Probleme zentralplanwirtschaftlicher Systeme

Ein Heine-Zitat wirft hier niemanden aus dem Sattel - und warum das Thema geschlossen wurde, steht gut lesbar da.
Da war ich eigentlich anderer Meinung und um eine "Einladung zur Tagespolitik" ging es mir auch gar nicht, denn eine Auswertung der Fehler von Anfang der ´90er Jahre sind keine Tagespolitik mehr, aber gut - zu ist zu. :rotwerd:

Danke @jschmidt, sehr guter Beitrag.
:winke:
 
Warum wurden notwendige Investionen verschleppt? War das ein Systemfehler oder hatte das andere Gründe?

Unternehmen erwirtschaften immer Gewinne, die sie in einer Marktwirtschaft in Erhaltungs- oder Erweiterungsmaßnahmen investieren. Auch Betriebe in einer Zentralverwaltungswirtschaft erwirtschaften Gewinne, die aber nicht im Unternehmen verbleiben sondern direkt an den Staat gehen (dem der Betrieb ja gehört, auch wenn er "volkseigen" ist). Somit fehlen erstmal die Mittel für Investitionen und somit auch für die Anschaffung von innovativen Betriebsmitteln oder der selbständigen Entwicklung neuer Produkte. Die Investitionen wurden vom Staat geplant und in Betriebe gesteckt, die den Machthabern wichtig erschienen. So hatte Honecker eine ausgesprochene Vorliebe für die Computerindustrie entwickelt, die dann auch entsprechend gefördert wurde. Viele Investitionen gingen außerdem in exportlastige Betriebe um auf diese Weise den Devisenbedarf zu decken. Daraus folgt, dass es zwar nicht in allen Betrieben an Investitionen fehlte, aber durchaus in einigen Bereichen.

Es handelt sich also um ein systemimmanentes Problem, das aber in einer Marktwirtschaft auch auftreten kann, dort wird es aber langfristig mit Konkurs bestraft.
 
Bevor man das mit der resignierenden Erkenntnis abschließt, dass "drüben" - etwas drastisch ausgedrückt - 40 Jahre lang eh' nur ein Haufen Idioten am Werk war, möchte ich wenigstens etwas zur Theorie in der DDR sagen

Ich habe bereits mehrfach betont, dass es hier nicht um eine Abrechung mit der DDR geht, sondern um eine sachliche Darstellung der wirtschaftlichen Probleme einer Zentralverwaltungswirtschaft. Dass die DDR als Beispiel dient, liegt an dem vorhandenen Wissen zur DDR. Es soll niemand diskrimiert werden, Gegendarstellungen sind natürlich vollkommen in Ordnung, man kann immer noch was lernen.

- Gleich darauf (#3) wird die Untauglichkeit der Preisfestsetzung aus der Sicht eines US-Ökonomen beschrieben, wonach es auf keine Art und Weise möglich ist, das Preisproblem in den Griff zu bekommen: wie man's auch macht, ist's verkehrt.
Welchen Punkt meinst du genau? Die ökonomischen Probleme die wirksame Höchst- und Mindestpreise aufwerfen sind aber generell unumstritten, egal ob das ein US-amerikanischer Autor oder ein deutscher wäre, du kannst solche Effekte auch bei den Zöllen oder bei Mindestlöhnen am Arbeitsmarkt beobachten. Ich gehe aber gerne nochmals auf die entsprechende Stelle ein, wenn du sie mir nennst.

Etwas grob gesagt: Das Charakteristikum der Preisbildungsprozesse in dieser ZVW ist das Zusammenfließen ökonomischer und gesellschaftlich-sozialer - und sogar "verbraucher-erzieherischer" - Motive. Im Prozess selbst muss ein Bündel von Wertentscheidungen getroffen werden, die in einer Marktwirtschaft größenteils bei den privaten Betrieben anfallen und nur zu einem geringen Teil - wenn überhaupt (Beispiel: Regulierungsbehörde für Telekommunikation) beim Staat. Hierbei können die gesellschaftlich-sozialen Motive in einer Weise dominieren, dass sie die ökonomischen einschränken. (Beispiel: Preise für Kraftfahrzeuge werden in unwirtliche Höhen geschraubt - Preise für die Betreuung von Kindern auf Null gesetzt.) Die Frage ist, inwieweit hierbei eine strukturelle Überlastung des Preisbildungsmechanismus vorliegt, der zwangsläufig zum Versagen führen muss bzw. zu gesellschaftlichen Konflikten aufgrund abweichender Bedürfnisstrukturen.
Soziale Marktwirtschaften lenken hauptsächliche über Steuern und nicht über eine konkrete Preisfestsetzung. Freie Marktwirtschaften greifen überhaupt nicht in den Wirtschaftsprozess ein.
Der "sozialistische" Preisbildungsmechanismus versagt deswegen, da er weder die Leistungsfähigkeit der einzelnen Betriebe berücksichtigt noch eine ausreichende Ressourcenallokation sicherstellt. Auch Betriebe die schlecht wirtschaften existieren weiter. Es fehlt der Anreiz zu maximaler Effizienz. Eine gesellschaftliche Unzufriedenheit kann aus der Tatsache entstehen, dass eben die Bedürfnisstrukturen falsch eingeschätzt werden. Die Unternehmen stellen also unter Umständen das falsche Produkte in der falschen Menge zur Verfügung. Das kann aus zwei Gründen passieren, entweder schlicht aufgrund von falsch vermuteten Bedürfnisstrukturen (um diese genau zu ermitteln müsstest du eine Vollerhebung machen, also jeden einzelnen Haushalt bzw. jede einzelne Person nach seinen genauen Bedürfnissen fragen) oder aufgrund des von Nakharar angeführten Time lags, also die Bedürfnisse sich vom Erkennen bis zur abgeschlossenen Produktion verändert haben.

Man kann das natürlich mit dem kalten Blick des Ökonomen so sehen - das Ausblenden der individuellen Konsequenzen bei 6 oder 10 % Arbeitslosigkeit ist "auch nur" eine Wertentscheidung, die sozusagen im Zyklus der nationalen und globalen Entwicklung stets neu getroffen werden muss.
Es ist keine Frage, dass diese Betrachtung etwas kalt erscheint, aber grundsätzlich standen hier auch nicht die sozialen Auswirkungen im Mittelpunkt der Betrachtungen. Du hast natürlich absolut recht, dass die gesellschaftlichen Folgen von hoher Arbeitslosigkeit enorm sind. Diese aus der Arbeitslosigkeit resultierenden Folgen traten in den sozialistischen Staaten auch nicht auf, während die marktwirtschaftlich organisierten Staaten seit dem Ende der nachholenden Entwicklung infolge des WK II schwer unter diesen Probleme leiden. Dafür gibt es kein Patentrezept!

Auf jeden Fall freue ich mich über die rege Teilnahme und die interessanten Aspekte, die du zu dem Thema eingebracht hast. Die genaue Preisbildung in der DDR war mir bisher unbekannt.
 
Auch Betriebe in einer Zentralverwaltungswirtschaft erwirtschaften Gewinne, die aber nicht im Unternehmen verbleiben sondern direkt an den Staat gehen (dem der Betrieb ja gehört, auch wenn er "volkseigen" ist).
In der Theorie, und von der spreche ich, trifft das nicht zu: Ein Teil der betrieblichen Gewinne muss auch in der ZVW dort bleiben, wo er erwirtschaftet wird: "Unentbehrliche Voraussetzung für die Arbeit der Betriebe und Kombinate bildet die Existenz von Fonds", über die diese "als Eigenmittel verfügen". Diese Fonds (Produktionsfonds, Zirkulationsfonds, Geldfonds, Umlauffonds) werden durch den betrieblichen Gewinnanteil, ggf. auch durch zentrale Zuwendungen gespeist und bilden rechnungs- und bilanzmäßig das, was man anderswo "Rücklagen" nennt; in etwas gewaltsamer Analogie könnte man den Staatsanteil am Gewinn als "Eigentümerrendite" (Dividende) bezeichnen. (Dass die Praxis weithin anders ausgesehen hat, leugnet niemand - mir geht es um die Frage, inwieweit das ZVW-Konstruktionsprinzip bereits fehlerhaft war oder nicht.)

Es handelt sich also um ein systemimmanentes Problem, das aber in einer Marktwirtschaft auch auftreten kann, dort wird es aber langfristig mit Konkurs bestraft.
Zweierlei ist zu beachten:
- Auch in einer Marktwirtschaft wird bisweilen die "Konkurs"-Strafe von Staats wegen abgewendet; man spricht in manchen Fällen dann etwas despektierlich von der "Sozialisation der Verluste". (Beispiele muss ich wohl nicht nennen...)
- Im Gegensatz zu internationalen Konzernen hat die ZVW nicht die Möglichkeit, mit Betrieben (und den Menschen darin) in aller Herren Länder zu "jonglieren". Versucht sie es dennoch, indem sie entsprechende Verträge mit anderen ZVW abschließt (Stichwort: COMECON), verschärft sich die allgemeine Koordinations- und Entscheidungsproblematik überproportional.

PS: Bin grad von einem Beitrag "überholt" worden - aber dazu vielleicht später.
 
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In der Theorie, und von der spreche ich, trifft das nicht zu: Ein Teil der betrieblichen Gewinne muss auch in der ZVW dort bleiben, wo er erwirtschaftet wird: "Unentbehrliche Voraussetzung für die Arbeit der Betriebe und Kombinate bildet die Existenz von Fonds", über die diese "als Eigenmittel verfügen". Diese Fonds (Produktionsfonds, Zirkulationsfonds, Geldfonds, Umlauffonds) werden durch den betrieblichen Gewinnanteil, ggf. auch durch zentrale Zuwendungen gespeist und bilden rechnungs- und bilanzmäßig das, was man anderswo "Rücklagen" nennt; in etwas gewaltsamer Analogie könnte man den Staatsanteil am Gewinn als "Eigentümerrendite" (Dividende) bezeichnen. (Dass die Praxis weithin anders ausgesehen hat, leugnet niemand - mir geht es um die Frage, inwieweit das ZVW-Konstruktionsprinzip bereits fehlerhaft war oder nicht.)

Interessant, das war mir jetzt neu. Ich wußte nur, dass in den 60ern erstmalig ein Teil der Gewinne einbehalten und sogar selbst verplant werden durfte. Danke für den Hinweis.

- Auch in einer Marktwirtschaft wird bisweilen die "Konkurs"-Strafe von Staats wegen abgewendet; man spricht in manchen Fällen dann etwas despektierlich von der "Sozialisation der Verluste". (Beispiele muss ich wohl nicht nennen...)

Das ist leider wahr. Eigentlich trägt hier die Gesellschaft die Lasten für die Fehler einzelner. Die Konkurs-Strafe sollte aber rein theoretisch zumindest eintreten.
 
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Das steht außer Frage, viele Staaten sind mit einer Monopolisierung ihrer Wirtschaft gescheitert. Es ist ausdrücklich kein Phänomen, das nur auf Zentralplanwirtschaften zutrifft, aber in diesen erhebliche Ausmaße annimmt, ....

Jo, auch von mir ein Lob für dich, jschmidt und alle anderen.
Neben Frankreich, funktionierte auch in der Türkei langfristig nicht die verstärkte Verstaatlichung der Betriebe, die man mit dem [FONT=verdana,arial,geneva]Etatismus”, also die staatliche Lenkung ausgewählter Wirtschaftsbereiche, zu erreichen suchte. Dieser spätere Grundpfeiler des Kemalismus wurde eingeführt, als die Privatwirtschaft nicht die erwarteten Erfolge [/FONT]brachte, und die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre die türkische Regierung [FONT=verdana,arial,geneva]1934 [/FONT]zur Einführung [FONT=verdana,arial,geneva]des ersten Fünfjahresplanes außerhalb der Sowjetunion veranlasste.
Seit den 80ern wurde verstärkt dieser Kurs verlassen und die Privatisierung vorangetrieben.

Kurze historische Infos hier:
Auf dem Weg zu einer wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft - Informationen zur politischen Bildung (Heft 277)
Die Türkei zu Beginn der EU-Beitrittspartnerschaft - Aus Politik und Zeitgeschichte (B 13-14/2001)
[/FONT]
 
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Ich nehme gleich eine längere Auszeit, damit andere sich stärker einmischen können. Nur ein kleiner, aber zentraler Aspekt:

aber grundsätzlich standen hier auch nicht die sozialen Auswirkungen im Mittelpunkt der Betrachtungen.
Das ist natürlich ein Knackpunkt für alle vergleichenden Betrachtungen dieser Art! Es hat heftige Konsequenzen, ob man vom "Output" aus unternehmerischer Sicht spricht oder vom "Outcome" aus der Perspektive des VWLers.

Daß sich Mankiw dieser Problematik bewusst ist, zeigt Dein Verweis auf den Topos
Gerechtigkeit = Fairness der Wohlfahrtsverteilung unter allen Mitgliedern einer Gesellschaft (S. 165)
wobei ich die Gelegenheit nutze, zu versichern, dass ich diesen Autor durchaus schätze (siehe auch seinen Blog). Die Formulierung "US-amerikanisch" war ein Reflex darauf, dass er aus einer Volkswirtschaft kommt, in der die "innere Verschuldung" des Staates astronomische Größenordnungen angenommen hat. (Das soll keinen aktuellen Bezug herstellen! :winke:)

PS: Bin schon wieder überholt worden - man wird halt alt...
 
@lynxxx
Vielen Dank für das nette Lob und den Hinweis auf den türkischen Etatismus, das zeigt auch deutlich, dass stark monopolisierte Wirtschaften in aller Regel mehr schlecht als recht funktionieren.

@jschmidt
Ich hatte auch verschiedene Bedenken Mankiw zu benutzten, da er manche Dinge sehr aus der US-amerikanischen Sicht sieht, deshalb konnte ich auch weite Passagen von ihm nicht benutzen, aber insgesamt sind seine Ansichten richtig und brauchbar. Ich hinterfrage Äußerungen von einzelnen Autoren schon. Die sehr rationale Sicht von Wirtschaftwissenschaftlern macht vielen zu schaffen, erlaubt aber auch an viele Themen sehr unvoreingenommen heranzugehen. Mir ist aber auch bewusst, dass man auf diese Weise nicht alle Aspekte adäquat berücksichtigen kann.
Übrigens vielen Dank für die rege Teilnahme und das einfügen von neuen Aspekten.
 
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Entgegen aller Annahmen schaffe ich es doch noch mich exemplarisch mit der Entwicklung in der DDR zu befassen. Ich versuche dabei mich einigermaßen chronologisch zu fassen.

Beginne möchte ich mit einigen Zahlen, die den Trend zur Verstaatlichung und Monopolisierung belegen können. Ich hatte diese zwar auszugsweise schon erwähnt, führe sie hier aber der Vollständigkeit halber nochmal auf.
1950 waren 61,8 Prozent aller Betriebe in sozialistische Unternehmen umgewandelt, der Rest befand sich noch in Pirvathand. 1955 waren dann fast drei Viertel aller Betriebe verstaatlicht (73,3%), 1960 bereits 84,4, fünf Jahre später 86,8% und 1971 85,7%. Dann wurde in der letzten Welle der Verstaatlichung nahezu alle Unternehmen sozialisiert. 1972 betraf das 94,7%, ein Jahr später 95,2% und 1980 dann 96,5% zusätzlich noch ein halbes Prozent halbstaatlicher Betriebe, damit waren nahezu alle Betriebe unter dem Kommando des Staates.

Die junge DDR bzw. vorher die SBZ litten wesentlich stärker als der Westen unter den Reparationsforderungen der Siegermächte, in diesem Fall der Sowjets, und hatten damit schon eine relativ schlechte Ausgangslage für die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Zusätzlich litt sie an dem Fehlen größerer Rohstoffvorkommen, die durch die Aufteilung des ehemaligen Reichsgebietes nicht mehr erreichbar waren (v.a. Schlesien und Ruhrgebiet).

Bereits 1945 begann die Sozialisierung der Wirtschaft mit der Beschlagnahmung der Banken- und Versicherungsvermögen und der Überführung in ein staatliches bzw. landeseigenes Netz. Im September desselben Jahres wurde dann eine umfassende Bodenreform durchgeführt, die hauptsächlich zur Gründung von sehr kleinen Betrieben (5-8 ha) führte. Diese wurde schon 1952 wieder versucht rückgängig zu machen, indem man mit indirektem Druck versuchte die Bauern in LPGs zu pressen. Diese Maßnahme wurde 1959 mit einer Zwangsverstaatlichung nahezu aller landwirtschaftlichen Betriebe abgeschlossen.

In den Jahren 1948/49 übernahm die DDR das sowjetische Wirtschaftsmodell der zentralen Planung mit einer streng hierarchisch gegliederten Planungskommission, mit einem allumfassenden Planungsanspruch (bis hin zu olympischen Medaillen) deren Mengenvorgaben maßgeblich in naturalen Größen erfolgte.

Die 50er-Jahre standen dann unter dem Zeichen des Wiederaufbaus, es wurde ein "planmäßige und proportionale Entwicklung einer Volkswirtschaft" durchgeführt, indem man versuchte die vorhanden "unausgeglichene" Wirtschaftsstruktur zu verändern. Das bedeutete die Förderung von Grundstoffindustrien (z.B. Eisen- und Stahlproduktion) zu Lasten der Konsumgüterindustrie. In dieser Phase der Zwangsindustrialisierung trat zum ersten Mal ein Phänomen auf, das typisch für Zentralverwaltungswirtschaften ist, die fehlende Arbeitsmotivation aufgrund des fehlenden Wettbewerbs. Man versuchte diesen Effekt mit dem sogenannten sozialistischen Wettbewerb, also dem wetteifern um Planübererfüllung zu kompensieren. Es zeigte sich aber, dass diese Form "echten" Wettbewerb nicht probat ersetzen kann.

Anfang der 60er-Jahre waren die Mängel des planwirtschaftlichen Systems offensichtlich, wurden aber auch zugegeben und offen diskutiert. Diese Probleme habe ich im Beitrag #1 bereits dargelegt, und möchte sie deshalb an dieser Stelle nicht wiederholen. Diese Auseinandersetzung mit dem System führte 1963 zur Einführung des "Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft" (NÖSPL). Dabei führte man marktwirtschaftliche Anreize ein, um die Effizienz der Industrie zu steigern. So durften beispielsweise die Betriebe ihre Gewinne teilweise behalten und eigenständig verplanen, die Produktionsvorgabe nahm die Form eines Kapitalzinses an. Man kann von einer Abart des Keynesianismus sprechen, einer marktorientierten Planwirtschaft. In den folgenden Jahren zeigte sich aber, dass die beliebige Mischung von Elementen aus beiden Systemen nicht funktionierte, da bspw. eine marktorientierte Fertigung nur funktionieren kann, wenn man auch über Grundstoffe verfügt, werden diese aber nicht zugeteilt... Letztendlich führten das Scheitern dieses ökonomischen Experimentes zum Sturz Ulbrichts.

Ab 1971 unter Honecker prägten zwei Effekte die DDR ganz maßgeblich: einer verstärkten Öffnung nach außen (Aufbau wirtschaftlicher Beziehung zur BRD) folgte eine radikale Rückkehr zur Zentralverwaltungswirtschaft. Jetzt wurde unter dem Schlagwort "ökonomisches System des Sozialismus" (ÖSS) die zentrale Planung der Wirtschaft auf einen absoluten Höhepunkte getrieben. Nun plante die Kommission auch für Bereiche wie Sport oder Bildung, die Befugnisse der Leitungsorgane der VEBs wurden wieder eingeschränkt und die letzte Verstaatlichungswelle überführte fast alle verbliebenen privaten und halbstaatlichen Betriebe in Volkseigentum. Da damit auch die alten Probleme wieder auftraten wurden Ende der 70er-Jahre wieder Reformen notwendig. Man versuchte durch eine massive vertikale Konzentration und der Bildung von gewaltigen Konzernen den Problemen entgegenzuwirken, trotzdem zeigten sich in dieser Zeit schon massive Stagnationstendenzen, auch die Rohstofflage wird in dieser Zeit verzweifelt, da die Weltmarktpreise kräftig anstiegen. Immer mehr Mittel weden in den Außenhandel gesteckt, um an die lebenswichtigen Devisen zu kommen, wodurch die Investitionstätigkeit fast zu erliegen kommt. Obwohl 1984 das Wirtschaftswachstum die höchsten je realisierte Werte für die DDR erreicht, zeigen sich erste Anzeichen für eine Krise. Ende 1986 bricht dann der innerdeutsche Handel um 9% ein. Am Ende des Jahres 1988 mehren sich die Anzeichen für eine massive Wirtschaftskrise. Die Planvorgaben werden nicht mehr erreicht, Lieferengpässe und Versogungsrückstände prägen das Bild in fast allen Branchen. Die vollen Auswirkungen der sich anbahnenden Krise kommen nicht mehr zum Tragen, da aufgrund der Wiedervereinigung die Marktwirtschaft eingeführt wird.

Die Einführung der sozialen Marktwirtschaft bracht dann neue Problem mit sich, darauf möchte ich aber hier nicht eingehen. Die Entwicklung in der DDR zeigt fast alle Mängel des zentralverwaltungswirtschaftlichen Systems. Es zeigte sich auch, dass es nicht möglich ist Mischformen zu umfassender Effizienz zu führen. Trotz all dieser Effekte haben die Bürger der DDR ihr Land nach dem verheerenden Krieg wiederaufgebaut und sich mit ihrem Fleiß, trotz des unzulänglichen Wirtschaftssystems, auf Platz zwölf der größten Industrieländer der Welt hochgearbeitet und den höchsten Lebensstandard im Ostblock geschaffen.
 
Ein sehr guter Beitrag, @Gil-galad (an dieser Stelle finde ich es nun doch Schade, daß es das Bewertungssystem nicht mehr gibt... :still:).
Und da du dich anscheinend wirklich sehr dafür interessierst, ist mir noch eingefallen, daß es über die Ökonomie der DDR schon interessante Infos gab. Dieser Pfad dürfte eine Fundgrube für dich sein: http://www.geschichtsforum.de/f46/wie-nah-war-die-ddr-1989-am-staatsbankrott-13508/
dazu noch die darin enthaltenen Links:
DDR-Lexikon: Analyse der konomischen Lage der DDR mit Schlufolgerungen
+
http://www.memo.uni-bremen.de/docs/m2706b.pdf
:winke:
 
Das ist gut geschrieben, trifft auch fast zu. Nur frage ich mich jetzt, warum mein Opa, seine Tischlerei in der DDR behiehlt, mit 5 Angestellten. Der Betrieb lief bis 72, als er starb.
 
Die Diskussion ist ja schon sehr weit fortgeschritten, ich möchte mich daher auf einen Aspekt beschränken.


Oben ist ein sehr interessanter Aspekt angesprochen worden: die Kapitalallokation in der ZVW/Planwirtschaft, u.a. ein wesentlicher Aspekt für die Investitionstätigkeit der Betriebe. Ich skizziere das im Folgenden anhand am praktischen Beispiel, den sehr guten Hinweis von jschmidt zur Fondsbildung in VEBs/Kombinaten aufgreifend.


Der beliebige VEB (und quasi in der häufig anzutreffenden "Holdungsstruktur" auch das Kombinat) hatte hier verschiedene Möglichkeiten:

1. einen ersten bescheidenen Aspekt der dezentralen Steuerung gab es in Form der Abschreibungen auch in der Gewinn- und Verlustrechnung der Betriebe in der Planwirtschaft (mW war das "Formblatt 51"). Die Abschreibungen erlaubten - wie in marktwirtschaftlichen Systemen die Mittelbindung an den Betrieb, und damit die Reinvestition - ähnlich einer nominellen Substanzhaltung (sofern vorgeordnete Instanzen nicht eingreifen). Natürlich, aber das unterscheidet zB nicht von marktwirtschaftlichen Konzernstrukturen, gab es Planbilanzen (ähnlich "Formblatt 4"?) und zu genehmigende Investitionspläne.

2. Damit nicht genug: in der Planwirtschaft der DDR gab es mehrere Umbewertungsrunden des Anlagevermögens mit dem Ergebnis von Indizierungen der Anlagewerte. An sich würde das in preisstabilen Systemen nicht erforderlich sein, auch die DDR war allerdings in eine RGW- und NSW-Exportumgebung eingebettet, somit also prima vista sinnvoll. Die Höherbewertungen führten zu höheren Abschreibungen quasi zu (gestiegenen) Wiederbeschaffungskosten - im Ergebnis damit ähnlich einer realen Substanzerhaltung. Der VEB/das Kombinat verschaffte sich hiermit im Ergebnis eine höhere Mittelbindung durch die Abschreibungen. Auch höhere Reinvestitionen waren hieraus theoretisch finanzierbar.

3. Dazu kamen häufig über die Umsatzerlöse "Transferleistungen" des Staates, in Form von Zuschüssen (zB Exportzuschüssen, Zuschüssen in die NiWP, etc): im Ergebnis ist das nichts anderes als administrativ verfügte Kapitalzufuhr. Gibt es auch in marktwirtschaftlichen Systemen.

4. die von jschmidt angesprochenen Fondsbildungen, insbesondere hier der Investitionsfonds. Genehmigte Investitionen, mir fällt hier als Beispiel der L 60-LKW ein, bekamen die sehr verstärkte Möglichkeit der Bildung gebundener Investitionsfonds (es gab auch quotengebundene, reguläre Investitionsfondsbildung), einer marktwirtschaftlichen Eigenfinanzierung durch Rücklagenbildung vergleichbar. Dem VEB/Kombinat wurde mit der ergebniswirksamen Buchung gestattet, "below the line" (der Aufwendungen und Erträge) erzielte Gewinne im Unternehmen zu thesaurieren und war verpflichtet, Investitionen in Höhe der gebildeten Investitionsfonds zu tätigen. Nichts anderes findet man in Verteilungsmechanismen in marktwirtschaftlichen Systemen, etwa dem AktG der BRD (ggf. Rücklagebildungen bei Ergebnisabführungsverträgen, Rücklagenbildung zur Minderung verfügbaren Ausschüttungsvolumens), quasi schon eine relative Kapitalerhaltung. Da setzen allerdings auch schwerwiegende Administrative eingriffe an: VEB wurden zu ihnen fremder Produktion gezwungen, Fondsbildung zB zur NiWP, die von oben angeordnet wurde. andererseits mußte um Investitionsfondsbildung über bestimmte Prozente hinaus - zB bei neuen Produkten etc. - gerungen werden, der von der Produktion überzeugte VEB/das Kombinat mußte sich hier gegen die Planungsbehörden durchsetzen können.

5. Schließlich gab es die ordentliche Kapitalzufuhr, auch im Kreditsystem der DDR über die Verrechnungskonten zB mit dem Kombinat bzw. weiteren VEBs, gegenüber dem Staat via Staatsbank der DDR, entsprechend auch verordnete Eigenkapitalbildungen bei neuen VEBs/Kombinaten.


Alles in allem: eine Mischung von dezentralen Entscheidungen, natürlich abgestimmt auf die zu genehmigenden Investitionspläne, aufwärts konsolidiert zT über die Kombinate und das Wirtschaftsministerium, womit - mit der Größenordnung der Investitions-/Kapitalentscheidung - steigend die administrativen/planungswirtschaftliche Entscheidungen ins Spiel kommen. Deren Effizienz und sonstige Rechtfertigung ist dann wieder eine andere Frage, etwa Versorgungs- und Angebots-, oder Exportziele.

Mein persönlicher Eindruck war, dass dieses System sehr ausgefeilt funktionierte (was natürlich Fehlentscheidungen nicht ausschließt). Es war eingebettet in eine Planungsadministration, die es aber/sogar in ähnlicher Größe auch bei manchem global agierendem Konzern geben dürfte.:still:
 
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"Platz zwölf der größten Industrieländer der Welt" Für wann ist dieser Wert?

Rohwedder sprach sogar von der zehntgrößten Industrienation. Zu dem Zeitpunkt wurden aus der Privatisierung Erlöse von ca. 150 Mrd. DM - Stand 1990 - erwartet.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das ist gut geschrieben, trifft auch fast zu. Nur frage ich mich jetzt, warum mein Opa, seine Tischlerei in der DDR behiehlt, mit 5 Angestellten. Der Betrieb lief bis 72, als er starb.

Hallo Florian,

eine der letzten großen Sozialisierungswellen - die vorwiegend die übrig gebliebenen Einzelunternehmen und Personengesellschaften erfaßte - lief 1972. Hierfür gab es mW Sonderregelungen bei den Restitutionsansprüchen, daher ist mir das Datum in Erinnerung geblieben.
 
"Platz zwölf der größten Industrieländer der Welt" Für wann ist dieser Wert?

Hallo lynxxx, dafür habe ich leider immer noch nicht das genaue Datum gefunden, müsste aber vor 1980 gewesen sein. Meine Aussage habe ich aus der FAZ vom 3. Oktober 1990, leider ohne Datum.

Das ist gut geschrieben, trifft auch fast zu. Nur frage ich mich jetzt, warum mein Opa, seine Tischlerei in der DDR behiehlt, mit 5 Angestellten. Der Betrieb lief bis 72, als er starb.

Die letzte große Sozialisierungswelle wurde im Juli 1972 von Politbüro und Ministerrat beschlossen und bis Dezember desselben Jahres umgesetzt. Dabei wurden 1600 PGH, 3000 private und 5600 halbstaatliche Betreibe verstaatlicht. Es könnte also sein, dass dein Opa das evtl. nicht mehr erlebt hat, oder er gehörte zu den 4,3% privaten Betrieben, die laut Statistischen Jahrbuch der DDR 1972 noch übrig waren.

Rohwedder sprach sogar von der zehntgrößten Industrienation. Zu dem Zeitpunkt wurden aus der Privatisierung Erlöse von ca. 150 Mrd. DM - Stand 1990 - erwartet.

Das habe ich auch irgendwo gefunden, hatte aber weder Quelle noch Jahr und habe deshalb den 10. Platz nicht in meine Darstellung aufgenommen.
 
Das habe ich auch irgendwo gefunden, hatte aber weder Quelle noch Jahr und habe deshalb den 10. Platz nicht in meine Darstellung aufgenommen.

Ursprünglich stammt das wohl aus der Eigendarstellung der DDR. Statistiken sind natürlich geduldig, die Frage ist der Maßstab.

Wobei anzumerken ist, dass die Einstufung, ob nun 10. oder 12., gängige pauschale Beurteilung auch in der BRD während des beginnenden Einigungsprozesses war. So ist man dann in die Entwicklung eingestiegen und auf dieser Grundlage wurden Entscheidungen gefällt. Detailinformationen und sachkundige Einschätzungen zum Produktionsstock fehlten eben, Nachrichtendienste hin oder her.

Aber das ist wohl OT. :winke:
 
@Barbarossa
Vielen Dank erstmal an dich für das Lob und die Links, ich bin leider bis dato noch nicht dazu gekommen mir diese im Detail anzuschauen, aber das werde ich definitiv noch tun.

@silesia
Danke für deine aufschlussreichen Ergänzungen. Wenn man versuchen würde deinen Beitrag #34 ganz kurz auf einen Nenner zu bringen, was natürlich nicht erschöpfend möglich ist, dann kann man bei dem angewandten System doch von einer Art kalkulatorischer Abschreibung sprechen, nur dass der Umweg über den Staat genommen wird. Hier fließen ja auch die Erhaltungs- und teilweise die Erweiterungsinvestitionen mit ein.

Auch wenn der Weg relativ komplex verläuft, so erinnert er doch stark an die Bilanzierungsmöglichkeiten in einer Marktwirtschaft. Ich teile deinen Eindruck, dass es sich um ein ausgefeiltes System handelte, das zumindest in Teilbereichen die Nachteile des sozialisierten Betriebes und der fehlenden Gewinnthesaurierung wieder wettmachen konnte. Das größte Problem dabei erkenne ich im langen hierarchischen Weg um letztendlich Investitionen durchzuführen.

Jetzt habe ich trotzdem noch eine Frage dazu: Ab wann wurde dieses Fonds-/Abschreibungssystem eingeführt? Habe ich das nur übersehen in eueren Beiträgen?
 
Detailinformationen und sachkundige Einschätzungen zum Produktionsstock fehlten eben, Nachrichtendienste hin oder her
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Die Detailinformationen gab es. Da haben die (west) deutschen Banken sogar richtig gute Analysearbeit geleistet. Auch die staatliche Planungskommission der DDR unter Schürer analysierte die Situation treffend.

Hauptsächlich, daß es nicht dazu kam, wie in den Analysen beschrieben, war der Verkauf der (ost) deutschen Banken an ihre (west) deutschen Kollegen im Verbund mit der zu schnellen, aber so politisch gewollten, deutschen Einheit.

Der Verkauf der Banken spielt insoweit eine tragende Rolle, da das DDR Bankensystem grundsätzlich anders strukturiert war. Z.B. finanzierten Betriebe in der DDR Sozialleistungen (Kindergarten, Straßenbau usw.) wofür sie Handelsgeschäfte mit Banken eingingen, die staatliche Zuwendungen an die Betriebe auszahlten. Nach dem Verkauf wurden so von heute auf morgen diese Zuwendungen zu Schulden (west) deutsches Bankensystem, da Zuwendungen von einer Bank nunmal (west)deutsch betrachtet Kredite sind und mit Zins zurückgezahlt werden müssen.
Und unter deren Rückzahlungslast zerbrachen viele Betriebe mangels Eigenkapital und wurden von der Treuhand zwangsabgewickelt (Das Eigenkapital steckte wie schon angedeutet im Dorf des Firmensitzes im Straßenbau, im Kindergarten auf dem Sportplatz... und der Rest wurde an den (ost)deutschen Staat zwangsabgeführt.)
Der Zinsatz selbst schnellte urplötzlich von fast 0% auf um die 10% nach oben.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung warnte damals vergeblich dieser abzusehenden Folgen, konte sich aber bei der Bundesregierung kein Gehör verschaffen.

Der Bundesrechnungshof beschäftigte sich ebenfalls mit diesem Thema und kam zu dem Ergebnis, daß die Umwandlung von DDR Zuweisungen zu marktwirtschaftlichen Krediten die (west)deutschen Banken zu den wirklichen Einheitsgewinnern machte.

Beispiele:

Berliner Bank kaufte die aus der Berliner Stadtbank (aus DDR Staatsbank herausgelöst) für 49 Millionen Mark- im Kaufpreis mit inbegriffen von der Bundesrepublik garantierte Altschuldenforderungen in Höhe von 11,5 Milliarden Mark.

Genossenschaftsbank (West) kaufte Genossenschaftsbank (Ost) für 120 Millionen Mark mit Altschuldenforderungen in Höhe von 15,5 Milliarden Mark

WGZ Bank kaufte die Deutsche Außenhandelsbank für 430 Millionen Mark und bekam dafür staatlich garantierte Altschuldenforderungen in Höhe von 7 Milliarden Mark. usw.

Als Folge dessen bezahlen die Steuerzahler über den Erblastentilgungsfonds nach die ausgefallenen Forderungen.
Ist doch auch irgendwie Planwirtschaft. :ironie:
 
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