Auch ich kann dem Gedankengang folgen, mit der Frau könnten sowohl die Tochter Zion als auch Mutter Kirche mit ihren jeweiligen Kindern gemeint sein.
Um zu beurteilen, ob die Himmelsfrau als Metapher für ´(die Tochter) Zion´ oder für die ´Kirche´ oder für beides gelten kann, ist zuerst ´Kirche´ zu definieren und in der Offb nach einer Entsprechung suchen. Auf die Frau=Zion/Kirche-Frage selbst gehe ich in einem weiteren Beitrag ein.
Eine Möglichkeit ist, ´Kirche´ als die Gemeinschaft aller Christus-Gläubigen zu bestimmen. Nur hätte ein einfacher ´Glaube´ an Christus für J nicht die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft des Christus gerechtfertigt. Die Hürde lag deutlich höher. Also sollte ´Kirche´ abstrakter definiert werden, z.B. als ´Gemeinschaft des Christus´.
Es geht mir auf Fachliteratur gestützt im Nachstehenden darum, folgendes zu belegen:
Die Gemeinschaft des Christus (= Kirche) besteht J zufolge aus Menschen, die Christus so treu folgen, dass sie selbst bei Gefahr von Folter und Tod durch Feinde des Christus standhaft bleiben. Die Bereitschaft zum Märtyrertum - nicht unbedingt faktisches Märtyrertum - ist Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft. Nur wer dem Lamm folgt, indem er wie dieses bereit ist, den Tod zu besiegen, gelangt vor den Thron Gottes und wird selig. Mit dieser Botschaft reagiert J zum einen auf eine Tendenz in den christlichen Gemeinden Asias, sich für fremde Kulte, vor allem den Kaiserkult, zu öffnen, weil viele Christen nicht an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden wollten. Zum andern reagiert er auf eine konkrete Unterdrückungssituation, die spätestens seit Trajan und Hadrian eingesetzt hat. J fordert die Christen auf, auch angesichts dieser Situation kompromisslos an ihrer Überzeugung festzuhalten. Er interpretiert die Unterdrückungssituation als letzten Akt eines kosmischen Dramas, das auf eine Entscheidungsschlacht zwischen den Mächten des Guten und des Bösen hinausläuft, an deren Ende die Errichtung des Gottesreiches steht. Die Offb ist also eine Aufforderung zum Märtyrertum für die Sache Gottes, da andernfalls der Feind - in erster Linie der Satan und der Kaiser - die Oberhand behält.
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Der Begriff ´Kirche´ wird in der Offb für die Benennung der Gemeinschaft des Christus nicht gebraucht. Stattdessen erscheint die Gemeinschaft in folgenden drei Formen:
1)
Als eine Gemeinschaft von Königen und Priestern im Gottesreich auf Erden:
Kap. 1
5. und von Jesu Christo (...) Der uns geliebet
hat und gewaschen von den Sünden mit seinem Blut,
6. und hat uns zu Königen und Priestern gemacht vor Gott (...)
Kap. 4
9. (...) denn du bist erwürget, und
hast uns Gott erkauft mit deinem Blut (...),
10. und hast uns unserm Gott zu Königen und Priestern gemacht,
und wir werden Könige sein auf Erden.
Ähnliches wird in der Millennium-Vision 20,6 und in 22,5 ausgesagt. Jedes Mitglied dieser Gemeinschaft ist integrales Element der Gottesherrschaft "auf Erden", allerdings erst in der Zukunft (4,10 und 22,5) nach dem Sieg über Satan und seine irdischen Mitstreiter.
2)
Als militante Gemeinschaft: die 144.000 auf dem Zionsberg, zunächst bei der Versiegelung (7,4-8), dann mit ihrem Anführer, dem Lamm/Christus, kurz vor der Endschlacht (14,1). In Fachkreisen ist die Meinung verbreitet, dass die Versiegelung der 144.000 als Rekrutierung nach Art einer römischen Truppenaushebung zu verstehen ist. (Die polyvalente Metapher kann zusätzlich als Taufe interpretiert werden, siehe Eph 1,13: „In Christus seid ihr, als ihr gläubig wurdet, versiegelt worden mit dem Heiligen Geist"). Für eine militante Interpretation sprechen auch Merkmale der dritten Gruppe, die anschließend an die Versiegelung im gleichen Kapitel geschildert wird (ab 7,9).
3)
Diese dritte und nicht leicht zu bestimmende Gruppe (ab 7,9) ist eine unzählbar "große Schar" aus allen Völkern, "angetan mit weißen Kleidern und Palmen in ihren Händen". Das griech. οχλοϛ (bei Luther: ´Schar´) kann auch ´kampfbereite Menschenmenge´ sowie, gemäß dem "Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament", ´Armee´ bedeuten. Die weißen Kleider könnten auf eine bei Siegesfeiern übliche Bekleidung anspielen und die Palmzweige auf die in 1 Makk 13,51 erwähnten Siegerfeiern makkabäischer Krieger ("... sie trugen Palmzweige in den Händen und sangen Freudenlieder. Denn Israel war von einem gefährlichen Feind befreit").
Die Farbe Weiß erscheint im NT 24 mal, davon 15 mal in der Offb und dort an entscheidenden Stellen im kriegerischen Kontext: das weiße Pferd des ersten apokalyptischen, mit Christus assoziierbaren Reiters (6,2), ein weißes Pferd mit weißgekleidetem Krieger-Christus und sein weißgekleidetes Heer auf weißen Pferden (ab 19,11) sowie eine weiße Wolke mit dem darauf sitzenden Christus (14,14), der durch das Keltertreten (14,20) quadratkilometerweise Blut vergießt, siehe auch 19,15 ("Er tritt die Kelter des Weins des grimmigen Zorns Gottes des Allmächtigen"). Ansonsten tritt ´Wolke´ in der Offb noch 3 mal in nicht-kriegerischen Kontexten auf, ohne als "weiß" beschrieben zu werden. Die weiße Farbe der Wolke in 14,4 signalisiert also das Kriegertum des johanneischen Christus.
Weitere Vorkommen von ´weiß´ betreffen - mit zwei Ausnahmen: weißes Christushaar (1,14) und ein weißer Stein aus der Hand des Christus (2,17) - die Gewänder von Gottesfürchtigen nach dem Sieg über das Satanische (z.B. 3,5: "Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angelegt werden"). "Überwinden" bedeutet hier ´den Feind besiegen´. Das ist denn auch die Hauptbotschaft der Offb: Nur wer kompromisslos, d.h. ohne auch anderen Göttern zu huldigen, und bis in den Tod bereit ist, Christus zu folgen, verdient in seine Gemeinschaft aufgenommen zu werden, was durch das Anlegen weißer Kleider symbolisiert wird.
Ein Gewand in der Farbe des Christus (Beispiele oben) zu tragen bedeutet also, Christus bis in den (Märtyrer-)Tod die Treue zu halten (siehe auch 6,11: "Und ihnen (= den Märtyrern) wurde gegeben einem jeglichen ein weiß Kleid"). Dementsprechend neigen manche Exegeten dazu, die weißgekleidete Volksmenge (ab 7,9) als Märtyrer zu deuten. Über sie heißt es: "Diese sind`s, die kommen sind aus großer Trübsal, und haben ihre Kleider gewaschen, und haben ihre Kleider helle gemacht im Blut des Lammes" (7,13). Auf dieser Basis ist auch eine Interpretation der in 19,14 erscheinenden Reiter im Heer des Christus als Märtyrer möglich, statt als Engel, was die Standarddeutung ist ("Und ihm folgte nach das Heer im Himmel auf weißen Pferden, angetan mit weißer und reiner Leinwand").
Der Ausdruck ´Märtyrer´ in seiner Bedeutung als ´für seine Überzeugung Leidender´ leitet sich übrigens vom griech. μάρτυς (Zeuge) ab. Das früheste uns bekannte Auftreten von ´Zeuge´ in der Märtyrer-Bedeutung ist entweder Offb 2,13 (die Antipas-Stelle) oder Martyrium Polycarpi 14,2.
Die obengenannten drei Gruppen könnten so zusammenhängen:
1) Die 144.000 rüsten unter der Führung des Christus zur Endschlacht (14,1).
2) Die unzählbare Volksmenge feiert nach der Endschlacht den Sieg (ab 7,9).
3) Das Gottesreich auf Erden ist errichtet und die Teilhabe an seiner Herrschaft der Normalfall (1,6 und 4,10).
Mir ist bewusst, dass die Argumentation nicht völlig wasserdicht ist, da manche Punkte auch alternativ deutbar sind. Das liegt zum einen an der Vieldeutigkeit (Polyvalenz) der johanneischen Metaphern und zum andern an logischen Inkonsistenzen innerhalb des Offb-Textes.
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PS.
In meiner Offb-Zusammenfassung vergaß ich die Kapitelnummer "18" anzugeben. Sie gehört vor den Absatz mit dem ersten Satz:
Eine Stimme vom Himmel fordert, es der Frau doppelt so grausam heimzuzahlen wie sie selbst gehandelt hat.
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Weltanschauliche oder theologische Bekundungen der bisherigen Art dazu sind dann wie erwähnt verzichtbar.
Ich habe mich um eine objektive Darstellung bemüht und keinerlei kritischen Kommentare in die Darstellung eingebracht. Das möchte ich doch betonen.
Die Debatten sind derart komplex, und dazu gehört auch der Respekt vor den wissenschaftlichen Arbeiten, dass man diese nicht durch selbstgestrickte Zusammenfassungen banalisieren oder karrikieren sollte.
Auch habe ich weder banalisiert noch karikiert.
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