Da ist nun schon viel Wasser den Tiber heruntergeflossen, seit ich eine Gegenüberstellung von Chlodwig, dem Franken und Theoderich dem Ostgoten angekündigt habe. Den Beitrag zu Chlodwig selbst habe ich schon lange gepostet und ist relativ kurz ausgefallen, weil in diesem Thread der Schwerpunkt bei den Goten liegt. Mir ist klar das ich damit Klänge anschlage mit dem sich ganze Bücher, vielleicht gar ein eigener Thread füllen ließe. Die Beiträge müssen also teilweise Skizzenhaft bleiben. Leider kann ich ihn nicht mehr editieren. Es ist der Beitrag 109 in diesem Thread:
http://www.geschichtsforum.de/showpost.php?p=160194&postcount=109
Theoderich
Theoderich war ebenfalls eine schillernde Persönlichkeit und er beherrschte die Machtpolitik ebenso virtuos wie sein selbstherrlicher wirkender Widerpart bei den Franken. Beide Herrscher begannen ihre Kariere als römische Befehlshaber, Chlodwig als Kommandant der römischen Provinz Belgica II. Theoderich war sogar designierter römischer Konsul des Jahres 484 gewesen! Theoderich, und die Lage seines Volkes waren aber völlig verschieden zu jener der Franken.
Die Ostgoten waren ein Volk das aus der Wanderschaft heraus eine neue Heimat suchte. Eine Art von Heimatbasis hatten sie nicht. Sie waren ein Heerkönigreich und bestanden aus einer versierten, aber (im Vergleich zu den viel beschworenen fränkischen Volksmassen) relativ kleinen Armee die mitsamt ihrem erweitertem Anhang und Familien aus dem osteuropäischen Chaos der Völkerwanderung heraus sich ihre Heimat erst zu erkämpfen hatten. Das byzantinische Reich hatte immer Bedarf an fähigen Feldherren und schlagkräftigen Armeen in ihren Diensten, solange sie weit genug von der Hauptstadt entfernt sind und sich möglichst gegen andere Barbarenstämme zum Wohle des Reiches aufrieben. Auf die Ausgangslage der Ostgoten unter Theoderich vor Errichtung ihres italischen Reiches will ich nicht wirklich eingehen: Dass er mit seinem Volk auf dem umdrängten und geplünderten Balkan keine Zukunft sah, dort unangenehm nah an der Metropole Konstantinopel sich aufhielt und schließlich auf 'Befehl' (den Theoderich ja haben wollte) und im Auftrage des Kaisers Zenon bis zum Jahre 493 Italien für das ‚römische Reich zurückeroberte’. Vorher hatte sich in Italien ein Skire oder Heruler mit Namen Odoaker, ein General in (west)römischen Diensten von seinem 'germanischen' (nominell römischen) Heer zum König ausrufen lassen, nachdem der letzte, legitime weströmische Kaiser tot war (und er einen Schattenkaiser Romulus abgesetzt hatte). Er unterstellte sich dem byzantinischen Kaiser und sandte diesem die westlichen Reichsinsignien. Lästig geworden sandte Zenon den Theoderich um Odoaker zu ersetzen, was letztlich gelang.
Im Gegensatz zu Chlodwig stand Theoderich nicht einer eingesessenen, mit dem Lande vertrauten Dynastie vor, die seit langem im Kontakt mit den umliegenden Noblen stand, sondern fand sich wieder inmitten des Herzens des alten römischen Reiches. Italien war dicht besiedelt, so dass er die Sippen seines Heervolkes bestenfalls als Sippenverbände einigermaßen geschlossen ansiedeln konnte (siehe mein Vorpost). Seine Herrschaft war vom Kaiser in Byzanz legitimiert, der ihn mit der Regierung beauftragt hatte. Als solcher war er quasi ein römischer Beamter und herrschte nicht aus eigenem Recht.
Gleichzeitig war er aber auch gewählter und erprobter König aus legendärem Stamm (dem Amalergeschlecht) und stand einem fähigen Heer, vor das sich aus seinen Ostgoten und durch Vertrag an diese Krone gebundene Volkssplittern ähnlicher Ausprägung zusammensetzte. Dies war seine eigentliche Machtbasis und Hausmacht. Ob es tatsächlich 200 000 Personen mit Angehörigen umfasste bleibt offen. Jedenfalls ist es eine verschwindend geringe Anzahl im Kontext mit der zu beherrschenden Bevölkerung.
Seine Politik als römischer Beamter und germanischer Heerkönig musste eine andere sein als jene des Chlodwig.
Ich denke der Schlüssel des Verständnisses für die Geschichte des ostgotischen Reiches in Italien ist die bereits genannte Doppelspitze Theoderichs als römischer Beamter und gotischer König. Theoderich mühte sich redlich und wohl auch sehr erfolgreich die Stellung als Statthalter des byzantinischen Kaisers in Italien auszufüllen. Er achtete peinlich genau auf die Etikette gegenüber dem Senat, band römische Patrizier in seine Regierung ein wodurch es ihm gelang oberflächlich betrachtet den Schein römischer Ordnung zu wahren. Er mag tatsächlich gehandelt haben wie ein Kaiser, rein rechtlich war er es aber nicht. Im Jahre 497 erkannte Kaiser Anastasius I. den Goten als gotischen König und kaiserlichen Regenten in Italien an mit dem Recht den kaiserlichen Purpur zu tragen und einen der beiden Konsuln des römischen Reiches zu ernennen. Die Reste kaiserlicher Macht in Theoderichs Reich umfassten damit die Gesetzgebung (für Römer) und das Münzrecht, was der Gote immer achtete.
Vielleicht, hätte er auf seinen Status als König der Goten bestanden, wäre er wie viele anderer Barbarenführer zuvor einfach in die römische Nobilität aufgenommen worden und man hätte sich nicht mehr daran gestoßen das er ein Gote war. Das ist reine Spekulation, eben weil er Gote war, sein Königtum als Basis seiner Macht nicht verlieren durfte und weil sich die Zeiten geändert hatten in Byzanz, wo Isaurier und ‚eher römisch nationale Kreise’ gemeinsam mit kirchlichen Würdenträgern zu einer ‚Front’ gegen die Dominanz und die ‚Respektlosigkeiten’ der Barbaren im Westen zusammen gefunden hatten. Der Satz mit der ‚Front’ ist trotz seiner vielen Anführungszeichen eine bewusste Überspitzung, seine Faktoren aber wirkten tatsächlich!
Es ist an der Zeit wieder an die gotische Basis seiner Herrschaft zurück zu denken: Sein Volk war des Wanderns müde und hatte Ländereien erhalten, die einen Neuanfang ermöglichten. Verstreut angesiedelt gab es nur drei Klammern, die das Volk zusammen hielten:
- Das nationale Königtum
- Die gemeinsame, arianische Volks- & Reichskirche
- Das Heer, als Kuliminationspunkt beider anderen Faktoren und als realpolitische Basis gotischer Macht und Selbstverständnisses in Italien.
Alle drei Faktoren wirken nur im Gegensatz zur römischen Umwelt um sich von dieser abzuheben. Nur im engen Zusammenspiel haben sie eine Chance einander zu bewahren. Die rechtliche Sonderstellung germanischer Völker geht zurück auf die ersten Abkommen welche der römische Kaiser Theodosius nach der Schlacht von Adrianopel im Jahre 382 (mit Goten) abgeschlossen hatte und diese Entwicklung erst ermöglichte. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass die (vorher freien) Goten damit Reichsangehörige wurden, obwohl sie, die Fremden als Gentiles kein Connubium mit den Römern erhielten. Das ihnen zugewiesene Land blieb römisches Hoheitsgebiet, die Goten dabei aber autonom und zu Waffendiensten verpflichtet. Schon damals finden sich also einige Elemente die noch in Italien ihre Wirkung entfalteten sollten und den Vorwurf entkräftigt (nur) die Goten hätten sich von der romanischen Bevölkerung eigenständig abgekapselt. Bei allen Unterschieden in Italien kann es aber als Beweis dafür gelten, wie ernst die Ostgoten ihren Rechtsstatus nahmen! Nimmt man nun die drei genannten Punkte nochmals auseinander stellt man fest das gotisches Königtum und gotische Heeresmacht ein unteilbares Ganzes bildeten. Was aber war mit dem arianischen Bekenntnis das ihnen so viel Feindschaft einbrachte? Ein Blick auf die gesamte Geschichte des westgotischen Reiches mit seinen religiösen Turbulenzen lässt erahnen wie fest im nationalen Selbstverständnis das arianische Bekenntnis zu jener Zeit verwurzelt gewesen sein muss. Unser Wort ‚bigott’, welches Scheinheiligkeit und frömmelnde Intoleranz bedeutet, wird letztlich aus dem Wortstamm bigoterie = ‚wisigoth’ hergeleitet (= Westgotisch/Gotisch). Es reicht sich diese Verbissenheit in Glaubensdingen vor Augen zu halten und andererseits das verbindende Element dieses nationalen Bekenntnisses zu erkennen. Er und alle seine ostgotischen Nachfolger auf dem Königsthron waren sich darüber im Klaren, dass die Stellung der Goten in Italien unhaltbar würde, sollten innerhalb dieser gotischen Hausmacht ähnliche Richtungsstreitigkeiten (in Glaubensdingen) aufbrechen wie in der übrigen Christenheit. Dort zerfleischten sich Präorthodoxe, Präkatholische, Monophysiten, Arianer, Anastasier…. In der gotischen Hausmacht musste Ruhe herrschen!
Aus diesem römisch/rechtlichen und gotisch/nationalen Hintergrund heraus lässt sich der Aufbau (samt Schwachstellen) und der Handlungsrahmen des italischen Gotenreiches erkennen. Theoderich, als dessen mit Abstand größter Herrscher, sah weder genug Anlass, noch Perspektive aus diesem grundsätzlichen Dilemma auszubrechen. Wenn dies überhaupt möglich war, dann diesem Mann. Das Totila später mit guten Anfangserfolgen die Zwickmühle dieser Parameter abzuwerfen begann, indem er auf die italische Bevölkerung zuging, liegt einerseits an der damaligen Gesamtlage, zeigt andererseits aber auch das es durchaus anders hätte kommen können. Theoderich hatte gute Gründe sein System, das auf alten Traditionen und Verträgen beruhte auszubauen. Man bedenke die Gefahr, die sowohl durch Byzanz & italischer Bevölkerung als auch durch gotische Widerstände bei Änderungen herauf beschworen werden konnten! An den Schwachpunkten laborierte er genau wie später seine Tochter Amalasuntha letztlich vergebens.
Was aber tat Theoderich denn überhaupt um seinem Reich eine Dauerhaftigkeit zu verschaffen? Die Machtbalance der genannten Verfassung war doch labil genug. Theoderich versuchte etwas, das nach ihm im eigentlichen Mittelalter Gang und Gäbe werden sollte und ebenfalls Basis mittelalterlicher ‚Verfassungen’ wurde: Er betrieb eine Heiratspolitik, die jener der Habsburger kaum nachstand. Ihm musste klar sein, dass er und seine Goten genauso Austauschbar waren wie vor ihm Odoaker mit seinen Scharen. Hatte nicht auch dieser mit ‚Zustimmung und Oberherrschaft’ aus Byzanz regiert? Zumindest Odoaker selbst hat das so gesehen, denn die Zustimmung blieb aus. Aber konnte nicht Byzanz eines fernen Tages den Nachfolgern Theoderichs diese Zustimmung ebenfalls verweigern? Faktisch ist es ja genau so gekommen. Dem galt es Hindernisse vorzuschieben! Seine Idee war ein Ausgleich zwischen den (vereinfacht) germanischen Heerkönigen seines Schlages. Dies sollte verhindern, dass Byzanz erneut die eine Macht beliebig gegen die Andere ausspielen konnte. Ein Netzwerk ‚real’ regierender Fürsten, die nominell meist nur im Auftrag des fernen byzantinischen Kaisers handelten. Dazu bezog er auch andere Machtfaktoren auf Reichsboden und darüber hinaus in dieses Spiel mit ein. Die Vandalen etwa lebten zwar auf Reichsboden, Geiserich hatte aber die Oberherrschaft der Römer nicht mehr anerkannt. Ähnlich hatten auch die Westgoten schon gehandelt. Die Abkommen, etwa mit den Thüringern (außerhalb des Reichsbodens) sicherten seine Donaugrenze, die Burgunder auf Reichsboden komplettierten die Eindämmung gegen Chlodwig….
Er musste nur zu bald erkennen, welcher Gegenspieler ihm in Gestalt Chlodwigs erwachsen war. Die Bündnispolitik Theoderichs zielte somit nicht nur gegen Restaurationspläne in Byzanz, sondern auch auf die simple Expansion der nun geeinten Franken. In letzterem Punkte versagte sein Bündnissystem schon zu Lebzeiten völlig, auch wenn er für die Westgoten zeitweilig in deren Krieg gegen die Franken eingriff.
Es eröffnet eine interessante Spekulation: Was wäre gewesen, wenn es nicht zu dieser Zeit eine derart kraftvolle und aktive Gestalt wie Chlodwig gegeben hätte? Sie mag müßig sein, doch sicherlich wäre ihm im Westen kein Gegenspieler erwachsen. Sein Bündnissystem wäre wohl ausreichend gewesen um Gefahren kleineren Kalibers erfolgreich entgegen zu treten. Trotzdem bleibt es eine Spekulation.
Auf den zweiten Blick hatte Theoderich also der ‚Verschmelzungspolitik’ Chlodwigs mit seinem Schulterschluss zur lateinischen Kirche nichts Effektives entgegen zu setzen. Seine Maßnahmen wirken seltsam unkreativ im Vergleich zu Chlodwig. Sein starres Festhalten an der römischen Oberherrschaft band ihn auch innenpolitisch, wo vielleicht noch kräftigende Maßnahmen denkbar gewesen wären. Die arianische Kirche, als Klammer zwischen den Germanenkönigen gedacht erwies sich letztlich als Belastung, nachdem das potentiell mächtigste Volk, die Franken auf die lateinische Seite eingeschwenkt waren. Die Töchter Theoderichs mögen zwar geholfen haben italienische und gotische Kultur in andere Länder zu transferieren, als dynastische Klammern und arianische Glaubensboten jedoch erreichten sie nicht was er sich gewünscht haben muss. Ihr persönliches Schicksal in diesen Zeiten kann man menschlich nur bedauern. Ist also das Fazit jenes Mannes, den man schon zu Lebzeiten ‚Theoderich den Großen’ nannte, nicht erstaunlich negativ?
Ich denke man kann diese Aussage verneinen. Sicherlich hat er seinem Reich nicht die Festigkeit gegeben die seinen Tod überdauerte. Er war dem römischen Reichsgedanken verpflichtet. In diesem Sinne und in Form seiner Heiratspolitik mag man aber auch etwas erkennen, das erst nach der Kaiserkrönung Karls des Großen wieder an Kontur gewinnt: Der dem Mittelalter eigene Reichsgedanke! Das Heilige Römische Reich wird schließlich die alten Vorstellungen vom Reich ablösen. Auch ihm werden verschiedene Völker zu dienen haben, ohne dass dieses neue Reich national ist. In ihm werden dynastische Schritte, wie Theoderich sie als Heiratspolitik betrieb zur Norm. Eingesessene Fürsten, die in der Theorie einander achten und zum Wohle des Reiches miteinander kooperieren werden die Politik durch Heiratspolitik maßgeblich mitbestimmen, während ein ‚ferner Kaiser’ wohl das Reich repräsentiert, es in weiten Teilen aber nicht gestalten kann. Damit ist nicht gemeint das Theoderich innerhalb seines Gotenreiches solche Verhältnisse wünschte, sondern zwischen den Barbarenkönigen auf römischem Reichsboden und IHR Verhältnis zum Kaiser in Byzanz. Theoderich fehlte die Zeit die dynastischen Gedanken ausreichend zu verankern. Zeit war in dieser schnelllebigen Ära nicht zu bekommen. Der einigenden Wirkung der katholischen Kirche im späteren ‚Heiligen Römischen Reich’ musste er ebenfalls entbehren. Erst die ständigen Erbstreitereien in Chlodwigs erfolgreicherer Schöpfung ließen Theoderichs unterstellter Idee von Reich und Dynastie eine neue Chance geben. Für ein Volkstum im Sinne der Goten war in dieser damals fernen Schöpfung aber kein Platz mehr.