Worin genau siehst du ein "Buckeln"? Darin, dass man Namen von Menschen, die für obrigkeitsstaatliche Ideologien stehen entfernt?
Das buckeln besteht eher darin, dem gerade aktuellen Zeitgeist hinterherhecheln zu wollen.
So würde ich es jedenfalls verstehen.
Das war der Historismus, bekannt ist vielleicht das Zitat von Ranke: "Jede Epoche ist unmittelbar zu Gott."
Bezeichnenderweise wird dem Historismus in der Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie der Relativismus vorgeworfen.
Mag ja sein. Auch auf die Gefahr hin, mich unbeliebt zu machen, aber der Vorwurf des Relativismus ist für mich auch oft (nicht immer) eine Art Totschlagargument. Wie es "richtig" geht, hast du ja weiter unten aufgeführt. :winke:
Ich habe gestern den ganzen Tag mit mir gekämpft diese Extrembesipiele nicht zu bringen, weil man mir zu Recht vorgeworfen hätte, Totschlagargumente zu bringen. Allerdings liegt genau hier der Hase im Pfeffer. Denn die Konsequenz wäre ja eigentlich, dass man Adolf-Hitler-Straßen so heißen lassen müsse, ist ja ein historisches Zeugnis. Nun will ich Tirpitz oder Hindenburg nicht in eine Schublade mit H. stecken, Gott bewahre, dennoch sollte man diese Wertediskussion führen.
Da stimme ich mit dir überein. Ich bin selber auch nicht unbedingt glücklich über meine "Totschlagbeispiele" aber mir war es wichtig, klarzustellen, dass es gewisse Grenzen gibt, deren Überschreitung ich nicht tolerieren kann.
Du verurteilst also einerseits diese Sichtweise, legitimierst sie aber wiederum dadurch, dass sie ihrer Zeit entsprechend waren?
Zunächst einmal stelle ich diese Sichtweise fest. Dann merke ich, dass ich sie nicht teile und dass sie - zumindest in großen Teilen - darüber hinaus bestimmten Werten, die mir wichtig sind, klar widersprechen. Insofern verurteile ich sie, auf jeden Fall wenn sie heute noch vertreten werden. Das "rückwirkende Verurteilen" ist immer so eine Sache. Mit unserem derzeitigen Kenntnisstand ist es leicht, aber ich frage mich immer, wie hätte ich das damals mit dem damaligen Wissen beurteilt... Aber ich schweife ab...
Was ich anders sehe als du, ist, die Legitimierung einer Sichtweise. Ich wäre mit dir soweit einig, wenn es um eine Neubenennung ginge.
In der Beurteilung der Notwendigkeit oder Nichtnotwendigkeit einer Umbenennung stellt sich für mich der Sachverhalt anders dar. Hier geht es nicht nur darum, ob es jemand verdient hat, dass nach ihm ein Ort benannt wird, sondern auch darum dass durch eine erfolgte Benennung bereits Fakten geschaffen wurden sind und bereits Überlegungen zur Benennung getroffen worden sind. Das ist eine ganz andere Abwägung. Wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass die Argumente für die Beibehaltung eines Namens oder das Nichtanstoßen einer Diskussion dazu überwiegen, schlucke ich meine Bedenken halt runter. Legitimiert ist damit nicht unbedingt etwas.
Man muss beides tun. Man muss die Menschen nach den Wertmaßstäben ihrer Zeit beurteilen und schauen, was sie wissen konnten und wie ihre tatsächlichen Handlungsoptionen waren, und man muss sie nach heutigen Wertmaßstäben beurteilen. Das erste ist ein Sachurteil, das zweite ist ein Werturteil.
Da stimme ich mit dir überein.
Mich verwundert etwas die mangelnde Bereitschaft dieses Werturteil zu fällen, nur weil man damit "Größen" demontieren könnte.
Ich muss eines sagen: Die Väter der Erklärung der Menschen und Bürgerrechte waren weiter, als so manche spätere Figur, die heute noch namentlich geehrt wird.
Ich glaube, es geht gar nicht darum einen Großen zu fällen. Und natürlich ist es nicht immer gerecht, wenn "verdientere" Personen nicht geehrt werden. Aber man muss auch akzeptieren, dass sich schon mal jemand Gerdanken gemacht hat und sein Werturteil in die Namensgebung einfließen lassen hat. Und da - dies wurde auch schon gesagt - jeder Mensch irgendwo Dreck am Stecken hat, könnte man in letzter Konsequenz nie einen Ort nach einer Person benennen, weil immer jemand Einzelaspekte dieser Person anders sieht und eine Umbenennung forden würde.
Selbst die Väter der Erklärung der Menschen und Bürgerrechte, die du angesprochen hast, haben z. B. wahrscheinlich ihre Kinder nach Maßstäben erzogen, die nicht den Erkenntnissen der modernen Pädagogik entsprechen. Je nachdem wie man das gewichtet, kann man sie dann durchaus als untauglich als Namensgeber ansehen.
Oder als besonders krasses Beispiel aus RTL Samstag Nacht vor vielen Jahren (sinngemäß): Jesus taugt nicht als Vorbild für die Jugend, wo er doch seit 2000 Jahren nur rumhängt. Selbst wenn es hier nur "Comedy" war, zeigt es doch, dass man wirklich an jedem etwas finden kann...
Deshalb denke ich, dass Umbenennungen nur dann erfolgen sollten, wenn es neue Erkenntnisse (nicht andere Bewertungen!) gibt. Bei Neubenennungen darf man gerne strenger sein.
Vielleicht gibt es im Geschichtsforum des Jahres 2200 dann mal einen Thread, in dem spekuliert wird, weshalb nach 1950 kaum noch Straßen nach Tirpitz oder Kaiser Wilhelm benannt wurden.
Viele Grüße
Bernd