WK-1: "Deutschland trug zweifellos große Schuld am Kriegsausbruch"

Genau, das hast du richtig erkannt!

Also damit meinte ich nicht die Thematik der Kriegsschuld, sondern deine spekulativen Fragen.
Die Problematik der Schuldfrage muß ohne Annahmen und Spekulationen über einen anderen Verlauf, als den tatsächlichen historischen Ereignissen möglich sein.

Ansonsten kann ich Dir nicht, oder besser , will ich deinen Beiträgen nicht mehr folgen!
 
Welche Auswahl meinst du denn konkret?
Einiges ist ja schon verlinkt worden.

Russland konnte sowohl nur gegen Österreich wie auf der gesamten Front vorgehen. Frankreich drängte schließlich auf den Zweifrontenkrieg, aber die russische Option war gegeben. Gerade die deutlich schneller als von allen anderen vollzogene Mobilmachung hätte eine Offensive nur gegen Österreich sehr viel heftiger ausfallen können. Der ausgelöste Fall 'A' mit der 9. und 10. Armee (anstatt sie als Reserve zu versammeln) wäre also eine Möglichkeit gewesen, daneben gab es aber noch den Fall 'G'. Gerade durch die Hinwendung Deutschlands gegen Frankreich wäre dies sogar sehr stark gewesen. Die gegenseitigen Störungen der russischn Armeen konnte ja kaum einer vorher ahnen.

Frankreich hätte nicht unbedingt am Plan XVII festhalten müssen, insbesondere war kein Zeitdruck gegeben. Einzige Vorbedingung war die Bindung deutscher Truppen im Osten.
 
Also damit meinte ich nicht die Thematik der Kriegsschuld, sondern deine spekulativen Fragen.
Die Problematik der Schuldfrage muß ohne Annahmen und Spekulationen über einen anderen Verlauf, als den tatsächlichen historischen Ereignissen möglich sein...
Wie ich schrieb, Schuld kann man anhand von Fahrlässigkeit nachweisen. Für den Beweis von Haupt- oder Alleinschuld reicht das nicht.
 
Frankreich hätte nicht unbedingt am Plan XVII festhalten müssen, insbesondere war kein Zeitdruck gegeben. Einzige Vorbedingung war die Bindung deutscher Truppen im Osten.

Hat es auch nicht.

Dieses Kleben am Plan ist eine fehlerhafte Stereotype der Politikgeschichtler und der üblich verdächtigen militärhistorischen "Überblickswerke" zum WK I, die die Detaildarstellungen nicht berücksichtigen. Wegen der Kettenzitate ist das offenbar schwer ausrottbar.

http://www.southalabama.edu/history/faculty/rogers/345/articles/doughty.pdf
Oder "War Plans 1914".
Etc.

Ein gewisser Zeitdruck ist auch auf französischer Seite vorhanden gewesen: aufgrund der (selbst den Niederländern, die Neutralitätsverletzungen befürchteten) grundsätzlich bekannten deutschen Offensivabsichten war klar, was operativ auf Joffre zurollen würde, und das es schnell passieren würde, und dass es ein massiver Schlag werden würde.

Wie Du sagst: klar war, dass die eigenen frz.-russ. Operationsabsichten dem Grunde nach nicht zeitkritisch waren, sondern vielmehr kritisch in der Synchronität der Bündnisgenossen (! Was dann auch prompt leicht schief ging). Das "zeitkritische" Moment in Joffres Operationsplanung wurde ihm von den deutschen Absichten aufgedrängt.
 
Wie ich schrieb, Schuld kann man anhand von Fahrlässigkeit nachweisen. Für den Beweis von Haupt- oder Alleinschuld reicht das nicht.


Folgt man "The Sleepwalkers" (S. 560) dann stellt sich mit Clark die grundsätzlich Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, die "Schuldfrage" zu thematisieren. Die er dann auch tendenziell als nicht zielführend für eine angemessene historische Betrachtung verneint.

Zur Begründung verweist er darauf, dass es wichtiger sei, die Mechanismen zu rekonstruieren, die das Ereignis herbeigeführt haben.

Und er verweist u.a. auf die Bedeutung der jeweiligen politischen Kulturen, wie ich es bereits auch systematisch mit Wendt (Social Theory..) getan hatte, um die Komplexität der innerstaatlichen Diskussion und der zwischenstaatlichen Diskussion zu illustrieren.

In diesem Sinne kann man den Anteil am Auslösen des WW1 bestimmen, ob damit eine "Schuld" verbunden sei, ist im wesentlichen ein normatives moralisches Urteil, das u.a. die Frage zu beantworten hätte, welches Recht einzelne Ethnien haben, ihren politischen Widerstand zu organisieren. Und Clark weist u.a. auf diesen Aspekt hin!

Und den Anteil an dem Auslösen des WW1 kann man für das DR und für Ö-U anhand der Dokumentenlage relativ gut bestimmen und man kann ebenfalls die mentale Situation beschreiben, die für Bethmann Hollweg und für Moltke (d. J.) in der Juli-Krise eine Rolle gespielt haben.

Und wie Silesia schrieb, bezogen auf die Nichtkoordination der politischen (Bethmann Hollweg & Ritzler`s "Risiko Theorie" für die Lokalisierung von Konflikten an der Peripherie, sprich dem großen "politischen Bluff gegen Russland) und der militärischen Planung des "Schlieffen-Plans" für den Westen waren die Prämissen für den Juli 1914 höchst prekär. Ein Aspekt, auf den Hillgruber vehement hinweist!

Deutschlands Rolle in der Vorgeschichte der beiden Weltkriege - Andreas Hillgruber - Google Books

Zugleich bot der deutsche Plan, wenn man das neutral militärhistorisch betrachtet/abwägt, das höchste Maß eines "Vabanquespiels".
Und in diesem Sinne bleibt ein hoher Anteil an dem Beitrag zum auslösenden Momentum des WW1 auf der Seite der Achsenmächte.

Und dieses ist ein weiterer Beitrag aus der "roten" Reihe: "mehr Masse wenig Sinn!":grübel:
 
Zuletzt bearbeitet:
Der erneute Hinweis auf die Relevanz der Schuldfrage ist völlig berechtigt, weil hier offenbar das grundsätzliche Missverständnis betr. Clark besteht.

Wir haben das bereits vor einem Jahr an der englischen Edition herausgearbeitet.

Die "Schuldfrage" ist stark durch die deutsche Perzeption beeinflusst, nach der Schuld mit Reparatonen kausal verknüpft wurde.

Die Entstehungsgeschichte des "Originals" verwendet die "Aggression", was deutscherseits unter "Kriegsschuld" subsumiert worden ist.
 
Folgt man "The Sleepwalkers" (S. 560) dann stellt sich mit Clark die grundsätzlich Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, die "Schuldfrage" zu thematisieren. Die er dann auch tendenziell als nicht zielführend für eine angemessene historische Betrachtung verneint.

Zur Begründung verweist er darauf, dass es wichtiger sei, die Mechanismen zu rekonstruieren, die das Ereignis herbeigeführt haben.

Und er verweist u.a. auf die Bedeutung der jeweiligen politischen Kulturen, wie ich es bereits auch systematisch mit Wendt (Social Theory..) getan hatte, um die Komplexität der innerstaatlichen Diskussion und der zwischenstaatlichen Diskussion zu illustrieren.
Aus der Sicht eines Historikers ist das sicher richtig. Mechanismen zu rekonstruieren bzw, aufzuzeigen macht wesentlich mehr Sinn als Moralisieren.

In diesem Sinne kann man den Anteil am Auslösen des WW1 bestimmen, ob damit eine "Schuld" verbunden sei, ist im wesentlichen ein normatives moralisches Urteil, das u.a. die Frage zu beantworten hätte, welches Recht einzelne Ethnien haben, ihren politischen Widerstand zu organisieren. Und Clark weist u.a. auf diesen Aspekt hin!
Hier widerspreche ich. "Anteil am Auslösen" ist doch nichts anderes als "Schuld" ohne moralisierende Wertung.

Und den Anteil an dem Auslösen des WW1 kann man für das DR und für Ö-U anhand der Dokumentenlage relativ gut bestimmen und man kann ebenfalls die mentale Situation beschreiben, die für Bethmann Hollweg und für Moltke (d. J.) in der Juli-Krise eine Rolle gespielt haben.
Die Dokumentenlage ist sicherlich gut. Die Wertung dieser Dokumente ist aber wiederum subjektiv und da wird mir die Haltung Frankreichs und Rußlands viel zu wenig gewürdigt.
 
Die Dokumentenlage ist sicherlich gut. Die Wertung dieser Dokumente ist aber wiederum subjektiv und da wird mir die Haltung Frankreichs und Rußlands viel zu wenig gewürdigt.

Auf die Arbeiten von McMeekin hatte ich bereits in einem anderen Kontext zur russichen Aufmarschplanung hingewiesen.

Insofern wurde diese ergänzende Sicht im GF durchaus bereits angemessen rezipiert.

The Russian Origins of the First World War - Sean McMeekin - Google Books

Zur Juli-Krise finden sich entsprechende Betrachtungen von ihm in diesem Buch. Und dort verortet er die Dynamik bei F und R.

7/1/1914: Countdown to War - Sean McMeekin - Google Books

Und gerade von Turgot wird sehr ausführlich auch auf die Rolle von GB verwiesen.

Insgesamt kann man für das GF sicherlich nicht sagen, dass Mythen reproduziert werden, sondern eine sehr aktuelle Wahrnehmung erfolgt.
 
Ich versuch das irgenwie für mich selber zusammenzubringen.
Es ist ja die Frage: „Wie konnte das passieren?“

silesia:
Man fragt sich, wie das alles zusammenpaßt:

Ende 1912 steht man vor der Situation, dass die miitärischen Kräfte der potentiellen Gegner mittelfristig weiter wachsen werden. Absehbar wird das Deutsche Reich schon finanziell in der "Vorkriegs-"Rüstung nicht mehr gegen drei Großmächte mithalten können. Das Flottenkonzept (jahrelang auf den Schwerpunkt England ausgerichtet) wäre spätestens in dem Moment gescheitert, wenn Rußland die erwartete Rüstung in der Ostsee umsetzt und eine Dreadnought-Flotte im Baltikum kreuzt. Die Landlage kann sich ebenfalls bei weiterer Rüstung Rußlands nur verschlechtern.

Unterstellt aus, dass Ende 1912 die Absicht bestand, mit Fertigstellung des KW-Kanals und mit den Rüstungssteigerungen 1913/14 plus Fertigstellungen der Marine 1914 bei nächster Gelegenheit die Kriegsentscheidung zu suchen, da sich die Ausgangslage über 6-8 Jahre nur beachtlich verschlechtern kann. Wegfall des Ostaufmarsches fällt mit der Rüstungsvorlage 1913 eng zusammen. Beides zusammen indiziert einen kurz bevorstehenden Krieg mit Frankreich als erstem Gegner.


Militärische Planungen hätten jede theoretische Konstellation abdecken müssen, somit auch den Krieg ausschließlich gegen Rußland (die politische Wahrscheinlichkeit würde ich als nachrangig betrachten). Das ist ab 1913 nicht mehr geschehen, es wäre nach der Ausgangsprämisse (=kurz bevorstehender Krieg bei nächster Gelegenheit) auch schlicht überflüssig. Der kommende Krieg würde also definitiv auf 2-Fronten geschlagen werden müssen, somit bleibt nur die Schlieffen-Idee. Frankreich mußte in dieser Sichtweise endgültig und schnell ausgeschaltet werden.

Unterhalb des skizzierten Vorsatzes bleibt die Möglichkeit, dass dieses Szenario einfach ab 1913 als höchstwahrscheinlich angesehen wurde.


Rein theoretisch hätte die militärische Konsequenz solcher Überlegungen auch in einer Art Offenbarungseid liegen können: man ist den drei Großmächten nicht gewachsen, in der Rüstung mittelfristig hintenan, ein schneller Sieg ist unmöglich, ein längerer Krieg nicht durchhaltbar, als wahrscheinlich günstigstes Ergebnis wäre ein Patt anzunehmen. Diese (rein fiktive) militärische Einsicht wäre ein klares Signal an die Politik, andere Wege zu suchen.
http://www.geschichtsforum.de/404067-post151.html

Damit aber musste ja ein baldiger Krieg als wünschenwert erscheinen.
Das aber war durchaus nicht aus sich selbst heraus plausibel.
Denn so wie ich es verstehe, gab es über die Gestalt eines solchen verschiedene Ansichten.
Während einerseits von der Unausweichlichkeit Krieg ausgegangen wurde, wiesen andere darauf hin, dass eine solche Außeinandersetzung eine Unmöglichkeit darstellen würde und angesichts der Wirtschaftskraft und der wirtschaftlichen Vernetzung der Nationen in einer Katastrophe enden müsste. Barbara Tuchman – August 1914, nennt hier u. a. als Beispiele für die verschiedenen Ansichten General von Bernardi und Norman Angell mit den jeweils einflussreichen Büchern.
Und erster geht, gemäß genannter Quelle Seite 17, von einem solzialdarwinistischen Ansatz aus:
„Der Krieg bedeutet nach Bernardi eine biologische Notwendigkeit; ...“

Repo:
Nüchtern betrachtet ist es durchaus möglich, dass Du recht hast.

Es wurde geplant bis zum abnippeln.
Plötzlich für ein bestimmtes Szenario nicht mehr.
Ein Schelm wer schlechtes dabei denkt.

Was dann heißen würde, dass Fischer doch recht hatte.

In der russ. franz. britischen Vor-Geschichte zum 1. WK kenne ich mich nun nicht so aus. Abgesehen davon, sie haben ja gewonnen, wird da manches noch heute gesperrt sein.
Wenn man aber die 1918/19 von den Sowjets veröffentlichten Dokumente sieht, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass da ebenfalls die Ansicht herrschte "Jetzt oder Nie".
http://www.geschichtsforum.de/404086-post152.html

…...........
Thane:
….
Folgt man "The Sleepwalkers" (S. 560) dann stellt sich mit Clark die grundsätzlich Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, die "Schuldfrage" zu thematisieren. Die er dann auch tendenziell als nicht zielführend für eine angemessene historische Betrachtung verneint.

Zur Begründung verweist er darauf, dass es wichtiger sei, die Mechanismen zu rekonstruieren, die das Ereignis herbeigeführt haben.
…...
http://www.geschichtsforum.de/699851-post505.html

beorna:
Wie ich schrieb, Schuld kann man anhand von Fahrlässigkeit nachweisen. Für den Beweis von Haupt- oder Alleinschuld reicht das nicht.
http://www.geschichtsforum.de/699836-post503.html

Ich kann ehrlich gesagt nicht erkennen, wie es möglich sein sollte, ohne den Begriff der „Schuld“ zu einer Einschätzung des Geschehenen zu kommen,
ohne sich selbst in der Beliebigkeit eines Mechanismus zu finden,
der dem betrachtenden Menschen kein 'höheres' Urteil erlaubt.

Nun ist ja, wie erwähnt, der moralische Ansatz nicht unbedingt ein historischer.
(Es ist ja gewiss so, dass dieser Ansatz sich allzuleicht in den Fordergrund drängt und die sachliche Analyse verdeckt)
Die Fähigkeit des Lernens aus Geschichte jedoch, kann nicht auf diesen verzichten.
Deshalb finde ich juristische Betrachtungen, wie zuletzt zitiert, als Ergänzung zur mechanistischen Analyse wertvoll,
Und sie haben als Mittler zwischen den Polen der Bewertungsansätze den großen Vorteil, dass Emotionen nicht deren Basis sind.

hatl

Letztlich bleibt mir selber die Frage: "wie konnte das passieren?" ein Rätsel ...
 
Ich kann ehrlich gesagt nicht erkennen, wie es möglich sein sollte, ohne den Begriff der „Schuld“ zu einer Einschätzung des Geschehenen zu kommen,
ohne sich selbst in der Beliebigkeit eines Mechanismus zu finden,
der dem betrachtenden Menschen kein 'höheres' Urteil erlaubt.
Schuld kann man dort sehen oder suchen, wo es feste Regeln/Prinzipien gibt, wie z.B. im Straßenverkehr. Das Prinzip, kein Krieg, gab es nicht. Gibt es heute eigentlich auch nicht. Es war nicht geächtet und ein legitimes Mittel.
Wenn man nach Schuld sucht, dann sucht man auch nach Entschuldigungen. Es gab im Juli '14 aber nichts zu entschuldigen.
Eine Schuld hätte es nur geben können, wenn eine der beteiligten Nationen eine Verpflichtung den anderen gegenüber gehabt hätte. Also, um beim Beispiel Straßenverkehr zu bleiben, in einer 30er-Zone sich an die Geschwindigkeit halten. 1914 waren aber alle mit 163, 148 oder 157 km/h unterwegs.
 
Schuld kann man dort sehen oder suchen, wo es feste Regeln/Prinzipien gibt, wie z.B. im Straßenverkehr. Das Prinzip, kein Krieg, gab es nicht. Gibt es heute eigentlich auch nicht. Es war nicht geächtet und ein legitimes Mittel.
Wenn man nach Schuld sucht, dann sucht man auch nach Entschuldigungen. Es gab im Juli '14 aber nichts zu entschuldigen.
Eine Schuld hätte es nur geben können, wenn eine der beteiligten Nationen eine Verpflichtung den anderen gegenüber gehabt hätte. Also, um beim Beispiel Straßenverkehr zu bleiben, in einer 30er-Zone sich an die Geschwindigkeit halten. 1914 waren aber alle mit 163, 148 oder 157 km/h unterwegs.

Und Belgien war eine Abkürzung durch die Fußgängerzone.
 
Auf die Arbeiten von McMeekin hatte ich bereits in einem anderen Kontext zur russichen Aufmarschplanung hingewiesen.

Insofern wurde diese ergänzende Sicht im GF durchaus bereits angemessen rezipiert.

The Russian Origins of the First World War - Sean McMeekin - Google Books

Zur Juli-Krise finden sich entsprechende Betrachtungen von ihm in diesem Buch. Und dort verortet er die Dynamik bei F und R.

7/1/1914: Countdown to War - Sean McMeekin - Google Books

Und gerade von Turgot wird sehr ausführlich auch auf die Rolle von GB verwiesen.

Insgesamt kann man für das GF sicherlich nicht sagen, dass Mythen reproduziert werden, sondern eine sehr aktuelle Wahrnehmung erfolgt.

Das Werk von McMeekin, Der Countdown in dem Krieg, erscheint im März auf deutsch.
 
Schuld kann man dort sehen oder suchen, wo es feste Regeln/Prinzipien gibt, wie z.B. im Straßenverkehr.

Richtig. Und genauso wenig wie man an einem komplexen Ereignis schuldig sein kann, nicht zuletzt aufgrund der Interaktion, sondern nur unterschiedliche Grade der Verantwortung zu erkennen sind, sind auch klare Formen der Schuld zu erkennen.

Regierungen haben gegen moralische, politische und ethische Normen verstoßen, als sie die "Kriegsbestien" von der Leine ließen.

Moralisch: Die Entscheidung für die Kriegsführung hat auch immer eine moralische Seite, die einen starken Bezug zur Staatslehre hat. KW2 agierte von "Gottes Gnaden" und rechtfertigte die Legitimität der Entscheidung für die Kriegsführung vor diesem Kontext. Und wirft die Frage auf, bis zu welchem Punkt diese Form der Legitimation durch den Kontrakt zwischen der Regierung und dem Staatsvolk noch gedeckt ist.

A Theory of Political Obligation: Membership, Commitment, and the Bonds of ... - Margaret Gilbert - Google Books

Und generell die Legitimätsdiskussion zum Krieg bei Stadler
Krieg - Christian Stadler, Konrad Paul Liessmann - Google Books

Und die moralische Schuld gegenüber dem eigenen deutschen Volk ergibt sich daraus, wie Fischer es darstellt, dass Bethmann Hollweg (in seiner Rede vor dem Hauptausschuss des Rechtstags im Oktober 1916) die "Schuld" Deutschlands in der ständigen Überschätzung der eigenen Kräfte in Verkennung der Realitäten gesehen hat (vgl. S.88).

Und genau diese Form der Versagens der Politik der kaiserlichen Deutschlands ist die Schuld gegenüber einem hunderttausendfachen Leid, den diese Fehlleistung über die Deutschen und seine Nachbarn gebracht hat.

Und an diesem Punkt ist schwere Schuld auf sich geladen worden. Und natürlich in änlicher Form bei den anderen europäischen Regierungen.

Sie waren absolut nicht schuldlos!
 
Im Wiki-Artikel zum Schlieffenplan Schlieffen-Plan ? Wikipedia steht auch etwas zur Vorgeschichte des Plans. Unter Schlieffens Vorgänger, Moltke, war die Planung für einen Zweifrontenkrieg mit Frankreich und Rußland, im Westen defensiv und im Osten sollte nach einer Defensive in die Offensive gegangen werden.

Übrigens stammte der Schlieffenplan von 1905. Anscheinend waren da noch nicht die Erkenntnisse des Russisch-japanischen Krieges von 1905 eingeflossen.

Einleitend zunächst die Reihenfolge der Generalstabschefs:

Moltke d. Ältere (bis 1888)
Graf Alfred von Waldersee (bis 1891)
Alfred von Schlieffen (bis 1906)
Moltke d. Jüngere (bis 1914)

Von 1905 war die Denkschrift Schlieffens "Krieg gegen Frankreich", die dann u. a. Grundlage der Planung wurde.

Eine Denkschrift ist eine theoretische Studie - aus ihr kann ein Plan erwachsen oder auch nicht. Eine militärische Planung enthält Anweisungen und Befehle für konkrete Handlungen, auf die bei Bedarf zurückgegriffen wird - das kann bis zum einzelnen Soldaten reichen! Ggf. ist das Ganze durch Bau- und Rüstungsvorhaben, Änderungen des Ausbildungsbetriebes usw. zu flankieren. Aufwandsmäßig können Welten zwischen Studie und Planung liegen.

Beispiel:
Eine Studie stellt fest, dass bei bestimmten meteorologisch Verhältnissen der Hamburger Fischmarkt überflutet wird und empfiehlt den Bau von Flutschutztoren und Deichen.

Der Senat greift die Studie auf, die Schutzeinrichtungen werden erstellt. Dazu kommt dann der Katastrophenschutzplan, der regelt, wann Warnungen ausgesprochen werden, wann evakuiert wird usw. usw.,

Analog gab es auch im Großen Generalstab, übrigens nur etwa 150 Offiziere stark, also etwas kleiner als das Pentagon, Überlegungen und Denkschriften für alle möglichen Varianten - selbst über die Schweiz.
(vgl. Deutsche Militärgeschichte 1648-1939, Bd. 6, Abschn. IX, Alfred Graf von Schlieffen, S. 440 ff.).

Zum ziemlich ungenauen wiki-Artikel:

Dort heißt es unter Bezug auf Gordon Craig im Abschnitt Fehler des Plans:

Schlieffen ließ im Mai 1900 Friedrich August von Holstein informieren, dass der Generalstab sich im Falle eines Zweifrontenkrieges von internationalen Vereinbarungen nicht binden lassen werde. Holstein antwortete: „Wenn der Chef des Großen Generalstabs und vollends eine strategische Autorität wie Schlieffen eine solche Maßnahme für erforderlich halte, dann sei es die Pflicht des Diplomaten, sich auf sie einzustellen und sie auf alle mögliche Weise vorzubereiten.“
Bei Craig steht:

Als freilich Graf Hutten-Czapski auf Geheiß Schlieffens im Mai 1900 Holstein darüber informierte, daß der Generalstab nicht die Absicht hätte, sich im Falle eines Zweifrontenkrieges von internationalen Vereinbarungen binden zu lassen, erklärte dieser nach seiner Ansicht hierzu befragt, nach langem betretenem Schweigen, "wenn der Chef des Großen Generalstabes und vollends eine strategische Autorität wie Schlieffen eine solche Maßnahme für erforderlich halte, dann sei es die Pflicht der Diplomatie, sich auf sie einzustellen und sie auf alle mögliche Weise vorzubereiten".

Craig wird also verkürzt und sogar sinnentstellend zitiert.

Es gab nicht eine einseitige Information nach dem Motto "Friß Vogel, oder stirb!", das Auswärtige Amt wurde nach seiner Meinung befragt.

Der Generalstab erklärte auch nicht ultimativ, er lasse sich nicht binden, sondern er habe die Absicht sich nicht binden zu lassen. Absichten sind verhandelbar.

Dass Holstein nicht von einer Pflicht des Diplomaten, sondern der Pflicht der Diplomatie sprach ist dann nur noch das I-Tüpfelchen.

Die Deutsche Militärgeschichte 1648-1939 (Bd. 3, Abschn. V, Der Schlieffen-Plan, S. 79 ff.) spricht von einer Unterrichtung des AA und der Bitte um Stellungnahme. Als Zeuge für die Antwort Holsteins wird dort Bogdan Graf von Hutten-Czapski genannt, vielleicht kann jemand aus seinem Werk etwas dazu beitragen.

Wiederum unter Bezug auf Craig heißt es:

Kein Reichskanzler, weder Hohenlohe noch Bülow erhob einen Einwand gegen den Plan. Wegen der besonderen Stellung des Militärs, das nur dem Kaiser, nicht aber dem Reichskanzler unterstand, gab es vor1914 keine einzige Sitzung des Kriegsrates, in der Regierungspolitiker sich an Diskussionen über die Pläne des Militärs hätten beteiligen können
Klingt nach einem Gremium, das regel- od. unregelmäßig zusammentritt - und die Regierungspolitiker ausschloss.

das Original:
Nach seiner eigenen Bekundung wußte Bethmann ebenso wie sein Außenminister F.L. von Jagow bereits lange vor Kriegsbeginn von der geplanten Verletzung der belgischen Neutralität; wie der Kanzler jedoch in seinem Memoiren einräumte, gab es in den Jahren vor 1914 keine einzige Kriegsratssitzung in der die Politiker Gelegenheit gehabt hätten, sich an der Diskussion über militärische Pläne und Vorbereitungen zu beteiligen.
(Als Quelle wird Theobald v. Bethmann Hollweg, Betrachtungen zum Weltkrieg, ii 7. benannt.)

Der 1/2 m Deutsche Militärgeschichte 1648-1936 kennt leider keinen Kriegsrat. Sollten die Regierungspolitiker von der weiteren Planung und Vorbereitung tatsächlich ausgeschlossen gewesen sein?

Kaum glaubhaft, allein schon der Bau neuer Bahnstrecken war ohne Beteiligung von Parlament und Regierung gar nicht machbar. Die im Thread erwähnte Mobilmachungsplanung! erst recht nicht.
Der Mobilmachungsplan galt immer von April bis März des folgenden Jahres.
In der Regel wurde dabei der Mobilmachungsplan bereits im Herbst des vorhergehenden Jahres erlassen, und entsprechend mussten dann die Mobilmachungsvorarbeiten durchgesehen, gegebenenfalls geändert oder neu aufgestellt werden.
Ziel der planerischen und organisatorischen Vorarbeiten war es dabei, so vollständig und klar zu sein, daß nach Eingang des Befehls zu einer planmäßigen Mobilmachung von keiner Behörde usw. mehr Ausführungsbestimmungen erlassen werden mußten; vielmehr sollte jede Unterbehörde im voraus vollständig von dem unterrichtet sein, was sie zu tun hatte
Die Planung umfasste allein 2,1 Mio. Feld- und 1,7 Mio. Mann Ersatzheer. Sie mussten nicht nur nach Ost oder West transportiert werden, sondern jeder von ihnen musste auch im voraus wissen, wo er sich zu melden hatte, wenn das Stichwort, bspw."Grüner Büffel", fiel bzw. zu Kaiserzeiten wohl plakatiert wurde.

Das Heer mobilisierte auf der OST-WEST-Achse. Die Marine auf der NORD-SÜD-Achse. Für 1914 waren 31.900 Transporte vorgesehen - innerhalb weniger Tage:

2 Tage Vorbereitung für die Eisenbahn
3 Tage für die Mobilmachungstransporte für die Aufstellung des Feldheeres und zur Armierung der Grenzbefestigungen
12 Tage Aufmarsch Westheer
5 Tage Aufmarsch Ostheer
3 Tage Mobilmachungstransporte für Besatzungs- und Ersatztruppen
20 weitere Tage sonstige noch erforderliche Mobilmachungstransporte

... wird bei dem Umfang an hierfür erforderlicher sorgfältiger Filigranarbeit nur zu leicht verständlich, daß die damit beauftragten Generalstabsoffiziere und Eisenbahnbehörden erleichtert aufgeatmet haben dürften, als mit dem Entschluss Moltkes, den Großen Ostaufmarsch von 1913 ab nicht mehr zu bearbeiten zu lassen, nicht nur eine zusätzliche Arbeitsbelastung wegfiel, ...

(alle Deutsche Militärgeschichte 1648-1939, Bd. 6, Abschn. IX, Die Mobilmachung, S. 495 ff.).

Ohne Einbeziehung ziviler Stellen war die Mobilmachungsplanung gar nicht zu leisten. Die zivile Stellen - und damit auch Politik - waren unvermeidlich involviert - vom lokalen Bürgermeister bis zu den Reichsämtern - und sei es nur in Form einer Eingangsbestätigung.
 
Klingt nach einem Gremium, das regel- od. unregelmäßig zusammentritt - und die Regierungspolitiker ausschloss.

Der 1/2 m Deutsche Militärgeschichte 1648-1936 kennt leider keinen Kriegsrat. Sollten die Regierungspolitiker von der weiteren Planung und Vorbereitung tatsächlich ausgeschlossen gewesen sein?

Kaum glaubhaft, allein schon der Bau neuer Bahnstrecken war ohne Beteiligung von Parlament und Regierung gar nicht machbar. Die im Thread erwähnte Mobilmachungsplanung! erst recht nicht.

Es ist absolut glaubhaft. Und die meisten Darstellungen von beispielsweise Fischer, Hillgruber, Hildebrandt, Wehler und auch Clark betonen die tiefe Kluft zwischen der militätrischen und der politischen Betrachtung.

Und der Schlüssel für das Verständnis liegt in der semi-absolutistischen Regierungsform des DR, wie Ritter es bezeichnet, in Kombination mit dem spezifischen deutschen bzw. preußischen Militarismus.

Und ist bereits in seinen Auswirkungen der Überbetonung offensiver, präventiver Kriegsführungen auch schon dargestellt worden.

Folgt man Wallach (Dogma der Vernichtungsschlacht, S. 286ff) dann ist durch das preußisch-deutsche Militär Clausewitz nicht nur hinsichtlich der Überlegenheit der Defensive falsch interpretiert worden.

Wesentlich problematischer ist die Definition der Rollen der Politik und des Militärs. Wallach geht davon aus, dass Clausewitz entweder gar nicht, wie im Fall von Bethmann Hollweg oder falsch wie im Fall von Hindenburg interprtiert worden ist. Im Fall von Hindenburg verweist Wallach darauf, dass laut Hindenburg, Clausewitz vor Übergriffen der Politik auf das Militär gewarnt hätte. An diesem Punkt zeigt sich die hohe Bedeutung des Militärs bzw. des "Militarismus" für die praktische Politik.

Und genau diese Bevorzugung der militärischen Logik bzw. Sichtweise, als es noch diplomatische Möglichkeiten Ende Juli gegeben hatte, ist das problematische.

Es gab in der relevanten Periode nach den Balkankriegen, nach 1911, keine systematische Abstimmung und Reinterpretation der Planungen von Schlieffen.

Die "Risikostrategie" von Bethmann- Hollweg & Ritzler an der Peripherie im südöstlichen Europa und dem Versuch, die Russen in 1914 durch "Bluff" vom Krieg abzuhalten und die "Entente" dadurch zu sprengen, hätte, und darauf weist Hillgruber explizit hin, die Konzentration der Armee im Osten erfordert, um der Politik als Instrument zu sekundieren.

Das Militär folgte diesen politischen Vorstellungen nicht. Konnte es wahrscheinlich auch gar nicht, weil es die politische Strategie vermutlich gar nicht kannte oder nicht verstanden hatte. Und nicht zuletzt wie oben schon deutlich gemacht, das Militär war nicht bereit, den politischen Prämissen zu folgen! Und an diesem Punkt, und darauf weisen eine Reihe von Autoren hin, wurde Clausewitz in seinem grundsätzlichen Verständnis von Politik und Militär vom preußischen Militär von den Beinen auf den Kopf gestellt.

In diesem Sinne schreibt Ritter "....kaiserlichen Deutschland: während hier überhaupt keine förmlichen Beratungen zwischen politischen und militärischen Stellen ....(S. 89) stattfanden, erfolgte dieses in den westlichen Demokratien.

Und fährt auf S. 100/101 fort, die präkere Situation des Reichskanzlers zu beschreiben, der, so Ritter explizit, die Planung des Generalstabs durch zivile Stellen nicht hat kontrollieren lassen können!

Und Ritter läßt Bethmann-Hollweg direkt zur Wort kommen: " An der Aufstellung des Feldzugsplanes ist die politische Leitung nicht beteiligt gewesen. ....Überhaupt ist während meiner ganzen Amtstätigkeit keine Art von Kriegsrat abgehalten worden, bei dem sich die Politik in das militärische Für- und Wider eingemischt hätte". (S. 101).

Der Schlieffenplan. Kritik eines Mythos.... - Gerhard Ritter - Google Books

Das gilt auch für den "Kriegsrat" vom 08.12.1912, an dem KW II. und Militärs anwesend waren, aber nicht Bethmann-Hollweg. Dieses Ereignis, obwohl direkt ergebnislos, beschreibt die Form der problematischen Ausgestaltung der Außen- und Militärpolitik im DR durch KW II. und durch den Generalstab.
 
Zuletzt bearbeitet:
Für mich gibt es grob gesprochen zwei mögliche Interpretationen:

1. Ein mehr als andere Staaten aggressives, nach der Weltmacht strebendes Deutsches Reich, obwohl unfähig zu ernsthafter Kriegsvorbereitung zum einen wegen des Einsatzes relativ geringerer Anteile des Nationalvermögens als die potentiellen Gegner für die Kriegsrüstung, zum anderen durch fehlende Abstimmung der Eliten, verschärft trotz Umzingelung durch überlegene Gegner gezielt Krisen, um sie zum Krieg nutzen zu können, bevor die anderen noch stärker werden, endlich, obwohl sich davor schon günstigere Konstellationen boten, schafft man es 1914, den Krieg beginnen zu lassen.
2. Ein vergleichbar anderen Staaten aggressives, nach einem Platz als Großmacht strebendes Deutsches Reich, nicht gerade mit einer besonders effizienten Regierung gesegnet und militärisch den umgebenden Mächten, darunter immerhin in der Weltgeschichte bis dahin sehr kriegslüsternen Reichen wie dem britischen und dem französischen, kaum gewachsen, taumelt ohne großen Masterplan von Tageskrise zu Tageskrise, bis zu einem gewissen Grad bereit, den ungünstig erscheinenden Krieg zu vermeiden, aber auch bereit, ihn zu führen, wenn ansonsten für die Großmachtidee zu starke Nachteile erwachsen. Das war zufällig im Sommer 1914 der Fall.

Ich halte Nr. 2 für wahrscheinlicher, da mir der Hasardeurgedanke, der bei der Krieg-als-Ziel-Theorie unerläßlich ist, nicht sonderlich überzeugend erscheint. Auch Nr. 2 beinhaltet natürlich "Schuld" im Sinne des verantwortlichen Mitwirkens am Entstehen des Krieges, denn Alternativen bestanden. Irgendwie ist diese Kriegsschuld-, oder "aggression-"diskussion aber blumig und im Weiteren recht sinnlos, es sei denn, man legte nun noch prozentuale Schuldanteile (klein-groß-riesengroß?) fest. Dann könnte man schön mit dem Zeigefinger zeigen oder sich Bedeutung durch Selbstanklage verschaffen.
 
Das Militär folgte diesen politischen Vorstellungen nicht. Konnte es wahrscheinlich auch gar nicht, weil es die politische Strategie vermutlich gar nicht kannte oder nicht verstanden hatte. Und nicht zuletzt wie oben schon deutlich gemacht, das Militär war nicht bereit, den politischen Prämissen zu folgen! Und an diesem Punkt, und darauf weisen eine Reihe von Autoren hin, wurde Clausewitz in seinem grundsätzlichen Verständnis von Politik und Militär vom preußischen Militär von den Beinen auf den Kopf gestellt.
Das bringt es wohl recht gut auf den Punkt. Das Militär hätte nur auf Befehl des Kaisers ein Primat der Politik akzeptiert und schaltete daher nach Kriegsbeginn diese Möglichkeit konsequent aus.

@Luziv: Was die Kriegslüsternheit angeht, so sehe ich sie nicht so. Denn warum konnten sonst so viele Entscheidungsträger gemütlich im Juli 1914 Urlaub machen?
 
Für mich gibt es grob gesprochen zwei mögliche Interpretationen:


2. Ein vergleichbar anderen Staaten aggressives, nach einem Platz als Großmacht strebendes Deutsches Reich, nicht gerade mit einer besonders effizienten Regierung gesegnet und militärisch den umgebenden Mächten, darunter immerhin in der Weltgeschichte bis dahin sehr kriegslüsternen Reichen wie dem britischen und dem französischen, kaum gewachsen, taumelt ohne großen Masterplan von Tageskrise zu Tageskrise, bis zu einem gewissen Grad bereit, den ungünstig erscheinenden Krieg zu vermeiden, aber auch bereit, ihn zu führen, wenn ansonsten für die Großmachtidee zu starke Nachteile erwachsen. Das war zufällig im Sommer 1914 der Fall.

Ich halte Nr. 2 für wahrscheinlicher, da mir der Hasardeurgedanke, der bei der Krieg-als-Ziel-Theorie unerläßlich ist, nicht sonderlich überzeugend erscheint. Auch Nr. 2 beinhaltet natürlich "Schuld" im Sinne des verantwortlichen Mitwirkens am Entstehen des Krieges, denn Alternativen bestanden. Irgendwie ist diese Kriegsschuld-, oder "aggression-"diskussion aber blumig und im Weiteren recht sinnlos, es sei denn, man legte nun noch prozentuale Schuldanteile (klein-groß-riesengroß?) fest. Dann könnte man schön mit dem Zeigefinger zeigen oder sich Bedeutung durch Selbstanklage verschaffen.

Weshalb sollte das Deutsche Reich nach einen Platz als Großmacht streben? Es war bereits eine anerkannte Großmacht. Es ging um nichtes geringers als einen Platz als Weltmacht! Wilhelm selbst klargestellt, "das wir Weltpolitik betreiben" auch wenn nicht sofort jeder wie Waldersee wußte, was das eigentlich sei. Ob die Diskussion soo sinnlos ist, möcht ich ein wenig bezweifeln, denn wenn man sich die jüngste Aussage des britischen Bildungsministers Gove zu dieser Thematik durchliest, nämlich das Deutschland allein schuld sei, bestehen doch ganz offenkundig Bildungslücken. Auch ist das Deutsche Reich nicht von einer Krise in die andere gestolpert und davon einmal abgesehen, gab es auch in den anderen europäischen Großmächten innen- wie außenpolitische Erschütterungen. Das deutsche Kaiserreich befand sich da in bester Gesellschaft.
 
Kaum glaubhaft, allein schon der Bau neuer Bahnstrecken war ohne Beteiligung von Parlament und Regierung gar nicht machbar. Die im Thread erwähnte Mobilmachungsplanung! erst recht nicht.
Der Mobilmachungsplan galt immer von April bis März des folgenden Jahres.
Die Planung umfasste allein 2,1 Mio. Feld- und 1,7 Mio. Mann Ersatzheer. Sie mussten nicht nur nach Ost oder West transportiert werden, sondern jeder von ihnen musste auch im voraus wissen, wo er sich zu melden hatte, wenn das Stichwort, bspw."Grüner Büffel", fiel bzw. zu Kaiserzeiten wohl plakatiert wurde.

Das Heer mobilisierte auf der OST-WEST-Achse. Die Marine auf der NORD-SÜD-Achse. Für 1914 waren 31.900 Transporte vorgesehen - innerhalb weniger Tage:

2 Tage Vorbereitung für die Eisenbahn
3 Tage für die Mobilmachungstransporte für die Aufstellung des Feldheeres und zur Armierung der Grenzbefestigungen
12 Tage Aufmarsch Westheer
5 Tage Aufmarsch Ostheer
3 Tage Mobilmachungstransporte für Besatzungs- und Ersatztruppen
20 weitere Tage sonstige noch erforderliche Mobilmachungstransporte

Es gab enstprechende Militär-Eisenbahnbehörden. Das deutsche Eisenbahnnetz war in Liniengebeite eingeteilt, in denen Linienkommandaturen den notwendigen Verkehr mit den Eisenbahnverwaltungen sicherstellten. Die auf grund des Kriegsleistungsgesetztes bei Mobilmachung und Aufmarsch an die Eisenbahnen zu stellenden militärischen Forderungen wurden von den militär-Eisenbahnbehörden festgesetzt und in Mobilmachungsvorabeiten niedergelegt. Die Bearbeitung hatte so zu erfolgen, das die militärische und Eisenbahndienststellen in der lage waren, die transporte in Gang zu bringen und ihren Lauf in Rahmen der großen bewegung sicherzustellen. (1)

(1) Das deutsche Feldeisenbahnwesen, S.6 ff
 
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