Zunächst einmal würde ich die Verbrennung von Büchern nicht geringschätzen, oder lapidar beiseite wischen, denn ein Buch, eine Schriftrolle oder eine Tafel sind zur damaligen Zeit möglicher Weise Unikate und damit das einzige Medium das Gedanken und Wissen für die Nachwelt erhalten kann. Sie beziehen sich ja selbst in ihren Artikeln auf eine ganze Reihe von Büchern, deren gesammeltes Wissen Sie ins Feld führen können, da heute niemand mehr auf die Idee kommt diese Bücher zu verbrennen.
Ein Zeitgeist der nach der Vernichtung von Wissens trachtet wäre also erst einmal nicht mit Ihrer These vereinbar dass im MA zahlreiche Grundlagen für den Wissensvorsprung Mitteleuropas in der Neuzeit gelegt wurden. Er wäre im Gegenteil ein Indiz gegen diese These.
Ich meinerseits, würde die Verbrennung von Büchern nicht grundsätzlich über einen Kamm scheren und mit einem Antrieb zur Vernichtung von Wissen gleichsetzen, denn dabei geht es ja in der Regel darum unliebsame Weltbilder los zu werden, aber nicht neutrales, nützliches Wissen an und für sich.
Im Übrigen, im Rahmen dessen was sich gemein hin "Damnatio memoriae" schimpft, wurde auch in der Antike hin und wieder Versucht Informationen über das Leben und Wirken bestimmter Persönlichkeiten (und auch das ist eine Form von Wissen) zu tilgen.
Deine Schlussfolgerung hier, kann ich auch nicht nachvollziehen. Warum soll ein Zeitgeist, der, wie du es ausdrückst, nach der Vernichtung von Wissen trachtet, nicht mit der Schaffung der Grundlagen neuen wissens vereinbar sein?
Haben die Nationalsozialisten etwa nicht versucht, das erreichte Wissen in der Altertums-, Geschichts-, Sprachwissenschaft und Soziologie, sofern es ihnen nicht in den Kram passte zu vernichten (unter anderem im Rahmen inszenierter Verbrennungen "undeutscher Literatur") sind aus diesem gesellschaftlichen zutand nicht etwa die Grundlagen der Raumfahrt, die unsere Gesellschaft heute mit prägt gelegt worden? (Um hier nicht falsch verstanden zu werden, möchte ich hier explizit festgestellt haben, dass ich entsprechede Taten selbstredend nicht gutheiße).
Wenn man mit Bücherverbrennungen etc. anfängt, müsste man sich erstmal näher damit beschäfftigen, ein wie großer Teil nützlichen und neutralen Wissens, tatsächlich willentlich vernichtet wurde (ist ja auch möglich die nützlichen Teile aufzuschreiben und irgendwo aufzuheben, während nur der Rest vernichtet wird) und bei einem wie großen Anteil es sich um unliebsame Thesen handelte, die mit tatsächlichem Wissen, aber nur bedingt etwas zu tun haben.
Dann müsstest du auch erklären, warum die Repression eines Wissensbereiches (wenn wir das mal annehmen wollen) grundsätzlich die Ausprägung anderer Bereiche unterminieren sollte.
"- die europäische Staatenwelt geprägt mit einer eigenständigen "Identität" in Abgrenzung zum Oströmischen Reich"
Diese angebliche Abgrenzung wird ja heute bis hin zu PEGIDA als Folklore gepflegt. Die Grundlagen des mitteleuropäischen Fortschritts seit dem 18 Jhdt beruhen allerdings allesamt auf den dem geistigen Fundament Mesopotamiens, der Levante, Ägyptens und Griechenlands (später Ost-Rom). Das gilt für praktisch alle kulturellen Bereiche von der Erfindung der Schrift, der Literatur und des Theaters über die Mathematik, das Rechtswesen , die Philosophie , das Staatswesen, die Architektur, Strassenbau, die Astronomie, die Kartierung der Welt bis hin zu den monotheistischen Weltreligionen. Der Aufstieg Westeuropas ist einer Umarmung und Fortentwicklung dieses kulturellen Erbes und beruht auf dessen Grundfesten. Abgrenzung dagegen kann also nicht das Erfolgsmodell gewesen sein.
Du verwechselst hier zwei ganz maßgeblich verschiedene Dinge, nämlich die Tatsache auf Vorrangegangenen Leistungen zu beruhen und die Tatsache diese Leistungen als Ebenbild wiederszuspiegeln.
Nehmen wir die Architektur:
Die Stahlskelettbauweise moderner Wolkenkratzer lässt sich nicht aus dem Ägyptischen, Römischen, Griechischen, Mesopotanischen oder sonstwo herleiten. Die dafür notwendigen Prinzipien (wenn auch mit anderen Materialien und Techniken ausgeführt), mit relativ leichten Materialien entsprechend hoch und stabil zu bauen, sind dann doch eher in der Gotik zu suchen und die hat keine antiken Vorläufer in diesem Sinne.
Nehmen wir den Straßenbau:
Zwischen der via Appia und einer modernen Autobahn dürften dir verschiedene Unterschiede auffallen. Die Römer mögen möglicherweise die Inspiration geliefert haben, wie man normierte Verkehrswege für sich genommen ins Werk setzt, mit den heute angewandten Techniken, Normen und auch dem Zweck solcher Bauprojekte, hat dass aber nur noch im geringen Maße etwas zu tun.
Der moderne Straßenbau hat mehrere geistige Fundamente und da gehört das Prinzip des normierten gefestigten Verkehrsweges aus dem alten Rom ebenso dazu, wie die späere Leistung in Sachen Statik, moderner Metallurgie (z.B. Brückenbau). Im Übrigen etwa auch der Umgang mit Sprengstoffen (zur Räumung von Hindernissen), von dem die Antike in der Form nichts wusstel
Im Übrigen könnte man nun auch behaupten, die Antike habe all das nur palgiiert, denn nachweisbare Laufhorizonte, die man mit einiger Phantasie zum Urahn der modernen Straße umdeklarieren könnte, wird man ohne Mühe bereits im Neolithicum ausfinde machen können.
Sicherlich wurden im MA zwangsläufig Grundlagen für die Neuzeit gelegt, denn es handelt sich ja bei Geschichte um kausale Verkettungen und insofern ist ein Heute nicht denkbar ohne das Tun von Gestern.
Entscheidend für das ursprüngliche Thema ist aber die Gewichtung. Wieviel Beitrag wurde im MA geleistet im Vergleich zur Zeit davor und handelt es sich dabei um einen Rückschritt in dem Sinne dass entweder das Tempo des Fortschritts verlangsamt wurde, oder statt der Generierung neuen Wissens, altes nicht verbreitet oder sogar vernichtet wurde, der Wissensbestand also abnahm.
Das ist mir etwas zu kurz gedacht. Für einen qualitative Umbruch im Hinblick auf die Entwickung der Welt ist nicht nur die Gescchwindigkeit der Entwicklung in der Spitze eine notwendige Angelegenheit, sondern auch ihre Durchdringung in der Breite.
Im näheren Umfeld des Mittelmeeres, leistete da etwa das römische Reich einiges, aber bereits an seiner Peripherie gingen doch viele gesellschaftliche Leistungen der Zentrale bereits verloren. Die Peripherie wurde insofern in die Nähe des Standes der Italischen Halbinsel oder der anderen Mittelmeerprovinzen versetzt, wie es die militärischen und wirtschaftlcihen Interessen des Imperiums, so wie die Fähigeit zu seiner Verwaltung es erforderten.
Eine große Leistung des Mittelalters, die meiner Meinung nach sehr unterschätzt wird, besteht in der flächendeckenden strukturellen Entwicklung des Barbaricums zu einem Raum, der dadurch überhaupt erstmal in die Lage kam, die Neuzeit entscheidend mit zu prägen und zu gestalten.
Einige entscheidende thechnische Quantensprünge hat es im Mittelalter durchaus auch gegeben, man denke etwa an den aufkommenden Buchdruck, der es in der Folge ermöglichte Wissen viel schneller zu verbreiten. In dem Kontext möchte ich auch die Entwicklung der Universität als Sich ausbreitende Institution angesprochen haben.
Ich würde mal behaupten ohne dem wäre unsere moderne Informationsgesellschaft genau so wenig denkbar, wie ohne die Erfindung der Schrift an sich, oder die Elektrotechnik.
Handelt es sich beim Mittelalter nun um einen Rückschritt? Ich denke, das muss regional getrachtet werden. Vergleicht man etwa das mittelalterliche Rom, mit seinesm Antiken Vorgänger, wird man in einiger Hinsicht durchaus von Rückschritten sprechen und das etwa an der Infrastruktur festmachen können. Für das, was sich im Römischen Barbaricum nennt, was immerhin flächenmäßig so in etwa die Hälfte der europäischen Landmasse ausmacht, wird man das nicht konstatieren können.
Da wird man eine Konsolidierung technischer Errungenschaften und eine stark beschleunigte Entwicklung feststellen können.