Rainer F Schmidt und seine Beurteilung von Poincarre, Buch Kaiserdämmerung

Beim angesprochenen Abschnitt im Aufsatz von Rainer Schmidt werden beispielsweise die Äußerungen Poincarés und Iswolskis ausnahmslos aus frühsowjetisch redigierten Quellenauszügen zitiert und abgeleitet. Ob die Stieve-Edition auf Basis der frühsowjetischen Veröffentlichungen zu Iswolski oder Referenz auf die IBZI-Reihe. Die haben bekanntlich eine leicht antirussische Prägung.

Vergleicht man Iswolski an Sasonov vom 24.10.1912 (frühsowjetisch redigiert) und Iswolski ans russ. AA am 23.10.1912 zum gleich Thema, diesmal in der Sammlung von Siebert (möglicherweise das gleiche Schreiben?), wird da ein gewisser inhaltlicher Unterschied deutlich.
 
Die Fakten referieren ist ganz nett, (...)
Es ist nicht nur nett, sondern eine Grundvoraussetzung des wissenschaftlichen Arbeitens. :)

Von deutscher Seite her hätte man:

- Mit entsprechenden Heeresvermehrungen und gegebenenfalls geringfügigier Verlängerung der Dienstzeit reagieren können um die eigene Mobilmachung noch weiter zu beschleunigen und mehr Truppen zu haben um die ersten potenteillen Angriffe Russlands im Osten abzufangen.
- Man hätte Österreich-Ungarn entsprechende Kredite bewilligen können, um das österreichische Eisenbahnnetz und die K.u.K.-Armee im Bezug auf ihre materielle Ausstattung aufzutüchtigen und die Flankenbedrohung für Russland zu verstärken.
- Man hätte den Festungsbau im Osten intensivieren können.
- Man hätte vorsorglich die eigenen Munitionsreserven aufstocken und vorsorglich mehr Maschinengewehre und Artillerie für die vorhandenen Formationen beschaffen können um nummerische Unterlegenheiten auszugleichen.
- Man hätte nach Aufkommen des Haber-Bosch-Verfahrens 1911 mit staatlichen Mitteln eine entsprechende Infrastruktur aufbauen können um sich in Sachen Munitionsproduktion von überseeischen Importen unabhängig zu machen.
- Man hätte in größerem Stil Kraftwagen zur Aufstellung motorisierter Formationen und einer verbesserten Naschschubabteilung anschaffen können, um den Erfordernissen des Bewegungskriegs besser gerecht zu werden und schneller vorran zu kommen.
(...)

Hier stellst du dar, dass Deutschland den WK nicht von langer Hand geplant hat. Dies ist wichtig, da wir in anderen Ländern aggressive Schritte zur Rüstung beobachten konnten. Deutschland hatte die Hoffnung auf andere Bündniskonstellationen wohl noch nicht aufgegeben.




In die Zwangslage geriet Deutschland, weil seine Politiker und Militärs in der Zeit zwischen 1912 und 1914 so handelten, wie sie eben handelten.
Sie waren nicht gezwungen so zu handeln und das sind wir wieder bei den Schwächen des Buches.

Man kann den Deutschen nicht unterstellen, dass sie sich nicht um andere Bündnisse bemüht haben.
 
Es gab eine gewisse geostrategische und militärstrategische Lage des deutschen Reichsgebietes.....sehr anspruchsvoll für einen robusten, phänomenalen Aufsteiger mit weltweit beachteten 'Gründungskrieg' gegen die eine Großmacht an den Westgrenzen, die andere Großmacht (die sich mehr als Weltmacht fühlte) unmittelbar an den Ostgrenzen.

Der andere damalige Aufsteiger, Japan, hatte eine Insellage...
 
Sein Artikel „Revanche pour Sedan“ – Frankreich und der Schlieffenplan. Militärische und bündnispolitische Vorbereitung des Ersten Weltkriegs, als Text in Historische Zeitschrift, Band 303 (2016), Heft 2, S. 393-425, erschienen, macht es einfacher, mal gezielt nur diesen Bereich gründlich durchzuschauen...
ja nun....gut konstruiert, besonders um diverse und mögliche Lücken und Fehlstellen.

Soll das heißen, Schmidt "ist ein billiger Rattenfänger, der eine Menge dummes Zeug verbreitet hat"? Stefan Schmidt, Christopher Clark und Andreas Rose mussten sich ja auch so einige Kritik anhören. Man könnte diesen Eindruck gewinnen, wenn man deine Zeilen liest.

Schon die Reaktion eines Herrn Moore auf Schmidt seinen Aufsatz zeigt die Befindlichkeiten. Was nicht sein darf, das ist auch nicht.
 
Es gab eine gewisse geostrategische und militärstrategische Lage des deutschen Reichsgebietes.....sehr anspruchsvoll für einen robusten, phänomenalen Aufsteiger mit weltweit beachteten 'Gründungskrieg' gegen die eine Großmacht an den Westgrenzen, die andere Großmacht (die sich mehr als Weltmacht fühlte) unmittelbar an den Ostgrenzen.

Der andere damalige Aufsteiger, Japan, hatte eine Insellage...

Der andere damalige Aufsteiger hatte eine erheblich einfachere Position. Mit Russland wurden zügig noch bestehende Differenzen aus dem Wege geräumt, ansonsten keine Kredit von Paris.
 
Sicherlich konnten auch die Strategen in London auf eine Landkarte und sich die nächsten Züge eines vermeintlichen Gegners ausrechnen. Dafür sind Militärs ausgebildet und da.
 
Ist bekanntlich/nachweisbar nicht meine Position. Vielleicht ein Blick in den Liman-Sander-Faden oder andere, u.a. Dis. zu Fritzle Fischer oder Immanuel Geiss Quellensammlung usw. usw.? Schade, Turgot.

Dann sprich das doch auch hier einmal klipp und klar und unmissverständlich aus. Die von dir erwähnten vorzüglichen Quellensammlungen, IBZI ausgenommen, habe ich in meiner Sammlung. Aber ich kann schreiben was ich möchte, es wird eh nicht entsprechend gewürdigt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Beim angesprochenen Abschnitt im Aufsatz von Rainer Schmidt werden beispielsweise die Äußerungen Poincarés und Iswolskis ausnahmslos aus frühsowjetisch redigierten Quellenauszügen zitiert und abgeleitet. Ob die Stieve-Edition auf Basis der frühsowjetischen Veröffentlichungen zu Iswolski oder Referenz auf die IBZI-Reihe. Die haben bekanntlich eine leicht antirussische Prägung.

Vergleicht man Iswolski an Sasonov vom 24.10.1912 (frühsowjetisch redigiert) und Iswolski ans russ. AA am 23.10.1912 zum gleich Thema, diesmal in der Sammlung von Siebert (möglicherweise das gleiche Schreiben?), wird da ein gewisser inhaltlicher Unterschied deutlich.

Ist Schmidt der einzige Historiker, der sich dieser Quellen bedient? Die IBZI Reihe habe ich leider nicht. Diese ist ganz außerordentlich schwierig zu bekommen? Bin froh das ich die BD fast vollständig beisammen habe.
 
Hier stellst du dar, dass Deutschland den WK nicht von langer Hand geplant hat. Dies ist wichtig, da wir in anderen Ländern aggressive Schritte zur Rüstung beobachten konnten.
Da liest du in den Beitrag von @Shinigami etwas hinein, was dort NICHT drinsteht! Shinigami hat in der von dir zitierten Passage ex posteriori ein paar "Verbesserungsvorschläge" bzw Versäumnisse aufgelistet.

Was die "anderen Länder" betrifft: es ist eine nicht wegzudiskutierende, vielerorts heute noch - auch museal hergerichtete - Tatsache, dass ab der Brisanzkrise um 1885 bis in den Ersten Weltkrieg hinein ALLE mit den je eigenen Mitteln vehement fortifizierten! Und das mit den seinerzeit modernsten Technologien. Holland war um 1900 sicher keine "Großmacht", aber saperlot die "Stelling van Amsterdam" war eine der weltweit (!) größten Festungen. Dergleichen finanziert und baut niemand, der im Herzen einzig Friedenstauben hegt und pflegt...
Und was das dt. Kaiserreich betrifft: da war man Vorreiter, Ideenlieferant - die Fortifikationen um Metz, Diedenhofen, Istein, Mainz usw waren die Vorbilder. Und das dt. Kaiserreich fortifizierte vehement (wiewohl sich die Militärs noch mehr davon wünschten) --- und auch hier: dergleichen in dieser Menge und Stärke ist kein Zeichen von Friedfertigkeit, sondern massive Aufrüstung.
 
Und das dt. Kaiserreich fortifizierte vehement (wiewohl sich die Militärs noch mehr davon wünschten) --- und auch hier: dergleichen in dieser Menge und Stärke ist kein Zeichen von Friedfertigkeit, sondern massive Aufrüstung.

Und da befand man sich in bester europäischer Gesellschaft. Frankreich beispielsweise begann gleich nach der Niederlage 1871 massiv aufzurüsten, wofür, es war ja durch niemanden bedroht, und als man die Kadergesetze 1875 verabschiedete, welches eine personelle Aufrüstung um 144.000. Soldaten bedeutete, hatte das die "Krieg in Sicht Krise" zur Folge.
 
Ich hatte schon an anderer Stelle ausgeführt, das es ein Segen für den Frieden gewesen wäre, wenn man in Paris 1871 die Niederlage akzeptiert hätte und eine andere äußere Politik gefahren hätte. Aber das war leider nicht gewollt.
 
Man kann an der zitierten Passage feststellen, dass ein Zeitgenosse das so einschätzte.

Ich bin schon der Meinung, das die Meinung von House nicht einfach ignoriert werden sollte. Er war immerhin der Vertraute des US Präsidenten und zudem ein Anhänger der Entente. Wenn er also dann zu so einer Einschätzung gelangt, dann sollte dies schon entsprechend gewichtet werden.
 
So schreibt Schmidt bereits im ersten Kapitel:

"Die französischen Militärs um Generalstabschef Joseph Joffre und dessen Stellvertreter Noel de Castelnau lüfteten Wilson gegenüber sogar ihr bestgehütetes militärisches Geheimnis: Sie besaßen eine Abschrift des deutschen Feldzugplans für den Zweifrontenkrieg gegen Frankreich und Russland mitsamt den handschriftlichen Notizen, die der deutsche Generalstabschef von Moltke darauf angebracht hatte.
Das war die Trumpfkarte, die Wilson gegenüber den Londoner Politikern ausspielte um Premierminister Asquith, den "Trunkenbold", wie er ihn mit Verachtung nannte, und sein "dreckiges Kabinett" auf Linie zu bringen."

Es steht noch mehr über Wilson bei Schmidt zu lesen. Das er immer wieder in Frankreich das gleiche Denkmal bei Mars la Tour besuchte, es zeigt die trauernde Marianne, ihr Haupt war mit einem Siegeskranz geschmückt. Es barg das Versprechen, die erlittene Schmach zu rächen. Wilson fühlte sich auf seltsame Art von diesem Denkmal angezogen.
Wilson war ein großer Freund Frankreichs; er war von französischen Gouvernanten erzogen worden. Jahrelang besichtigte er immer wieder und wieder die Schlachtfelder von 1870. Das war schon fast eine Manie und zeigt wie er tickte. Er sah und wollte das beim nächsten Krieg England unbedingt an der Seite Frankreichs gegen Deutschland stünde. Das war der Mann, der der Leiter des Operationsbüro des britischen Kriegsministeriums war.
 
--- nur ein Seitenaspekt:
Man hätte den Festungsbau im Osten intensivieren können.
Da hatte man einiges getan, zunächst im Zeitraum 1890-1910 und dann weiter modernisiert 1912-16:
Ostpreußen:
- Swinemünde
- Festung Königsberg
- Haffanschlusslinie bei Königsberg
- Pregel-Deime-Stellung
- Feste Boyen => masurische Seenstellung & Ortelsburger Waldstellung
Weichselfestungen:
- Marienburg
- Kulm
- Graudenz
- Thorn
- "kleine Weichselbrückenköpfe" (Fordon, Steinau, Dirschau)
- Bahnlinie (!) Posen-Insterburg Sicherungen (Bunker etc)
Warte- und Oderfestungen
- Posen
- Breslau
- Glogau
- Küstrin

(um 1890-1900 scheiterte der Ausbau mit Panzerforts der Gürtelfestungen an der Ostgrenze an den Kosten (!), allerdings waren die mächtigen Panzerforts - wiewohl stabil - nach 1910 teilweise aus der Mode, man baute stattdessen nach dem Vorbild KW II (Molsheim) gesplittete Befestigungsgruppen mit Panzerbatterien, Zwischenraumstreichen, Infanterieräumen/unterständen, Artillerieräumen usw usw)

Kurz vor und dann während des Ersten Weltkriegs wurden auch Bauweisen modernisiert & industrialisiert, z.B. vorgefertigte Bauteile für quasi Regelbauten (I- & A-Räume) sowie "Holzmänner" (nach der Firma benannte "Baukasten"-Beobachtungsstände) in/für Armierungsstellungen. Beginnend 1890 erhielt Breslau einen in drei Bauphasen permanent modernisierten "Bunker"-Gürtel zuzüglich 50 bewegliche Schumann-Stände für das Stellungssystem.
M. Theile, der Armierungsausbau der deutschen Festungen zwischen 1887 und 1914
V. Mende, präfabrizierte Betonelemente im semipermanenten Festungsbau während des Ersten Weltkriegs
L. Pardela, neue Befestigungen in der Gegend der Festung Breslau

Das zusammengenommen an der Ostgrenze ist alles andere als wenig! Und es ist Zeugnis der permanenten Aufrüstung seit der Brisanzkrise, denn all die Abwandlungen und Modernisierungen der vielen (!) Befestigungen sind Reaktionen auf die Waffentechnologie - auch hier fand überall industrielle und "wissenschaftliche" Aufrüstung statt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben