jugend einer später wichtigen Persönlichkeit zugetragen haben sollen und die bereits auf ihre Karriere hingedeutet haben sollen. Noch Cassius Dio erwähnte in seinem Werk eifrig diverse Vorzeichen, und noch in der Spätantike verfasste ein gewisser Iulius Obsequens ein Werk, in dem er diverse von Livius erwähnte Vorzeichen exzerpierte.

Nebenbei: Es gibt übrigens keinen Grund, mit Kopfschütteln auf die heidnischen Römer herabzusehen. Auch mittelalterliche Annalen erwähnten oft allerhand "Vorzeichen" wie astronomische Phänomene oder auffällige Missgeburten. Aber auch darauf muss man nicht verächtlich herabblicken, bringen doch noch heute manche Tageszeitungen Horoskope.
 
Ich bleibe dabei, dass sie doch mit einem klassischen Stellvertreterkrieg (Chatten hochrüsten, Brukterer ausbilden mit modernen Kriegsmaterial ausstatten) zu einem sehr viel geringeren Preis eventuell auch Erfolge erzielt hätten.
Alles relativ "gemütlich" von diesseits des Rheins aus gesteuert und vor allem unter Schonung der wertvollen römischen Legionen, die man für eine mögliche Invasion auf das Römische Imperiums an mehreren Stellen bereithält.
Daher die naheliegende Lösung, eben diesen Stellvertreterkrieg zu führen.
Vielleicht hatte man das ja auch im kleineren Maßstab versucht und es funktionierte nicht. Ein anderes Volk zu bewaffnen und möglicherweise militärisch auszubilden, hätte ja vielleicht auch zu einem Bumerangeffekt führen können.
Daher musste man es wohl mit eigenen Kräften und eigenen Verlusten durchführen.
Wie Du selbst schon erkannt hast, ist es immer riskant, einen "Stellvertreter" hochzurüsten. Der Verbündete von heute kann der Feind von morgen sein. Das wussten schon die Römer und misstrauten auch ihren Verbündeten und wachten darüber, dass sie nicht zu stark wurden.
Bei Germanien kamen noch die von Dir bereits angesprochenen unklaren Strukturen dazu. Wenn ein Verbündeter wenigstens halbwegs zuverlässig und kontrollierbar sein soll, braucht man zumindest einen festen Ansprechpartner, der diesen Verbündeten tatsächlich im Griff hat. Die Römer versuchten durchaus immer wieder, bei benachbarten Stämmen "Könige" (und zwar Personen, die sie kannten, die vielleicht sogar in Rom erzogen worden waren) zu installieren, aber ohne dauerhaften Erfolg. Somit blieb es dabei, dass die meisten Stämme keine feste Führung hatten, mitunter innerhalb eines Stammes mächtige "Adlige" mitsamt ihren Gefolgschaften unterschiedliche Politiken betrieben, oder sich gar Stämme auflösten, wanderten oder sich neu formierten.
 
Wenigstens kurz:

Die Römer zogen sich nicht vollständig zurück:

1- Es gab trotz der völlig anderen Verfassung 'Klintelstaaten:'
---- Friesen, Chauken und einige weitere Stämme blieben in verschiedenen Vertragsverhältnissen und waren teils tributpflichtig. Abgaben wurden bei Friesen und Chauken vom römischen Militär eingetrieben.
---- Bei vielen Stämmen wie den Markomannen wurde die Königsauswahl von Rom beeinflusst.
2- Rom galt als Ordnungsmacht:
---- Stämme wandten sich bei Problemen an Rom.
---- Vor bestimmten Aktionen, wie der von Rom abgelehnten Vergiftung des Arminius wurde in Rom nachgefragt.
---- Selbst die Cherusker erbaten sich einen König von Rom.
3- Im Vorfeld der Grenze angesiedelte Stämme hatten Auflagen zu beachten.
4- Ein Streifen rechts des Rheins wurde nicht nur freigehalten, sondern diente dem Heer dazu, Vieh zu weiden.
5- Es fanden, wenn nötig Aktionen rechts des Rheins statt. Dort gab es auch Patrouillen.
6- Linksrheinisch wurde ein Militärbezirk eingerichtet, der dann geteilt und in die germanischen Provinzen umgewandelt wurde.

Es gab in Rom also durchaus eine Vorstellung, wie mit der Situation umzugehen war, ohne Truppen zu verheizen.

Aber hatte ich nicht geschrieben, dass wir nicht wissen, ob die Autoren sich mit der 'Einteilung' der germanischen Stämme wirklich auskannten?

Nun, Rom formte sich die Gemeinwesen in gewisser Weise zurecht, zumal ja bei ihrem Erscheinen Veränderungen im Gang waren. Plinius und Tacitus schrieben, als das schon fortgeschritten war, es vermischen sich bei ihnen Nachrichten verschiedener Zustände, wie wahrscheinlich bei der Einteilung nach dem Mannusmythus. Aber Drusus und Tiberius müssen das ebenfalls nicht durchschaut haben. Auch europäische Kolonialherren ignorierten so etwas häufig. Es wurde wohl einfach angenommen, was Rom nutzte. Jedenfalls wird das so oder so ähnlich oft angenommen. Darauf fußende Vermutungen dürfen nicht zu weit gehen, da es eben nicht bewiesen werden kann.
 
Wie ich schon schrieb, stellst du die richtigen Fragen. Nur sind eben immer so viele Aspekte berührt, dass da viel zu erklären ist.

Dass da vieles einfach nicht vermittelt wird, ist ja nicht deine Schuld.
 
Ich bin halt sehr neugierig und versuche mir ein möglichst umfassendes Bild über diese Zeit zu machen.
 
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