...Ich habe diesen Mythos immer so gedeutet, dass die Verfasser sich darüber im Klaren waren, dass sie zur Durchsetzung ihrer neuen Sicht Moses (und vielleicht auch andere Religionsgründer) überwinden mussten, und das ging nur mit einer höheren, einer absoluten Autorität ihres Gründers.
Die alte (und in den abendländischen Traditionen übliche) Sicht war ja, die Gottesverehrung dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass man die befohlenen rituellen Gebote peinlichst genau befolgte. Gleichzeitig war diese Befolgung entscheidendes Unterscheidungsmerkmal zu anderen Glaubensgemeinschaften. So konnte man erkennen, wer gehört dazu und wer nicht. Für ein "auserwähltes Volk" war das besonders wichtig, insbesondere zu Zeiten römischer Besatzung...
Was Jesus also verkündet, ist zwar nichts neues, aber eine Verschiebung des Nullpunktes des ethischen Koordinatensystems vom Formalen ins Inhaltliche, eben das Herz aus Fleisch. Das ist für mich der Endpunkt ethischen Denkens im abendländischen Kontext.
Was Du nun über die Apologeten und dem Logos sagst, ist für mich lediglich der Kampf um die Autorität des Gründers. Um sich gegen die allgemein übliche Auffassung, Gottesverehrung am Formalen festzumachen, durchsetzen zu können, musste die Gotteseigenschaft des Gründers nicht nur behauptet, sondern auch mit Hilfe der damaligen Kategorien nachvollziehbar gemacht werden. Jesus stand nunmehr nicht mehr allein gegen Moses, sondern auch gegen andere Religionsgründer. Da lag die Implementierung des griechischen Bildungskanons mit dem Logosbegriff geradezu auf der Hand. Aus heutiger Sicht würde ich das aber als Geschichte und eher hinderlich abhaken.
@fingalo,
mir ist bewusst, dass im bisherige Schluss die Aufklärung den Logosbegriff als Verherrlichungsstrument für einen jungen Juden mit Namen Jesus im Wettstreit der kirchlichen Lehren ansah und abhaken wollte.
Doch ohne weiter über den historischen Jesus oder die griechische Logoslehre diskutieren zu wollen, sehen ich in der als echt historisch dargestellten Konkurrenz zweier Kulturen, die beide theologisch-philosophisch begründet und in mystischen Gestalten personifziert wurden, einen Hinweis darauf, dass dieser Schluss zu kurz greift.
Können ein junger Jude und seine Vergötterung bzw. Annahme als offenbarender Gottessohn dem aufgeklärten Wissen um den geistigen Ursprung des Christentums aus antiker Glaubensaufklärung und u. a. seiner Konkurrenz zu Göttergestalten wie Mithras und der griechischen Philosophielehre wirklich noch gerecht werden?
Müssen wir nicht vielmehr davon ausgehen, dass der als ewiges Wort verstandene Logos der Griechen in eine Reihe mit Moses (von dem wir inzwischen wissen, dass er als banale Geschichtsgestalt im alten Sinne nicht der biblische Verfasser oder Volksbefreier war) und ebenso den anderen Personifizierungen kosmisch-geschichlich wirklicher Weisheit vernünftigerweise in eine Reihe gestellt wurde?
Wenn sich zur Zeitenwende ein Kult entwickelte, der nicht auf das alte Gesetz, die Befolgung von Vorschriften und Riten baute, sondern einen echt universellen Grund brachte, der in Konkurrenz zu philosophischen Denkweisen oder pan- und polytheistischen Göttern wie Mithraskult stand, gleichzeitig an damalige Vorstellungen und Personifizierungen anknüpfen musste, können wir dann den alten alten Schluss, dass es um einen jungen charismatischen jüdischen Rebellen, Heilspreidiger, Gnostiker, Philosophen... als neuen Glaubensgründer/grund ging, weiter als als wahrscheinlichste Denkweise aufrecht erhalten? Was bringt dann die soziologische Auswertung eines Gutmenschen, wie sie heute Praxis ist und gleichzeitig die reine Mystifizierung der Bedeutungsinhalte, die dem Glauben den realen Grund nimmt?
Sicher sind sind die Auslegungen heutiger Glaubenslehre zumeist vom wörtlichen Verständnis früherer Jahre weit entfernt. Doch stelle Dir vor, was in der Antike als Logos galt, würde als Grund christlicher Glaubenslehre überlegt: D.h. das was und wie die Welt heute in logischer Weise erklärt wird, würde als Offenbarungswort verstanden. Und was für die gemeinsame Weiterentwicklung der Welt (ökologisch, weltökonomisch, sozial nachhaltig) vernünftig wäre, würden in aufgeklärter Weise als lebendiges Wort, schöpferischer Wille nachgedacht?
Dabei geht es mir nicht um persönliche Gläubigkeit, die Verteidiung von Glaubenslehren oder gar der Deutung von Prof. Papst, die den biblischen Jesus (wenn auch dogmatisch und weiter an einem völlig vermenschlichten Wanderguru festhalten müssend) als Logos der griechischen Philosophie nachzeichnet, sondern die aufgeklärte Auswertung des Wissens, das auch hier ständig deutlich wird.
Auch wenn mir bewusst ist, dass heutige Glaubensvorstellungen (wozu auch der Glaube der Aufklärung, dass einem jungen Juden eine Kirchenlehre aufgesetzt wurde zählt) dem im Wege stehen, so gebe ich die Hoffnung auf ein aufgeklärtes Verständnis des anfänglichen, für Gesetzesgläubige und Heiden gemeinsamen Glaubensgrundes, wie er mit Mithras in Konkurrenz stand, durch wachsendes Wissen nicht auf.
Gerhard