Okkultismus, Esoterik, Grenzwissenschaft und NS

Doch sind beide, wie auch insgesamt die Flut von "pseudowissenschaftlichem Bullshit", die sich über uns ergießt im Rahmen einer Popularisierung der Wissenschaften zu sehen.
Diese, nehme mich an, beginnt im wesentlichen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und auch da findet sich die Begleiterscheinung der wunderlichsten Welterklärungen mit wissenschaftlichem Anstrich die viral gehen.
Ich würde den Beginn der Entwicklung schon im 18. Jahrhundert ansetzen; vielleicht mit den Konversationslexika als ersten Vorläufern, deren Zielgruppe freilich noch das gehobene Bürgertum war. Im Zug der Aufklärung entstanden dann Schriften mit dem Ziel, den im Volk verwurzelten Aberglauben zu bekämpfen (gewisse Eso-Pseudowissenschaftler verfolgen eher das genau entgegengesetzte Ziel). Die ersten Lesevereine entstanden im ausgehenden 18. Jahrhundert, ab den 1830er Jahren gab es die ersten Arbeiterbildungsvereine. Ich sehe da eine kontinuierliche Entwicklung.
 
Das Prinzip ist hier aber das gleiche wie bei einem Experiment, bzw. war es im Grunde ein Experiment, bei dem der Großteil des Versuchsaufbaus von der Natur gestellt wurde.

Wilhelm Kulisch, Physik für Dummies. Das Lehrbuch, 2014, S. 52, u.a.:

[...] Beobachtung und Experiment sind keineswegs dasselbe. Bei einer Beobachtung wird notiert, was in einer bestimmten Situation vor sich geht. Zudem wird festgehalten, unter welchen Bedingungen diese Beobachtungen gemacht wurden. Der Beobachter greift aber nicht in das Geschehen ein. Bei einem Experiment wird hingegen vorgegeben, was untersucht werden soll. Zudem werden die Messbedingungen vorgegeben. Dabei achtet man darauf, alle störenden Faktoren möglichst auszuschließen. [...]​

Hans-Christian Pape u.a., Physiologie, 2019, S. 30, 'Beobachtung versuch Experiment', notiert u.a.:

Den Unterschied zwischen Beobachtung und Experiment hat der französische Physiologe Claude Bernard [...] so ausgedrückt:
"Beobachtung ist die Erforschung natürlicher Phänomene, das Experiment ist die Erforschung eines Phänomens, das durch den Forscher verändert worden ist."
[...]
Beobachtung und Experiment sind nicht ganz zu trennen. Eine gezielte Beobachtung, etwa die Voraussage einer Beobachtung, ist bereits eine Art Experiment. [...]
Du hattest Dich in Deinem Posting, auf das ich geantwortet habe, ja konkret auf die Naturwissenschaften bezogen und speziell den Äther erwähnt, daher habe ich mich in meiner Antwort ebenfalls auf die Naturwissenschaften und besonders die Physik bezogen.

Und ich hatte mich erkennbar auf die vorlaufende Dis. bezogen und dabei bewusst 'Naturwissenschaften' in Anführungszeichen gesetzt. Dies deshalb, da mir in der vorlaufenden Dis. u.a. aufgefallen war, dass in ihr

  • nahezu vollständig 'Wissenschaften' mit 'Naturwissenschaften' gleichgesetzt wurden
  • weitgehend und im Rückschaufehler heutige anerkannte naturwissenschaftliche Erkenntnismodelle damaligen nichtakademischen Theorien gegenüber gesetzt wurden
  • dabei weitgehend der übergroße Bereich der 'sonstigen' nicht naturwissenschaftlichen Fächer ausgeblendet worden war und weiterhin Mischwissenschaften wie Entwicklungsbiologie, Medizin, Zoologie, Physiologie oder Eugenik samt ihren Derivaten ebenso.
  • selbst ein Rudolf Steiner hatte mal studiert und war promoviert worden (mit 'ausreichend')
 
Und das mag darin begründet sein, dass das NS-Regime eine religiöse Säule ihrer Herrschaft
errichten wollte.

Woran lässt sich das konkret festmachen? Auf dem Reichsparteitag 1938 verdammte Hitler jeglichen Mystizismus:

"Der Nationalsozialismus ist eine kühle Wirklichkeitslehre schärfster wissenschaftlicher Erkenntnisse und ihrer gedanklichen Ausprägung. Indem wir für diese Lehre das Herz unseres Volkes erschlossen haben und erschließen, wünschen wir nicht, es deshalb mit einem Mystizismus zu erfüllen, der außerhalb des Zweckes unserer Lehre liegt. Der Nationalsozialismus ist keine kultische Bewegung, sondern eine ausschließlich aus rassischen Erkenntnissen erwachsene völkisch-politische Lehre.

In ihrem Sinne liegt kein mystischer Kult, sondern die Pflege und Führung des blutgebundenen Volkes. Wir haben daher auch keine Kulträume, sondern ausschließlich Volkshallen, auch keine Kultplätze, sondern Versammlungs- und Aufmarschplätze. Wir haben keine Feldhaine, sondern Sportarenen oder Spielwiesen. Und das Charakteristikum unserer Versammlungsräume ist nicht das mystische Dunkel einer Kultstätte, sondern die Helligkeit und das Licht eines ebenso schönen wie zweckmäßigen Saal- oder Hallenbaues. Es finden daher in ihnen auch keine kultischen Handlungen statt, sondern ausschließlich Volkskundgebungen. Das Einschleichen mystisch veranlagter, okkulter Jenseitsforscher darf daher in der Bewegung nicht geduldet werden. Sie sind nicht Nationalsozialisten, sondern irgend etwas anderes, auf jeden Fall aber etwas, was mit uns nichts zu tun hat. An der Spitze unseres Programms steht nicht das geheimnisvolle Ahnen, sondern das klare Erkennen und damit das offene Bekenntnis.

https://diglib.uibk.ac.at/download/pdf/3963111?name=7.9.1938
 
Woran lässt sich das konkret festmachen? Auf dem Reichsparteitag 1938 verdammte Hitler jeglichen Mystizismus
Trotz Hitlers Verdammung von jeglichem Mystizismus, kann man einige Hinweise auf "kultische" oder "religiös anmutende" Praktiken im Nationalsozialismus erkennen:
-Karl Hülser bezeichnete die Wewelsburg als "Kult- und Terrorstätte der SS". In der Folge der 1000-Jahrfeier des Todes von Heinrich I. auf der Wewelsburg wurde 1936 die katholische Reliquie "Heilige Lanze" zu Wotans Speer umgedeutet.
-Sonnenwendfeiern und Osterfeuer dienten den Nationalsozialisten als Treffpunkt für einen mystischen Kult und eben weniger als Aufmarschplatz. Die Örtlichkeiten dafür kann man durchaus als Kultorte ansehen und nicht als Versammlungsplätze, wie es Hitler oben postulierte. Der nationalsozialistische Weihnachtskult reiht sich dort ein.
- kann man das NS-Ahnenerbe nicht auch als
Einschleichen mystisch veranlagter, okkulter Jenseitsforscher
ansehen?
 
Trotz Hitlers Verdammung von jeglichem Mystizismus, kann man einige Hinweise auf "kultische" oder "religiös anmutende" Praktiken im Nationalsozialismus erkennen:
Ja, siehe oben:
Hitlers "Theologie" verlangte nicht viel mehr als den fanatischen Glauben an "Blut", "Ehre", "Rasse", "Führer" und "Endsieg". Das ließ sich in "ergreifenden" Feiern mit Fahnen, Fackeln und Gedöns inszenieren. Esoterischer Schnickschnack war hierbei kein dringendes Bedürfnis, wen hätte man damit hinter dem Ofen hervorlocken können? Erkleckliche Energie wurde hingegen (mit eher mäßigem Erfolg) darauf verwendet, christliche Traditionen zu entchristlichen und mit Nazi-Inhalten zu füllen, siehe z. B. Nationalsozialistischer Weihnachtskult – Wikipedia

- kann man das NS-Ahnenerbe nicht auch als
["Einschleichen mystisch veranlagter, okkulter Jenseitsforscher" - Das Zitat ist nicht von mir, sondern von Hitler]
ansehen?

Ja, kann man. Das "Ahnenerbe" ist aber nicht gleichzusetzen mit dem NS-Regime, sondern war eine schräge Spielwiese, die sich im Schatten des NS-Regimes etablierte.
Ohne die Anerkennung, ohne den Respekt von seiten der anderen SS-Ämter, blieb das "Ahnenerbe" bis zum Ende das "häßliche Entlein" unter den Dienststellen der Schutzsstaffel. [...] Spätestens seit Heinz Höhnes Biographie der Schutzstaffel ist bekannt, daß die SS kein monolithisches Gebilde gewesen ist, welches das totalitäre Muster des Regimes hätte exemplifizieren können, sondern ein Spielfeld parasitärer Kräfte, die im Neben- und Gegeneinander wirkten, bis auch der letzte Anschein der Geschlossenheit von der destruktiven Wirklichkeit verdrängt worden war.
Michael H. Kater, Das "Ahnenerbe" der SS 1935-1945, München 1997, S. 338f

Wie gesagt, fuhr Himmler auf nahezu jeden Blödsinn ab und fiel auf einen Scharlatan nach dem anderen herein. Er wusste aber auch, dass er den esoterischen Bogen nicht überspannen durfte und ging immer wieder - zumindest öffentlich - zu den Spinnern auf Distanz. Herman Wirth, den er am 1. Juli 1935 zum ersten Präsidenten des "Ahnenerbes" gemacht hatte, wurde schon nach kurzer Zeit von Himmler ausgebremst, Anfang 1937 als Präsident abgelöst und danach ganz aus dem "Ahnenerbe" verbannt.
Dass er den Welteisverkäufer Elmayer 1938 fallen ließ, hatte ich oben schon erwähnt.
Auch Wiligut, den Himmler noch am 9. November 1936 zum SS-Brigadeführer befördert hatte, wurde um die Jahreswende 1938/39 deaktiviert und schied am 28. August 1939 ganz aus der SS aus.
 
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@Sepiola
Das ausführliche Zitat aus der Reichsparteitagrede 1938: wie lässt sich das mit dem Bau der "Thingstätte" in Heidelberg unter einen Hut bringen?
Ist das "nur" quasi architektonische Grandezza mit myst.-völkisch-germanisch-arischem Anstrich, also aufgeplusterte Propaganda in Stein? Auf Wirkung konstruiert, aber eigentlich nicht ganz ernst gemeint?
Oder sind diese Thingstätte wie auch das SS-Heiligtum aus Granit im Braunschweiger Dom quasi aus dem Ruder gelaufenen regionale Angelegenheiten?

Ich weiß es nicht, deshalb frage ich. Mein Eindruck von diversen, nicht realisierten Großprojekten der Nazis (z.B. Speers Bayreuth-Pläne) wie auch den vorhandenen (Thingstätte etc) ist, dass sie durchaus eine quasi religiöse Dimension haben und haben sollten, was aber mit dieser programmatischen Rede kollidiert.
 
@Sepiola
Das ausführliche Zitat aus der Reichsparteitagrede 1938: wie lässt sich das mit dem Bau der "Thingstätte" in Heidelberg unter einen Hut bringen?

Die Thingstätte ist eine Freilichtbühne, die Thingspiele waren m. W. keine mystisch-religiösen Veranstaltungen, sondern propagandistisches Theater.

Und wer hat's erfunden? Die Kommunisten!
"Wie bei den sowjetischen Vorbildern nahm man in Leipzig Bezug auf konkrete historische Ereignisse. Auf einer Fläche von mehr als 64.000 Quadratmetern zeigte man den Spartacusaufstand, den Bauernkrieg und die Französische Revolution, bevor die Stoffe mit der Weltrevolution allegorischer ausfielen."

Massenspiele der Arbeiter – Tausende Spieler erprobten vor hundert Jahren in Leipzig das Theater der Weltrevolution
 
Der NS lebte stark von Massenversammlungen, Massenaufmärschen, Massenorganisationen, Parteitagsinszenierungen, die Praxis des NS-Regimes war deutlich von kultartigen (Gruppen-/Massen-) Inszenierungen, vom Führerkult usw. geprägt.
Der öffentlich gepushte Germanen- und Arierkult in den ersten NS-Jahren verschwand so ziemlich bis spätestens mit den ersten kriegerischen Aktionen des NS-Regimes ab 1938. Dazu gehört auch die kurze Blüte der geplanten und nur teils aufgebauten Thingstätten.

Die Rede H.s von 1938 fällt schon in die Jahre nach dem kurzen Höhenflug des Germanenkultes. Die Heidelberger Thingstätte wurde 1935 beendet.
 
Die massenpsychologische Wirkung und Anpassung wie Dynamik bestand auf jeden Fall und war sorgfältig mit bedacht.

Ansonsten: die profane, moderne, massentaugliche architektonische Bühne der Inszenierung hat ja schon mit Napoleon in Paris angefangen. Der ersatzreligiöse Staats- und Personenkult beginnt wohl ebenfalls bei/mit ihm.
 
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Woran lässt sich das konkret festmachen? Auf dem Reichsparteitag 1938 verdammte Hitler jeglichen Mystizismus:

"Der Nationalsozialismus ist eine kühle Wirklichkeitslehre schärfster wissenschaftlicher Erkenntnisse und ihrer gedanklichen Ausprägung. Indem wir für diese Lehre das Herz unseres Volkes erschlossen haben und erschließen, wünschen wir nicht, es deshalb mit einem Mystizismus zu erfüllen, der außerhalb des Zweckes unserer Lehre liegt. Der Nationalsozialismus ist keine kultische Bewegung, sondern eine ausschließlich aus rassischen Erkenntnissen erwachsene völkisch-politische Lehre.

In ihrem Sinne liegt kein mystischer Kult, sondern die Pflege und Führung des blutgebundenen Volkes. Wir haben daher auch keine Kulträume, sondern ausschließlich Volkshallen, auch keine Kultplätze, sondern Versammlungs- und Aufmarschplätze. Wir haben keine Feldhaine, sondern Sportarenen oder Spielwiesen. Und das Charakteristikum unserer Versammlungsräume ist nicht das mystische Dunkel einer Kultstätte, sondern die Helligkeit und das Licht eines ebenso schönen wie zweckmäßigen Saal- oder Hallenbaues. Es finden daher in ihnen auch keine kultischen Handlungen statt, sondern ausschließlich Volkskundgebungen. Das Einschleichen mystisch veranlagter, okkulter Jenseitsforscher darf daher in der Bewegung nicht geduldet werden. Sie sind nicht Nationalsozialisten, sondern irgend etwas anderes, auf jeden Fall aber etwas, was mit uns nichts zu tun hat. An der Spitze unseres Programms steht nicht das geheimnisvolle Ahnen, sondern das klare Erkennen und damit das offene Bekenntnis.
https://diglib.uibk.ac.at/download/pdf/3963111?name=7.9.1938

(Hervorhebung durch mich)
Das sagt er 1938 auf dem Reichsparteitag in Nürnberg.
Wenn Du mal in Nürnberg oder Umgebung bist, sag mir Bescheid. Gerne zeige ich Dir die Kultstätte an deren monumentalen Erhebung er solches äußert, während auf steinernen Säulen große Fackelschalen brennen. (die müssen wir uns dazu denken, weil sie gesprengt wurden)
An dieser Stelle so etwas zu sagen wäre ja geradezu absurd, wollte man sich nicht über bisherige Ausprägungen eben des Kults als ein Neuer erheben.

So wie ich verstehe gab es 1934, 1938 und 1941 Aktionen gegen die okkulte Szene, weil diese immer wieder eine unerwünschte Selbstständigkeit der Weltdeutung an den Tag legte.
Das minderte jedoch nicht den Gebrauch der Führung des 3. Reichs eben dieser Szene bis in die höhsten Stellungen.

Hast Du die Rede Rosenbergs im Nürnberger Opernhaus gelesen?
Eine auch zu dieser Zeit pseudowissenschaftliche Rassentheorie hat „allen verworrenen Behauptungen der Vergangenheit ein Ende bereitet, sie hat uns auch ein neues Sehen geschenkt.“
 
Gerne zeige ich Dir die Kultstätte an deren monumentalen Erhebung er solches äußert, während auf steinernen Säulen große Fackelschalen brennen.
... Das ließ sich in "ergreifenden" Feiern mit Fahnen, Fackeln und Gedöns inszenieren. Esoterischer Schnickschnack war hierbei kein dringendes Bedürfnis ... usw.


So wie ich verstehe gab es 1934, 1938 und 1941 Aktionen gegen die okkulte Szene, weil diese immer wieder eine unerwünschte Selbstständigkeit der Weltdeutung an den Tag legte.
Ja, natürlich, in der Szene tummeln sich ja lauter Gurus, von denen jeder auf übersinnliche Weise seine eigene ewige und unverrückbare Wahrheit erschaut hat. Dass die sich nicht zu einer massentauglichen Volksreligion "gleichschalten" lassen, war nicht nur Hitler, Rosenberg und Goebbels klar, sondern sogar einem Himmler, der zumindest in dieser Hinsicht den größten Sprung in der Schüssel hatte.

Und nun zurück zu meiner Frage: Worauf stützt sich Deine These, dass das NS-Regime mithilfe des Okkultismus "eine religiöse Säule ihrer Herrschaft errichten wollte"?
 
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Und nun zurück zu meiner Frage: Worauf stützt sich Deine These, dass das NS-Regime mithilfe des Okkultismus "eine religiöse Säule ihrer Herrschaft errichten wollte"?
Ich will die These etwas anders formuliert wissen:
Das NS-Regime war bestrebt ihrer Herrschaft eine religiöse Säule beizufügen. (Dies auch im Hinblick auf eine geplante Zerschlagung des Christentum nach dem Ende des Krieges.)
Und diese Säule wurzelte im Okkulten.
Nehmen wir mal das als These, weil ich denke, dass das genauer formuliert ist.

Die neue Religion ist eine „Germanische Religion“ oder auch wahlweise „Arische Religion“.
Folgt man Kurlander und Kater sind nicht nur Absichten in dieser Richtung bei den großen Spielern auf der Bühne erkennbar, sondern sogar Hauptursache der Rivalität der Ideologen Himmler und Rosenberg.
Und es ist auch klar, dass diese neue Religion nicht auf das ohnehin verachtete Christentum aufbauen konnte.
Aufbauen sollte sie auf einer neueren Mystik. Das Ebenbild Gottes ist nicht der Mensch sondern der Arier.
Dieser, so führt Hitler in seiner fulminanten Münchner Rede am 13.August 1920 im Münchner Hofbräufestsaal aus, sei als wahrer Mensch, als „ein Geschlecht von Riesen an Kraft und Gesundheit“ im Eis des Norden durch die rassische Zuchtwahl der unerbittlichen Umwelt geboren und alle kulturellen Errungenschaften der Zivilisationen auf den Arier (der ja mystisch bleibt) zurückzuführen. Und dann zählt er noch Beispiele auf : Griechenland, Persien, Ägypten. 1)
Diese Argumentation und Aufzählung kann man als Paraphrase der Schriften des Guido von List betrachten, wie Brigitte Hamann feststellt.

Dieser List wiederum ist ein völkischer Esoteriker und Okkultist dessen Schriften Hitler wahrscheinlich schon in seiner Wiener Zeit gelesen hat und später auch dessen Hauptwerke. 2)
Nun gibt es unterschiedliche Einschätzungen wie hoch denn der Einfluss der Ariosophen (insbesondere Lanz und List) auf die Ideologie der Nazis gewesen sei. Die Diskussion der Historiker darüber fasst Treitel so zusammen: „it has clearly established that there are links, both ideological and social between Hitler and Ariosophical circles“
Doch habe diese Diskussion auch die Grenzen dieses Einflusses auf Hitlers Vorstellungswelt aufgezeigt. 3)

War Hitler selbst dem Okkultismus zugeneigt? Wahrscheinlich schon.
„In 1934 Hitler himself hired Germany's most famous dowser* .. von Pohl to police the Reich Chancellery for harmfull death rays“. 4)

Dass Himmler, der Reichsmord- und Terrormeister, im Okkulten noch sehr viel tiefer verwurzelt war, und sich als Avantgarde der neuen Rassereligion sah, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Hitler aus dieser Quelle seine Visionen schöpfte.


*Wünschelruten und Pendelgänger, sind im Englischen in „dowser“ zusammengefasst.

1) https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1968_4_5_phelps.pdf PDF-Seite 12ff
2) Hamann, Brigitte (1998): Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators. Ungekürzte Taschenbuchausg. München: Piper (Serie Piper, 2653). S.301ff

3) Treitel, Corinna (2004): A science for the soul. Occultism and the genesis of the German modern. Baltimore, London: Johns Hopkins University Press. S. 24ff

4) Kurlander, Eric (2017): Hitler's monsters. A supernatural history of the Third Reich. New Haven, London: Yale University Press. S.145
 
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Ich will die These etwas anders formuliert wissen:
Das NS-Regime war bestrebt ihrer Herrschaft eine religiöse Säule beizufügen. (Dies auch im Hinblick auf eine geplante Zerschlagung des Christentum nach dem Ende des Krieges.)
Und diese Säule wurzelte im Okkulten.
Nehmen wir mal das als These, weil ich denke, dass das genauer formuliert ist.

Genauso habe ich es verstanden, ich hätte nur gerne mal gewusst, worauf sich die These stützt. Aus der Verherrlichung des "Ariers" und der angeblich auf ihn zurückgehenden Zivilisationen Griechenlands, Persiens, Ägyptens (das in puncto Zivilisation weniger strahlende antike Germanien blieb bei Hitler wohlweislich außen vor) folgt mitnichten, dass nun eine Religion nach dem Vorbild Griechenlands oder gar Germaniens zu konstruieren sei.

Und es ist auch klar, dass diese neue Religion nicht auf das ohnehin verachtete Christentum aufbauen konnte.
Und deswegen hat Hitler gleich nach der Errichtung seiner Diktatur die "Deutschen Christen" massiv gefördert?

Womit er eher nicht gerechnet hat, war, dass diese "Bewegung" sich alsbald in Dutzende von "Bewegungen" verzettelte.
Auf der Seite der "Germanisch-deutschen Glaubensbewegung" sah es aber auch nicht besser aus, das war auch kaum mehr als ein peinliches Häufchen untereinander zerstrittener Gurus.

Und mit Sicherheit hat keiner der führenden Nazis auch nur eine Sekunde daran geglaubt, aus den Himmlerschen Spinnereien eine "volkstaugliche" Religion basteln zu können. Vielleicht nicht einmal Himmler selber, der wie gesagt recht verschiedenen Gurus nachlief, quasi im Zickzack.
 
Aus der Verherrlichung des "Ariers" und der angeblich auf ihn zurückgehenden Zivilisationen Griechenlands, Persiens, Ägyptens (das in puncto Zivilisation weniger strahlende antike Germanien blieb bei Hitler wohlweislich außen vor) folgt mitnichten, dass nun eine Religion nach dem Vorbild Griechenlands oder gar Germaniens zu konstruieren sei.
Natürlich folgt das nicht daraus.
Sondern:
Die Kombination der Vorstellungen zum Arier in Hitlers Rede und die Aufzählung der Orte legt nach Hamann nahe, dass Hitler hier den Inhalt eines Buches von Guido von List wiederholt.
Es geht da letztlich darum in wie weit H. aus der Gedankenwelt der völkischen Esoterik bzw. Okkultismus (sprich Ariosophie) schöpfte.
Dass diese Verbindung bestand ist nachweisbar. Das Ausmaß ihres Einflusses steht zur Debatte.
 
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Die Ariosophie ist kein 'Okkultismus' und verstand sich auch nicht als solchen. Und dabei bleibt die Frage, wie 'Okkultismus' definiert wird und werden kann, völlig offen.

Es geht da letztlich darum in wie weit H. aus der Gedankenwelt der völkischen Esoterik bzw. Okkultismus (sprich Ariosophie) schöpfte.
Dass diese Verbindung bestand ist nachweisbar. Das Ausmaß ihres Einflusses steht zur Debatte.

Hitler verehrte beispielsweise offen Chamberlain, aber nicht die völkischen Neuromantiker von List oder Liebenfels, die er wohl in den Rahmen der Wanderscholaren rechnete, für die er beißende Kritik übrig hatte. Sieh M.K.

Dein Fama läuft darauf hinaus, einige inhaltliche Übernahmen, wie auch Ähnlichkeiten als Verbindung zu behaupten, von Lists völkisch-romantisch-ariosophische Melange als 'Okkultusmus' einzustufen und damit Hitlers ausufernde Vorstellungswelt als entscheidend 'okkult/esoterisch' geprägt, mit Nabelschnur zu von List.

Selbst dann ist nicht erkennbar, welche 'Religion' H. angeblich/eigentlich installieren wollte.

Hier ganz ausgeblendet bleibt beispielsweise der große und weit wichtigere Einfluss des ebenso völkischen wie fanatisch antisemitischen Dietrich Eckardts, den man getrost als wichtigsten und frühsten Mentor H. bezeichnen darf.

Und schaut man sich die ersten ganz frühen Reden und Redeskripte H.s an, so sind sie alles, nur nicht 'okkult/esoterisch' geprägt.
Den Blackbox-Begriff Arier verwendete H. jedenfalls nicht vor August 1920, das taten nachweislich andere in der NSDAP vor Hitler, wie eben jener Rudolf John Gorsleben, einer der völkisch-antisemitischen Wüstlinge.

Das von H. am 24. Februar 1920 bei einer Massenveranstaltung der NSDAP in München verkündete 25-Punkt-Programm kennt noch keine 'Arier' und Punkt 4 definiert entsprechend:

Staatsbürger kann nur der sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.

Erstmals am 7. August 1920 erwähnt H. ein einziges mal den Begriff in der Formulierung

Staatsbürger kann nur der sein, wer Volksgenosse ist, wer deutsch-arischen Blutes ist.

Meine Empfehlung: Jäckel, Hitler. Alle Aufzeichnungen (1980)

Es nützt ja nicht, dass man ständig die Bedeutung von H.s frühen, angeblichen Lektüren in Wien beschwört, und ihn in ein 'okkult-esoterisches' Traditionsfahrwasser mit Ursprung bei von List zu bringen versucht, und andererseits das nachweisliche, inhaltlich-ideologische 'Wachstum' des Münchner H. seit Herbst 1919 - mit Hilfe einschlägiger, ebenfalls nachweisbarer Namen vor Ort in München (Hauptmann Mayr, Rosenberg, Gorsleben, Dietrich, Gottfried Feder, Drexler usw. usw.) übersieht, wie dies bei (langwährenden) Einsteigern gelegentlich zu sein scheint.
 
Das Thema 'Arier' kam vielen völkisch-radikalantisemitischen Schriften & Pamphleten vor...bei Dietrich Eckart, in Theodor Fritschs Handbuch der Judenfrage (beispielsweise Ausgabe 1919)...dazu brauchte ein H. nicht auf die angeblich dauerhaft prägende Rezeption List'scher Schriften aus Wiener Zeit zurück gegriffen haben...er brauchte in München nur Eckart oder Gorsleben oder diversen anderen 'Völkischen' zu zuhören oder bei Fritschs Longseller usw. nachschlagen...ariosophische Versatzstücke wurden in H.s Münchner Umfeld frei Haus geliefert.
 
Die Ariosophie ist kein 'Okkultismus' und verstand sich auch nicht als solchen.

Dies darf man bezweifeln.

„Diese Geheimlehre ruht nun in der Ursprache als der Mysteriensprache unseres Ariogermanentums und mit vorliegendem Werk biete ich dazu den Schlüssel. Wer diesen zu gebrauchen fähig ist dem steht der Hehre Tempel [jetzt kommt ein Hakenkreuz] Arehisosur [wieder Hakenkreuz] der Geheimlehre offen und man trete ein als deren Hierophant!“
Guido von List, prominentester Ariosoph seiner Zeit, S.12 (PDF-S. 42) https://ia902805.us.archive.org/12/items/dieursprachederariogermanenundihremysteriensprache/Die Ursprache der Ario-Germanen und ihre Mysteriensprache.pdf

(Aber natürlich bleibt die Frage wie man die Linien zwischen Okkultismus, Esoterik und Grenzwissenschaft zieht. Deren Berührungsflächen sind ja breit und vielfältig)
 
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