Woher kamen die Seevölker?

Ausserdem sollten wir nicht übersehen, dass wir in diesen Fragen wirklich auf die schriftliche Überlieferung angewiesen sind, seien es nun Statuen mit Inschriften oder der gute alte, viel zu uninformierte Manetho. Die Ergebnisse der Archäologie sind noch lange nicht ausgewertet und duch die Grabungen in Avaris richtig in Bewegung gekommen. Siehe Sciem 2000.
 
Von irgendwoher müssen sie ja ihren Rückhalt bezogen haben. Wir wissen von keinem Land entlang der Levante, das in der Lage gewesen wäre, den vereinigten Kräften von Ägypten stand zu halten.
Noch einmal: Die Hyksos waren lange Zeit keinen "vereinigten Kräften von Ägypten" ausgesetzt. Als sie die Macht in Unterägypten an sich rissen - wie auch immer das nun konkret abgelaufen sein mag, ob sie nun von außen als Invasoren eingefallen sind oder sich im Land erhoben haben, in das sie bereits früher als Migranten eingesickert sind - war Ägypten arg geschwächt und zersplittert. Das blieb es dann auch noch etwa hundert Jahre lang. Die Fürsten in Oberägypten hatten vermutlich nicht wirklich Lust, sich einem von ihnen unterzuordnen, um gemeinsam gegen die Hyksos vorzugehen. Ich schätze, ihre relative Selbstständigkeit unter Hyksos-Oberhoheit war ihnen lieber. Die Hyksos hatten also lange Zeit keinen ebenbürtigen Gegner in Ägypten.
Übrigens hielten später die Hethiter den Ägyptern stand.

Jede Kultur, die im Delta sass, muss über zahlreiche Anknüpfungspunkte ins maritime Millieu verfügt haben, das bringt der Status als Küstenstadt mit sich.
Klar, aber diese Anknüpfungspunkte können auch rein passiver Natur gewesen sein, indem man also Händler und sonstige Reisende aufnahm. Du hast weiter oben selbst geschrieben: "Die Seefahrt kenne ich aus den Zeichnungen der Zeit nur als Handels- und "Boten"seefahrt. Die Ägypter waren wohl nie eine wirkliche Seemacht wie die Minoer." Im Delta saßen die Ägypter auch, trotzdem wurden sie erst unter den Ptolemaiern eine echte Seemacht, die eine aktive expansive Flottenpolitik betrieb.

Wie kommst du darauf, dass die Hyksos die Seefahrt aufgegeben haben?
Wie kommst Du darauf, dass sie sie jemals betrieben haben?

Der Hafen von Avarais barg Platz für über hundert Schiffe, das ist doch schon mal was. Ich will garkeine Rechnung anstellen, wie viele Soldaten man auf diesem Weg in küzester Zeit ins Land bringen konnte.
Ist denn gesagt, dass das ein Kriegshafen war? Handelsschiffe - fremde und eigene - brauchen auch Platz.

Die Funde der minoischen Kultur in Ägypten, auch wenn es wenige sind ("Chronology of Bronze Age Aegypt"), sprechen doch dafür, dass aus dieser Richtung eine wichtige Beeinflussung statt fand.
Das streite ich auch gar nicht ab.

Ganz abgesehen von dem Fresko in Avaris. Der Stierkampf ist auch eine kulturelle Parallele, willst du wirklich annehmen, dass man ein solches Fresko gemalt hat, ohne dass es vergleichbare kulturelle Vorstellungen gab? Da wäre ich mir nicht sicher.
Mit solchen Schlüssen wäre ich vorsichtig. Vielleicht fanden ein paar vornehme Ägypter den minoischen Stil auch einfach "schick"? In Europa war auch im 18. Jhdt. die fernöstliche Kunst und Architektur beliebt, ohne dass man deswegen die dortigen Religionen, Gesellschaftssysteme und Mentalität übernommen hätte.
 
Mit solchen Schlüssen wäre ich vorsichtig. Vielleicht fanden ein paar vornehme Ägypter den minoischen Stil auch einfach "schick"? In Europa war auch im 18. Jhdt. die fernöstliche Kunst und Architektur beliebt, ohne dass man deswegen die dortigen Religionen, Gesellschaftssysteme und Mentalität übernommen hätte.

Gut, toucheé oder wie das heisst, du hast mich. Ausgeschlossen ist das nicht. Aber es ist ein Beleg für die guten Kontakte ins maritime Milieu, finde ich.

Ich schätze, ihre relative Selbstständigkeit unter Hyksos-Oberhoheit war ihnen lieber. Die Hyksos hatten also lange Zeit keinen ebenbürtigen Gegner in Ägypten.

Also, ich kenne kaum Gruppen, die sich freiwillig in eine "relative" Selbstständigkeit begeben, da gibt es doch eigentlich immer Proteste/Gegenbewegung. Die spannende Frage ist halt, wie leistungsfähig das ägyptische "Imperium" damals war, und die können wir - leider - beide nicht beantworten.

Im Delta saßen die Ägypter auch, trotzdem wurden sie erst unter den Ptolemaiern eine echte Seemacht, die eine aktive expansive Flottenpolitik betrieb.

Ja, aber ist das nicht eine spannende Frage: Die Ägypter hatten zu allen Zeiten effektive Seemächte in ihrer Nachbarschaft, ob das nun Minoer, Phönizier oder wer auch immer waren, und entwickeln keine eigenen Seeherrschaft? Ich kann mir das nur so erklären, dass sie auf diesem Gebiet technisch unterlegen waren. Und das wundert mich bei diesem innovativen "Volk".
Deswegen plädiere ich auch dafür, eine Einflussnahme über den Seeweg anzunehmen: Anscheinend haben die Ägypter diesem Einflussweg einfach zu wenig Beachtung gezollt, vielleicht wurden sie auch von den Entwicklungen der Zeit überrollt. Bei den guten Kontakten der Minoer und ihrer nachweisbaren Vorherrschaft auf See kann ich mir nicht vorstellen, dass die Ägypter in dieser Zeit einer Invasion oder besser "Vorteilsnahme" von dieser Seite viel entgegen zu setzen hatten.

Und, aus leidvoller Erfahrung in den vergangenen Jahren: Handelsschiffe sind auch nur ein Ausdruck von Herrschaft.
 
Aber es ist ein Beleg für die guten Kontakte ins maritime Milieu, finde ich.
Kein Widerspruch. Das Fresko legt aber nur nahe, dass Minoer nach Ägypten kamen, z. B. um hier zu malen, vermutlich auch und vor allem, um zu handeln. Es beweist aber nicht, dass die Kontakte auch in die andere Richtung aktiv liefen, also Hyksos-Flotten im östlichen Mittelmeer kreuzten.

Also, ich kenne kaum Gruppen, die sich freiwillig in eine "relative" Selbstständigkeit begeben, da gibt es doch eigentlich immer Proteste/Gegenbewegung. Die spannende Frage ist halt, wie leistungsfähig das ägyptische "Imperium" damals war, und die können wir - leider - beide nicht beantworten.
Das ägyptische "Imperium" ging mit dem Ende der 12. Dynastie nieder und wurde erst von der 18. Dynastie wiedererrichtet. Die Verhältnisse unter der 13. und 14. Dynastie habe ich weiter oben ja schon beschrieben.
Im Übrigen ist es auch später mehrmals Fremden gelungen, Ägypten zu unterwerfen, mitunter auch zu Zeiten, in denen das Land (zumindest weitgehend oder ganz) geeint war: Libyer, Kuschiten, Assyrer, Perser, Römer.

Ja, aber ist das nicht eine spannende Frage: Die Ägypter hatten zu allen Zeiten effektive Seemächte in ihrer Nachbarschaft, ob das nun Minoer, Phönizier oder wer auch immer waren, und entwickeln keine eigenen Seeherrschaft? Ich kann mir das nur so erklären, dass sie auf diesem Gebiet technisch unterlegen waren. Und das wundert mich bei diesem innovativen "Volk".
Möglich, aber nicht zwangsläufig. England saß auf einer Insel und begann trotzdem erst im 16. Jhdt. mit dem Aufbau einer starken Kriegsflotte, Schottland und Irland niemals. Auch im Mittelmeerraum gab es zu allen Zeiten genug Mächte, die auf eine aktive Flottenpolitik verzichteten. Die Römer z. B. unterhielten in der 2. Hälfte des 4. Jhdts. v. Chr. bereits eine Kriegsflotte, lösten sie dann aber großteils wieder auf und bauten sie im 1. Punischen Krieg neu. Israel und Juda hatten anscheinend auch nie eine nennenswerte Kriegsmarine, obwohl zumindest Israel gute (freundschaftliche, teils auch familiäre) Kontakte zu den Phöniziern hatte.

Deswegen plädiere ich auch dafür, eine Einflussnahme über den Seeweg anzunehmen: Anscheinend haben die Ägypter diesem Einflussweg einfach zu wenig Beachtung gezollt, vielleicht wurden sie auch von den Entwicklungen der Zeit überrollt. Bei den guten Kontakten der Minoer und ihrer nachweisbaren Vorherrschaft auf See kann ich mir nicht vorstellen, dass die Ägypter in dieser Zeit einer Invasion oder besser "Vorteilsnahme" von dieser Seite viel entgegen zu setzen hatten.
In der 2. Zwischenzeit nicht, später, unter Ramses III., den Seevölkern schon.
 
Danke, dass du jetzt wieder den Bogen zu den Seevölkern geschlagen hast.
Diskutieren wir da weiter.
Aber die Fragen bleiben für mich spannend.
 
P.S.: Die Römer haben nie eine Lösung für das Seeräuber-Problem gefunden, die waren ihnen anscheinend nautisch überlegen.
Und im 1. Punischen Krieg mussten sie einfach Schiffe bauen, sonst wäre die Überfahrt nach Karthago nur gelungen mit viel Wasser auf der Brille.
 
P.S.: Die Römer haben nie eine Lösung für das Seeräuber-Problem gefunden, die waren ihnen anscheinend nautisch überlegen.
Doch, indem sie ihre Stützpunkte an Land ausschalteten. Das funktionierte im Krieg gegen die Illyrer im 3. Jhdt. v. Chr. und bei der Bekämpfung der Piraten durch Pompeius im 1. Jhdt. v. Chr.

Aber damit sind wir nun wirklich weit vom Threadthema entfernt ...
 
Eure Diskussion über Hyksos und Thera finde ich ganz spannend.
Die Seevölker waren doch aber ein paar Jahrhunderte später.
Man kann Parallelen suchen, hinsichtlich Ursachen (Naturkatastrophen oder sonstige Klimaveränderungen), Wirkungen (Mißernten) und Folgen (aggressive Wanderungen).

Oder folgert ihr, dass Theraausbruch und Hyksosherrschaft den Beginn einer schwierigen, instabilen Phase rund ums Mittelmeer einleitete und diese Phase bis zu den Seevölkern anhielt?
 
Zumindest ich folgere das nicht. Der Beginn der Hyksosherrschaft über Unterägypten fällt zeitlich zwar in etwa mit der Santorineruption zusammen (wenngleich die Herrschaft wohl schon etwas früher begann), aber die Instabilität in Ägypten, die den Hyksos im 17. Jhdt. ihre Machtübernahme ermöglichte, begann bereits im frühen 18. Jhdt. v. Chr., und der Zusammenbruch der Zentralgewalt muss spätestens im späten 18. Jhdt. erfolgt sein, und wenn man der derzeit überwiegenden Ansicht folgt, dass die Hyksos allmählich als Migranten in Ägypten eingesickert sind, war das auch ein längerer Prozess. Man weiß leider nicht wirklich, wodurch es zu dieser Krise in Ägypten kam.
 
Oder folgert ihr, dass Theraausbruch und Hyksosherrschaft den Beginn einer schwierigen, instabilen Phase rund ums Mittelmeer einleitete und diese Phase bis zu den Seevölkern anhielt?

Die mykenische Kultur erreichte ja erst noch ihren Höhepunkt - da kann von Krise lange Zeit keine Rede sein.
 
Soweit ich weisen die Seevölker kulturelle Merkmale auf die an die Mykenische Kultur erinnern. Waren die Seevölker Mykener oder Völkerschaften die lange Zeit von ihnen kulturell beeinflusst wurden? Soweit ich weiss war es im Falle der Philister so das sie in ihrer Frühzeit viele Mxkenische Merkmale aufwiesen und später erst orientalisiert wurden. Oder gab es überhaupt eine gemeinsame ethnische Herkunft der Seevölker oder waren es Völker unterschiedlicher ethnischer und kulturellen Ursprung
 
Soweit ich weisen die Seevölker kulturelle Merkmale auf die an die Mykenische Kultur erinnern. Waren die Seevölker Mykener oder Völkerschaften die lange Zeit von ihnen kulturell beeinflusst wurden? Soweit ich weiss war es im Falle der Philister so das sie in ihrer Frühzeit viele Mxkenische Merkmale aufwiesen und später erst orientalisiert wurden. Oder gab es überhaupt eine gemeinsame ethnische Herkunft der Seevölker oder waren es Völker unterschiedlicher ethnischer und kulturellen Ursprung

Wie in diesem Thread mehrfach gesagt, ist die Herkunft der Seevölker, die in zeitgenössischen Quellen z.B. als Akawa, Turus, Lukku, Schardin oder Sakalus oder Pelistim überliefert sind, ungeklärt. Eine gesicherte Ansiedlung ist lediglich von den Pelistim = Philistern bekannt, die sich in Palästina niederließen. Ob sie vom mykenischen Festland, vom mykenischem Kreta oder aus anderen Richtungen kamen, ist umstritten. Im Alten Testament (1. Mose 10, 14) werden sie u.a. auch "Kaftoriter" genannt, was auf die Insel Kaftor, ägyptisch Keftiu = Kreta hindeuten würde.

Dass die Seevölker mykenischer Herkunft waren, kann man pauschal sicher nicht sagen, auch wenn Gruppen mykenischer Griechen vermutlich an der Seevölkerbewegung teil hatten.
 
Seevölker

Hallo zusammen,

wollte mal eure Theorien über die Herkunft der sogenannten "Seevölker" hören. Da die Angriffe hauptsächlich an den östlichen Küsten am Mittelmeer stattfanden, wäre die logische Annahme doch, dass die Fremdvölker auch irgendwo aus dem Mittelmeerraum kamen. Vielleicht flüchtende indogermanische Stämme? Freue mich auf eine evtl. interessante Diskussion.

lG:winke:
 
Dachte hier an die indogermanischen Illyrer, die hatten ja den Charakter eines typischen antiken Seeräubervolks und waren im Süden Italiens sesshaft. Nur eine Theorie von mir, habe den Thread ja geöffnet um andere Thesen zu hören.

Oder sonstige, durch Völkerwanderungen bedrohte / flüchtende, Volksgruppen. Habe mal gelesen, dass die Seevölker eine Mischung aus verfolgten oder verdrängten Stämmen sei.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Hab' mir hier grad alle Beiträge zum Thema Seevölker angeschaut und mich gewundert, das die aus meiner Sicht naheliegendste und auch plausibelste Theorie zur Herkunft der Seevölker noch von niemandem angesprochen wurde. Also kommt die halt jetzt von mir.

Im Zuge des Zusammenbruchs des hethitischen Großreiches (verursacht vermutlich im wesentlichen durch wirtschaftliche Gründe wie Verlust des Stahlmonopols) konnten vor allem die Teile des hethitischen Heeres die in den entfernteren Provinzen stationiert waren nicht mehr ausreichend versorgt und besoldet werden. Daraufhin machten sich dann vor allem die Gruppen in der Armee die nicht Hethiter waren (man kann annehmen das ein großer Teil aus der Ägäis stammte) selbstständig und zogen plündernd und marodierend durch den gesamten östlichen Mittelmeerraum.

So, das war in Etwa die Kurzfassung der Theorie. Leider kann ich keine Quellenangaben beisteuern, da ich das Ganze vor Jahren bei irgendeiner Fernseh-Doku aufgeschnappt habe, mich aber weder an deren Titel noch an die Namen der dort interviewten Archäologen bzw. Historiker erinnern kann. Vieleicht weis ja einer der hier vertretenen Experten näheres.
 
Im Zuge des Zusammenbruchs des hethitischen Großreiches (verursacht vermutlich im wesentlichen durch wirtschaftliche Gründe wie Verlust des Stahlmonopols) konnten vor allem die Teile des hethitischen Heeres die in den entfernteren Provinzen stationiert waren nicht mehr ausreichend versorgt und besoldet werden. Daraufhin machten sich dann vor allem die Gruppen in der Armee die nicht Hethiter waren (man kann annehmen das ein großer Teil aus der Ägäis stammte) selbstständig und zogen plündernd und marodierend durch den gesamten östlichen Mittelmeerraum.

Wenn man die überlieferten Namen der Seevölker anchaut - z.B. Akawa, Turus, Lukku, Schardin, Sakalus oder Pelistim - so muss es sich um multiethnische Gruppen gehandelt haben, die Griechenland, Vorderasien und Ägypten heimsuchten. Darunter mögen auch versprengte hethitische Elemente gewesen sein, doch haben sie sicher nicht das Gros der Seevölkerbewegung ausgemacht. Im übrigen hätte man sie in den Quellen mit ihrem Namen - Hethiter (vielleicht auch "Hatti" oder "Nesili") - benannt, der ja im Raum des östlichen Mittelmeers seit über 500 Jahren bekannt war.
 
Wie in so ziemlich jedem Großreich bestand sicher auch das Heer der Hethiter nicht nur aus Angehörigen der namensgebenden Ethnie. Vieleicht dienten in der hethitschen Armee also auch Söldner der Akawa, Turus, Lukku etc. und die eigentlichen Hethiter stellten eher die Führungsschicht. Daher besteht zwischen der von mir vorgebrachten Theorie und der multiethnischen Herkunft der sogenannten Seevölker kein Widerspruch.
 
Allerdings halte ich es für eher unwahrscheinlich, dass marodierende Untertanen/Soldaten der Hethiter jeweils mit ihren eigenen ethnischen Herkunftsbezeichnungen genannt worden wären. Für die von ihnen heimgesuchten Völker wären sie wahrscheinlich immer noch "Hethiter" gewesen.
Ausschließen kann ich es freilich nicht.
 
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