Im Prinzip bezieht sich Mombauer in ihrer Darstellung auf Mombauer (The Origins of the First World War, 2013, S. 192 5. July, Szögyeny an Berchtold).
Sie bezieht sich also auf sich selbst und "zitiert" aus einem ihrer eigenen Werke, das ein Jahr früher erschienen ist. Was ändert das? Sie vertritt - "unter dem Strich" - die Auffassung, dass Deutschland und Ö-U einen Kriegseintritt Russlands in Kauf genommen, vielleicht sogar provoziert haben. Damit vertritt sie eine Position, die in krassem Widerspruch zu der Behauptung steht, Österreich habe einen russischen Kriegseintritt für "unwahrscheinlich" gehalten und Deutschland habe mit der "Blankovollmacht" einen russischen Kriegseintritt noch unwahrscheinlicher machen wollen.
Und damit belegt die bloße Existenz der These von Mombauer, dass die hier gebetsmühlenartig wiederholten Hinweise auf einen angeblichen "Stand der Forschung", den jeder Lernbereite/(Gut-)Willige "überall nachlesen" könne, jeder Grundlage entbehren. Dass hier jemand anderer Meinung ist als ich, ist mir völlig egal. Ich finde es nur langsam nervtötend, dass mir monoton und argumentfrei entgegengehalten wird, ich sei ja nur deshalb anderer Meinung, weil ich den "Stand der Forschung" nicht kennen würde. Alternativ kam auch schonmal das Argument, ich sei ideologisch verblendet...
In diesem Zusammenhang ist jedoch auch wichtig, was bei Mombauer (Die Julikrise) nicht steht. So schreibt Szögyeny als Einschätzung durch Berlin "Russia was...at the present time not prepared for war, and would certainly think very hard before appealing to arms."
Lies es doch einfach nochmal! Das steht bei Mombauer sehr wohl. Sie geht selbstverständlich darauf ein, dass die Verantwortlichen in Berlin Russland für "noch nicht kriegsbereit" hielten. Genau deshalb war man in Berlin ja der Ansicht, dass die Juli-Krise eine so "günstige" Situation war, einen Krieg zu beginnen! So günstig, dass man sie - mit Kaisers Worten - nicht "unbenutzt verstreichen lassen" durfte!
Du liest daraus, dass mit einem Kriegseintritt Russlands nicht gerechnet worden wäre. Dann ruf Dir mal die von Mombauer zitierte Aussage von Bethmann Hollweg in Erinnerung. Die liest sich nämlich ganz anders! Da steht: Wenn Russland in diesem für Russland so "ungünstigen" Moment in den Krieg eintritt, wird Russland unterliegen. Wenn Russland NICHT in den Krieg eintritt, ist das der Hebel, mit dem man diplomatisch die Tripleentente zerbrechen kann.
Und das hat Bethmann Hollweg schon am 8. Juli 1914 (!) so formuliert. Schon an diesem 8. Juli 1914 war Deutschland sicher, dass Österreich mitziehen würde (der Beschluss fiel ja am 7. Juli 1914). Schon zu diesem Zeitpunkt war klar, dass Deutschland die Serbienkrise nutzen wollte, um die deutsch-russischen Verhältnisse militärisch zu klären.
Dass dies den österreichischen Regierungskreise auch vollkommen klar war, ist an den Zitaten aus der Sitzung vom 7. Juli abzulesen, die Mombauer in ihrem Werk schreibt. Diese Zitate widerlegen unmissverständlich die Behauptung, dass Österreich geglaubt habe, die Russen würden stillhalten. Den Österreichern war völlig klar, dass mit einem russisches Eingreifen gerechnet werden musste.
In diesem Sinne war durchaus, wie 1908 (Bosnien Krise) und 1912 /13 ein "Brinkmanship" gegenüber St Petersburg beabsichtigt und sofern Krieg, dann als "Polizeiaktion" (Halt in Belgrad).
Warum spekulierte Bethmann Hollweg dann am 8. Juli 1914 über einen Rückzieher des Zaren oder über mögliche "erschreckte" Reaktionen Frankreichs? Schon am 8. Juli muss Bethmann Hollweg gewusst haben, dass Frankreich in die ganze Sache involviert werden würde. Und das soll jetzt belegen, dass es sich um einen "Regionalkonflikt" zwischen Ö-U und Serbien handelte, der erst später grenzüberschreitend wurde???
Mit "Halt in Belgard" hat das übrigens genau gar nichts zu tun. Niemand hat behauptet, dass Österreich (oder Deutschland) einen Vorstoß zur Eroberung Moskaus geplant hätten. Man wollte nur provozieren, dass die Russen ihrerseits zum Angriff übergehen und unterliegen. Es mag jetzt revanchistisch klingen, aber: Der Plan hat ja sogar funktioniert.
Man wollte den lokalisierten Krieg, aber war auch bereit, ihn als "Präventiv-Krieg" gegen Russland in 1914 zu führen. Weil man glaubte ihn dann eher gewinnen zu können wie in 1917 oder später.
Genauso ist es. Und genau deshalb ist die Blankovollmacht ausgefertigt worden. Sie diente dazu, Russland schon 1914 in einen Krieg zu ziehen, der 1917 nicht mehr zu gewinnen gewesen wäre. Das meinte der Kaiser, als er von der "für uns so günstigen" Lage sprach.
Zumal man von der Neutralität von GB zu diesem Zeitpunkt durchaus ausging.
Woran sieht man, dass dies den Konflikt beeinflusst haben soll?
Wenn meine These richtig ist, dann hat das Deutsche Reich in der Julikrise entschieden, dass es günstiger wäre, den (erwarteten) Krieg nicht erst 1917 (nach Abschluss der russischen Aufrüstung) sondern schon 1914 zu führen. Wenn das so war, dann war klar, dass in den Krieg auf Frankreich involviert werden würde. Damit war auch klar, dass der Schlieffen-Plan ausgelöst werden musste. Damit war klar, dass einer der Gegner - Russland oder Frankreich - "schnell und nachhaltig" besiegt werden musste, um einen Zwei-Fronten-Krieg zu verhindern. Und damit gab es auf deutscher Seite die Hoffnung, dass ein Kriegseintritt Englands keine Auswirkungen mehr haben würde. Genau darum ging es ja beim Schlieffenplan: Frankreich so schnell zu plätten, dass man die Hände frei hatte für die Befassung mit einem russischen Reich, das noch nicht wirklich kriegsbereit war.
Somit war es eine politische Fehleinschätzung durch Berlin (Bethmann, Jagow & Zimmerman und von Moltke & Falkenhayn) des Verhaltens in St. Petersburg und letztlich auch in London.
Meiner These nach war es keine politische Fehleinschätzung. "Politisch" betrachtet, ist genau das passiert, was dermaßen "erwartbar" war, dass sogar ein Kommentator der Berliner Zeitung es niederschreiben und veröffentlichen konnte. Es war eine MILITÄRISCHE Fehleinschätzung. Russland war schneller kriegsbereit als es in Berlin erwartet wurde. Und Österreich hatte den Russen weniger entgegenzusetzen, als es in Berlin erhofft wurde.
MfG