Russland 1914: Historische Voraussetzung und der Eintritt in den WW1

Weder KW II noch Nikolaus waren Deppen...

Sergej Witte zeichnet in seinen Memoiren ein Bild NicholasII welches Tuchman als Referenz ihrer Einschätzung desselben in "August 1914" bemüht.

Folgt man Witte, dann hält sich nicht nur Nikolaus II für annähernd gottgleich,
sondern ist zudem von schwachem Intellekt.
Dies führt, nach Witte, dazu, dass der Autokrat Keinen in seinem Umfeld duldet,
der nicht entweder ihm, dem Deppen (sorry) geistig unterordnet ist, oder seine geistige Überlegenheit, in intriganter und speichelleckischer Weise, kaschiert.

Freilich warns Deppen.
Sachlich ausgedrückt, kann man auch sagen, dass sie, aufgrund eines zweifelhaften Auswahlverfahrens, nicht die geeignesten Bewerber fürs hohe Amt waren.
:winke:
 
thanepower schrieb:
Ohne die Verantwortung von den Akteuren im DR und in Ö-U zu nehmen.

Nun ja, Verantwortliche gab es ganz gewiss auch in Petersburg, Belgrad, insbesondere in Paris und London.

hatl schrieb:
Es war der Kriegseröffner das DR.

Sicher, der dämliche Blankoscheck war absolut verhängnisvoll. Aber er wurde, wenn auch spät, storniert. Und Poincarre war In Peterburg auch nicht gerade die Unschuld in Person. Ganz im Gegenteil.
Die Russen haben, angefeuert und massiv unterstützt durch Frankreich, unerhört aufgerüstet. Frankreich ebenso und dieses hatte eine seine Wehrpflicht fast bis zum Anschlag ausgereizt. Das Deutsche Reich hatte 1912 mit seinem Maßnahmen reagiert.


Und ganz am Rande: Wenn Disskussionsbeiträge von mir zum Thema nicht erwünscht sind, kurze Info an mich. Vielen Dank.
 
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Und ganz am Rande: Wenn Disskussionsbeiträge von mir zum Thema nicht erwünscht sind, kurze Info an mich. Vielen Dank.
Gibt es Anlass zu der Vermutung, dass Deine Beiträge nicht erwünscht sind? Mich würde das irritieren, denn ich finde, dass Deine Beiträge zur Entspannung der Debatte beigetragen haben.
 
Dies führt, nach Witte, dazu, dass der Autokrat Keinen in seinem Umfeld duldet, der nicht entweder ihm, dem Deppen (sorry) geistig unterordnet ist, oder seine geistige Überlegenheit, in intriganter und speichelleckischer Weise, kaschiert.

Bei M. Carter (The three Emperors. Three Cousins, three Empires and the Road to World War One, 2010) findet sich kein expliziter Hinweis zu einer pathologischen Erkrankung bei Nikolaus II, im Sinne von Verrücktheit.

Diese wird eher in Bezug auf KW II angedeutet. Allerdings sind das m.E immer sehr problematische Aussagen, die zum Glück für die historische Betrachtung selten eine Rolle spielen.

Sachlich ausgedrückt, kann man auch sagen, dass sie, aufgrund eines zweifelhaften Auswahlverfahrens, nicht die geeignesten Bewerber fürs hohe Amt waren.

Das ist die deutlich wichtigere Dimension und wird bei Lieven (D. Lieven: Russia`s Rulers under the old Regime. 1990, S. 121 "The Roads to Power") herausgearbeitet.

Das aristokratisch und bürgerlich geprägte russische politische System rekrutierte sein Spitzenpersonal aus dieser relativ kleinen exklusiven Schicht. Und es gab wenige Institutionen, die durchlaufen werden mußten, um in der russischen Bürokratie Karriere zu machen. Und dementsprechend war auch der Kreis klein, der über die Karriere entschied. Dabei ist jedoch zu beachten, dass es ein "hartes" Ausleseverfahren bei den Bewerbern gab, bei der Leistungen im Beruf ausschlaggebend waren und "Beziehungen" nur ein Aspekt für eine erfolgreiche Karriere waren.

Es waren, wie heute, Netzwerke und Mentoren, die die Karriere beeinflußten. Allerdings wurden bei den Spitzenposten, so Lieven, durch Nikolaus II (ebd. S. 147) Personalentscheidungen getroffen, die nicht die fähigsten förderten, sondern Personen, die "zufällg" seine Gunst errungen hatten.

In diesem Sinne - und Witte ist ja auch ein positives Beispiel -wurden für die russische Bürokratie sowohl kompetente wie auch inkompetente Amtsträger rekrutiert.

Auffallend ist jedoch vor allem das "Senioritätsprinzip", das Entscheidungen beeinflußte. Und da die russische Bürokratie keine Altersbegrenzung hatte, befanden sich teilweise relativ alte Personen in hohen Positionen. Und das kann Vor- und Nachteile haben, allerdings für die Adaption an neue Umstände in der Regel wohl sich eher negativ auswirkte.

Ein Problem, das aber auch für KW II zutraf, der ebenfalls überwiegend Personen förderte und beförderte, die er persönlich kannte, als Teil des "persönlichen Regiments".

Das ist wohl insgesamt ein Strukturmerkmal von Höfen, wie Röhl (J. C.G. Röhl: Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II und die deutsche Politik. 1987) es für das wilhelminische Deutschland herausgearbeitet hat.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Frage, die sich stellt, ist, wie hat der deutsche Botschafter Tschirschky die Telegramme umgesetzt.

Denn er kabelte nach Berlin die Sätze, das zum einem den russischen Außenminister das Ultimatum erläutert werden würde, aber die Note durch den Kriegszustand überholt sei. Das war es wohl nicht, was die Wilhelmstraße mit ihren "Weltbrandtelegrammen" erreichen wollte. Überhaupt war Tschirschky auch darüber im Bilde, das die Österreicher estenfalls nur Scheingespräche führen würden, ja er hat Berchthold sogar geraten in der Sache hart zu bleiben. Tschirkschky hat gewaltige Verantwortung durch sein Agieren in der Julikrise, ebenso wie Dietrich Bethmann-Hollweg, auf sich geladen. In Wien wurde der Krieg gemacht.
 
Natürlich wäre eine solche These "blödsinnig".
Nur stellt sich die Situation ja so nicht dar.

Auf das Ansinnen des Kaisers WII am 1. August man könne nun den Angriff auf Frankreich unterlassen reagiert Moltke mit einer schlichten Befehlsverweigerung.
Am Höhepunkt der Krise diktiert hier das Militär und nicht die Politik.
Man kann davon ausgehen, dass Wallach die Sachlage zutreffend beschreibt:
"Die deutschen Staatsmänner auf den ihnen zustehenden Anteil an der Gesamtplanung verzichtet und haben den militärischen Plan als einen endgültigen Orakelspruch angenommen."
Das gerät zwar jetzt ein bisschen ins OT, aber: Es ist mehr als fraglich, ob hier eine Befehlsverweigerung vorlag.

Wilhelm hat ja nicht den Krieg gegen Frankreich infrage gestellt, sondern er wollte nur die Strategie abwandeln und auf den "großen Ostaufmarsch" umschwenken. Frankreich war zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr aus dem Krieg herauszuhalten.

Moltke hat hier auch nicht den Befehl verweigert, sondern darauf hingeweisen, dass ein solcher Strategiewechsel zu diesem Zeitpunkt schlicht und ergreifend unmöglich war. Man beachte den logistischen Aufwand:

Die beiden Armeen, die am starken rechten deutschen Flügel eingesetzt wurden, bestanden aus jeweils sechs Korps. Sie wurden über Köln in ihre Bereitstellungsräume geschickt. Jedes dieser Korps benötigte für diesen Transport 140 Eisenbahnzüge! Diese Eisenbahnzüge rollten im Zehn-Minuten-Takt über die Hohenzollernbrücke. 550 Züge am Tag, tagelang.

Als die Mobilmachung und er Aufmarsch Anfang August begann, waren die "Fahrpläne" dafür längst fertig. Es war auch längst klar, wie, wo und in welcher Reihenfolge die Truppen sich an den Bahnhöfen einfinden und verladen werden mussten, damit es an der Hohenzollernbrück nicht zum "Stau" kam.

Es war schlicht unmöglich, diese Massen an Menschen und Material spontan umleiten und nach Osten schicken zu wollen. Österreich hat während des Krieges mal voreilig Truppen zwischen den Fronten verschoben. Das hat Wochen gedauert und hätte fast zum Zusammenbruch geführt.

So wie die Lage am 1. August war, gab es nur noch die Wahl, zu marschieren oder nicht zu marschieren. Auch Kaiser Wilhelm hat an dem Tag aber wohl nicht mehr in Erwägung gezogen, den Krieg abzublasen.

Wallach hat das auch ganz genau gewusst. Er kannte sich nämlich mit militärischen Themen recht gut aus. Deshalb ist seine Argumentation an dieser und an vielen Stellen auch nicht seriös.

MfG
 
Überhaupt war Tschirschky auch darüber im Bilde, das die Österreicher estenfalls nur Scheingespräche führen würden, ja er hat Berchthold sogar geraten in der Sache hart zu bleiben. Tschirkschky hat gewaltige Verantwortung durch sein Agieren in der Julikrise, ebenso wie Dietrich Bethmann-Hollweg, auf sich geladen. In Wien wurde der Krieg gemacht.
Wie weiter oben schonmal geschrieben: Hätte Serbien die Teilnahme österreichischer Beamter an den Ermittlungen zugesichert, wäre der letzte Punkt weggefallen, den Wien zum Anlass für den Krieg nehmen konnte.

Für mich stellt sich die Frage, warum Serbien in dem Punkt hart geblieben ist. Ohne russische Rückendeckung wäre das so sicher nicht passiert. Es wirkt so, als hätten sowohl Russland als auch Österreich ein Interesse daran gehabt, gegeneinander vorzugehen. Das Osmanische Reich als "Vorbesitzer" des Balkans und wegen seiner Dauerfehde mit Russland steckte da auch noch mit drin. Damit waren drei "Reiche" beteiligt, die an den gleichen inneren Problemen litten (ethnische Konflikte, zu den Rändern hin abnehmende "Staatlichkeit"). Könnte darin die Ursache für die Kompromisslosigkeit der Beteiligten liegen?

MfG
 
Wie weiter oben schonmal geschrieben: Hätte Serbien die Teilnahme österreichischer Beamter an den Ermittlungen zugesichert, wäre der letzte Punkt weggefallen, den Wien zum Anlass für den Krieg nehmen konnte.

Für mich stellt sich die Frage, warum Serbien in dem Punkt hart geblieben ist. Ohne russische Rückendeckung wäre das so sicher nicht passiert.

Sehe ich auch so. Ohne das Einwirken der Russen, hätten die Serben nachgegeben; ihnen wäre gar keine Alternative geblieben.

Die Ablehnung des im Grunde genommenen nicht wirklich dramatischen Punktes der Teilnahme österreichischer Beamter an den Ermittlungen läßt sich damit erklären, das man was zu verbergen hatte, was nicht bekannt werden sollte.
 
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Die Ablehnung des im Grunde genommenen nicht wirklich dramatischen Punktes der Teilnahme österreichischer Beamter an den Ermittlungen läßt sich damit erklären, das man was zu verbergen hatte, was nicht bekannt werden sollte.
Das ist natürlich denkbar. Dagegen spricht aber, dass bis heute nichts gefunden worden ist, was Serbien direkt mit dem Attentat in Verbindung bringen würde. Selbst wenn es "Schuld" gab und österreichische Ermittler wären nach Serbien gekommen, hätte es unzählige Möglichkeiten gegeben, deren Arbeit zu behindern oder Zweifel zu streuen. Die Ermittler zuzulassen, hätte auf jeden Fall erstmal die Option eröffnet, weiter zu reden und zu verhandeln. Und am Ende hätte ein Ergebnis gestanden, das für niemanden in der Welt "eindeutig" war.

Ich neige eher der folgenden Interpretation zu: Serbien wollte auf dem Balkan eine Rolle spielen, die im Grundsatz unabhängig von österreichischen Interessen war. Deshalb wollte Serbien nicht allen österreichischen Forderungen nachgeben. Die Möglichkeiten dazu waren allerdings "begrenzt", denn immerhin war Österreich zumindest nominell noch eine Großmacht. Einen Krieg konnte Serbien eigentlich nicht riskieren. Hier kam Russland ins Spiel. Der Zar hat den Serben gesagt: "Bleibt ruhig hart; wir stützen euch!"

In einer ähnlichen Lage war Österreich: Eigentlich wollte man keinen Krieg riskieren, in den Russland involviert werden könnte. Aber im Hintergrund gab es ein deutsches Reich, das dauernd flüsterte "Bleibt hart! Wir sind bei Euch!"

Das würde heißen: Deutschland und Russland haben Serbien und Österreich gegeneinander gehetzt, um einen deutsch-russischen Krieg führen zu können. Selbst wenn das so scharf nicht war: Sowohl Deutschland als auch Russland hätten in der Situation die Möglichkeit gehabt, die Lage zu "entschärfen" und den sich ankündigenden Krieg auf den Balkan zu beschränken. Sie haben es aber nicht getan. Beide haben in Kauf genommen (vielleicht sogar angestrebt), dass der Balkankonflikt zum Weltkrieg eskaliert. Für Deutschland kann man das zumindest aus der Aussage von Bethmann Hollweg schließen, die Mombauer zitiert hat:

Bezeichnend hierbei ist Bethmann Hollwegs Kalkül am 8. Juli: "Kommt der Krieg nicht, will der Zar nicht, oder rät das bestürzte Frankreich zum Frieden, so haben wir doch noch Aussicht, die Entente über dieser Aktion auseinanderzumanövrieren."
MfG
 
Bei M. Carter (The three Emperors. Three Cousins, three Empires and the Road to World War One, 2010) findet sich kein expliziter Hinweis zu einer pathologischen Erkrankung bei Nikolaus II, im Sinne von Verrücktheit.
…...........
Ein Problem, das aber auch für KW II zutraf, der ebenfalls überwiegend Personen förderte und beförderte, die er persönlich kannte, als Teil des "persönlichen Regiments".

Das ist wohl insgesamt ein Strukturmerkmal von Höfen, wie Röhl (J. C.G. Röhl: Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II und die deutsche Politik. 1987) es für das wilhelminische Deutschland herausgearbeitet hat.

Ich denke es ist aber immerhin interessant die Charakterskizze Wilhems von Röhl in Kapitel 1 neben die Charakterisierung Nikolaus´ von Witte u.a. KapitelVII zu legen.
In beiden Fällen haben wir eine geradezu absurde Selbstüberhöhung der eigenen Person.
„"I do what I wish, and what I wish is good; if people do not see it, it is because they are plain
mortals, while I am God's anointed." Das ist ein Zitat N´s, und könnte ebenso von W stammen
Beide dulden keine abweichenden Einsichten und sind auch derart in ihrer Lernfähigkeit stark eingeschränkt.
Für Röhl hebt diesen Punkt bei W. sogar in dieser Weise hervor:
„Jede Skizze seines Charakters muss mit der Feststellung beginnen, daß er nie reifer wurde.“
Beide sind Rassisten und Antisemiten und pflegen Gesinnungen die man als protofaschistisch bezeichnen darf.
W. ist nach Röhl ein ausgesprochen rachsüchtiger Mensch, während Witte bei N. eine ausgeprägte Hinterhältigkeit konstatiert. „He is incapable of playing fair and he always seeks under-
hand means and underground ways.“

Was sie wohl auch ähnlich machte war ihr Wankelmut. Was bei W. berüchtigt ist beschreibt Witte bei N. so:
„A ruler who cannot be trusted, who approves to-day what he will reject to-morrow, ...“
Und noch eine interessante Parallele: Witte schreibt über den Zaren: „At heart, His Majesty was for an aggressive [foreign] policy, but as usual his mind was a house divided against itself.“ (Einfügung durch mich)
Das hätte man ebenso über den Kaiser schreiben können.

Dabei geht es mE weniger um die Frage ob der eine odere andere „verrückt“ gewesen sei.
Und ich nehme an, dass es so ist wie Du sagst:
Allerdings sind das m.E immer sehr problematische Aussagen, die zum Glück für die historische Betrachtung selten eine Rolle spielen.

Andererseits sind aber gerade bei historischen Spielern, die eine besondere Machtfülle haben, der Charakter und die persönliche Wahrnehmung besonders interessant zu ergründen.

Denn wenn ein Autokrat erhebliche Defizite hat, dann führt das leicht, wie Witte treffend sagt, dazu:
„But inasmuch as he does not possess the talents of either Metternich or Talleyrand, he usually lands in a mud puddle or in a pool of blood. „

https://archive.org/details/memoirsofcountwi00wittuoft


P.S. Danke für Deine Hinweise.
 
Andererseits sind aber gerade bei historischen Spielern, die eine besondere Machtfülle haben, der Charakter und die persönliche Wahrnehmung besonders interessant zu ergründen.

Die Persönlichkeit von Kaiser Wilhelm II war sicherlich vielschichtig. Ob er für seine Aufgabe bei der Amtsübernahme geeignet gewesen ist, bezweifelt beispielsweise Mommsen [1, S. 20] und zitiert v. Holstein und Herbert v. Bismarck, der KW II zutraute, Deutschland leichtfertig zu regieren und innenpolitisch in Richtung auf einen Bürgerkrieg zu steuern und außenpolitisch in Richtung Krieg. Was zumindest 1888 unter dem verhängnisvollen Einfluss von Waldersee in Richtung "Päventivkrieg" gegen Russland sich bereits zeigte und nur durch Bismarck unterbunden werden konnte.

Bei Röhl werden die negativen Merkmale von KW II deutlich herausgearbeitet, wie auch von "hatl" schon erwähnt [2]. Manifestieren tun sich diese Persönlichkeitsmerkmale im "persönlichen Regiment" und dieses setzt er im Rahmen der "Kommandogewalt" durch und hat damit den direkten Zugriff auf das zentrale Ordnungsinstrument im DR. der Armee.

Der autoritäre, selbstherrliche Herrschaftsstil wirkt sich drastisch auf die Personalpolitik im Kaiserreich aus, indem die "negative Selektion" von Opportunisten ein Merkmal wird.

Ähnlich wirkt sich das "persönliche Regiment" direkt auch im Bereich der Armee aus, da KW II einerseist sich zum Militärischen hingezogen fühlt, aber gleichzeitig die Spitzenmilitärs für inkompetente "alte Säcke" hält. Mit der Konsequenz, dass er sehr tief in militärische Belange einsteigt, die allerdings aufgrund mangelnder Konstanz und Konzentration von KW II nicht selten schlecht gelöst werden.

Am gravierendsten ist sein persönlichkeitsbedingtes negative Wirken auf der Ebene der Integration von Politik und Armee zu sehen. Es gab keine Institution, wie in Frankreich oder in GB, die die politischen und die militärischen Ziele koordinierte. Auch beispielsweise auf der Ebene der Integration von Zielen der Armee (Schlieffenplan) und den Aktionen der Risiko-Flotte. Moltke und Tirpitz haben deswegen weitgehend autonome Ziele verfolgt, die eigentlich durch KW II hätten koordiniert werden müssen. Ähnlich wie die Planungen von Moltke und Bethmann.

In Berlin herrschte somit unklare Kompetenzzuweisungen, keine ausreichende Koordination und ebenfalls keine ausreichende Kommunikation der zentralen Institutionen.

Als Erklärung wird angeführt, dass er es mit seiner Persönlichkeit als oberster Befehlshaber nicht vebinden konnte, dass ein Gremium einen Teil seiner Befugnisse übertragen bekommt.

Zusätzlich, und sofern man die ganzen Skandale betrachtet, wie Röhl [3 & 6] es ausführlich darstellt, wird ersichtlich, dass die Persönlichkeit von KW II für einen "weisen" Herrscher denkbar ungeeignet war, auch in allen seinen Facetten wie die neueren Beiträge bei Mombauer und Deist als Festschrift für Röhl es zeigen [7]

Und kritisch ist m.E.mit Röhl [5] auch zu konstatieren, dass die neuere Historiografie zum WW I, wie beispielsweise in den ansonsten hervorragenden Readern oder Monographien von Hamilton oder Herwig, die Rolle bzw. auch Verantwortung von KW II für die Entscheidung zugunsten des Krieges eher untertrieben wird.

Und noch eine Anmerkung zu Nikolaus: So stellt Clark fest, dass die nicht selten vermutete "Geisteskrankheit" nicht immer eine eine medizinische Dimension aufwies, als vielmehr eine politische Beurteilung war. Vor allem neigten britische Botschafter dazu, dieses zu konstatieren, sofern der Zar britischen Interessen nicht entsprochen hat [4, S. 43].

Damit will ich die kritische Beurteilung von Witte, der m.E. ein fähiger Staatsmann war, gar nicht in Frage stellen.

Abschließend ist dennoch auch festzuhalten, dass die semi-absolutistischen Herrscher, KW II und Nikolaus II, um 1900 mittlerweile sehr stark durch das Verhalten ihrer Regierungen bzw Kanzler "domestiziert" waren, wie es sich dann an "Björko" zeigte.

Und genau diese Widersprüche illustrierten die strukturellen Defizite des politischen System in Russland und im DR.

1.W.Mommsen: War der Kaiser an allem schuld? 2002
2. J. Röhl: Kaiser, Hof und Staat.1987, bes. S. 17 ff: Kaiser Wilhelm II. Eine Charakterskizze
3. J. Röhl: Wilhelm II. Der Weg in den Abgrund 1900 - 1914, 2009, S. 709 ff, z.B. Nemesis: Wilhelm II und die Daily Telegraph Affäre,
4. C. Clark: Wilhelm II, 2000, S. 40ff Die Persönlichkeit des Kaisers
5. J. Röhl: The Curious Case of the Kaiser`s Disappearing War Guilt. in: H. Afflerbach & D. Stevenson: An improbable War. 2007, S. 75ff
6. J. Röhl: Wilhelm II, 2013, bes. Kap. IV Der skandalumwitterte Souverän (1906-1909)
7. A. Mombauer & W. Deist: The Kaiser. New Research on Wilhelm II`s Role in Imperial Germany, 2013
 
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Diese ganze Diskussion macht mich langsam stutzig. Worum geht es hier eigentlich? Deshalb kann ich Deinen Beitrag auch leider erstmal nur mit Fragen beantworten.

Manifestieren tun sich diese Persönlichkeitsmerkmale im "persönlichen Regiment" und dieses setzt er im Rahmen der "Kommandogewalt" durch und hat damit den direkten Zugriff auf das zentrale Ordnungsinstrument im DR. der Armee.
Die Armee war das "zentrale Ordnungsinstrument" im Deutschen Reich?
Welche (direkten) Einfluss hatte Kaiser Wilhelm II. auf die Armee? Er war de jure "oberster Kriegsherr", aber ich habe noch nirgendwo gelesen, dass er die Funktion auch de facto ausgeübt hat oder ausüben wollte. Mal abgesehen von den Kaisermanövern, in denen er gern einen Abschluss mit donnerndem Kavallerieangriff sah - was sich Moltke irgendwann verbeten hat...

Der autoritäre, selbstherrliche Herrschaftsstil wirkt sich drastisch auf die Personalpolitik im Kaiserreich aus, indem die "negative Selektion" von Opportunisten ein Merkmal wird.
Bezieht sich das jetzt auch noch auf das Militär? Dann wäre ich höchst irritiert, denn z.B. van Creveld sieht die Methoden, mit denen Deutschland ab Mitte des 19. Jahrhunderts seine Offiziere rekrutiert, ausgebildet und den Truppen zugewiesen hat als einen wesentlichen Grund dafür, dass die "Kampfkraft" deutscher Heere signifikant höher lag als die ihrer Gegner. Der Begriff "Kampfkraft" steht in Anführungszeichen, weil er identisch ist mit dem Titel des Buchs, das van Creveld darüber geschrieben hat.

Demnach hätte der autoritäre, selbstherrliche Herrschaftsstil von Wilhelm II. zumindest im Heer (das ja das "zentrale Ordnungsinstrument" des Kaiserreichs gewesen sein soll) keine "die Effizienz vermindernden" Auswirkungen gehabt. Welche Anzeichen sprechen also dafür, dass der Kaiser "Opportunisten" in hohe militärische Ämter gehoben hat?

Ähnlich wirkt sich das "persönliche Regiment" direkt auch im Bereich der Armee aus, da KW II einerseist sich zum Militärischen hingezogen fühlt, aber gleichzeitig die Spitzenmilitärs für inkompetente "alte Säcke" hält. Mit der Konsequenz, dass er sehr tief in militärische Belange einsteigt, die allerdings aufgrund mangelnder Konstanz und Konzentration von KW II nicht selten schlecht gelöst werden.
Wo genau? Nenn mal Beispiele. Mit fällt auf Anhieb keins ein. Martin van Creceld hat in seinem Buch auch keins genannt. Und van Creveld ist Israeli und hat seine Studie im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums abgeliefert... (diese Anmerkung steht hier nur, weil ich mich langsam ernsthaft frage, was Du mit Deiner Argumentation eigentlich erreichen willst)

Am gravierendsten ist sein persönlichkeitsbedingtes negative Wirken auf der Ebene der Integration von Politik und Armee zu sehen. Es gab keine Institution, wie in Frankreich oder in GB, die die politischen und die militärischen Ziele koordinierte.
Das wird immer wieder behauptet. Nur bleibt auch hier bloß eine Frage offen:

WO DENN? Welche Institutionen, die "Politik und Armee" integriert haben, gab es denn in Frankreich und Großbritannien? Was unterscheidet diese Institutionen vom deutschen Militärkabinett und vom "Großen Generalstab"?

Meinst Du die Parlamente? Willst Du unterstellen, dass in Frankreich und Großbritannien in damaliger Zeit die Parlamente über alle militärischen Pläne voll informiert waren und eine "parlamentarische Kontrolle" nach Deiner Definition überhaupt ausüben konnten? Kann der deutsche Bundestag sowas heute? Konnte der Reichstag das damals nicht? Warum war der Kaiser dann damals darauf angewiesen, dass der Reichstag schon in der ersten Augustwoche einer "Kriegsanleihe" zustimmte? In der Tat: Im deutschen Kaiserreich unterlag das Militär keiner direkten Kontrolle durch das Parlament. Ohne Zustimmung des Parlaments (und vor allem: der Sozialdemokratie!) hätte das Kaiserreich trotzdem keinen Krieg führen können.

Welchen Einfluss hatte das Militär auf die Sozialdemokratie?

Und - um es zu wiederholen -: Welche das Militär und die Politik integrierenden Institutionen gab es in Frankreich und England, die es in Deutschland nicht gab?

Auch beispielsweise auf der Ebene der Integration von Zielen der Armee (Schlieffenplan) und den Aktionen der Risiko-Flotte.
Der Schlieffen-Plan und die "Risiko-Flotte" hatten doch gar nichts miteinander zu tun. Erst in den letzten Kriegstagen kam überhaupt der Plan auf, die Flotte in den Krieg eingreifen zu lassen - mit der Folge, dass die Matrosen meuterten.

Moltke und Tirpitz haben deswegen weitgehend autonome Ziele verfolgt, die eigentlich durch KW II hätten koordiniert werden müssen.
Wilhelm hätte das Flottenprogramm/die Flotte für die Pläne für den Zwei-Fronten-Krieg "nutzbar" machen müssen? Aus rein militärischen Gründen wäre das vielleicht sogar sinnvoll gewesen.

Ähnlich wie die Planungen von Moltke und Bethmann.
Wie das? Ich dachte, Bethmann hätte von Moltkes Planungen gar nichts gewusst.

In Berlin herrschte somit unklare Kompetenzzuweisungen, keine ausreichende Koordination und ebenfalls keine ausreichende Kommunikation der zentralen Institutionen.

Als Erklärung wird angeführt, dass er es mit seiner Persönlichkeit als oberster Befehlshaber nicht vebinden konnte, dass ein Gremium einen Teil seiner Befugnisse übertragen bekommt.
Welche Befugnisse? Die des "obersten Kriegsherren"? Wann soll er die denn eingefordert haben? Und wann soll er sich dagegen gewehrt haben, dass die Kriegführung nicht von ihm selbst sondern vom Großen Generalstab bestimmt wurde?

Und kritisch ist m.E.mit Röhl [5] auch zu konstatieren, dass die neuere Historiografie zum WW I, wie beispielsweise in den ansonsten hervorragenden Readern oder Monographien von Hamilton oder Herwig, die Rolle bzw. auch Verantwortung von KW II für die Entscheidung zugunsten des Krieges eher untertrieben wird.
Wilhelm war ein "absolutistischer" Herrscher, der aufgrund seiner morgendlichen Blähungen am 1. August den Krieg beschlossen hat?

Sehr überzeugend.

Aber jetzt mal summarisch gefragt: Was willst Du uns eigentlich sagen? Dass - in Fischer-Tradition - Deutschland die Alleinschuld am Krieg trägt und dass es nie so weit gekommen wäre, wenn das Deutsche Reich schon damals eine so "fortschrittliche" Demokratie wie Frankreich und GB gewesen wäre?

Wenn ja: Ich bin beeindruckt von der Tiefgründigkeit dieser Überlegung. Die Welt wäre ja so einfach, wenn Probleme so schlicht beantwortet werden könnten

Die "schlichten Lösungen", die Du in dieser "Diskussion" vorträgst, überzeugen nur leider nicht. Vielleicht würden sie überzeugen, wenn Du mal hin und wieder auf konkrete Aussagen von Diskussionsteilnehmern auch konkret reagieren würdest. Noch überzeugender wäre es, wenn Du etwas fundierter als nur mit immer neuen "Literaturlisten" reagieren würdest. Mich zumindest musst Du nicht mehr davon überzeugen, dass Du "sehr belesen" bist. Ich hätte allerdings gern einn Beleg dafür, dass Du von Deiner zweifelsfrei nachgewiesenen Belesenheit auch Gebrauch machen kannst.

Und nach diesem Bekenntnis stelle ich die Debatte mit Dir erstmal ein - so wie Du offenbar die Debatte mit anderen Diskussionsteilnehmern vermeidest. Sag was inhaltlich relevantes. Dann revidiere ich dieses Urteil.

MfG
 
thanepower schrieb:
Und kritisch ist m.E.mit Röhl [5] auch zu konstatieren, dass die neuere Historiografie zum WW I, wie beispielsweise in den ansonsten hervorragenden Readern oder Monographien von Hamilton oder Herwig, die Rolle bzw. auch Verantwortung von KW II für die Entscheidung zugunsten des Krieges eher untertrieben wird.

Welche meinst du denn konkret? Hast du Clark, McMeekin etc. im Auge?

Ich habe eher den gegenteiligen Eindruck. Es gibt nach nunmehr 100 Jahren doch so einige Hinweise und Belege, genannt seien beispielhaft die beiden oben genannten Historiker, die die Schuldfrage nach meinem Verständnis neu stellen. Zwar vermeidet Clark explizit eine Schuldzuweisung, aber die von ihm genannten Fakten sprechen doch eine deutliche Spache. Das von mir in einem Thread angefragte Werk von McMeekin weist sogar Petersburg die hauptsächliche Schuld zu.

Jedenfalls habe ich hier und dort doch den Eindruck gewonnen, auch und insbesondere bei deutschen Historikern, das an der Hauptschuld des Deutschen Reiches nicht gerüttelt werden darf bzw. soll.

Ansonsten findes ich es auch sehr schade, das Herwig oder die deutsche Historikern Mombauer und andere ihre Werke in englische Sprache publizieren und sich bisher keine deutschen Verlage gefunden haben, ihre Werke ins deutsche zu übertragen.

thanepower schrieb:
Ähnlich wirkt sich das "persönliche Regiment" direkt auch im Bereich der Armee aus, da KW II einerseist sich zum Militärischen hingezogen fühlt, aber gleichzeitig die Spitzenmilitärs für inkompetente "alte Säcke" hält. Mit der Konsequenz, dass er sehr tief in militärische Belange einsteigt, die allerdings aufgrund mangelnder Konstanz und Konzentration von KW II nicht selten schlecht gelöst werden.

Von der Goltz und dessen unbestrittene hohe Kompetenz wurde von Wilhelm sehr geschätzt und das obwohl auch er ein "alter Sack" war. Wilhelm hat diesen sehr lange als Spitzenmilitär gehalten.

Abschließend ist dennoch auch festzuhalten, dass die semi-absolutistischen Herrscher, KW II und Nikolaus II, um 1900 mittlerweile sehr stark durch das Verhalten ihrer Regierungen bzw Kanzler "domestiziert" waren, wie es sich dann an "Björko" zeigte.
Ob das auch führ Wilhem galt? Der hatte einen sehr eigenen Kopf. Beispielweise war er definitiv in der 2.Marokkokrise im Jahre 1911 nicht dazu bereit, so weit zu gehen und Frankreich mit Krieg zu drohen und das obwohl Kiderlen genaus das für nötig hielt, um seine Ziele zu verwirklichen.

Ein Jahr später beim besuch des britischen Kriegsminister Haldane war Wilhem entgegen den Vorstellungen seines Kanzler und Staatssekretärs des AA nicht bereit mit Großbritannien ein dringend gebotene Entspannung in Sachen Flottenwettrüsten zuzustimmen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Werter Köbis, ob Du es glaubst oder nicht, die korrekte Beschreibung der Persönlichkeit von KW II ist daran gebunden, dass man sich die entsprechenden Beiträge zu ihm durchliest.

Es ist sehr schwer, deine Erkenntnis aus der von Dir genannten Literatur zu prüfen.
Wird wohl hier GF keiner machen, da die Quellenlast deiner Beiträge schwer zu erlangen ist, wäre wohl schon schwer für die Stadtbibo Stuttgart alles an Büchern zur Verfügung zu stellen.
Von daher nützen mir die Beiträge von Dir nicht viel, solange ich die Quellen nicht als Beweis genutzt bzw. geprüft habe. Oder?
 
Es ist sehr schwer, deine Erkenntnis aus der von Dir genannten Literatur zu prüfen.
Wird wohl hier GF keiner machen, da die Quellenlast deiner Beiträge schwer zu erlangen ist, wäre wohl schon schwer für die Stadtbibo Stuttgart alles an Büchern zur Verfügung zu stellen.
Von daher nützen mir die Beiträge von Dir nicht viel, solange ich die Quellen nicht als Beweis genutzt bzw. geprüft habe. Oder?

Richtig. Nur stelle ich mich nicht hin und predige, dass dieser oder jener Recht hätte, sondern zeige die Bandbreite der unterschiedlichen Sichten. Indoktrination ist nicht meine Aufgabe.

Und dazu gehören nun mal unterschiedliche Autoren und es gibt nun mal bei Mommsen und bei Röhl unterschiedliche Sichten auf KW II. Und diese gehören dargestellt. Oder????
 
Richtig. Nur stelle ich mich nicht hin und predige, dass dieser oder jener Recht hätte, sondern zeige die Bandbreite der unterschiedlichen Sichten. Indoktrination ist nicht meine Aufgabe.
Stimmt. Du stellst Dich hin und postest Literaturlisten und behauptest, dass jeder, der diese Literatur vermeintlich oder tatsächlich nicht kennt, als Diskussionsteilnehmer disqualifiziert ist. Um dann zu erzählen, "Indoktrination" sein "nicht deine Aufgabe".

Beantwortest Du auch irgendwann mal eine Frage? Nimmst Du auch irgendwann mal Stellung zu einer These, die mit Textstellen begründet wurde?

Fang doch mal an und gib Antwort auf die oben gestellte Frage: Welche Institutionen gab es in Frankreich und Englang, die politische und militärische Aspekte integriert hätten und die es in Deutschland nicht gab?
 
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