Kriminalgeschichte des Christentums - Geschichtsklitterung mit System?

Wir sind doch hier ein Geschichtsforum. Warum soll man also die Literatur, die hier als Sekundärliteratur angegeben wird - und das wird Deschner immer wieder - nicht nach den Kriterien, nach der man Sekundärliteratur bewertet, bewerten? Warum dieses Sträuben dagegen?
 
Warum dieses Sträuben dagegen?
ich seh da kein sich sträuben - ich seh nur, dass hier anfangs zu harsche Verurteilung betrieben wurde: sooo schlecht ist das Zeugs nicht, auch wenn´s nicht dafür taugt, einen Lehrstuhl zu erringen ;) und wenn´s schon dazu nicht taugt (auch nicht dafür verfasst wurde), so ist es wenigstens als Materialsammlung zumindest kurzweilig zu lesen
 
ich seh da kein sich sträuben - ich seh nur, dass hier anfangs zu harsche Verurteilung betrieben wurde: sooo schlecht ist das Zeugs nicht, auch wenn´s nicht dafür taugt, einen Lehrstuhl zu erringen ;) und wenn´s schon dazu nicht taugt (auch nicht dafür verfasst wurde), so ist es wenigstens als Materialsammlung zumindest kurzweilig zu lesen

Das trifft auf Dan Brown und sogar auf manches Garn, dass Erich von Däniken gesponnen hat, auch zu, und solange man Fakten und Faktoide unterscheiden kann, mag es kurzweilig sein. Mit oft sehr kurzlebigen Forianern zu diskutieren, die Deschners Bashing (Millionenopfer von Hexenverfolgungen) total unkritisch verinnerlicht haben, ist allerdings eher weniger erfreulich.
 
Mit oft sehr kurzlebigen Forianern zu diskutieren, die Deschners Bashing (Millionenopfer von Hexenverfolgungen) total unkritisch verinnerlicht haben, ist allerdings eher weniger erfreulich.
ja das ist total schlimm! dieser Deschner bringt es doch tatsächlich fertig, in seinen zehn Bänden eine Handvoll Fehler unterzubringen... da muss alles, was das Herz am rechten Fleck hat, in kollektiver Empörung Anathema aussprechen!
:D:D
honi soit etc
 
Dekumatland, du hast mir und anderen im Verlaufe dieser Diskussion Argumenta ad hominem vorgeworfen. In deinem letzten Posting passieren zwei Dinge:
1.) Du bagatellisierst die "Fehler" bei Deschner (in Anführungszeichen, weil ich mir nicht sicher bin, ob ihm hier wirklich Fehler unterlaufen sind oder er die entsprechenden Angaben nicht mit Absicht eingebaut hat) und
2.) Du unterstellt unterschwellig, dass jeder, der gegen Deschners Machwerk Einspruch erhebt ("alles was das Herz am rechten Fleck hat", "kollektive Empörung") nicht wissenschaftlich sondern anderweitig motiviert ist, gegen Deschner Stellung zu beziehen.

Gerade letzteres würde ich doch sehr dicht bei der argumentatio ad personam sehen. Einmal mehr wundere ich mich, dass du so leidenschaftlich für ein Geschichtsbuch entrittst, dessen historischen Wert du selbst nicht allzu hoch zu schätzen scheinst.
 
Zuletzt bearbeitet:
ElQ: wer zieht die Grenze zwischen bagatellisieren und dramatisieren (oder gar überbewerten)?
so wie ich das sehe, sind wir eigentlich nicht weiter gekommen - d.h. ich sehe hier nichts, was über den Tante Wiki Artikel zur Kriminalgeschichte hinaus ginge. (da steht, kurz gefasst, dass die meisten (jepp, nicht alle, das mit der Inquisition wird erwähnt) der von Deschner aufgelisteten Fakten ok sind, dass aber seine Schlußfolgerungen daraus überspitzt seien)
 
Zuletzt bearbeitet:
Erlaube mir noch einmal die Frage, warum man ein Geschichtsbuch welches nicht lege artis arbeitet (und dies sogar explizit ablehnt) und zu völlig überzogenen und einseitigen Ergebnissen kommt, gegem Kritik, dass es nicht lege artis arbeitet und zu überzogenen und einseitigen Ergebnissen kommt, verteidigen muss?

Du wirst ja wohl kaum argumentieren wollen, Deschner habe eine Quellensammlung geschaffen, oder? Das ließe sich nämlich durchaus einigen deiner Beiträge entnehmen, dass das der Wert Deschners sei.
 
ein Geschichtsbuch
...waren wir alle uns einig, was die Gattung betrifft? ;)

Erlaube mir noch einmal die Frage, warum man (...) verteidigen muss?
das muss "man" nicht - "man" kann, "man" kann´s auch bleiben lassen
(übrigens habe ich, sofern mit "man" ich gemeint sein sollte, diese Frage schon beantwortet)

Du wirst ja wohl kaum argumentieren wollen, Deschner habe eine Quellensammlung geschaffen, oder? Das ließe sich nämlich durchaus einigen deiner Beiträge entnehmen, dass das der Wert Deschners sei.
was ich will, weiß vorerst nur ich ;) -- Spaß beiseite: en passent liefert der Deschner nun mal eine - jawohl - sehr einseitige Materialsammlung, und inwiefern diese a priori einseitig ist, kann man nun wirklich ohne große Mühe dem sprechenden Titel der umfangreichen Publikation entnehmen. Mir ist wirkich nicht bekannt, dass das verboten oder inopportun sei.

Spaßig aber wird eine Kritik, die erst einmal behaupten muss, dass das corpus delicti diese oder jene wissenschaftliche Gattung sei*) und dann niederschmetternd logisch urteilt "ätschi, das ist ja gar kein Geschichtsbuch wie es sein soll, pfui pfui, der Autor maßt sich Sachen an, die er gar nicht leisten kann"

Es ist weniger eine wissenschaftliche Frage, als eine der Perspektive: der hat halt, sprachlich sogar recht unterhaltsam, einen recht radikalen Blickwinkel auf seinen Gegenstand, man könnte auch sagen eine ganz andere Sicht. Und das genügt schon, um viele in Harnisch zu bringen und en passent das Thema publik zu machen.

______________
*) dass eher literarische als streng fachwissenschaftliche Publikationen sich auch mal "Geschichte" nennen, ist kein Grund, sich darüber aufzuregen; zudem kommt noch hinzu, dass literarisches nicht einzig fiktional sein muss -- man kann übrigens, wie ja das ganze Produkt provokant ist, auch diese Formulierungen (eine Kirchengeschichte etc) als Teil der Provokation wahrnehmen
 
Das trifft auf Dan Brown und sogar auf manches Garn, dass Erich von Däniken gesponnen hat, auch zu, und solange man Fakten und Faktoide unterscheiden kann, mag es kurzweilig sein. Mit oft sehr kurzlebigen Forianern zu diskutieren, die Deschners Bashing (Millionenopfer von Hexenverfolgungen) total unkritisch verinnerlicht haben, ist allerdings eher weniger erfreulich.

Das sehe ich ganz genau so.

Solche Diskussionen sind dann durch reichlich Metas gekennzeichnet, bei denen die (überhaupt nicht fraglich gestellte) Legitimität für die Arbeiten eingefordert bzw. auf (unbestrittene) Rechte zur Meinungsäußerung verwiesen wird, Faktenfehler minimalisiert werden, Faktenlücken als irrelevant angesehen werden, Schlussfolgerungen auf der restlichen Basis dann übernommen werden, ein Hinterfragen der Motivation und der Methodik als polemischer Angriff abgelehnt werden, usw.

So verlaufen Diskussionen über den "Moloch", der zB die Übernahme von Verschwörungstheorien und rassistische Anklänge in Form von "völkischen" Betrachtungen (zB das "perfide" England und die "mangelnde Intelligenz" der Amerikaner) enthält. Das ist der Boden, auf dem bei Deschner systemische, institutionelle Betrachtungen angestellt werden, wo diese unbewiesen bleiben oder a priori absurd sind, und in der Kombination mit der Verwendung von "man" und "die ..." hinreichend vage bleiben, sich der Kritik im Detail zu stellen. Geschichtsklitterung mit System.
 
Solche Diskussionen sind dann durch reichlich Metas gekennzeichnet
na dann gleich mal ein richtig dickes zünftiges Meta:
http://www.gkpn.de/pfahl_deschner_usa.pdf
insbesondere die beiden Schlußteile dieser sehr deutlich ablehnenden Kritik des im Heyne Verlag publizierten "Moloch" dürften dir, silesia, gefallen

interessant nebenbei die erste Fußnote von Armin Pfahl-Traugbher:
Der Autor steht Deschner in kritischem Respekt
gegenüber: Respekt für seine aufklärerische Arbeit
über die unterschiedlichsten Schattenseiten im Wir-
ken der christlichen Kirchen und die Hintergründe
der theologischen Grundlagen des Christentums,
kritisch aufgrund einiger analytischer und methodi-
scher Einwände gegen seine diesbezüglichen Arbei-
ten. Obwohl die Wertschätzung eindeutig überwiegt,
will sie nicht in vorbehaltlose Apologie münden. Da-
her auch die vorliegende kritische Betrachtung zu
“Der Moloch“, einem Buch, das zu Deschners
schlechteren Werken zählt.

wie du siehst: der Kritiker des miesen / missratenen Molochs wird nicht von der Mißidee geritten, wegen des Molochs gleich den ganzen Deschner zu verdammen ;):)
 
das ist also dein Fazit über Deschner - nur frage ich mich, ob man angesichts dieser Erkenntnis (falls es eine ist) einem Verlag wie Rowohlt, welcher umfangreiche Deschnersachen publiziert, überhaupt noch trauen kann?

Abgesehen davon, das "Vertrauen" unter anderem davon abhängt, was man gerade sucht: wieso nicht?

Wie vermutlich viele (Sach-)Autoren nutzt Deschner seine Publikationen, um Meinung zu transportieren. Liberalität garantiert das (kleine Abschweifung, ohne Themenrelevanz: ich habe gerade in einer Soziologischen Enzyklopädie eine Abhandlung über Liberalität, McCarthy-Ära und Atheismus gelesen). Das ist nichts, was Deschner erzwingen muss oder erzwungen hat, um seine inquisitorischen (eine Ironie seines Werkes), bzw. bzgl. der Institution Kirche nach eigenen Angaben liquidatorischen Zielsetzungen zu publizieren.
 
Diesen Satz verstehe ich nicht, wirklich nicht.

http://www.geschichtsforum.de/668081-post134.html hast du gesehen?

Ja, und? Den kannte ich, der gibt aber nichts Neues her.

Was verstehst Du nicht? Inquisitorisch war eine Anspielung darauf, dass sich Deschner in der Weise artikuliert, die er nachzuweisen trachtet. Liquidatorisch bezieht sich nach seinen eigenen Angaben auf sein Wunschdenken. Die von ihm eingeforderte Liberalität dürfte klar sein. Der Zusammenhang war eine Anspielung auf den zitierten soziologischen Aufsatz.
 
...hm...den letzten Absatz sowie die erste Fußnote scheinst du überlesen zu haben?

Nein. Die Wortwahl "verdammen" bzw. Verdammung lehne ich ab, solche Kategorien sind eher Deschners Beritt (siehe die Wortwahl Moloch, bei der sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an den biblischen Vorbildern orientiert hat).
 
Nein. Die Wortwahl "verdammen" bzw. Verdammung lehne ich ab, solche Kategorien sind eher Deschners Beritt (siehe die Wortwahl Moloch, bei der sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an den biblischen Vorbildern orientiert hat).
unten findest du, was ich erwähnt habe: den letzten Absatz sowie die erste Fußnote der (übrigens fundierten, richtigen!) Kritik an Deschners Moloch -- ich überlasse es dir, in diesem Zitat das Wort "Verdammung" zu finden...
Gerade in den hier zum Ausdruck kom-
menden Möglichkeiten unterscheiden sich
die USA von anderen Staatssystemen mit
ähnlichen „Schattenseiten“, die diese Frei-
heit der Bürger und Offenheit der Gesell-
schaft nicht dulden. Die USA waren und
sind auch das Land, wo Bewegungen für
Bürgerrechte entstanden, Formen des zi-
vilen Ungehorsams praktiziert und Model-
le demokratischer Zivilgesellschaft umge-
setzt wurden. Diese Seite gehört mit in ein
Bild der USA, das Deschner mit seinem
doch in der Gesamtbetrachtung als Zerr-
bild anzusehenden Buch über den von ihm
gar so verachteten Staat der „Yankees“
nicht genügend zur Kenntnis nimmt. Mit
seiner Sichtweise steht er nicht allein und
findet sich dabei nicht in guter Gesell-
schaft. „Der Moloch“ – es muss so deut-
lich gesagt werden – bringt weder formal
noch inhaltlich Neues, ähnlich gestrickte
Bücher sind mitunter besser, mitunter
schlechter
40
– aber sie vermitteln kaum in-
novative Einsichten und wirklichen Er-
kenntnisgewinn, allenfalls befriedigen sie
emotionale Ressentiments und stereoty-
pe Feindbilder.
41
Statt der Arbeit an „Der
Moloch“ wäre ein weiterer Band der „Kri-
minalgeschichte des Christentums“ ein
lohnenderes publizistisches Projekt gewe-
sen.
Anmerkungen:
1
Der Autor steht Deschner in kritischem Respekt
gegenüber: Respekt für seine aufklärerische Arbeit
über die unterschiedlichsten Schattenseiten im Wir-
ken der christlichen Kirchen und die Hintergründe
der theologischen Grundlagen des Christentums,
kritisch aufgrund einiger analytischer und methodi-
scher Einwände gegen seine diesbezüglichen Arbei-
ten. Obwohl die Wertschätzung eindeutig überwiegt,
will sie nicht in vorbehaltlose Apologie münden. Da-
her auch die vorliegende kritische Betrachtung zu
“Der Moloch“, einem Buch, das zu Deschners
schlechteren Werken zählt.
(die Unterstreichungen, die zu unserem Thema, der Kriminalgeschichte, gehören, sind von mir)
 
Faktenfehler minimalisiert werden, Faktenlücken als irrelevant angesehen werden,
ist das nachfolgende Zitat auch ein Exempel für diese Verfahrensweise? Man sehe:
Anmerkungen:
1
Der Autor steht Deschner in kritischem Respekt
gegenüber: Respekt für seine aufklärerische Arbeit
über die unterschiedlichsten Schattenseiten im Wir-
ken der christlichen Kirchen und die Hintergründe
der theologischen Grundlagen des Christentums,
kritisch aufgrund einiger analytischer und methodi-
scher Einwände gegen seine diesbezüglichen Arbei-
ten. Obwohl die Wertschätzung eindeutig überwiegt,
will sie nicht in vorbehaltlose Apologie münden. Da-
her auch die vorliegende kritische Betrachtung zu
“Der Moloch“, einem Buch, das zu Deschners
schlechteren Werken zählt.
das ist aus dem schon mehrfach zitierten zweiten Aufsatz von Armin Pfahl-Traugbher über Deschners "Moloch", worin dieser ausführlich kritisch betrachtet und in der Sache abgelehnt wird (man könnte das auch als einen fundierten Verriss bezeichnen)

Nun gibt es ja die argumentative Möglichkeit, ein angebliches bagatellisieren von Fehlern anzuprangern und aufgrund von Fehlern, auch wenn sie nicht überwiegen, gleich die ganze Sache abzulehnen - diese Verfahrensweise haben ein paar der Mitdiskutanten hier angewendet. Nun frage ich mich: wenn man davon ausgeht, dass Deschner nichts anderes als
Geschichtsklitterung mit System.
betreibt, und das mit dem beschriebenen Argumntationsmodell stützt (und dabei auf Pfahl-Traugbher verweist), ja was passiert mit dem Verriss, sowie man dieselbe Argumentationsweise auf diesen anwendet?

porca miseria! der Pfahl schreibt gegen Ende seines Molochverrisses ein paar anerkennende, ja positive Zeilen zur "Geschichtsklitterung mit System" - ist dann womöglich der ganze Molochverriss perdu? :pfeif::(

Das ist natürlich Unfug, aber es zeigt, was für ein heikles und darum nautisch interessantes Gewässer das argumentieren ist. Pfahls Verris ist völlig ok, auch wenn er sowohl anerkennende wie kritische Worte zur Kriminalgeschichte findet.

Interessanter aber als eine totale Ablehnung der Kriminalgeschichte aufgrund des oben (leicht satirisch) skizzierten Argumentationsmodells finde ich Pfahls Haltung dazu: dass sie einiges erhellende über die Schattenseiten enthält, dass aber analytische und methodische Einwände nicht zu leugnen sind. (das Original formuliert besser als ich, kann ja obn im ersten Zitat nachgelesen werden) Offenbar können auch Publikationen mit Mängeln ihre guten Seiten haben.
 
Offenbar können auch Publikationen mit Mängeln ihre guten Seiten haben.


Ich musste dabei an Rolf Hochhuths Drama "Der Stellvertreter" denken, dass in den 60ern für großes Aufsehen, sogar für diplomatische Verwicklungen sorgte und eine Kontroverse über die Rolle der Kirche(n) in der NS- Zeit anregte, weit über ein akademisches Publikum hinaus. Hanna Arendt war von der literarischen Qualität des "Stellvertreters" wenig überzeugt, hielt aber die Kritik an der Kirche für legitim und notwendig. Seit Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts fand sich Hochhuths Stück immer seltener auf den Spielplänen deutscher Theater sorgte aber gelegentlich für Proteste und Strafanzeigen. Eine Aufführung in Ostblockstaaten verbat sich Hochhuth übrigens, da er eine plakative, propagandistische anti-katholische Inszenierung befürchtete.


Die Kontroverse über die Haltung der katholischen Kirche zum NS und die Aktivitäten von Leuten wie Alois Hudal hält noch heute an. Nach den Erkenntnissen, die die Geschichtswissenschaft heute besitzt, wird man den Vorwurf Eugenio Pacelli Pius XII. habe tatenlos und schweigend zugesehen, wie Juden vor seiner Haustür deportiert wurden nicht halten können.

Ungeachtet der Kontroverse und Kritik am Pontifikat Pius XII. leitete Paul VI. in den 1965 der Seligsprechungsprozess ein, den Benedikt XVI. 2009 abschloss. Hochhuth wurde mehrfach angegriffen und verklagt. So gibt es in seinem Stück eine Szene, die an Pilatus erinnert. Der Papst wäscht seine Hände, während er dem jungen Priester Riccardo Fontana, der schließlich in Auschwitz landet seine Machtlosigkeit erklärt. Hochhuth hatte allerdings recherchiert, dass Eugenio Pacelli unter einem Waschzwang litt.


Bis zur Ausstrahlung der amerikanischen TV- Serie Holocaust Ende der 70er Jahre hatte kein Kulturereignis eine so groß angelegte Diskussion weit über ein akademisch- literarisches Publikum hinaus anregen können wie Rolf Hochhuths Stück, und es war notwendig und höchste Zeit, die Verstrickungen der Amts-und Staatskirchen im NS beim Namen zu nennen und zu diskutieren. Viele Vertreter der Kirchen erteilten sich selbst Absolution und erklärten nach dem Krieg kategorisch die NS-Gegnerschaft der gesamten Institution. gerne schmückte man sich mit prominenten Namen wie Niemöller, Bonhoeffer oder Pater Kolbe, ohne die Schattenseiten auch nur zu erwähnen. Das betraf auch die Evangelische Kirche, die durchaus guten Grund hatte, sich mit der eigenen Vergangenheit kritisch auseinanderzusetzen. Es gab, ohne Frage, mutigen und effektiven Widerstand aus Kreisen der bekennenden Kirche, zu der sich auch Kurt Gerstein zählte, der in Hochhuths Drama auftritt. Doch auch innerhalb der bekennenden Kirche war Antisemitismus vorhanden, und ohne die bereitwillige Herausgabe von Kirchenbüchern hätten die Nazis "Halb- oder Vierteljuden" gar nicht so leicht identifizieren können. In KZs waren übrigens mehr katholische, als evangelische Geistliche inhaftiert.

Es bleibt ein Verdienst von Hochhuths Stück "Der Stellvertreter" dass es Anstoß erregte und diese Form der Vergangenheitsbewältigung anregte, auch wenn ein Fazit dieses Dramas historisch überholt ist.
 
Angeregt durch die schöne Diskussion in diesem Faden, habe ich gestern Abend das erste Mal in meinem Leben in der „Kriminalgeschichte“ Deschners gelesen, und zwar im ersten Band namens „Die Frühzeit“ (7. Aufl., 2010). Ich kannte das Werk bisher immer nur vom Hören-Sagen.
Ich habe den ersten Band beileibe nicht ganz gelesen, sondern nur einige Kapitel, was mich halt so interessierte. Wenn es sich auch nur um die Lektüre eines Bandes von zehn Bänden handelt und wenn ich auch aus diesem einen Band, wie gesagt, wiederum nur manche Kapitel gelesen habe, so will ich trotzdem einfach mal auf dieser freilich erweiterungsbedürftigen Grundlage meine Gedanken und meine ganz subjektive Einschätzung zur „Kriminalgeschichte“ loswerden:

1.) Deschners Wiedergabe von historischen Daten und Fakten erscheint mir grundsätzlich in Ordnung.
Ich kann nur bestätigen, dass man beim Lesen eigentlich nirgends auf Stellen stößt, wo man sagen wollte/ könnte: Das ist historisch ganz falsch oder längst widerlegt oder oder oder.
Ich unterstelle Deschner einen guten Überblick über die Geschichte, aus der er Episoden erzählt. Und Deschner gibt auch dem Leser einen recht guten Überblick über ausgewählte Stationen des Christentums in der Geschichte. Das heißt andererseits: Deschner geht freilich nirgends tief ins Detail und hält sich nicht mit wissenschaftlichen Erörterung von historischen Einzelfragen auf. Das muss er natürlich angesichts seines gewählten Ansatzes auch nicht, aber zumindest hat es mich erstaunt, bzw. hätte ich es anders erwartet. Wenigstens lässt Deschner hier und da durchblicken, dass er sehr wohl einschlägige und themenspezifische Titel der historischen Forschungsliteratur kennt und ihre Ergebnisse (was Daten und Fakten anbelangt) auch berücksichtigt hat.
Deschner übernimmt die Ereignisgeschichte und ihre Chronologie brav von den Fachhistorikern; er versucht in dieser Beziehung nicht das Rad neu zu erfinden.

2.) Deschner und die Quellen: Deschner gewinnt seine Thesen und Ansichten nicht aus den Quellen; sondern kleine Zitate aus den Quellen sollen als Statisten das belegen, was Deschner aussagen will.
Nur weil es mir persönlich vorher nicht so klar war: Deschner wartet nicht mit neuen, bisher unbekannten oder vergessenen Quellen auf, ist auch nicht der Typ, der auf dubiosen und zweifelhaften Quellen aufbaut, bietet keine völlig neuen (Um)Interpretationen der Quellen und stellt auch keine nie dagewesenen Bezüge zwischen verschiedenen Quellen her.
Er stellt die einzelne Quelle bzw. den Verfasser oft nur in einem kurzen Satz vor, mittels welchem – so hofft Deschner – die Quintessenz über die Rolle dieses antiken Autors in Bezug auf Deschners Thema ausgesagt ist. Dass Deschner eine Menge an Quellen kennt und auf seine eigene Fragestellung hin auch durchforstet hat, wird man ihm nicht absprechen können. Allerdings beschränkt sich seine Quellenarbeit im engeren Sinne auf das Herauspicken von einzelnen Sätzen und Abschnitten, die er für sein Thema für aussagekräftig hält. Ich will eigentlich nicht behaupten, dass Deschner von Grund auf die Quellen-Aussagen aus dem Zusammenhang reißt, aber er stellt sie so arg in seinen eigenen „Kriminal-Zusammenhang“, dass sie letztlich manches Mal dennoch von ihrem ursprünglichen Zusammenhang losgelöst präsentiert werden (Auch das kann man allerdings wenigstens zum Teil wieder mit der Fülle der Gegenstände entschuldigen, über die sich Deschner in seinen zehn Bänden äußern wollte. Er konnte nicht überall tiefergehende Quellenarbeit betreiben und keine weitergehende, ausgewogene Quellen-Beschreibung liefern, sonst wäre er nie fertig geworden. Vielleicht dachte er auch seinem Lese-Publikum gefällig sein zu müssen, indem er dröge wissenschaftliche Quellenarbeit vermied).
Alles in allem bleibt bei mir jedenfalls der Eindruck zurück, dass Deschner die Quellen nur soweit zu Wort kommen lässt, wie sie ihm nach dem Mund reden (Das ist allerdings ein Vorwurf auf hohem Niveau; denn wir alle suchen und finden oftmals am liebsten Quellen-Aussagen, die das zu bestätigen scheinen, was wir ohnehin denken. Allerdings: Sollte Deschner das durch seine zehn Bände hindurch durchgezogen haben, ist solch eine Art der Quellen-Benutzung und -Einbindung sicherlich zu viel des „Guten“).

3.) Lesevergnügen und Unterhaltungswert?: Jeder Satz in Deschners „Kriminalgeschichte“ ist in Intention und Ziel zu durchsichtig, als dass die Lektüre nicht ermüdend wirken könnte (Und obendrein schreibt er leider ziemlich humorlos, eher muffelig-ernst).
Deschner drückt sich nicht in trockenem wissenschaftlichen Ton und auch sonst nicht in irgendeiner Weise literarisch langweilig aus. Eigentlich könnte ich aufgrund seines Schreibstils mehr von ihm lesen. Was mich allerdings davon abhält, ist folgendes: Der Leser weiß bereits vor Lese-Beginn eines Deschner-Satzes, worauf dieser Satz hinaus will, nämlich darauf, dass der gleich namentlich genannte Christ oder die gleich benannte Christen-Gruppe schlecht gedacht, geredet oder gehandelt hat und man deshalb angewidert sein sollte. Mich persönlich langweilt und ermüdet dieser Stereotyp, zumal er nirgends mal durch offenherzigen oder netten Humor durchbrochen wird; höchstens wird er hie und da mittels Zynismus gesteigert (Deshalb wundert es mich ein bisschen, dass @dekumatland den Deschner amüsiert gelesen hat; passt doch gar nicht zu unserem offenherzig-humorvollen dekumatland).

4.) Zu Deschners Wertung: Deschner hat m. E. weniger eine „Kriminalgeschichte des Christentums“ geschrieben, als dass er dem Leser streckenweise vielmehr eine „Kriminalisierte Christentums-Geschichte“ vorgelegt hat.
Deschner schreibt selbst in seiner Einleitung, dass es ihm ausschließlich um eine Darstellung der „Verbrechensgeschichte des Christentums“ bzw. einer „negative[n] Christentumsgeschichte“ geht und dass er ansonsten bewusst alle anderen potentiellen Aspekte der christlichen Geschichte ausklammert. Diesem seinem Grundsatz folgt er durchgängig konsequent. Und das ist irgendwie ja auch schon eine Leistung. Mich stört ausdrücklich nicht sein Grundsatz und seine Praxis, nur Negatives über das Christentum zu sammeln und vorzutragen. Natürlich steht es jedem frei, nur diesen einen Aspekt zu bearbeiten. Und alle Handlungen und Reden aus Christentum und Kirche, die sich gemessen an irgendeiner sinnvollen moralischen oder ethischen Messlatte als verbrecherisch und kriminell erweisen, dürfen selbstverständlich auch so genannt werden und publik gemacht werden. Aber mich stört, dass Deschner meinem Verständnis nach nicht nur tatsächlich verbrecherische Taten vorbringt, sondern oft genug irgendwelche Handlungen und Entwicklungen erst mittels Rhetorik und „verbaler Kunstgriffe“ zum „Verbrechen“ macht, sie also kriminalisiert.
Als ein Beispiel: Das frühe Christentum ist aus dem Judentum hervorgegangen. So kommt es, dass der größere Teil der heiligen Schriften der Christen nichts anderes ist als die heiligen Schriften der Juden. Die jüdische Septuaginta galt den frühen Christen als die heilige Schrift. Natürlich meinten beide, Juden wie Christen, dass sie die Schrift richtiger und wahrhaftiger auslegten als die andere Seite. Soweit sind sich alle einig. Wo steckt darin nun das „Kriminelle“? Deschner findet es! (S. 121f): „So entriß man [die Christen] ihnen [den Juden] das Alte Testament und gebrauchte es als Waffe gegen sie: ein ungeheures Betrugsverfahren, interpretatio Christiana genannt“. Mit den Worten Gabriel Laubs verweist Deschner gewissermaßen auf eine Verletzung des Urheberrechts durch die Christen hin. Damit klingt das ganze doch schon beinahe nach einem handfesten Verbrechen im rechtlichen Sinne. Und damit der christliche Gebrauch der Septuaginta so richtig böse erscheint: „Wie gesagt: 'interpretatio Christiana'! Eine Religion raubt – und schmäht, bekämpft, verfolgt dann die beraubte Religion durch zwei Jahrtausende“. Auf diese Art ist es Deschner gewissermaßen gelungen, mittelalterliche und neuzeitliche Judenprogrome (vielleicht sogar den Holocaust? - will ich ihm aber jetzt nicht unterstellen) schon den frühen Christen anzulasten, welche ihre heiligen Schriften von den Juden übernahmen. Meiner Meinung nach ist damit der christliche Gebrauch der Septuaginta um einer angestrebten Kriminalisierung willen in einen völlig unsachgemäßen historischen bzw. anachronistischen Zusammenhang gestellt worden. Solche Beispiele finde ich häufiger in Deschners erstem Band (man siehe auch das folgende Beispiel).


Abschließend möchte ich das Wesentlichste meiner vorgebrachten Einschätzung an einem Beispiel verdeutlichen:
Sein Kapitel „Die Judenfeindschaft des Neuen Testaments“ (S. 124ff) beginnt Deschner mit einer Einordnung des Apostels Paulus als jenem, der den „Kampf gegen die Juden“ „eröffnete“:
Paulus „förderte […] ungeheuerlichsten Haß“, war „ein Klassiker der Intoleranz“ und „ein so engstirnig-rechthaberischer Agitator, daß christliche Theologen der Nazizeit von seinen Gemeinden Parallelen zogen zu den 'Standarten der braunen Hitler-Armee' und von einer 'SA Jesu Christi' schwärmten“.
Manchem wird diese Charakterisierung des Paulus vielleicht etwas verkürzt vorkommen, aber Deschner meint offensichtlich den Paulus treffend charakterisiert und eingeführt zu haben. Denn abgesehen von einer Erwähnung des Paulus in einem Nebensatz i. d. Einleitung wird Paulus an dieser Stelle dem Leser tatsächlich erstmals vorgestellt.
Dass Paulus nicht für die Ansichten und Äußerungen von irgendwelchen Theologen in der Nazizeit verantwortlich war/ist, weiß der Leser natürlich, aber Deschner lässt offen, ob auch er selbst es weiß. Zumindest erscheint Deschner dieser anachronistische Verweis offensichtlich als probates Mittel, um Paulus' Bosheit und Gefährlichkeit zu verdeutlichen.
Die große Judenfeindschaft des Paulus belegt Deschner quellenmäßig nun mit einigen Wörtchen und Halbsätzen aus den Paulusbriefen und der Apostelgeschichte. Als erstes zitiert er nur das einzelne Wort „Fall“ der Juden aus Röm. 11, 11. Hört sich an, als hätte Paulus die Juden restlos und unwiderruflich aufgegeben. Deschner hätte das Wort „Fall“ freilich auch in seinem Kontext zitieren können: „Nun frage ich: Sind sie [die Juden/ Israeliten] etwa gestrauchelt, damit sie zu Fall kommen? Keineswegs! Vielmehr kam durch ihr Versagen das Heil zu den Heiden, um sie selbst eifersüchtig zu machen. Wenn aber schon durch ihr Versagen die Welt und durch ihr Verschulden die Heiden reich werden, dann wird das erst recht geschehen, wenn ganz Israel zum Glauben kommt […] Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen“. Im Kontext ist der „Fall der Juden“ also gar nicht so eindeutig judenfeindlich, ist nicht im Rahmen einer verdammenden Aussage über die Juden, sondern einer heilsgeschichtlichen Aussage über Israel gemacht.
Das handfesteste und abschreckendste Paulus-Zitat, mittels welchem Deschner die unerhörte Judenfeindlichkeit des Apostels beweisen will, stammt aus Apg. 18, 6: „Euer Blut komme über euer Haupt“. Das scheint in der Tat eindeutig zu sein. Aber im Kontext ergibt sich doch wieder ein anderes Bild: In den Versen unmittelbar davor, predigt Paulus in den Synagogen Korinths; in den unmittelbar folgenden Versen kommt ein jüdischer Synagogenvorsteher samt seinem ganzen Haus durch Paulus zum Glauben. Warum hat Paulus diesen Juden nicht 'zum Teufel gewünscht', wenn er – wie Deschner impliziert – allen Juden das Verderben wünschte? Paulus Worte „Euer Blut komme über euer Haupt“ waren ganz offensichtlich an jene bestimmten Juden gerichtet, die gegen Paulus' Predigt von Jesus dem Messias lästerten, nicht gegen das Volk der Juden insgesamt oder gegen alle Juden. Deschner gibt seine Quellen verkürzt wieder und beraubt sie somit ein Stück weit ihrer eigentlichen Aussage. Hätte Deschner in seiner Paulus-Einführung wenigstens erwähnt, dass Paulus selbst gebürtiger Jude war (auch wenn Chan anderer Ansicht ist;)), hätte sich Deschners Zerrbild vom Judenfeind Paulus ohnehin von selbst relativiert. Dass Paulus' Judenbild etwas differenzierter war, als Deschner seinem Leser weismachen möchten, bezeugen die Paulusbriefe unzweideutig. Man könnte in Deschner-Manier auch Paulus-Zitate aneinanderreihen, die Paulus dem Leser dann als ausgemachten Juden-Fan vorstellen sollen: „[...] Jude ist, wer es im Verborgenen ist, und Beschneidung ist, was am Herzen durch den Geist, nicht durch den Buchstaben geschieht. Der Ruhm eines solchen Juden kommt nicht von Menschen, sondern von Gott“ (Röm. 2, 29) - „Ich frage also: Hat Gott sein Volk verstoßen? Keineswegs! Denn auch ich bin ein Israelit, ein Nachkomme Abrahams, aus dem Stamm Benjamin“ (Röm. 11, 1) – usw.
Deschner lässt die Quellen nicht für sich selbst sprechen und lässt sie nicht ihr eigenes Anliegen vorbringen, sondern er missbraucht Wörtchen und Sätzchen aus den Quellen für sein eigenes Anliegen. Das mache ich ihm zum Vorwurf. In anderen Hinsichten mag er ein tolles Werk geschaffen haben.
 
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