Präventivschlag 1887

DukeWell

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Hallo zusammen,

habe jetzt schon mehrfach gelesen, dass es im dt. Kaiserreich im Zuge der Krisen auf dem Balkan mehrfach starke Überlegungen gab, einen Präventivschlag gegen Russland zu führen. Vor allem 1887 gefordert durch Waldersee, aber auch aus anderen nicht-militärischen Kreisen. Bismarck stellte sich dagegen.

Was einigen bekannt sein dürfte, ist, dass Moltke in diesem Sinne den Ostaufmarschplan konzipierte.

Was ich bisher allerdings nirgends finden konnte, sind konkrete Details über die Überlegungen. Da stellt sich dann auch die Frage, ob es solche überhaupt gab.

Hier ein kleines WIkizitat zur Einordnung:

"Im Herbst 1887 plädierten einflussreiche Persönlichkeiten aus Militär und Diplomatie wie Friedrich August von Holstein, Helmuth Karl Bernhard von Moltke und Alfred von Waldersee für einen Präventivkrieg gegen Russland. Der Generalquartiermeister Alfred Graf von Waldersee sah einen Krieg mit Russland bereits als unvermeidbar an: „Der Kanzler hofft noch immer, um den Krieg mit Russland herumzukommen. Es wird ihm alles nichts helfen, wir treiben in den Krieg hinein, und zwar zum Frühjahr.“ Moltke trug der Furcht vor einem baldigen Krieg mit Russland Rechnung, indem er die Aufnahme militärischer Gespräche mit dem österreichischen Generalstab verlangte, bei denen für den Kriegsfall militärische Absprachen getroffen werden sollten...."

Ich frage mich nun: Gibt es dazu auch noch mehr konkrete Infos? Was gedachte man denn, in einem solchen Krieg durchzusetzen? Nur die Zerschlagung der russischen Armee und Reparationszahlungen? Oder die Schaffung eines polnischen Königreiches?

GIbt es dazu irgendwo weiterführende Überlegungen?
 
1886 hat Vielle in Frankreich das neue "langsam abbrennende" Pulver entwickelt, kurz darauf wurde das Lebel-Gewehr eingeführt, das mit seiner damals hohen Mündungsgeschwindigkeit allen anderen Infanteriegewehren weit überlegen war, dies nur als Denkanstoß.
 
Ich sehe den Zusammenhang zwischen der technischen Weiterentwicklung und dem Präventivkrieg noch nicht. Kannst du uns (oder zumindest mir) mal helfen, deinen Gedankengang nachzuvollziehen?
 
Ja, im Falle eines Angriffs im Osten muß hier eventuell mit einer Reaktion Frankreich gerechnet werden. Die aber hätten schon ein "neues" Infanteriegewehr mit überlegener Reichweite gegen das das deutsche M71 chancenlos war. Deshalb wurde ja auch in aller Eile!!! das Gewehr 88 entwickelt, das einige Mängel aufwies. Das Gewehr war damals noch die wichtigste Infanteriewaffe, die Artillerie war zum genannten Zeitraum noch relativ wenig wirksam.
Eventuell mit alten Gewehren gegen eine Macht mit neuen Gewehren mit schneller und rauchloser Munition antreten zu müßen birgt natürlich ein gewisses Risiko.
 
Lebel-Gewehr Modele 1886 8mm x 50R 700m/s Schußentfernung 800m rauchlos

Mauser M71-84 Magazin 11mm x 60R 450m/s Schußentfernung 500m Schwarzpulver
 
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Ich frage mich nun: Gibt es dazu auch noch mehr konkrete Infos? Was gedachte man denn, in einem solchen Krieg durchzusetzen? Nur die Zerschlagung der russischen Armee und Reparationszahlungen? Oder die Schaffung eines polnischen Königreiches?
Die Vorstellung positiver Kriegsziele widerspricht ja an und für sich dem Gedanken des Präventivkriegs.
Präventivkrieg bedeutet ja in der nicht pervertierten Form des Begriffs der Agression eines anderen durch schnelleres Handeln zuvor zu kommen. In dem Moment, in dem territoriale Veränderungen als Kriegsziel vorrausgesetzt werden, handelt es sich nicht mehr um einen Präventivkrieg, sondern um einen Krieg um Land, Ressourcen, Einflussphären, whatever.

Inhaltlich darf nicht übersehen werden, dass die Entscheidung zum Krieg nur über Wilhelm I. und Bismarck lief und die beiden an Ende auch in außenpolitischen Fragen das letzte Wort hatten.
Nun waren aber beide im Gegensatz zu Holstein, der ein ausgesprochener Russland-Skeptiker war eher russlandfreundlich eingestellt, so dass nicht zu erwarten war, dass sie bereit gewesen wären einen Krieg gegen das Zarenreich zu führen, in der Absicht Russland irgendwas weg zu nehmen.

Insofern dürfte die Frage, ob Holstein oder Waldersee Vorstellungen davon hatten, Russland irgendwas abzunehmen (zugegeben, ich weiß nicht, ob sie so etwas hatten) von nachrangiger Bedeutung sein, weil sie wenn sie solche Vorstellungen gehabt haben sollten technisch gesehen keine Chance hatten diese Ideen zu offizieller Politik zu machen, so lange der alte Wilhelm I. und Bimarck letztendlich das Sagen hatten, was Außenpolitik und Kriege betrifft.
Die hatten ganz sicher nicht vor dadurch Russland Territorialverluste beizubringen russischen Revanchismus zu provozieren und damit eine russisch-französische Allianz (denn die gab es damals ja noch nicht) wahrscheinlicher zu machen.

Und was Polen Betrifft: Die Dreiteilung Polens zwischen Russland, Preußen-Deutschland und der Donaumonarchie war eine sehr gute Versicherung dagegen, dass diese 3 Reiche in Krieg miteinander gerieten.
So lange jeder der 3 ein eigenes Stück Polen besaß war gesichert, dass keines der 3 Länder mit der polnischen Nationalbewegung in einem der anderen Länder zusammenarbeitete um diese zu Aufständen zu verleiten oder ähnliches.

Russland seinen Teil Polens weg zu nehmen, hätte erwartbar nur zu 2 Dingen geführt.

1. Hätte sich ein solcher polnischer Staat wahrscheinlich bei erster Gelegenheit mit Russland oder Frankreich oder beiden verbündet um sich bei Zeiten die polnischsprachigen Territorien Preußens und der Donaumonarchie auch noch zu holen.
2. Wenn Russland dadurch die eigene polnische Minderheit, deren Nationalismus Russland verstärkt Ärger bereitete, mitsamt der Territorien abhanden gekommen wäre, hätte Russland in der Folge relativ rücksichtslos darauf setzen können, die radikalen Teile der polnischen Nationalbewegung in Preußen und Galizien zum Aufstand anzustacheln und sie mit Geldmitteln und Waffen zu versorgen.

Ein militärischer Sieg gegen Russland hätte auf diese Weise zu einem Pyrrhussieg werden und mehr Probleme schaffen als lösen können.

Es dürfte einem Großteil der Zeitgenossen in Preußen durchaus klar gewesen sein, dass es nicht ratsam war, an den Verhältnissen in Polen dergestalt etwas zu verändern, Russland dort völlig hinaus zu werfen.

Es hat selbst während der aufgeheizten Stimmung im 1. Weltkrieg faktisch 2 Jahre und einige fehlgeschlagene Versuche Separatfrieden mit Russland zu schließen gedauert, bis man von deutscher Seite her bereit war so weit zu gehen, tatsächlich ein von Russland unabhängiges Polen als Satelitenstaat schaffen zu wollen und selbst da vermied man es tunlichst sich auf eine genaue Grenzziehung festzulegen, möglicherweise als Rückfalloption um Russland zumindest in geringem Maße in Polen beteiligt zu belassen, wenn es friedensbereit wäre.
 
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Danke für deine Ausführungen.

Allerdings muss dazu gesagt werden, dass diese Präventivkriegsvorstellungen ja nicht dazu angedacht waren, einen unmittelbar bevorstehenden Angriff zuvorzukommen. Das Konzept des Präventivkriegs muss hier im weiteren Sinne gedacht werden, es geht darum, langfristig die Sicherheit des Kaiserreiches zu gewährleisten. In diesem Sinne wollte man einen Schlag führen, um in eine vorteilhaftere Position zu gelangen und nicht abwarten, bis sich die beiden größten Gegner Frankreich und Russland weiter rüsten und irgendwann zu stark werden. Bismarck hat sich letztlich für den Rückversicherungsvetrag entschieden, weil er, wie Moltke wohl selbst, Zweifel an der Erfolgssaussicht eines weiteren Krieges hatte. Hätte man sich aber nun zum Schlag entschieden, hätte man ja auch irgendwas fordern müssen, um das Ziel einer langfristigen Schwächung Russland zu erreichen. Das muss kein Polen sein, der Gedanke kam mir nur mit dem Hintergrund, dass man somit ja zumindest eine Pufferzone geschaffen hätte, für den Falle einer weiteren Auseinandersetzung.

Die gleichen Überlegungen gab es ja auch, als Frankreich nach dem Krieg und dem Abzug der Besatzungstruppen schnell wieder zu Kräften kam und aufrüstete. (Krieg-in-Sicht-Krise). Moltke drängte wohl mehrfach, einen Präventivschlag gegen Frankreich zu führen. Auch hier, nicht um einem bevorstehenden Angriff zuvorzukommen, sondern um die Gefahr möglichst auszuschalten. Aber auch in diesem Fall hätte man ja nach gewonnenem Krieg irgendwas durchsetzen müssen, um dieses Ziel auch zu erreichen. In beiden Fällen gab es wohl den Gedanken, das Land in eine wirtschaftliche Abhängigkeit zu bringen - ein Ziel, welches es so ja später auch ins Septemberprogramm geschafft hat.

Allerdings beweifle ich, dass sich dies so leicht nach einem zweifellos als solchen angedachten Kabinettskriegs durchzusetzen hätte lassen.

Daher wäre es interessant, zu wissen, was man konkret andachte, evtl. auch im Falle eines Krieges gegen Frankreich.

Oder ging es doch lediglich darum, die gegnerischen Angriffspotenziale auszuschalten, um vorübergehend sicher zu sein?
 
Wolfgang J. Mommsen: Grossmachtstellung und Weltpolitik

Deutsche Außenpolitik 1871-1918, Klaus Hildebrand

Zum Beispiel. Wird aber nicht wesentlich mehr erläutert als hier bereits geschehen.
 
In diesem Sinne wollte man einen Schlag führen, um in eine vorteilhaftere Position zu gelangen und nicht abwarten, bis sich die beiden größten Gegner Frankreich und Russland weiter rüsten und irgendwann zu stark werden.
Jetzt projizierst du implizit die Situation nach Inkrafttreten des russisch-französischen Zweibundes auf die Situation 1887 zurück.

Frankreich war objektiv gesehen Deutschland gegenüber feindlich eingestellt und das musste man auf der Rechnung haben, aber die russisch-deutschen Beziehungen waren durchaus noch intakt.
Und im Verlauf des 19. Jahrhunderts hatten sich Frankreich und Russland durchaus nicht immer freundlich einander gegenüber verhalten. In den 1850er Jahren hatten beide gegeneinander den Krimkrieg geführt, der für Russland eine demütigende Niederlage brachte, gewissermaßen als Retour dafür hatte St. Petersburg Bismarck gegen Frankreich (und zuvor schon gegen Österreich) weitgehend freie Hand gelassen und damit die deutsche Reichsgründung deutlich begünstigt. Gegen ein Russisches Veto, oder gar eine Intervention wäre das mit den "Einigungskriegen" so nicht möglich gewesen. Bismarck konnte das am Ende nur deswegen umsetzen, weil man in St. Petersburg der Meinung war mit Wien und Paris wegen des Krimkrieges noch offene Rechnungen zu begleichen zu haben.
Die französische liberale Presse, hatte jedenfalls bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein, notorisch gegen die polnische Teilung und für ein eigenständiges Polen (in Prais gab es eine lebhafte und politisch/publizistisch rührige polnische Emigrantenszene) aggitiert, was dem Zaren und jeder russischen Regierung gegen den Strich gehen musste, und natürlich waren die russischen Zaren auch keine besonderen Fans des französischen Republikanismus.

Während der Ära Bismarck waren Frankreich und Russland keine zwei Mächte, die irgendwie am gleichen Strang zogen, das kam erst danach, als sich Deutschlands Regierung endgültig auf das mit Russland rivalisierende Österreich-Ungarn als Verbündeten festlegte.

Die Bulgarienkrise an der das Dreikaiserbündnis am Ende scheiterte, beeinhaltete keinen fundamentalen Interessengegensatz zwischen Russland und Deutschland, sondern einen zwischen Russland und der Donaumonarchie, während Deutschland zu diesem Zeitpunkt in der Situation war zu versuchen zu können zu vermitteln oder sich einen von beiden als Bündnispartner auszusuchen.

Bismarck hat sich letztlich für den Rückversicherungsvetrag entschieden, weil er, wie Moltke wohl selbst, Zweifel an der Erfolgssaussicht eines weiteren Krieges hatte. Hätte man sich aber nun zum Schlag entschieden, hätte man ja auch irgendwas fordern müssen, um das Ziel einer langfristigen Schwächung Russland zu erreichen. Das muss kein Polen sein, der Gedanke kam mir nur mit dem Hintergrund, dass man somit ja zumindest eine Pufferzone geschaffen hätte, für den Falle einer weiteren Auseinandersetzung.
Ich würde meinen, Bismarck hat sich für den Rückversicherungsvertrag entschieden, weil dass für den Moment die beste Möglichkeit war das revanchistische Frankreich weiterhin zu isolieren.
Sich darauf zu versteifen, dass er die Möglichkeit gehabt hätte zu versuchen sich mit beiden Parteien zu einigen oder mit Österreich zusammen gegen Russland zu gehen, verengt ein wenig den Blick auf das Feld der tatsächlich offenstehenden Möglichkeiten.

Bismarck konnte beides tun, er hätte aber auch radikal auf ein russisches Bündnis, die gemeinsam mit Russland betriebene Zerschlagung der Donaumonarchie, Annexion der deutschsprachigen Teile Österreichs als Ausgleich für mehr russischen Einfluss am Balkan setzen können.
Das entsprach nicht seinem Naturell und außerdem hätte es für Deutschland massive, für Preußen nachteilige innenpolitische Konsequenzen gehabt (mehr Katholiken im Land, größerer Einfluss Süddeutschlands, Verlust von Preußens Sonderstellung innerhalb Deutschlands) aber möglich wäre das gewesen.
Er hätte sich auch für einen Pakt mit Russland gegen Wien entscheiden können, unter der Bedingung Österreich-Ungarn intakt zu lassen um das Problem mit den deutschsprachigen Teilen der Donaumonarchie nicht zu haben.

Allerdings hätte jede klare Entscheidung entweder für Österreich-Ungarn oder für Russland und die Absage an den jeweils anderen dem Erzrivalen Frankreich einen Bündnispartner in die Arme getrieben. Also war es durchaus sinnvoll zu versuchen sich mit beiden zu einigen, um zu verhindern, dass einer davon tatsächlich Frankreichs Alliierter wird und man damit Feinde in West UND Ost haben würde.


Warum genau hätte man, wenn man sich zum Krieg entschieden hätte irgendwas fordern müssen? Wenn aus solchen Forderungen mehr Nach- als Vorteile erwachsen, empfielt es sich nichts zu fordern.
Die negative Konsequenz für Russland wenn es über die bulgarische Krise zum Krieg gekommen wäre, wäre bei Niederlage gewesen Einfluss auf dem Balkan zu verlieren.
Angesichts dessen dass Frankreich bereits Gegner Deutschlands war, Russland aber nicht, hätte es sich aus strategischer Sicht angeboten Russland einen möglichst milden Frieden anzubieten um Russland und Frankreich nicht einander näher zu bringen.
Ähnlich hatte Bismarck ja schonmal am Ende des Krieges von 1867 gehandelt, als Wert darauf gelegt wurde, Preußen zwar zu vergrößern, aber auf keinen Fall auf Kosten Österreichs, unter anderem auch mit der Absicht Wien einen Frieden zu ermöglichen, mit dem man sich irgendwie abfinden konnte, um in der Donaumonarchie nicht einen Dauergegner zu haben.
Ähnliches hätte sich im Bezug auf Russland angeboten.

Die gleichen Überlegungen gab es ja auch, als Frankreich nach dem Krieg und dem Abzug der Besatzungstruppen schnell wieder zu Kräften kam und aufrüstete. (Krieg-in-Sicht-Krise). Moltke drängte wohl mehrfach, einen Präventivschlag gegen Frankreich zu führen. Auch hier, nicht um einem bevorstehenden Angriff zuvorzukommen, sondern um die Gefahr möglichst auszuschalten. Aber auch in diesem Fall hätte man ja nach gewonnenem Krieg irgendwas durchsetzen müssen, um dieses Ziel auch zu erreichen. In beiden Fällen gab es wohl den Gedanken, das Land in eine wirtschaftliche Abhängigkeit zu bringen - ein Ziel, welches es so ja später auch ins Septemberprogramm geschafft hat.
Das ist erstmal schon deswegen nicht vergleichbar, weil während der "Krieg-in-Sicht-Krise" Deutschland keine wirklich festen Bündnispartner hatte und außerdem ein Revanchekrieg Frankreich schon deswegen wahrscheinlich war, weil wegen Elsass-Lothringen zwischen Frankreich und Deutschland nunmal ein Territorialkonflikt bestand.

Den gab es aber zwischen Deutschland und Russland nicht. Da gab es keinen Revanchismus wegen der Annexion irgendwelcher russischer Territorien, wegen dem man realistischer Weise davon ausgehen musste einem Revanchekrieg ggf. nicht ausweichen zu können. Außerdem verfügte Deutschland über den Zweibund und den Dreibund mit Italien und Österreich-Ungarn mittlerweile über 2 Bündnispartner, was es zusärzlich unwahrscheinlich machte, dass Deutschland selbst von russischer Seite tatsächlich angegriffen würde.

Der sich abzeichnende Konflikt mir Russland war einer dem man ausweichen konnte, weil es im Kern um österreichisch-russische Rivalität ging, nicht um deutsch-russische und Deutschland lediglich indirekt über sein Bündnis mit in diesem Konflikt hing.
So lange aber Russland und Frankreich noch nicht miteinander verbündet waren, war Verzicht auf das österreichische Bündnis um das Verhältnis mit Russland bei Bedarf in Ordnung zu bringen eine durchaus realistische und gangbare Option.

Insofern unterscheiden sich aus deutscher Perspektive die "Lage West" und die "Lage Ost" vor dem Zustandekommen des russisch-französischen Zweibundes gravierend.

Auch gibt es keine direkten Kontinuitäten, zwischen Vorstellungen des älteren Moltke hinsichtlich Frankreich 1875 und dem Septemberprogramm der Regierung Bethmann-Hollweg anno 1914.
Die "Mitteleuropa-Phantasien" des Septemberprogramms, sind vor allem auch als Reaktion auf den britischen Kriegseintritt und den Beginn der Blockadepolitik gegen Deutschland zu betrachten.
Die Vorstellung der Schaffung einer deutsch dominierten Wirtschaftszone auf dem europäischen Festland war im Prinzip die Antwort auf die Tatsache, dass Deutschland qua Blockade von den außereuropäischen Märkten und Wirtschaftszonen abgeschnitten war und werden konnte.
 
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Hätte Deutschland allerdings gegen Russland losgeschlagen, hätte man kaum damit rechnen können, dass Frankreich neutral geblieben wäre, auch wenn es noch keine formalisierte Allianz gab. Das beweisen auch die Überlegungen in Moltkes Ostaufmarschplan, der eine Defensive gegen Frankreich vorsieht, man war sich also durchaus klar, dass Frankreich in diesem Falle nicht zuschauen würde.

"Warum genau hätte man, wenn man sich zum Krieg entschieden hätte irgendwas fordern müssen?" Warum soll man denn den Krieg sonst führen, wenn man anschließend keine Vorteile welcher Art auch immer dadurch erringt. Dass Russland jedenfalls nach einer Niederlage sich einfach damit abgefunden hätte, bezweifle ich stark. Eine Großmacht will möglichst viel Spielraum und Initiative erhalten. Hätte das Kaiserreich nun gesiegt und damit den russ. Einfluss im Balkan zerschlagen, wäre das ein Eingriff in russ. Interessengebiet gewesen. Das hätte man damit nicht ruhen lassen, selbst bei einen milden Frieden. Auch Österreich wurde nicht primär Bündnispartner Deutschlands, weil es geschont wurde (Siehe Dreibundplan). Deutschland hat sich einfach am besten angeboten. Russland hätte sich von sowas wohl kaum beeindrucken lassen, sondern daran gearbeitet, das zu revidieren, der beste Partner ist da natürlich Frankreich, mit welchem man kaum Interessensgegensätze mehr hat.
Insofern hätte man ja etwas durchsetzen müssen, um in eine vorteilhaftere Lage zu kommen, hätte man sich für Krieg entschieden. Das dt. Reich war sich seiner halbhegemonialen Stelung ja durchaus bewusst. Insofern muss auch klar gewesen sein, dass bei einem weiteren Sieg gegen eine Großmacht sich die Fronten noch stärker verhärten würden. Dann kann man nach gewonnenem Krieg auch Forderungen stellen, die die strategische Lage verbessern.

Bzgl. Frankreich geht es auch nicht darum, ob die Situationen eins zu eins vergleichbar sind. Das primäre Thema ist ja, was man theoretisch in den Präventivkriegsgedanken danach durchzusetzen gedachte oder ob es lediglich darum ging, gegnerische Angriffspotenziale auzuschalten und somit Druck vom Kessel zu lassen.

Ich wollte auch nicht sagen, dass da eine Kontinuität zu 1914 liegt. Ich hab nur mal als einzige Erwähnung gelesen (habe die Stelle bislang leider noch nicht wiedergefunden), dass man Russland anschließend in wirtschaftliche Abhängigkeit zu bringen gedachte. Der Gedanke, eine ganze Großmacht in wirtschaftl. Abhängigkeit zu bringen, taucht so nun mal auch genau im Septemberprogramm bzgl. Frankreich auf. Dies sollte nur als Vergleich dienen, welchen man so leicht nachprüfen kann.
 
Hätte Deutschland allerdings gegen Russland losgeschlagen, hätte man kaum damit rechnen können, dass Frankreich neutral geblieben wäre, auch wenn es noch keine formalisierte Allianz gab.
Das hätte von der übrigen Mächtekonstellation abgehangen. Da der primäre Gegensatz ja zwischen Russland und Österreich-Ungarn bestand, wäre es, wenn es zum Krieg gekommen wäre, wahrscheinlich mindestens ein Krieg des Zweibundes gegen Russland gewesen. Wenn sich Italien als Dritter im Bunde oder Großbritannien als alter Erzfeind Russlands ebenfalls auf die Seite der antirussischen Koalition geschlagen hätte, hätte eine Intervention von französischer Seite erhebliches Risiko bedeutet und ggf. Abschreckung erzeugt.

Warum soll man denn den Krieg sonst führen, wenn man anschließend keine Vorteile welcher Art auch immer dadurch erringt.
Die Frage ist, was ist ein Vorteil? Eine direkte Bedrohung mindestens zweitweise ausgeschaltet zu haben ist ein Vorteil, durch einen milden Frieden die Beilegung eines Konfliktes und die Erneuerung guter Beziehungen zu ermöglichen, kann auch einer sein.

Dass Russland jedenfalls nach einer Niederlage sich einfach damit abgefunden hätte, bezweifle ich stark. Eine Großmacht will möglichst viel Spielraum und Initiative erhalten.
Ja aber, wo hätte denn Russland Spielraum und Initiative eingebüßt? Zu den Eigenschaften des russischen Zarenreichs gehörte, dass es nicht am Ural endete. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts war für Russland Expansion auch im fernen Osten und in Zentralasien möglich. Wenn man sich die territoriale Entwicklung Russlands im 19. Jahrhundert nach den Napoléonischen Kriegen anschaut, hat die eigentlich überwiegend außerhalb Europas stattgefunden.
Das entfiel erst mit der Niederlage gegen Japan 1905, den Absprachen mit den Briten über Persien, Afghanistan und Tibet so wie dem britisch-japanischen Bündnis.

Historisch sind Beispiele dafür gegeben, dass Russland durchaus Niederlagen akzeptieren konnte. Weder hat St.Petersburg nach dem Krimkrieg einen Revanchekrieg gegen Großbritannien und Frankreich gesucht, noch nach der Niederlage 1905 gegen Japan einen Revanchekrieg gegen das japanische Kaiserreich. Diese Niederlagen hatte Russland akzeptiert, obwohl die durchaus schmerzhaft waren.

Hätte das Kaiserreich nun gesiegt und damit den russ. Einfluss im Balkan zerschlagen, wäre das ein Eingriff in russ. Interessengebiet gewesen. Das hätte man damit nicht ruhen lassen, selbst bei einen milden Frieden.
Interessen haben Großmächte viele. Wenn sie genügend Interessenfelder haben um ausweichen zu können, ist es für sie nicht weiter tragisch kurzfristig in einem Bereich der eigenen Interessensphäre eine Niederlage hinzunehmen und Einflussverlust zu erleiden.
Ein Problem wird dass erst, wenn eine Großmacht so wie Österreich-Ungarn und Russland anno 1914 mit dem Balkan nur noch ein einziges Spielfeld übrig haben und ihre expansiven Ideen nicht mehr anderswo hin umleiten können.

Auch Österreich wurde nicht primär Bündnispartner Deutschlands, weil es geschont wurde (Siehe Dreibundplan).
Nein, aber wenn sich Bismarck nach dem Sieg von 1867 in größerem Stil Österreichische Territorien für Preußen geholt hätte, sagen wir mal Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien, hätte das in der Folge mit einiger Wahrscheinlichkeit die Dauerrivalität zwischen Österreich-Ungarn und Preußen gefestigt, statt sie aufzulösen, womit die Donaumonarchie keine realistische Bündnisoption mehr für Preußen/Deutschland, aber für seine Gegner gewesen wäre.

Russland hätte sich von sowas wohl kaum beeindrucken lassen, sondern daran gearbeitet, das zu revidieren, der beste Partner ist da natürlich Frankreich, mit welchem man kaum Interessensgegensätze mehr hat.
Du übersiehst, dass wegen des Dauerkonflikts Frankreichs mit Deutschlands wegen Elsass-Lothringen ein Bündnis mit Frankreich für Russland bedeutet hätte sich Deutschland zum Feind zu machen.
Und das war, so lange Deutschland von sich aus keine fundamental russlandfeindliche Politik machte aus St-Petersburger Sicht eigentlich völliger Unfug.

Der Zweibundvertrag war nicht für die Ewigkeit ausgelegt. Er war ein befristetes Bündnis, dass mit der Zeit auch scheitern konnte, oder es konnten Herrscher auf den Thron und Politiker an die Macht kommen, die das nicht mehr für sinnvoll hielten.
Im Frühjahr 1887 begann sich beim preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm die Gesundheit zu verschlechtern und die Anzeichen des Krebsleidens tauchten in der ersten Jahreshälfte auf, gleichzeitig ging der alte Kaiser stramm auf die 90 Jahre zu.
Es durfte also jederzeit mit einem Thronwechsel in Preußen gerechnet werden und seit der augenfälligen Verschlechterung der Gesundheit des Kronprinzen auch mit einem Doppelten oder möglicherweise mit einem Übergang der Regentschaft direkt an Wilhelm II. für den Fall, dass sich dessen Vater aus gesundheitlichen Gründen nicht im Stande sehen würde zu regieren.
Damit konnte theoretisch je nach den Vorstellungen des neuen Monarchen in absehbarer Zeit die Außenpolitik Deutschlands neu justiert werden.

Warum (aus russischer Perspektive) sich Deutschland dauerhaft zum Feind machen, wenn man den Zweibund möglicherweise aussitzen und zeitgleich in Zentralasien oder in Richtung des Chinesischen Reiches expandieren kann?

Mit Frankreich hatte es im 19. Jahrhundert immerhin genügend Interessengesensätze gegeben, dass Frankreich und Russland mehrfach Krieg gegeneinander geführt hatten. Sowohl im Rahmen der Koalitionskriege am Anfang des Jahrhunderts, als auch im Fall des Krimkrieges. Die notorische Solidarität der liberalen Teile der französischen Gesellschaft mit der polnischen Nationalbewegung hatte ich bereits angesprochen.
Grundsätzlich waren die politischen Schnittmengen zwischen Deutschland und Russland größer als die zwischen Frankreich auf Russland, bevor sich Berlin endgültig auf Wien als Partner festlegte und die Brücken nach St. Petersburg abbrach.
 
Teil 2

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Insofern hätte man ja etwas durchsetzen müssen, um in eine vorteilhaftere Lage zu kommen, hätte man sich für Krieg entschieden.
Ich meine nur eine Großmacht zum Feind zu haben, ist eine vorteilhaftere Lage als 2 Großmächte zum Feind zu haben.

Das dt. Reich war sich seiner halbhegemonialen Stelung ja durchaus bewusst. Insofern muss auch klar gewesen sein, dass bei einem weiteren Sieg gegen eine Großmacht sich die Fronten noch stärker verhärten würden. Dann kann man nach gewonnenem Krieg auch Forderungen stellen, die die strategische Lage verbessern.
Aber noch gab es ja keine verhärteten Fronten, weil es die russisch-französische Entente noch nicht gab, das Verhältnis zu Großbritannien noch nicht durch das spätere Flottenrüsten eingetrübt war und auch auf Italiens Loyalität als Bündnispartner noch gerechnet werden konnte.

Deutschland stand anno 1887 in Sachen außenpolitischer Absicherung eigentlich mit dem Dreibund und ohne entsprechendes Gegenbündnis glänzend da, da musste man nicht viel verbessern. Mal davon abgesehen, dass gerade der Wettlauf um Afrika vorbei war und die europäischen Kolonialmächte dabei waren ihre neu erworbenen Kolonien zu konsolidieren.
Auch das mit der halbhegemonialen Stellung in Europa stimmt für die Zeit nicht so ganz.

Deutschland war anno 1887 gegenüber Frankreich demographisch und wirtschaftlich noch nicht derart überlegen, dass es auf dem Sprung zur europäischen Hegemonialmacht gewesen wäre:


Deutschland hatte 1887 an irgendwas zwischen 46 und 49 Millionen Menschen (gegenüber ungefähr 40 Millionen in Frankreich) noch längst nicht die knapp 65 Millionen, die es am Vorabend des Ersten Weltkriegs hat.
Und wirtschaftlich begann der Boom der deutschen Industrie auch erst richtig in den 1890er Jahren, während nach dem Gründer-Crash 1873 bis in die 1880er Jahre hinein eher Stagnation bis verhaltenes Wirtschaftswachstum vorhanden waren.

1914 sieht das anders aus, da ist Deutschland mehr oder weniger das "power house" Europas. Da lag allerdings auch etwa ein Vierteljahrundert mehr oder minder kontinuierlicher wirtschaftlicher und demographischer Boom hinter den Zeitgenossen.
Der Vorsprung Deutschlands 1887 war gegeben, aber zu klein um sich damit im Alleingang als Hegemonialmacht etablieren zu können.

Bzgl. Frankreich geht es auch nicht darum, ob die Situationen eins zu eins vergleichbar sind. Das primäre Thema ist ja, was man theoretisch in den Präventivkriegsgedanken danach durchzusetzen gedachte oder ob es lediglich darum ging, gegnerische Angriffspotenziale auzuschalten und somit Druck vom Kessel zu lassen.
Es macht schon einen erheblichen Unterschied, ob wegen eines gegebenen Territorialkonflikts Revanchebedürfnisse seitens des unterlegenen Gegners vorrausgesetzt werden müssen oder ob es diesen Faktor nicht gibt.
Wenn ein Territorialkonflikt vorhanden ist und in der Folge davon ausgegangen werden muss, dass auf Grund dieses Konfliktes die Beziehungen zwischen beiden Ländern ohnehin notorisch schlecht sein werden, schadet es, jedenfalls im Hinblick auf die Beziehung zwischen diesen beiden (wie dritte darauf reagieren ist dann nochmal ein anderes Thema) nicht, der unterlegenen Partei noch mehr Territorium abzunehmen.
Bei nicht vorhandenem Territorialkonflikt, schadet die Abtrennung von Territorium, die einen solchen Konflikt erst produziert sehr wohl.
In der Regel können zwischenstaatliche Konflikte, die keine Territorialkonflikte sind irgendwie eingehegt werden, weil man irgendwie eine Lösung finden kann.
Territorialkonflikte bilden einen der wenigen Konflikttypen, bei denen das nicht so ohne weiteres der Fall ist.
 
@DukeWell gerade die zweite Hälfte der 80er Jahre des 19. Jhs. sind für weiträumige militärische Szenarien äusserst heikel, ja (Achtung durchsichtiges Wortspiel) höchst brisant!
In dieser Lage (kurzfristige Überlegenheit der neuen Artillerie gegenüber dem Festungsbau, aber noch lange nicht genug neue Artillerie und Munition produziert!) war es kaum möglich, einigermaßen tragfähig zu planen, denn an der waffentechnischen Entwicklung werkelten und spionierten und kauften alle Mächte. Erst Ende der 80er Jahre war einerseits die Produktion der Artillerie ausreichend hoch, andererseits hatte der Festungsbau zu neuen - haltbaren! - Konzepten geführt, und die mussten erst noch gebaut werden. - - das in aller Kürze, um auf diese Aspekte hinzuweisen (nebenbei: in den von dir anvisierten Zeitraum fällt die erste Modernisierung und Ausbau der großen russischen Festungen (Modlin, Warschau, Brest-Litowsk, Iwangorod, Narewlinie usw)
 
@Shinigami

Danke für deine Ausführungen. In den meisten Punkten würde ich dir zustimmen.

Ich glaube, ein Knackunkt, auch im Sinne des Kernthemas, ist der Blick der anderen Großmächte auf das dt. Reich zu dieser Zeit.

Dein Standpunkt ist, wenn ich richtig verstehe, dass es in den 1880er keinesweges dieser allzu mächtigerr Faktor in Europa darstellte als 1914.

Nun mag das auch mit den Daten übereinstimmen, aber wie ist die Außenwahrnehmung?

England hatte bereits in der Krieg-in-Sicht-Krise deutlich zu erkennen gegeben, dass man nicht tatenlos zusehen werde, würde Dt. Reich ein weiteres mal Frankreich bezwingen. Diese Erkenntnis hat Bismarck ja erst zu seiner komplexen Bündnisdiplomatie veranlasst. Auch betonte er unentwegt, Deutschland sei saturiert. Also war man sich der eigenen Stärke und der Außenwahrnehmung bewusst, dass das Reich an und für sich ein Problem im Machtgleichgewicht darstellt.

Daher denke ich auch, dass ein weiterer Sieg über eine Großmacht, selbst ein milder, die ohnehin angespannte Lage zwangsweise zum Überlaufen gebracht hätte. Hätte man Russland erstmal entkräftet, hätte dies die Macht auf dem Kontinent ja zwangsweise weiter gesteigert. Ich denke, dies wäre für alle verbleibenden Goßmächte ausgenommen ÖU unannehmbar gewesen. Ich glaube daher, ein solcher SIeg hätte einen zwangsweise endgültig in napoleonische Verhältnisse geschleudert, insofern es auch egal ist, ob ich nun einen weichen oder harten Frieden druchsetze, weil die Koalition sich ohnehin formalisiert hätte. UNd selbst wenn dies auf Kosten Englands in Sachen Zugeständnissen in Asien geschehen wäre. Für England war eine europäische Macht, die keine kontinentale Koalition mehr in Schach halten kann, untragbar gewesen.

Das ging zu Bismarckszeiten gerade noch so, sicherlich nicht zuletzt, weil man nicht müde wurde, zu betonen, man wolle sich gar nicht mehr selbst bereichern. Aber hätte man nun Russland außer Gefecht gesetzt, bliebe ja Frnakreich nur noch allein, welches kaum ein adäquates Gegenwicht darstellen konnte.
 
Die Vorstellung positiver Kriegsziele widerspricht ja an und für sich dem Gedanken des Präventivkriegs.
Es ist eben ein extrem schmaler Grat zwischen einem Präventivkrieg und einem Angriffskrieg. Zumindest, wenn es nicht um die Beseitigung einer unmittelbar drohenden Gefahr und der potentielle Gegner schon mobilisiert oder sogar mit seinen Truppen schon an der Grenze steht und man dem Angriff nur zuvor kommt. Und so eine Situation war 1887 ja wohl nicht gegeben.
Jetzt projizierst du implizit die Situation nach Inkrafttreten des russisch-französischen Zweibundes auf die Situation 1887 zurück.

Frankreich war objektiv gesehen Deutschland gegenüber feindlich eingestellt und das musste man auf der Rechnung haben, aber die russisch-deutschen Beziehungen waren durchaus noch intakt.
Ich denke, ganz ungetrübt war das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland 1887 nicht mehr, aber lassen wir das erst mal so stehen.
Angesichts dessen dass Frankreich bereits Gegner Deutschlands war, Russland aber nicht, hätte es sich aus strategischer Sicht angeboten Russland einen möglichst milden Frieden anzubieten um Russland und Frankreich nicht einander näher zu bringen.
Hätte Deutschland Russland bei im großen und ganzen intakten Beziehungen ohne Not angegriffen, wären die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland auf absehbare Zeit so oder so zerrüttet und Russland hätte Deutschland so oder so als Gegner angesehen.
Ähnlich hatte Bismarck ja schonmal am Ende des Krieges von 1867 gehandelt, als Wert darauf gelegt wurde, Preußen zwar zu vergrößern, aber auf keinen Fall auf Kosten Österreichs, unter anderem auch mit der Absicht Wien einen Frieden zu ermöglichen, mit dem man sich irgendwie abfinden konnte, um in der Donaumonarchie nicht einen Dauergegner zu haben.
Ähnliches hätte sich im Bezug auf Russland angeboten.
Die Situationen sind ja nicht einmal ansatzweise zu vergleichen. Der Deutsche Krieg dauerte nur wenige Woche und forderte vergleichsweise wenige Opfer. Bei einem Krieg gegen Russland hätte man sich aufgrund der Größe des Landes auf einen jahrelangen Krieg mit hunderttausenden Toten einstellen müssen und die Gefahr, dass es zu einem großen Europäischen Krieg unter Einbeziehung Frankreich und eventuell Großbritanniens gekommen wäre, wäre extrem hoch gewesen.

Und das alles, damit man im Idealfall bei einem gewonnenen Krieg im Prinzip wieder beim Status quo ante gewesen wäre?

Im Übrigen ist es ja auch nicht ganz korrekt, dass die territorialen Änderungen am Ende des Deutschen Krieges nicht auf Österreichs Kosten gingen. Österreich musste seine Ansprüche in Schleswig und Holstein an Preußen abtreten und verlor Lombardo-Venetien an Italien. Preußen hielt sich seinerseits an den norddeutschen Kriegsgegnern schadlos, indem es sie überwiegend gleich ganz annektierte. Durch diese territorialen Änderungen und durch das Ende des Deutschen Bundes, die Gründung des Norddeutschen Bundes und die Bündnisse zwischen Preußen und den süddeutschen Staaten (außer Österreich) verschoben die Machtverhältnisse in Mitteleuropa massiv zu Ungunsten Österreichs, auch wenn man eben nur die Ansprüche an Schleswig und Holstein direkt an Preußen abtrat.
Warum genau hätte man, wenn man sich zum Krieg entschieden hätte irgendwas fordern müssen? Wenn aus solchen Forderungen mehr Nach- als Vorteile erwachsen, empfielt es sich nichts zu fordern.
Dieses Argument, dass es für Deutschland besser sei, wenn Russisch-Polen bei Russland bliebe anstatt ein selbstständiger Staat zu werden, hast Du ja schon öfter gebracht und es hat mich ehrlich gesagt noch nie überzeugt. Neben Polen hätten eventuell auch die baltischen Staaten unter deutscher Protektion unabhängig werden können und eventuell sogar Finnland. Dann hätte man, was den Frieden betrifft, eine ähnliche Situation wie nach dem Deutschen Krieg: Russland wäre deutlich geschwächt, ohne das Deutschland größere Gebiete direkt von Russland annektiert hätte.

Aber wenn wir jetzt mal davon ausgehen, dass diese Ziele entweder nicht wünschenswert oder nicht erreichbar erschienen wären, dann hätte ein Präventivkrieg eben keinen Sinn gemacht. Warum einen Krieg beginnen, der selbst dann, wenn man ihn gewinnt, keine signifikanten Vorteile bringt und dafür Russland zwangsläufig in die Arme Frankreichs treiben würde?
Das hätte von der übrigen Mächtekonstellation abgehangen. Da der primäre Gegensatz ja zwischen Russland und Österreich-Ungarn bestand, wäre es, wenn es zum Krieg gekommen wäre, wahrscheinlich mindestens ein Krieg des Zweibundes gegen Russland gewesen. Wenn sich Italien als Dritter im Bunde oder Großbritannien als alter Erzfeind Russlands ebenfalls auf die Seite der antirussischen Koalition geschlagen hätte, hätte eine Intervention von französischer Seite erhebliches Risiko bedeutet und ggf. Abschreckung erzeugt.
Ein Krieg ist immer mit einem Risiko verbunden. Aber aus der Sicht Frankreich musste sich das doch so darstellen, dass man eine bessere Gelegenheit zur Revanche auf absehbare Zeit nicht mehr bekommen würde. Es ist vielleicht nicht sicher, dass Frankreich in den Krieg eingetreten wäre, aber die Wahrscheinlichkeit wäre sehr hoch gewesen.
Warum (aus russischer Perspektive) sich Deutschland dauerhaft zum Feind machen, wenn man den Zweibund möglicherweise aussitzen und zeitgleich in Zentralasien oder in Richtung des Chinesischen Reiches expandieren kann?
Die Vorstellung, dass Russland auf ein Bündnis mit Frankreich verzichtet hätte in der vagen Hoffnung, den Zweibund irgendwie aussitzen zu können, ist doch absurd. Das ist ja auch nicht das, was historisch passiert ist und in diesem hypothetischen Szenario, in dem Deutschland Russland grundlos angreift (zumindest aus der Sicht Russlands), bei, wie Du oben selbst geschrieben hast, im Prinzip intakten Beziehungen, hätte Russland noch viel weniger Grund als historisch zur Annahme gehabt, der Zweibund könnte nur eine vorübergehende Erscheinung sein.
 
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@Nikias

danke für die saubere Gegenüberstellung. Das deckt sich weitestgehend auch mit meinen Gedanken, wobei ich auf @Shinigami Antwort gespannt bin.

Der Gedanke eines baltischen Herzogtums und Finnland kam mir tatsächlich in der Zwischenzeit auch. Damit hätte man nicht nur einen direkten russ. Angriff auf Ostpreussen im weiteren Kiregsfalle enorm erschwert, weil von der Flanke eine viel zu goße Gefahr ausginge, die man wohl zunächst einmal hätte liquidieren müssen. Eine solche Position hätte auch eine enorme Drohkulisse auf St. Petersburg geschaffen.

Ähnliche Gedanken tauchen auch 1918 auf, als man Finnland und das Balikum als Staaten zu festigen gedachte, um somit auch langfristig Druck auf das immer noch beachtliche Restrussland auszuüben. (Deutsche Ostpolitik 1918, Winfried Baumgart)

Vielleicht hätte man dadurch sogar noch eher den Gedanken umsetzen können, den man absurderweise England zugedachte. Ein Bündnis erzwingen. Hier scheint es aber greifbarer, weil man über eine solche Drohulisse tatsächlich solch starken Druck ausüben kann, dass ein Bündnis für Russland vlt. die bessere Option gewesen wäre - im Folgenden kann man sich ja dann problemlos in Asien bemühen.
 
Am 17.November 1887 schrieb Waldersee, seinerzeit der stellvertretende Chef des Generalstabes, an Yorck folgende Zeilen:


“Wenn die Nachrichten stimmen, die uns in den letzten Wochen zugekommen sind, auf Wahrheit beruhen, so bin ich nicht im Zweifel, daß wir flott in den Krieg hineintreiben. Mittlerweile sei die 1. russische Kavalleriedivision nach Wilna und eine weitere Dragoner-Brigade indem Raum zwischen Narew und der deutschen Grenze vorgeschoben worden. Außerdem würden die 9. und 10.Kavalleriedivision weiter nach Westen transportiert, was auf die Bildung von operationsbereiten Kavalleriekorps hindeute. Was die russische Infanterie anbetreffe, so lägen Berlin, das die Schützenbrigaden in Polen durch Einberufung von Reservisten auf Divisionsstärke gebracht. Die 5.Schützenbrigade sei von Wilna nach Suwalki näher an die Grenze zu Ostpreußen vorgeschoben worden. Schließlich wurden an den strategischen Bahnen Polens Kohlereserven bereitgestellt.”

Die deutsch-russischen Beziehungen waren längst nicht mehr das, was diese einmal gewesen waren. Angesichts der Festnahme von Schnäbele gab es in Russland eine antideutsche Pressekampagne, die es in sich hatte. Der Rückversicherungsvertrag wurde vor allem durch Giers getragen.


Moltke befürwortete den Präventivkrieg, denn er war der Ansicht, as die seit Jahren durchgeführte Truppenanhäufung an der deutschen Ostgrenze auf einen großen Einbruch sowohl in deutsches als auch österreichisches Territorium hindeuten.

Es ging also am Ende um Sicherheit.


Zu diesem Zwecke hatte Moltke auch einen Operationsplan entworfen gehabt.
 
Nun mag das auch mit den Daten übereinstimmen, aber wie ist die Außenwahrnehmung?

England hatte bereits in der Krieg-in-Sicht-Krise deutlich zu erkennen gegeben, dass man nicht tatenlos zusehen werde, würde Dt. Reich ein weiteres mal Frankreich bezwingen. Diese Erkenntnis hat Bismarck ja erst zu seiner komplexen Bündnisdiplomatie veranlasst. Auch betonte er unentwegt, Deutschland sei saturiert. Also war man sich der eigenen Stärke und der Außenwahrnehmung bewusst, dass das Reich an und für sich ein Problem im Machtgleichgewicht darstellt.

Naja, dass London vor dem Hintergrund der Gleichgewichtstheorie drohte, war an und für sich nichts neues. Das hatte es ja seinerzeit schon im Kontext des dänischen Krieges getan.

Was die Außenwahrnehmung betrifft, ist das tatsächliche Machtpotential eines Akteurs, würde ich sagen in der Regel weniger Gegenstand von Besorgnis oder Anlass dafür seine Entwicklung in jüngerer Vergangenheit und das Verhalten dieses Akteurs.
Das dürfte seine Begründung darin finden, dass zunächst mal statische Potentiale für eine bestehende Ordnung eine geringere Bedrohung darstellen, als Trends und Bewegungen, oder jedenfalls wird es häufig so wahrgenommen.

Ein schönes Beispiel dafür ist Serbien zwischen den Balkankriegen und dem 1. Weltkrieg. De facto hatte Serbien in den beiden Balkankriegen in Koalition mit anderen Balkan-Akteuren das Osmanische Reich und Bulgarien schlagen und dabei sein eigenes Territorium mehr oder weniger verdoppeln können.
Nichts desto weniger war Serbien nach den Balkankriegen am Ende nicht mehr als ein mittelgroßer Staat (und darunter einer der kleineren), weit davon entfernt eine Großmacht darzustellen, mit einer unterentwickelten Wirtschaft, weitgehend noch analphabetischen Bevölkerung, notorisch klammen Staatsfinanzen und einem grundsätzlich ähnlich starkem Dauerrivalen in Form von Bulgarien an der Backe.

Wenn man nur auf die reinen Machtpotentiale geschaut hätte, hätte man in Wien und Budapest mit den Schulter zucken und sich sagen können "so what?" weil dieser Akteur von seinen reinen machtpolitischen und militärischen Potentialen her der Donaumonarchie kaum gefährlich werden konnte.

Trotzdem fingen die in Wien an wegen Serbien Panik zu schieben. Warum? Weil sie nicht auf die Machtpotentiale dieses für sich genommen eher mittelmäßigen Akteurs schauten, sondern auf sein Verhalten und die Entwicklung seiner Machtpotentiale und unterstellten, Serbien würde bei sich beitender Gelegenheit seine Expansionspolitik ungehemmt fortsetzen und ohnehin würde die Entwicklung das Gleichgewicht am Balkan zerstört haben und die Stabilität der südlichen Provinzen der K.u.K.-Monarchie gefährden.
Ich möchte da jetzt gar keine große Debatte darüber anstoßen, ob diese Wahrnehmung objektiv richtig und sinnvoll war. Ich denke aber, dass es durchaus unterstreicht, dass unter Umständen statische Machtpotentiale, wie sie zum gegebenen Zeitpunkt sind weniger Sorge bereiten als in die Zukunft projizierte Trends.
Das kann man auch in der deutschen Perspektive auf Russland vor dem 1. Weltkrieg wahnehmen. Man hatte keine Angst vor Russland, wie es war, sondern vor den Veränderungen durch die Heeresvermehrungen, den Ausbau der strategischen Bahnen und den Fortschritt seiner Industrialisierung.


Wenn man nun unterstellt, dass Trends einer allmählichen und kontinuierlichen Machtverschiebung ein mitunter größerer Grund zur Sorge sind, als ad hoc vorhandene Potntiale, konnte für die Außenwahrnehmund Deutschlands die jüngere Vergangenheit, aus der sich ein Trend zum Machtzuwachs durch die Einigungskriege ableiten ließ, maßgeblicher für Befürchtungen sein, als der Status Quo anno 1875 selbst.


Daher denke ich auch, dass ein weiterer Sieg über eine Großmacht, selbst ein milder, die ohnehin angespannte Lage zwangsweise zum Überlaufen gebracht hätte. Hätte man Russland erstmal entkräftet, hätte dies die Macht auf dem Kontinent ja zwangsweise weiter gesteigert. Ich denke, dies wäre für alle verbleibenden Goßmächte ausgenommen ÖU unannehmbar gewesen. Ich glaube daher, ein solcher SIeg hätte einen zwangsweise endgültig in napoleonische Verhältnisse geschleudert, insofern es auch egal ist, ob ich nun einen weichen oder harten Frieden druchsetze, weil die Koalition sich ohnehin formalisiert hätte. UNd selbst wenn dies auf Kosten Englands in Sachen Zugeständnissen in Asien geschehen wäre. Für England war eine europäische Macht, die keine kontinentale Koalition mehr in Schach halten kann, untragbar gewesen.

Das denke ich nicht. Und zwar mit der Begründung, dass ich unterstelle, dass was Großbritannien in diesem Fall beunruhigte nicht der Status Quo war, sondern der Trend des preußischen Machtzuwachses in den letzten anderthalb Jahrzehnten und die Unterstellung, dass der Erfolg der expansiven Politik Preußens und Deutschlands Regierung dazu ermutigen würde das was funktionierte fortzusetzen.

Ein milder Frieden bei einem Krieg gegen Russland, der keine weiteren Territorialgewinne für Preußen-Deutschland gebracht hätte, wäre geeignet gewesen die Annahme des Trends der auf die Zukunft gerichteten expnansiven Politik zu widerlegen.
Eine Niederlage Russlands hätte das Zarenreich zwar geschwächt aber zum einen nur temporär, wenn das mit keinen weiteren großen Verschiebungen verbunden gewesen wäre und außerdem, wäre das London wahrscheinlich durchaus recht gewesen.
Man darf nicht übersehen, dass zu dieser Zeit in Großbritannien noch Russland, nicht Deutschland als der strategische Hauptgegner betrachtet wurde, was im Übrigen ein Zeichen dafür ist, dass man in London Deutschland durchaus noch nicht auf dem Sprung zur europäischen Hegemonie wähnte.
Denn wenn man es getan hätte, hätte man der Logik antihegemonialer Koalitionen folgend, wahrscheinlich die Verständigung mit Russland gesucht und Deutschland zum neuen Hauptgegner definiert. Das passiert aber de facto erst 30 Jahre später.
Hier dürfte es weniger darum gegangen sein eine deutsche Hegemonie, als eine Marginalisierung Frankreichs zu verhindern, so lange Deutschland nicht im Stande war alle anderen Mächte um Längen abzuhengen und so lange es noch kein Bündnissystem gab, dass Österreich-Ungarn und Italien an Deutschland band, war beides miteinander nicht gleichbedeutend.

So lange Deutschland bündnispolitisch noch weitgehend isoliert war, und somit theoretisch alle anderen europäischen Mächte als Partner für eine Koalition gegen Deutschland infrage kamen, um es bei Bedarf einzuhegen, war die tatsächliche Gefahr, dass das ganze System in Kürze umstürzen und zu einer napoléon-ähnlichen Dominanz Deutschlands führen könnte, in meinen Augen nicht gegeben.

Deutschland war vielleicht mittlerweile leicht stärker als Frankreich, was seine Machtpotentiale angeht, aber es war nicht stärker als 2 oder 3 der anderen Akteure zusammen.
Wirtschaftlich gesehen, war zu diesem Zeitpunkt noch Großbritannien, die führende europäische Industriemacht, nicht Deutschland und militärisch-strategisch gesehen bestand für Deutschland das Problem der geographischen Mittellage und damit die Gefahr seine militärischen Potentiale möglicherweise nicht auf einen Gegner konzentrieren zu können.

Auf das Weitere gehe ich später noch ein.
 
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Noch etwas zu 1887:

Am 23.November schrieb Major Deines, deutscher Militärattaché in Wien, nach Berlin:

"Die russischen Rüstungen bezwecken den Krieg; will es wirklich uns nicht angreifen, so gilt er Österreich." Der österreichisch-ungarische Chef des Generalstabes Beck erklärte, der Umfang und die Bedeutung der russischen Truppenverschiebungen seien so bedrohlicher Art, dass die friedlichen Versicherungen des Zaren bei seinem Besuch in Berlin nur dann ernst genommen werden könnten, wenn die in Russland getroffenen militärischen Anstrengungen zum mindesten teilweise wieder rückgängig gemacht würden.

Kalnoky machte sich keine großen Illusionen hinsichtlich der Stimmung in Russland.Er sah, das der Bestand des Friedens hauptsächlich von russischen Launen abhängig war. Am 01.Dezember 1887 sagte er zum deutschen Botschafter Reuß, "[...] wenn also die Truppenbewegungen aus dem Inneren Russlands an die westliche Grenze fortgesetzt würden, dann würde es den Russen unmöglich werden, ihre aggressiven Ziele noch weiter zu bemänteln, und dann würde es an der Zeit sein, sich gegen einen Überfall zu sichern."

Am gleiche Tage berichtet Bülow aus Petersburg:
"[...] Giers habe sich mit wohl überlegter Gereiztheit gegen Österreich ausgelassen. Zwar wolle man es nicht angreifen [...] Aber die Österreicher führten eine zu hochmütige Sprache, man müsse ihnen das Maul stopfen. Der Beherrscher von hundert Millionen könne sich nicht von einem Lande wie Österreich verspotten lassen."
 
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