Hi Reineke,
ja, ich weiß, dass es so ist oder vielleicht einmal so war. Und dennoch es ist dieser Gedankengang: wer weltliche und geistige Macht trennt, herrscht doppelt. Vielleicht aber auch total abwegig.
Okay, bei den Germanen wissen wir es nicht, das stimmt.
Und wie war es bei den Römern? Von der Republik ins Prinzipat und auf einmal sieht Kaiser Augustus immer mehr seine Nähe zum Göttlichen. Die Senatoren knien vor ihm, "Salve Caesar". Die Verehrung nimmt überirdische Züge an. Dann wird er in den ersten Provinzen schon als Gottheit verehrt.
Zuerst er, dann Livia Drusilla als Diva Augusta. Tempel, die ihnen geweiht werden etc.
Tiberius hielt sich wohl eher für einen Menschen. Und Caligula - wenn die Geschichte von seiner Geisteskrankheit tatsächlich stimmt, wird ja immer wieder angezweifelt, hielt sich dann tatsächlich für Jupiter, seine Schwester Drusilla dann gleich mit. Na ja, die Apotheose von Menschen, die niemals so etwas wie Machtbegrenzung erfahren und dann bei der ganzen Ehrerbietung, wenn Senatoren und Noble vor einem im Staub rutschen, vielleicht kommt das dann ganz automatisch:
"Ich bin ein unsterblicher Gott!"
Also eine Folge von extremen Narzissmus und als Stufe der Vollkommenheit dann die Vergötterung.

Ist die Trennung von weltlicher und klerikaler Macht nicht die clevere Herrschaftsform, bei der man das Volk so vielleicht doppelt ausbeuten kann.
Staatsmann und Gott, ist das nicht zu durchschaubar?
Also ich kan das nicht nachvollziehen aber sicherlich gibt es eine gute Erklärung dafür.

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Theokratie passt meiner Meinung nach nicht zur Lebensweise der Cherusker|Germanen.
Sippenchefs|Großbauern, die gleichzeitig germanische Gottheiten verkörpern. Vielleicht fehlt dazu die Entwicklungsstufe, sprich einen Hofstaat wie bei Augustus, Beamtenapparat und eine höchst arbeitsteilige Gesellschaft.
Gut begründen kann ich das aber auch nicht.
 
Es gab diesen Gedanken tatsächlich schon in der Antike. Plutarch deutet in seiner Numa-Pompilius-Biographie mehrmals an, dass er einige von den angeblich zu dessen Zeit geschehenen Wunder für geschickte Tricks hält, um das Volk zu vernünftigen Entscheidungen zu motivieren. Auch im Zusammenhang mit römischen Auspizien wurde manchmal der Verdacht angedeutet, dass der Senat oder einzelne mächtige Männer Einfluss auf die Ergebnisse nähmen. Eine von Cicero dem älteren Cato zugeordnete Anekdote, wonach dieser sich gewundert habe, dass ein Haruspex nicht lächeln müsse, wenn er einen anderen sehe, ist als "Lächeln der Auguren" sogar sprichwörtlich geworden.

Dennoch ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass Religion in der Antike bloß als Herrschaftsmittel genutzt wurde. Römische Laren als Schutzgötter einer Familie oder eines Ortes wurden beispielsweise stark verehrt, und damit war sicher auch die Hoffnung auf echtes Wohlergehen verbunden. Auch die römische Praxis, Götter feindlicher Völker sozusagen zum "Umzug" zu bewegen, dürfte auf einen echten Glauben an die Macht dieser übernatürlichen Wesen hindeuten.

Natürlich gab es den Aspekt, dass durch die Götter die bestehende Ordnung bestätigt wurde, und wenn ein König oder Kaiser göttliche Ehren erhielt - im griechischen Bereich nicht selten als Würdigung einer "Großtat" - wird man wohl annehmen können, dass diese Funktion den Handlungsträgern auch bewusst war. Manfred Clauss hat aber nicht zu Unrecht darauf verwiesen, dass eine von machtvollen numinosen Wesen erfüllte Welt den Herrscher auch abseits davon mit der Götterwelt in Verbindung bringen konnte, ohne dabei heucheln zu müssen. Vielleicht ist das ein wenig mit dem "Starkult" unserer Tage oder dem "Geniekult" des 18., 19. und frühen 20. Jh. vergleichbar. Außerdem war in der antiken Welt Verehrung immer auch mit einer reziproken Verpflichtung verknüpft; der divus Augustus musste also auch wirklich als Friedensstifter und Wohltäter auftreten, wenn man ihn schon so lobpries.
 
Im Westen des Reichs verbat sich Augustus eine göttliche Verehrung. Im Osten war die Verehrung des Herrschers so tief verwurzelt, dass das dort nicht opportun war.

Das ganze Leben des Menschen, der Jahreslauf, die Umwelt und die Gemeonschaft wurde als von überirdischen Mächten durchdrungen betrachtet. Wer für etwas verantwortlich war, hatte auch den Kontakt zur Götter- und Geisterwelt zu besorgen. Der Pater Familias für die Familie. Der Kaiser für das Reich.

Offizielle Priester waren auch für Aufgaben gedacht, nicht als ausschließliche Vermittler. Es gab Priester, die nur eine oder zwei Aufgaben hatten.

Unser Blick ist da sehr rational geworden. Doch das ist eine Ausnahme. Für die Mehrheit der Menschheit ist Religion wichtiger als der Staat und diesem übergeordnet. Nur damit im Hinterkopf ist Vieles zu verstehen, was in Russland, der Türkei und auch in den USA passiert.

Obwohl wir im Christentum den Ausspruch Jesu zur Unterscheidung von dem, was Gott gehört, und dem, was dem Kaiser gehört, haben, ist da ja immer noch die Frage der Praxis. Der Koran fordert einen vom Islam geprägten Staat. Dennoch gab es in der Türkei eine Trennung.

Ein Joe Biden* kann politisch vom Katholizismus - etwa in der Abtreibungsfrage - abweichen, ohne dass er gebannt wird, weil er und der Papst als Grundvorraussetzung die Religionsfreiheit akzeptieren. Wie hätte solches ein Augustus gekonnt - in einer Gesellschaft, die alles ursächlich verbunden sah?

*Zu Atatürk ist mein Hintergrundwissen nicht groß genug, um ihn als illustrierendes Beispiel zu nehmen. Aber es war durchaus zu hören, dass ein neutraler Staat gut für den Islam sei, wenn gewisse moralische Standards eingehalten würden.
 
[YT-link/siehe Hinweise] Raubzug und Beute in Germanien - Vorlesung / Vortrag Alte Geschichte

Michael Zerjadtke zeigt es hier sehr gut. Das Prinzip, "Der Krieg ernährt den Krieg". Er zieht immer wieder Parallelen zu den Indianern Nordamerikas (bei denen wohl überwiegend der Pferdediebstahl). Beutemachen als Kriegstriebfeder. Der gewaltsame Raub als Lebensform/-grundlage.
Was ich nicht verstehe, wenn Rinder mit einem tatsächlichen Nutzen Besitztum ausdrücken, welchen Prestigewert hatten dann römische Gegenstände? Römische Waffen ja, um den anderen schlecht ausgerüsteten Gegnern überlegen zu sein aber Schmuck, etc. in einer Welt, die noch kein Geld kannte? Oder haben Römer überhaupt diese materiellen Begehrlichkeiten überhaupt erst geweckt?
Helvetier und Germanen im ständigen Kleinkrieg. Er spricht von täglichen Raubzügen.
Sehr interessant ist der Brauch der Mitgift des Bräutigams an seine Braut (13, 14, 15 Jahre alt) - dachte immer, dass sei umgekehrt aber okay. Also Kriegsbeute als Mitgift des Mannes, um die Sippe der Braut nach eigehender Prüfung zufrieden zu stellen und die entscheiden dann, ob die Ehe zustande kommt oder halt nicht. Ist das plausibel?
Wo soll das Brautgeld herkommen? Der Bräutigam in spe muss also Güter sammeln. Nachbarn überfallen und ihnen die Rinder und Pferde zu stehlen, um die Mitgift stellen zu können.
 
Eine Sache ist mir noch dazu eingefallen: sind Völker die überwiegend von der gewaltsamen Aneignung von Besitztümern anderer Dörfer, Stämme, Ethnien leben nicht irgendwann zwangsläufig zum Scheitern verurteilt oder gar dem Untergang geweiht?
Wie lange kann das denn gut gehen? A raubt von B, diese wiederum von C ...
Allein der Unfrieden, der durch diesen Dauerzustand geschaffen wird. Wahrscheinlich war es aber kein Dauerzustand.
 
Was ich nicht verstehe, wenn Rinder mit einem tatsächlichen Nutzen Besitztum ausdrücken, welchen Prestigewert hatten dann römische Gegenstände? Römische Waffen ja, um den anderen schlecht ausgerüsteten Gegnern überlegen zu sein aber Schmuck, etc. in einer Welt, die noch kein Geld kannte?

Gibt es irgendwo auf der Welt Menschen, die keinen Schmuck kennen? Welchen Wert hat überhaupt Schmuck? Damit kann man weder Hunger noch Durst noch Schmerz stillen. Warum besitzt jemand zwei Reitpferde, obwohl er nur auf einem reiten kann? Warum schenkt er das zweite Pferd nicht einfach seinem Nachbarn, der keines hat?
 
Sorry, wenn ich nochmal darauf herumreite. Ich glaube Maglor hat einmal die Ausgrabungen der Dorfwurt Feddersen-Wierde im LK Cuxhaven erwähnt, es war anscheinend im Thread "Barbaren" und irgendwie darauf auf die Cherusker geschlossen.
Lieber Maglor, bitte um Korrektur, wenn ich Dich da falsch zitiere.
LK Cuxhaven, das müsste so etwa im damaligen Siedlungsbereich der Chauken oder Langobarden gelegen sein. Also der Nordseegermanen, die aufgrund der Küstennähe wahrscheinlich eine andere Lebens- und Wirtschaftsweise als die Cherusker als Kontinentalgermanen gehabt hatten.
Küste, Gezeiten, Sturmfluten, Grasland, andere Möglichkeiten für Nutzvieh und Nutzpflanzen als im Mittelgebirge.

Kamen die Cherusker nicht ursprünglich auch aus dem nordeuropäischen Raum, hatten also in ihrer Vorzeit nicht auch die Lebensweise der Angeln, Jüten & Co., als sie im Zeitraum XX ins Mittelgebirge einwanderten, in einen kontinentalen Lebensraum mit anderen klimatischen Gegebenheiten und sich dort anpassten.
Ein anderer Lebensraum hat natürlich Einfluß auf alles. Aus den Nordseegermanen aus der weitläufigen Graslandschaft werden im Laufe der Zeit Rhein-Weser-Germanen, die sich an das Mittelgebirge anpassen.
Andere Wirtschaftsweise, andere Populationen, Ressourcen für mehr oder weniger Menschen, kleinere oder größere Familien, Sippen usw. Vielleicht wurden die ursprünglichen Langhäuser kleiner etc.
Man müsste ein typisches Friesendorf mit einem Cheruskerdorf aus einem Flußtal vergleichen aber genau das ist nach der heutigen Kenntnislage leider nicht möglich.

Was ist bekannt? Konrad Göttig: Aspekte historischer Siedlungs- und Verkehrsgeographie im Leinetal während der römischen Okkupationszeit
Germanen in Südniedersachsen
Großflächige Siedlungsgrabungen, die nähere Aufschlüsse über das Siedlungswesen liefern könnten, wurden kaum vorgenommen.
Fuhrmann und Steinmetz gehen davon aus, dass bisher höchstens 10% aller ehemaligen Siedlungsstellen im Leinegebiet bekannt geworden sind. Die kaiserzeitlichen Siedlungen stellten in der Regel keine stabilen, dauerhaften Ansiedlungen dar, sondern wurden oft nur eine oder mehrere Generationen lang bewohnt.
Fuhrmann/Steinmetz verdeutlichen, dass während der Römischen Kaiserzeit im südlichen Niedersachsen die Fundstellen sich in folgenden Regionen konzentrieren: nördlich des Harzes, westlich des Hildesheimer Waldes, von Hameln bis Holzminden, in der Region Einbeck und um Göttingen. Dies dürfte den naturräumlichen Vorgaben (Topographie, Böden, Klima) zu schulden sein. Wie bereits angedeutet, sind die Siedlungskammern durch ungenutzte Bereiche voneinander getrennt. Die Siedlungsstellen finden sich vor allem entlang der Flüsse wie Innerste, Fuhse, Oker und Leine, wobei die Leine anscheinend auch als Verkehrsweg am bedeutendsten gewesen ist, da gerade entlang dieses Flusses eindeutige Siedlungskonzentrationen zu beobachten sind.
 
Einige Zitate aus Göttig sind durchaus diskussionswürdig und die würde ich Euch gerne nahebringen:
So berichtet Tacitus von einer Auseinandersetzung zwischen den Stämmen der Chatten und Hermunduren, bei der es um den Besitz von Salzquellen ging. Salzstöcke sind aus dem nördlichen Innerste-Bergland, vor allem um Bad Salzdetfurth (elf Salzquellen), aus Salzderhelden und Sülbeck bekannt
Das Klima um Christi Geburt und in den folgenden zwei Jahrhunderten wird bisher meist als siedlungsgünstig eingeschätzt. [...] ausgewogenes mildes Klima mit ständiger Verfügbarkeit von Wasser, das heißt auf regelmäßige Niederschläge, hin.
Das deckt sich ja auch mit den Aussagen hier im Forum.
[...] wobei die Ältere Römische Kaiserzeit tendenziell etwas wärmer und trockener war. [...]
Wie auch immer das gemeint ist bgl. Temperatur und Niederschlagsmenge
Die Cherusker sind lange einer Konfrontation mit den Römern ausgewichen.[...]zogen sie sich beim Anrücken der römischen Legionen auf das Ostufer der Weser zurück. Im Jahre 4. n. Chr. unterwarfen sie sich den Truppen des Tiberius. Vermutlich entstand damals ein Klientelvertrag zwischen ihnen und dem Römischen Reich, wie aus der Überlieferung des Gesprächs zwischen Arminius und seinem Bruder Flavus an der Weser im Jahre 16 n. Chr. zu erschließen ist.
Die Chatten hatten besonders unter den römischen Feldzügen zu leiden. Bereits der erste Kriegszug der Römer, der unter dem Feldherrn Drusus im Jahre 11-10 v. Chr. bis zu Elbe führte, begann auf ihrem Territorium. Ihre Siedlungsgebiete im Nordosten von Mogontiacum wurden wiederholt in die Kriegshandlungen einbezogen.
Also generalisiert: die Cherusker wichen einer Konfrontation mit den Römern aus und die Chatten suchten sie, obwohl sie zu einer bestimmten Zeit romfreundlich waren. Wir sehen, das wechselt sich häufig ab.
Das latène-kaiserzeitliche Scheiterhaufengräberfeld bei Sorsum, Stadt Hildesheim sowie zur Ethnogenese der Cherusker (Schriftenreihe des Landesmuseums für Natur und Mensch Oldenburg) Taschenbuch – 1. Januar 2011 - Literaturtipp
Galeriegrab von Sorsum – Wikipedia Galeriegrab von Sorsum
Seine Belegung setzt in der Mittellatènezeit ein und sie endet in der Jüngeren Kaiserzeit. Innerhalb dieses Zeitabschnittes haben sich hier in der ausgeübten Bestattungssitte keinerlei feststellbare Veränderungen ergeben, was von Seiten der Archäologie die Schlussfolgerung erlaubt, dass die Bevölkerung über den genannten Zeitraum hinweg sehr wahrscheinlich dieselbe geblieben ist. Kehne stellt aus althistorischer Sicht die Frage, wer die Bewohner des Gebietes zwi-schen Mittelweser und Leine in der Mittellatènezeit, in der Spätlatènezeit und der Älteren Römischen Kaiserzeit waren. Ein erstes detailreiches Bild des westlichen Germanien vermittelt uns die „Geographica“ Strabons, die in augusteischer Zeit geschaffen wurde. Erstmals werden hier die Flüsse Weser und Elbe sowie eine ganze Reihe dort lebender Stämme genannt und lokalisiert.
Das ständige Zentrum des cheruskischen Stammes lag im Tal der Leine. Im Norden reichte ihr Siedlungsgebiet wohl nicht einmal bis zu der in späterer Zeit stets als Grenze fungierenden Weser-Aller-Linie, im Osten nicht weiter als bis zur Oker, bzw. bis zum Harz, im Süden etwa bis zum Knick der Leine vor den Mittelgebirgen, im Westen über die Weser hinaus bis ins westliche Weserbergland.
Zentrum im Leinetal, hier wird es explizit genannt.
Die Siedlungskonzentrationen in Südniedersachsen lagen jeweils eindeutig in den Flusstälern, dabei meist entlang der hochwasserfreien Höhenrandzone (Bild 4). Die höheren Lagen blieben insbesondere zwischen Leine und Weser, aber auch nach Osten hin weitgehend unbesiedelt.

Na ja, sind jetzt nicht die großen Erkenntnisse, wollte sie nur mal genannt haben.

Ich stelle mal die Vermutung auf, dass um Salzquellen und fruchtbare Böden hart gekämpft wurde.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zunächst mal zu Goettig: Der ist ein umtriebiger Re-Enacter, Deutsch- und Erkundelehrer, aber kein Archäologe, gleichwohl er sich da durch seine handwerklichen Nachbauten in der Szene ein gewisses Renommee verdient hat und recht bekannt ist. Seine Bücher sind nicht lektoriert (> Grin-Verlag). Was er also schreibt, ist gefilterte Wiedergabe.

Zumindest ein Satz, den du von ihm zitierst, ist in sich widersprüchlich:

Goettig schrieb:
Die kaiserzeitlichen Siedlungen stellten in der Regel keine stabilen, dauerhaften Ansiedlungen dar, sondern wurden oft nur eine oder mehrere Generationen lang bewohnt.

Dass es sich um keine Steinhäuser, sondern um Ständerbauten aus Baumstämmen mit Flechtwerkwänden und Reetdach oder holzgeschindeltes Dach handelt, ist klar. Aber die Aussage, dass es sich um „keine stabilen dauerhaftem Ansiedlungen“ gehandelt habe, ist irgendwie schon seltsam, selbst dann, wenn ein Haus „nur“ eine Generation bewohnt war. So ein Ständerbau steht gut und gerne 100 Jahre, also vier bis fünf Generationen. Ab wann ist ein Haus stabil? Wenn nach 2000 Jahren seine Mauern noch immer aufrecht stehen? Ab wann dauerhaft? Wenn mehr als sechs Generationen darin gelebt haben?

Also generalisiert: die Cherusker wichen einer Konfrontation mit den Römern aus und die Chatten suchten sie, obwohl sie zu einer bestimmten Zeit romfreundlich waren.
Also das steht in den von dir vorgebrachten Zitaten bei Goettig nicht, so wie du das zusammenfasst. Dass die Cherusker sich hinter die Weser zurückgezogen hätten, sehe ich nicht so klar, wie Goettig. Dass die Chatten die Konfrontation mit den Römern gesucht hätten (ich diskutiere hier nicht, ob sie haben oder nicht, sondern deine Wiedergabe von Goettig), steht dort, in dem vorgebrachten Zitat, nicht, sondern, dass die Römer ihre Feldzüge durch das Gebiet der Chatten unternahmen. (De facto hatten die Römer Kriegshandlungen sowohl mit Cheruskern als auch Chatten.)


Das latène-kaiserzeitliche Scheiterhaufengräberfeld bei Sorsum, Stadt Hildesheim sowie zur Ethnogenese der Cherusker (Schriftenreihe des Landesmuseums für Natur und Mensch Oldenburg) Taschenbuch – 1. Januar 2011 - Literaturtipp
Galeriegrab von Sorsum – Wikipedia Galeriegrab von Sorsum

Zwischen dem Galeriegrab (neolithisch!) von Sorsum, dass du hier verlinkst und dem Gräberfeld (mittlere La Tène bis jüngere Kaiserzeit) von Sorsum liegt eine Lücke von etwa 2.200 Jahren, also mehr Zeit als zwischen uns und Augustus. Das Galeriegrab liegt südwestlich von Sorsum, das Gräberfeld nördlich.
 
Hi El Quijote,
vielen Dank für Deine Einordnung. Ich hatte einfach mal wieder viele Dinge unkritisch übernommen.
 
Sorry, wenn ich nochmal darauf herumreite. Ich glaube Maglor hat einmal die Ausgrabungen der Dorfwurt Feddersen-Wierde im LK Cuxhaven erwähnt, es war anscheinend im Thread "Barbaren" und irgendwie darauf auf die Cherusker geschlossen.
Lieber Maglor, bitte um Korrektur, wenn ich Dich da falsch zitiere.
Es ging mir vor allem darum, dass die Dorfwurt Feddersen-Wierde besonders gründlich erforscht wurde und dort auch spektakuläre Entdeckungen gemacht worden sind. Das liegt auch an den Bodenverhältnissen in der Küstenregion, die den Erhalten von Holz begünstigen.
Ähnlich gut erhaltene Siedlungen wird man in Südniedersachsen wahrscheinlich nie finden.

Götting weist in einigen der von dir zitieren Passagen darauf hin, dass die Siedlungen im Leinetal kaum erforscht sind.

Es ist jedenfalls paradox. Während die Cherusker in den schriftlichen Quellen als wichtiger Stamm daherkommen, ist die archäologische Fundlage in Südniedersachsen völlig unspektakulär.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo liebe Leute,

ich hätte noch einmal eine Verständnisfrage.
Es heißt, die Germanen hätten keine Nation, keinen Großverband oder was auch immer gebildet. Das ist ja die allgemein herrschende Lehrmeinung. Sprich der gemeinsame gleiche Nenner wie ähnliche Sprache|Mundart, Lebens- und Wirtschaftweise, Gesellschaftsstruktur, Religion, all dies war nicht ausreichend, um eine "Zugehörigkeit" zu bilden.
Es hat die Stämme anscheinend mehr getrennt als geeint und die Römer hatten in der Beziehung leichtes Spiel die Stämme gegeneinander auszuspielen.

Praktisch aufgedröselt:
Germanicus überfällt die Sugambrer oder falls es die schon gar nicht mehr gab, die Marser. Seine Legionen brennen die Dörfer nieder und massakrieren die Bevölkerung am Tamfana-Heiligtum.
Normalerweise müsste Solidarität in ganz Germanien herrschen, doch aufgrund des Flickenteppichs keinerlei Einheit, keine Allianz, keine Koalition nichts.

Dies macht Kunde bei den anderen Stämmen. Jetzt reagieren die Stammesoberhäupter ganz unterschiedlich. Die Friesen sagen: "Watt geiht mi datt an? Loot di mal mooken.", die Chauken stimmen zu. Die Cherusker: "Laß uns abwarten, wie weit die Römer kommen. Sollte es für uns bedrohlich werden, erst dann stehen wir den Sugambrern|Marsern bei". Die Chatten: "Rom ist gefährlich. Wir werden uns da konsequent raushalten."
Die am weitesten entfernten Hermunduren: "Die Marser sind unsere Brüder. Wir schicken zwei Gefolge, Kriegerhaufen oder was auch immer, um zu verhindern, dass die Römer wieder an der Weser, Leine, Aller, weiß der Geier stehen."

Es heißt doch die Heiratspolitik der Fürstenhäuser (Chatten mit Cheruskern) hätte zu neuen Verbindungen geführt und eine Sippe A, die mit Sippe B verschwägert ist, fühlt sich verpflichtet, Sippe B in einem Kriegsfall zur Seite zu stehen. Also gab es doch eine Art "Netz", welche Teile des Flickenteppichs zusammenhält.

Die bloße Tatsache, dass sich Arminius und Marbod eben nicht zu einem gemeinsamen Heer zusammenschlossen, um eben gemeinsam erst einmal militärische Erfolge gegen die Römer zu haben. Ob man sich danach wieder zersplittert, zerstreitet, das ist doch eine ganz andere Sache.
Die Afghanen waren sich doch auch einig: gemeinsam gegen die ausländischen Besatzer. Untereinander heillos zerstritten aber für eine gemeinsame Sache vereint.

Das will mir nicht in den Kopf hinein, dass die Geschichte da so völlig konträr lief.
 
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Ich denke dass Du viel hineinprojizierst wo die Quellen dürftig sind.
Die archäologischen Befunde wiederum geben kaum oder gar keinen Hinweis auf eine Stammesidentität.

Wir sehen nur Befunde einer überwiegend ländlichen und landwirtschaftlich geprägten Besiedelung.
Keine Hinweise auf Zentralität, Kultstätten, Elitenbildung. Natürlich auch keine Hinweise auf zentrale Waffenproduktion, Planung. Ein Highlight ist schon wenn ein Angrivarierwall erwähnt wird, den muss ja jemand geschippt haben.

Was ich meine ist: Wir haben zu viel Mutmassungen. Ohne Erschließung neuer Quellen und ohne archäologische Befunde kommt man da nicht weiter. "Die Cherusker" ist eine Chimäre.
 
Es heißt, die Germanen hätten keine Nation, keinen Großverband oder was auch immer gebildet. Das ist ja die allgemein herrschende Lehrmeinung.

Dieser Satz macht schon Bauchschmerzen, weil du politische Konzepte der Neuzeit, des 18. bis 20. Jhdts. auf die Völkerschaften der Antike überstülpst.

Sprich der gemeinsame gleiche Nenner wie ähnliche Sprache|Mundart, Lebens- und Wirtschaftweise,
Der Bergmann in der Lausitz hat vielleicht mehr mit dem Goldgräber im Kongo gemein als mit einem Fischer an der Nordsee, der wiederum mehr mit dem senegalesischen Fischer gemein hat. Das kann nicht nationskonstituierend sein.


Wenn du deine ganze These mal von der Makroebene herunterbrichst: unsere Nachrichten schon über die Cherusker zeigen, dass diese in sich uneins waren, wie mit den Römern umgegangen werden solle. Inguiomer, Arminius‘ Onkel, scheint mal auf römischer Seite, mal auf Arminius‘ Seite gestanden haben und ist Arminius später zu Gunsten von Marbod „von der Fahne gegangen“. Arminius‘ eigener Bruder blieb den Römern treu, bis angeblich dahin, dass die beiden Brüder sich in der Weser hätten gegenseitig an die Gurgel gehen wollen. Chauken in Germanicus‘ Heer klagt Tacitus hingegen an, sie hätten Arminius trotz seines zur Tarnung blutverschmierten Gesichts erkannt und absichtlich entkommen lassen (es ist kaum auszumachen, ob an der Geschichte was dran ist oder ob es sich um eine Dramatisierung handelt.).
 
Ja, Ihr habt ja vollkommen recht und die Geschichte zeigt ja auch, dass es so gewesen war.

Vielleicht war es ja auch ein Informationsproblem.
Germanicus steht am Rhein und es gibt natürlich keinen allgemeinen Informationsfluss, so dass jedes Stammesoberhaupt die gleiche Informationsebene hat. So kommt es zu unterschiedlichsten Reaktionen.

Aber nehmen wir mal das Massaker am Tamfana-Heiligtum als Symbol dafür, was Römer mit Unterworfenen machen, wenn sie dazu die Möglichkeit haben bzw. die Gelegenheit bekommen. Kooperieren oder sterben. Das hätte doch die Runde machen müssen.
Oder ich liege da falsch und die rigorose Kriegswirklichkeit, die die Römer nach Germanien gebracht hatten, herrschte schon vorher bei den Konflikten zwischen den Stämmen vor und auch zwischen denen gab es Vernichtungskriege, die weit über einen üblichen Raubzug hinausgingen.
Aber ausgerechnet dieses Schänden eines Heiligtums und das Niedermachen von Wehrlosen, hätte doch eigentlich übereinstimmende Empörung auslösen sollen.
Es sei denn, die Stämme wären miteinander auch so umgesprungen.

Und das ist es, was ich nicht begreife.
 
Also die simple Botschaft an jeden Ubier, jeden Tenkterer, jeden Friesen: "Möchtest Du auch so enden wie die Marser am Tamfana-Heiligtum? Schau Dir an, was sie dort gemacht haben! Es gibt nur einen einzigen gemeinsamen Feind und das sind die Barbaren aus Rom!"

Das wäre für mich die logische Reaktion.
 
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