Müssen Nazi-Verbrechen "unerklärlich" sein?

Hurvinek schrieb:
Ich weiß nicht, ob die Deutschen Ende der 20-er/Anfang der 30-er Jahre Langeweile hatten.

Das weiß ich auch nicht.
Ich dachte auch eigentlich mehr an die heutige Neo-Nazi-Szene. Das hat aber nur entfernt mit dem Thema zu tun.
Für die Zeit Anfang der 1930er Jahre ist "Langeweile" wohl auch nicht das richtige Wort. Eher "Frust". Und dann kommt so ein "Trommler", der ständig auf die Juden "rumhackt", die an allem Schuld sein sollen.
Und trotzdem hat die NSDAP in den Wahlen von März 1933 "nur" 48% der Stimmen bekommen. Also haben über die Hälfte der Wähler noch gegen die Nazis gestimmt.
Wie dieser große Rest "eingefangen" wurde ist sehr gut in - "Geschichte eines Deutschen" von Sebastian Haffner - erklärt. Aufgrund von "Rafaels" Empfehlung in "Meine Lieblingsbücher" habe ich dieses Buch gerade gelesen. Wirklich sehr aufschlussreich.
 
Festus621 schrieb:
Und trotzdem hat die NSDAP in den Wahlen von März 1933 "nur" 48% der Stimmen bekommen. Also haben über die Hälfte der Wähler noch gegen die Nazis gestimmt.
Wie dieser große Rest "eingefangen" wurde ist sehr gut in - "Geschichte eines Deutschen" von Sebastian Haffner - erklärt. Aufgrund von "Rafaels" Empfehlung in "Meine Lieblingsbücher" habe ich dieses Buch gerade gelesen. Wirklich sehr aufschlussreich.


Das mit dem "nur" in Anführungszeichen ist gut. Die anderen 52 % von Wählern oder Bevölkerung haben eben nicht gegen die Nazis gestimmt ,sondern erst mal nicht für die Partei , das macht schon einen Unterschied denke ich.
Der Erfolg der Nazis und ihrer Verbrechensschraube basierte zum großen Teil auf Mitläufertum, Weggucker, klammheimlichen Revanchegelüstlern gegen alles Mögliche über die Versailler Auswirkungen hinaus bis schließlich ins private Denunziantentum
Der "Führer" wurde bald für die unerlösten Sehnsüchte breiter Bevölkerungskreise eine überparteiliche Heilsfigur ,hat schließlich das Parteiensystem aus den Angeln gehoben und wie einst Wilhelm II.vor dem 1. Wk , der keine Parteien mehr kannte , nur noch Patrioten -an gemeinsame Instinkte ,die seit dem 19. Jahrh. gepflegt wurden appelliert.Da liegt der Hase im Pfeffer.
 
Festus621 schrieb:
Und trotzdem hat die NSDAP in den Wahlen von März 1933 "nur" 48% der Stimmen bekommen. Also haben über die Hälfte der Wähler noch gegen die Nazis gestimmt.

Um genau zu sein, waren es sogar nur 43,9% NSDAP-Wähler. Das heißt aber nicht, daß alle anderen gegen die Nazis gestimmt hätten. 8% stimmten für die mitregierende Deutsch-Nationale Volkspartei und stimmten damit ebenso für die Hitler-Regierung.
 
Linker schrieb:
Erstens denke ich schon, dass ein Klima der Angst herrscht wenn überall Spitzel sind und man Angst haben muss in KZ zu kommen wenn man BBC hört. Aber darum ging es in meinem Beitrag gar nicht. Ich wollte nur daruaf verweisen, dass es "rational" ist wenn man politische GegenerInnen verfolgt, weil man damit abschreckt, während das nicht der Fall ist wenn man eine abgegrenzte Gruppe ermordet.

Lieber Linker,
ich habe mit meiner Großmuttee, die Rheuma hatte nächtelang über das Thema KZ diskutiert und sie gefragt: " Wie konntet Ihr das zulassen, dass unschukdige Menschen in die KZ kamen?" Sie bestritt, während der Nazizeit jemals von KZ gewußt zu haben. Wir lebten in Kassel-Bettenhausen in einem typischen Arbeiterviertel. Je ein Drittel der Wähler wählten Kommunisten, Sozialdemokraten oder Nazis. Kaufhäuser oder sonstige großen Geschäfte, die man zerstören oder plündern konnte waren nicht vorhanden. So mußte ich ihr glauben, von diesen Dingen erst nach Kriegsende gehört zu haben. :(
 
heinz schrieb:
Kaufhäuser oder sonstige großen Geschäfte, die man zerstören oder plündern konnte waren nicht vorhanden. So mußte ich ihr glauben, von diesen Dingen erst nach Kriegsende gehört zu haben.

Lieber Heinz, kannst Du vielleicht mal kurz erklaeren, wei die Tatsache, dass es bei euch keine Kaufhaeuser gab, dei man haette pluendern koennen, dazu fuehrte, dass Du deiner Grossmutter glaubst, dass sie waehrend der Nazi-Zeit nichts von KZs wusste. Wahrscheinlich ist der Zusammenhang so trivial, dass ich jetzt den Wald vor lauter Baeumen nicht sehe, aber irgendwie stehe ich anscheinend gerade voll auf dem Schlauch... Sorry :confused:
 
manganite schrieb:
Lieber Heinz, kannst Du vielleicht mal kurz erklaeren, wei die Tatsache, dass es bei euch keine Kaufhaeuser gab, dei man haette pluendern koennen, dazu fuehrte, dass Du deiner Grossmutter glaubst, dass sie waehrend der Nazi-Zeit nichts von KZs wusste.

Darf ich mal helfen? Also ich schätze heinz meint, daß es ganz allgemein in ihrem Viertel keine(kaum welche?) Ausschreitungen gegen Juden zu beobachten gab...? :grübel:
 
Arne schrieb:
Darf ich mal helfen? Also ich schätze heinz meint, daß es ganz allgemein in ihrem Viertel keine(kaum welche?) Ausschreitungen gegen Juden zu beobachten gab...? :grübel:

Moeglich... Aber wie fuehrt dann die Nichtexistenz von Kaufhaeusern dazu, dass es keine Ausschreitungen gegen Juden gab? :grübel:
 
Hurvinek schrieb:
Richtig, traumatisierte Menschen fragen "Warum".

Nur das wir, die wir heute geboren wirden und leben, nicht mehr traumatisiert sind und man uns deshalb auch nicht so behandeln sollte. Fuer die Generationen, die den Krieg noch bewusst mit erlebt haben, ist das moeglicherweise ein vernuenftiger Ansatz, aber heute, 60 Jahre danach?

Ich glaube nicht, dass man einem heutigen Jugendlichen ohne vernuenftige Erklaerungen das dritte Reich und was es getan hat, naehrbringen kann, jedenfalls nicht so, dass in ihm soweit ein Bewusstsein dafuer entsteht, dass es bei ihm zu einer "das darf nie wieder passieren Haltung" kommt und das muss ja das Ziel des Umgangs mit dem Nazionalsozialismus sein, die Wiederholung dieser Geschenisse zu verhindern.
 
Zitat:" Moeglich... Aber wie fuehrt dann die Nichtexistenz von Kaufhaeusern dazu, dass es keine Ausschreitungen gegen Juden gab?"

Wegen der Plünderung!! Damals hat Otto-normalverbraucher kaum für Dinge interessiert, die ihn nicht selbst betrafen. Meine Grossmutter hat mir ähnliches Erzählt, das man irgendwas gegen die Juden hatte, das hat sie schon mitbekommen, aber auch kaum interessiert, denn was nicht mit der Familie oder Arbeit zu tun hatte gehörte nicht zur Lebenswelt. Erst als man in Münsterberg, den Schuhladen, der einem Juden gehörte, ausgeräumt und Kleingeschlagen hatte, ab diesem Zeitpunkt kam zum ersten Mal unbehagen ins Bewusstsein.
Von KZ´s hatte sie 1943 zum ersten Mal ,etwas gehört, aber damals waren es schaurige Gerüchte, die kaum jemand Ernst nahm, denn sowas konnte man sich nicht vorstellen.
 
askan schrieb:
Von KZ´s hatte sie 1943 zum ersten Mal ,etwas gehört, aber damals waren es schaurige Gerüchte, die kaum jemand Ernst nahm, denn sowas konnte man sich nicht vorstellen.


Weils heute schon zum zweiten Mal so dasteht:


Ich glaube keinem einzigen/keiner einzigen, dass man von KZs nie was gehört haben will. Die ersten wurden ab 20.03.1933 (!) errichtet. Mir kann kein Mensch erzählen, so egozentriert er auch gewesen sein will, dass er nicht mitbekommen haben will, dass Tausende Oppositioneller auf einmal vom Erdboden verschwunden waren.
Ob nun über Massenmord und Genozid weit verbreitet Wissen Bestand ist wieder was anderes.
 
askan schrieb:
Zitat:" Moeglich... Aber wie fuehrt dann die Nichtexistenz von Kaufhaeusern dazu, dass es keine Ausschreitungen gegen Juden gab?"

Wegen der Plünderung!! Damals hat Otto-normalverbraucher kaum für Dinge interessiert, die

Heisst das, dass alle Kaufhaeuser Juden gehoerten und das es nur Auschreitungen gegen Juden gab, wenn diese Kaufhaeuser besassen? Soweit ich weiss, wurde Juden in allen Lebenslagen diskriminiert und ich dachte auch immer, dass in der Reichskristallnacht Synagogen angezuendet wurden und nicht im Wesentlichen Kaufhaeuser...
 
Leopold Bloom schrieb:
Ich glaube keinem einzigen/keiner einzigen, dass man von KZs nie was gehört haben will. Die ersten wurden ab 20.03.1933 (!) errichtet. Mir kann kein Mensch erzählen, so egozentriert er auch gewesen sein will, dass er nicht mitbekommen haben will, dass Tausende Oppositioneller auf einmal vom Erdboden verschwunden waren.
Ob nun über Massenmord und Genozid weit verbreitet Wissen Bestand ist wieder was anderes.

Das denke ich auch. Die Existenz von Straf-/Gefangenenlagern und/oder Massengefängnissen musste man sich einfach ausrechnen können. Oder dachte man, die sind alle nach Madagaskar verschifft worden? Allerdings glaube ich den "kleinen Leuten" von damals, daß nur wenige wußten, was dort wirklich vorging.
 
Im allgemeinen gilt eigentlich folgendes.
Man sieht nur das was man sehen will.
Klar hätte es jederman mitbekommen, aber die meisten wollten es einfach nicht sehen und so sahen sie es auch nicht.
So ist der Mensch zumeist angelegt. :still:
 
manganite schrieb:
Heisst das, dass alle Kaufhaeuser Juden gehoerten und das es nur Auschreitungen gegen Juden gab, wenn diese Kaufhaeuser besassen? Soweit ich weiss, wurde Juden in allen Lebenslagen diskriminiert und ich dachte auch immer, dass in der Reichskristallnacht Synagogen angezuendet wurden und nicht im Wesentlichen Kaufhaeuser...

Ja es wurden alle Juden diskriminiert, da gibt es genügend Bildmaterial darüber. In der Reichskristallnacht wurden Synagogen in Brand gesteckt, die Trümmer wurden dann später gesprengt. 7000 jüdiesche Geschäfte von Einzelhändlern wurden verwüstet, sowie die Wohnungen der Juden.


Nach offiziellen Angaben kamen 91 Personen ums leben. Die Zahl derer, die infolge von Leid und Schrecken umkamen ist nicht bekannt.

26 000 jüdische Männer und Jugendliche wurden in die KZ Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen verschleppt (die Zahl wurde von der SS und der Gestapo exakt festgelegt). Viele kamen infolge von körperlichen und psychischen Schikanen und Mendikamentenenzug um. Die Anderen mussten eine Eigentumsverzichtserklärung und eine Auswanderungserklärung unterschreiben und dann kamen sie frei.
 
Zuletzt bearbeitet:
Leopold Bloom schrieb:
Weils heute schon zum zweiten Mal so dasteht:


Ich glaube keinem einzigen/keiner einzigen, dass man von KZs nie was gehört haben will. Die ersten wurden ab 20.03.1933 (!) errichtet. Mir kann kein Mensch erzählen, so egozentriert er auch gewesen sein will, dass er nicht mitbekommen haben will, dass Tausende Oppositioneller auf einmal vom Erdboden verschwunden waren.
Ob nun über Massenmord und Genozid weit verbreitet Wissen Bestand ist wieder was anderes.

Das Leute verschwunden sind, dass hat sicher jeder mitbekommen, allein schon weil wahrscheinlich ueberall jemand verschwunden ist, nur denke ich nicht, dass jeder konkret an KZs gedacht hat, sondern an Gefaengnisse oder aehnliches. Ich denke, wenn Lieschen Mueller gemerkt hat, dass in ihrer Nachbarschaft 10 Leute verschwundne sind, sie dann hochgerechnet hat, dass im ganzen Land wohl mIllionen verschwunden sein muessen und das man die nicht in normalen Gefaengnisse untergebarcht haben kann.

Da darf man nicht zu grosse Denkleistungen von Durchschnittsmenschen erwarten...
 
ursi schrieb:
Ja es wurden alle Juden diskriminiert, da gibt es genügend Bildmaterial darüber. In der Reichskristallnacht wurden Synagogen in Brand gesteckt, die Trümmer wurden dann später gesprengt. 7000 jüdiesche Geschäfte von Einzelhändlern wurden verwüstet, sowei die Wohnungen der Juden.

So haette ich mir das auch gedacht. Es gab Juden in allen moeglichen Bereichen, Aerzte, Lehrer, Anwaelte, Geschaeftsleute,Angestellte usw.... Zu sagen, wenns bei uns keine grossen Geschaefte gab, konnte es keine Ausschreitungen/Diskriminierung geben und man bekam deshalb nichts mit, ist bestenfalls ungalublich naiv...
 
Es gibt Lokalstudien, die ergagben dass die judenfeindlichen Krawalle nicht nur in den Strassen der Grosstädte tobten, sondern sich bis ins kleinste Dorf fortsetzten. Kein einziger Ort, wo Juden lebten, blieb verschont, häufig kamen mobile Schlägertruppen der Nazis per Lastwagen und richteten unglaubliche Schäden an jüdischen Eigentum an, führten Juden auf der Strasse vor und verschwanden so schnell wie sie gekommen waren.

Es wurde auch in der Presse erwähnt und zwar so als habe der Mob etwas Heldenhaftes getan habe.
 
manganite schrieb:
Das Leute verschwunden sind, dass hat sicher jeder mitbekommen, allein schon weil wahrscheinlich ueberall jemand verschwunden ist, nur denke ich nicht, dass jeder konkret an KZs gedacht hat, sondern an Gefaengnisse oder aehnliches. Ich denke, wenn Lieschen Mueller gemerkt hat, dass in ihrer Nachbarschaft 10 Leute verschwundne sind, sie dann hochgerechnet hat, dass im ganzen Land wohl mIllionen verschwunden sein muessen und das man die nicht in normalen Gefaengnisse untergebarcht haben kann.

Da darf man nicht zu grosse Denkleistungen von Durchschnittsmenschen erwarten...


So geheim war das nicht. Das wurde von Beginn an Konzentrationslager oder auch Schutzhaftlager genannt. Das geschah mit Wissen und Billigung der Bevölkerung.

Das kam auch in der Presse:

http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/95003747/


http://www.dir-info.de/literatur/konzentrationslager_breitenau.shtml schrieb:
Die Existenz des Lagers Breitenau war also ebensowenig ein Geheimnis wie die Namen der lokal bekannten Arbeiter oder Gewerkschaftsführer, die dorthin eingewiesen wurden (...) †ber die Einrichtung beider KZ wurde in der damaligen Lokalpresse ebenso ausführlich berichtet wie über die Identität der Häftlinge.

Für Heinz und seine Großmutter: Der Link erwähnt auch KZs in Kassel.....
 
Es war bekannt oder es hat niemand Zeitung gelesen und die Schaufenster angeschaut.

Hingeschaut und weggesehen
 

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