Dieter schrieb:
Die Machtstrukturen beim Machtantritt Hitlers und Napoleons können unterschiedlicher nicht sein. Frankreich hatte die wesentlichen Revolutionskriege gewonnen, sein Staatsgebiet 1795 bis zum Rhein vorgeschoben und auch Oberitalien besetzt. In dieser win-win-Situation entriss Napoleon die Macht einer unfähigen Regierung, die nur 5 Jahre – von 1795 bis 1799 – im Amt war: dem Direktorium.
Vergleicht man damit das Deutschland von 1933, so ist der wesentlichste Aspekt, dass es im Gegensatz zu Frankreich einen großen Krieg verloren hatte und die Bevölkerung von Wirtschaftskrisen und Orientierungslosigkeit traumatisiert war, und die Weimarer Republik dieser Erblast letztlich nicht gewachsen war. Hier also eine Looser-Position im Vergleich zur komfortablen Siegerposition der jungen französischen Republik.
Die einzige Parallele könnte man in einem gewissen Machtvakuum sehen, das sowohl das Ende der Weimarer Republik als auch das Direktorium kennzeichnete. Die Staatsorgane funktionierten nicht mehr zufriedenstellend und es zeichnete sich eine gewisse Lähmung ab. Viel bestimmender sind freilich die Ursachen für die jeweis desolate Regierung, und die lagen im Deutschen Reich von 1933 viel tiefer.
Insofern war der Aufstieg Napoleons nur einem Machtvakuum geschuldet, während der Aufstieg Hiltlers primär die Folge des verlorenen Weltkriegs war.
Lieber Dieter, das klingt recht plausibel, zugegben, aber so sehr ich Deinen Blick auf histor. Situationen oft schätze, hier bin ich nicht Deiner Meinung, weil eben genau diese Einschätzung die oberflächliche ist, die wir gelehrt bekamen. In die Tiefe gehend, offenbart sich eine andere Situation für 1799:
Die Situation innen drinnen in den revoltionären französischen Herzen war eigentlich nicht gelähmt, sondern voller Spannung und gefüllt mit lähmender Enttäuschung, und die Kriegserfolge waren keineswegs gesichert, als die Thermidorianer 1794 die Jakobiner um Robespierre schafottierten und die Situation der (rein bürgerlichen! also besitzbürgerlichen!!) Errungenschaften von 1789 wieder herstellten. Aber, wie schon 1792, sollte der Krieg nach aussen die Stellung der nach innen waltenden retten. Oberflächlich retten.
Die Situation für das Volk war unsicherer denn je, steigende Inflation durch freien Handel (Aufhebung der Wirtschaftslenkung), Teuerung und Hunger sah das Volk in schlimmeren Umstände als noch vor 1789! Und es musste das Schrecklichste erleben: dass Unruhen und Aufbeghren nun grundsätzlich mit Waffengewalt niederkartätscht wurde! Man kann die Situation unter dem Direkterium bis zum Staatsstreich Napoleons am 18.Brumaire 1799 diesbezüglich durchaus mit der Depression der Jahre 30-33 vor Hitlers Machtantritt vergleichen.
(Und diese fließende Unterminierung hat bereits die Regentschaft Robespierres vorbereitet und begünstigt, zumal er die Sansculotten, welche der Bergpartei den Volksrückhalt boten und zur macht verhalfen, zunemhemd ingnorierte, ihre Rechte beschnitt, ja, beleidigenderweise das einzige für die Sansculotten wichtige Gesetz des "Höchstpreises", der Preisobergrenze für Brot, bei Zuwiderhandlen nicht ahndete, dies nur inbetween, erinnert aber sehr an die Einsparungen bei Arbeitslosen und Sozialunterstützungen unter Notverordnungs-Brüning)
Also, die innere Situation Frankreichs stellt sich so anders dar - und wirtschaftlich so übel, wie anno 1930 in der auch jungen Weimarer Republik.
Die außenpolitische sehe ich nicht so glatt und win-win, wie du schreibst, sie zwang im Gegenteil zum Immer-weiter-marschieren. Ein Krieg, der Krieg und immer neue gg. Frankreich Koalitionen gebar, mit England den ausdauerndsten und zielgerichtetsten Kriegsgegner herausforderte - dass Frankreich täglich Schaden zufügte, durch Wirtschaftsblockade und intensivster Schürung der royalistischen Unterminierungsarbeit in Frankreich. Ein Krieg, der insgesamt notwendig war, um die Motivation der Bourgoisie innen hochzuhalten, damit diese das Volk niederhalten. Und den Napoleon in diesem Sinne fortführte bis Waterloo.
Kurz noch mal:
- 1794-99 innen: Kreditlosigkeit des Staates (1929-1934?), Erstarken der Royalisten (sic! Regierungen Papen, Brüning), Niederhalten des Volkes
- wettgemacht bzw. am Dampfen gehalten durch außen: Napoleon in Italien, Campo Formio, ein zweifelhafter Siegfrieden '97, der schon '98 die Koalition um Russland verstärkt dastehen ließ. '99 Desaster in Ägypten, England hält Frankreich im Würgegriff, Napoleon muss geradezu die Macht ergreifen, und der europ. Kontinet wird zum einzig offenen Meer für die notwendigen wirtschaftlichen Raubzüge ...
Dieter, viell. können wir unsere Bögen verbinden... ;-)