Ich komme aus einer, man kann sagen fast ausschließlichen protestantischen Kleinstadt in Sachsen.
Habe weder von meinen Großeltern, noch Eltern und Anverwandten gehört, dass protestantischer Glaube mit den Ideen der Nazis konform geht.
Ich denke, das hängt sehr vom ganz persönlichen Umgang mit Religion ab. Ich bin auch in einem "protestantischen" Haushalt aufgewachsen und habe meine Kindheit trotzdem in der Überzeugung zugebracht, dass der Unterschied zwischen uns und den Juden kein anderer ist als der Unterschied zwischen uns und der katholischen Familie, in die meine Tante eingeheiratet hat. Jedenfalls ganz gewiss nichts, weswegen man Krieg führt oder Leute umbringt. Die anderen knien beim Beten, wir nicht. Die essen freitags Fisch, wir scheren uns nicht drum - und im Übrigen ist das sowieso egal, weil Fisch auch lecker ist. Trotzdem muss man, glaube ich, einräumen, dass der alte Luther - gerade weil er als eine so herausragende Persönlichkeit angesehen wurde - mit seinem Hass zu einer Stimmung beigetragen hat, die er selbst vielleicht gar nicht wollte.
Das heißt natürlich nicht, dass jeder Protestant automatisch naziverdächtig ist.
Ralf ... dass die Protestanten / prot. Kirche insgesamt gegenüber dem Nationalsozialismus anfälliger waren, ist meines Wissens nach in der Wissenschaft durchaus anerkannt.
Er schreibt im überigen auch, dass Hilter in den evangelischen Gebieten erfolgeicher war, als in den Katholischen.
"Bei allen Reichstagswahlen nach 1928 ist ein klar positiver, äusserst starker statistischer Zusammenhang zwischen dem Anteil evangelischer Wähler und den Wahlerfolgen der Nationalsozialisten zu beobachten.... "
Da habe ich meine Zweifel. In Nordirland haben viele Jahre lang Protestanten und Katholiken einander umgebracht. Das sieht auf den ersten Blick wie ein Religionskrieg aus. Es war aber keiner. Man müsste mal sehr genau überprüfen, ob die Zustimmung zur Nazi-Partei vielleicht von ganz anderen Faktoren abhing und die vorherrschende Konfession nur ein "Zufall" war. Anderes Beispiel: Muster-Tarifabschlüsse im Metallgewerbe werden üblicherweise im Bezirk Württemberg-Nordbaden gemacht. Bestehen die Arbeitgeber darauf, weil dort die Gewerkschaft weniger Mitglieder hat und weniger kampfkräftig ist? Nö. So ist es nicht. Sie wollen das, weil in Württemberg-Nordbaden ein vergleichsweise hoher Anteil von besser qualifizierten Gewerkschaftern lebt. Würde der Mustertarif im Ruhrpott ausgehandelt, wo der Anteil der "Billiglöhner" hoch ist, gäbe es ganz andere Abschlüsse. "Anders" in dem Sinne, dass die Gewerkschaft weniger auf prozentual-lineare Einkommensverbesserungen setzen und stattdessen verstärkt andere Methoden wählen würde. Mindestens 200 Euro mehr für jeden Beschäftigten, für alle Besserverdienenden 2 Prozent mehr.
Ob wir das nun Antisemitismus oder sonstwie nennen: Eklatant und gut sichtbar ist Luthers Feindschaft gegenüber Juden. Und das ist der eigentliche Kern.
Genau. Wenn das, was Luther gesagt (und gemeint!) hat identisch ist mit dem, was ein gemeiner Antisemit so absondert, dann muss man Luther einen Antisemiten nennen - auch wenn es zu seiner Zeit noch gar keine Antisemiten gab.
Ich zweifele da allerdings immer noch. Oder wieder. Luther ist ja wegen ganz anderer Sachen berühmt geworden. Sein Gerede über die angeblich so fiesen Juden kommt doch erst jetzt ins Gespräch. Jetzt, in einer Zeit, da wir selbstkritikfähig genug sind, um und ohne Selbstkasteiungsabsicht fragen zu können, wie es in diesem Land zu derartigen Ausfallerscheinungen kommen konnte. Vorher war das doch eigentlich nie ein Thema. Luther war - was die Juden betrifft - ein schrecklich hasserfüllter Mensch. Aber die Nazis brauchten nicht den Luther, um ihren eigenen Hass auszuleben. Auszumorden?
MfG