Kriegerinnen unter den Wikingern

Die Tagesschau genderte kürzlich sogar mit "Taliban:innen", was die intellektuelle Misere trefflich zeigt.
:D:D:D
Dieses oft vorgebrachte Argument sehe ich sehr zwiespältig. Wann immer man Wahres aus mythischen Werken herzuleiten versucht, kommt regelmäßig die Replik: Die Sagen erzählen auch von Drachen, ist der Teil also auch wahr?
Abgesehen davon, dass es sich dabei um einen Fehlschluss handelt: Ein Mensch des Jahres 1000 n.Chr. würde die Frage aufrichtig mit "Ja!" beantwortet haben. Deswegen würde ich vermuten, dass die Eddas und Sagas nichts enthielten, was die Zeitgenossen der Dichter nicht für wahr oder zumindest für glaubhaft hielten.
Epische Texte des Mittelalters sind gar nicht so selten sehr bewußt und kunstvoll, geschickt konstruiert (und ein Sonderfall ist die enorm blümerante Metaphorik der Skalden, die "Kenningar") und wandten sich durchaus an ein Publikum, welches die "literarische Geschicklichkeit" der vorgetragenen Heldengeschichten zu goutieren in der Lage war. Insofern dürften virtuose Metaphern, geschickter Umgang mit Stoffen und Motiven (Götter, Helden, Drachen etc) durchaus als Schmuck/Ausschmückung wahrgenommen worden sein und eher nicht als Tatsachen ((zur Lebenswelt eines fränkischen, wikingischen etc Kriegers gehörte, NIE einem Drachen, Riesen, Troll etc begegnet zu sein))

Die isländischen Wikinger, die nach Grönland "umzogen", hatten ein Problem: sie konnten nicht retour nach Skandinavien wegen Streitigkeiten, und auf Island bleiben ging ebenfalls nicht (Streitigkeiten, heute würden wir sagen: juristische Probleme, denen sie sich durch Abreise entzogen) - - da waren also paar Sippen (Männlein wie Weiblein) unterwegs, um sich im kurz zuvor entdeckten Grönland niederzulassen. (ganz verkürzt dargestellt)
Grönland war nun nicht gerade das sonnige Malle voller Orangen ;) sondern etwas unwirtlicher als Island (trotz einer klimatischen Wärmeperiode kein "Grünland" wo Milch und Honig wachsen) und völlig klar ist, dass die seetüchtigen Neusiedler sich salopp gesagt in ihrer Umgebung umsahen - Berichte von Landsichtung genügten, weil sie von erfahrenen Kollegen kamen, um sich das weiter westlich liegende Land zu probieren. So kam es zu den "Expeditionen" Leif Eiriksons nach "Vinland", "Helluland", "Markland". Ausgang war die ohnehin dünne, nicht leicht zu unterhaltende grönländische Besiedlung - kurzum "gen Amerkia" segelten keine großen Wikingerheere mit Tross und allem zipp und zapp, sondern eine eher recht kleine Gruppe. Und die hat sich in Vinland nicht sonderlich vergrößert, blieb ja auch nicht sonderlich lange vor Ort.
Insofern ein Sonderfall: die Gruppe war sehr klein - ein paar Handvoll Leute.
Von derartigen Vorkommnissen erzählen bunt ausgeschmückt die Sagas von den Vinlandfahrern - Grönland, Labrador sind archäologisch nachgewiesen: die geografischen Angaben der Sagas sind also keine Hirngespinste. Um dein Argument @Muck nun umzudrehen: wenn die Geografie der Heldenepik stimmt, sind dann die in ihr enthaltenen Götter, Drachen, Riesen Realität?
 
Wenn von Wikingern die Rede ist muss man in jedenfall die

Sie war dann Mitglied der Þorfinnr Karlsefni Þordarson Expedition nach Vinland (...)

Diese Expedition war den Sagas zufolge ein expliziter Versuch der dauernden Ansiedlung. Der scheiterte zwar, vermutlich an den Auseinandersetzungen mit den Ureinwohnern, war aber als solcher geplant.

Man vergleiche das mit den früheren Fahrten Eriks des Roten. Als der Island wegen Totschlags verlassen musste und auf eine mehrjährige Erkundungsfahrt ging, um Grönland zu erforschen, tat er das mWn ohne Frauen bzw Familien. Die wurden erst mitgenommen, als es an die tatsächliche Besiedlung ging.

Wenn mann sich i-wo dauerhaft ansiedeln will, bedarf es halt Frauen. Die muss mann mitbringen, wenn mann nicht die Zeit hat, vorher nochmal in Irland Station zu machen... [/sarcasm]

Was spricht denn eigentlich dagegen, dass Frauen mit dabei waren? In Vinland waren die Wikinger schließlich nicht, um zu plündern? Was sollten sie denn auch dort plündern?

Vermutlich wurde das Markland genannte Land noch sehr langer von den normannischen Grönländern besucht (so lange es sie eben gab?), um dort Holz zu schlagen. Ebenso wie bei den jährlichen Jagdzügen nach Nordrsetur in Grönland werden Frauen dabei eher die Ausnahme gewesen sein, auch wenn das Spekualtion bleiben wird.
 
Bei diesen beiden Vinland-Sagas, in denen Freydis beschrieben wird, gibt es kaum Märchenelemente und keine krassen Anachronismen. Freydis hat in beiden Sagen auch keine zauberischen Superkräfte und tut auch nichts, was den Gesetzen des Physik widerspricht. Freydis ist eben einfach nur blutrünstiger als jeder und jede andere.

Zumal kriegerische Frauengestalten bei den Nordmannen wohl bessere Voraussetzungen vorfanden als im christlichen Raum mit seinem negativen Frauenbild, der dennoch ein paar "Kriegerinnen" hervorgebracht hat.
Die sagenhaften Kriegerinnen bewegen sich jedoch eindeutig im christlichen Kontext bzw. im Kontext der Christianisierung.
Freydis Eriksdottir ist im Kontext der Sage sicherlich getauft.
(Die Brunhild des Nibelungenliedes ist Christin, ihr historisches Vorbild, die fränkische Königinnen Bruninchildis und Fredegunde waren auch Christinnen.)
Dass diese Kriegerinnen jetzt nicht als besonders fromm gelten, sondern vielmehr als blutrünstig ist mir schon klar.

Drei Fundstücke in L’Anse aux Meadows eröffnen mindestens die Möglichkeit, dass sich dort Frauen aufhielten:
Ein Spindelwirtel, ein Wetzstein für kleine Nadeln und Scheren und ein Fragment einer Knochennadel.
Bild: https://www.archaeologicalconservancy.org/wp-content/uploads/2018/09/LAM-artifacts-300x225.jpg
Für das Smithsonian Magazine ist das "Proof of a Viking Woman in North America" in
Did a Viking Woman Named Gudrid Really Travel to North America in 1000 A.D.? | History | Smithsonian Magazine
Bzgl. der Sagen-Figur Gudrid ist auch Quellenkritik nötig. Dem frommen Heimchen Gudrid gelingt es ausgerechnet in der gesetzlosen Wildnis sich vorbildlich um Kinder, Küche und Kirche zu kümmern.
Gudrid gilt als Ahnin von berühmten Familien in Island gilt. Gleich mehrere isländischen Bischöfe sollen von ihr abstammen. Die isländischen Vinland-Sagen sind also auch ein Abstammungsmythos. Gudrid wirkt auch durch den Kontrast zu mordlustigen Freydis um so heiliger.

Eine wahre Fundgrube zum Thema ist übrigens die Homepage von Matthias Toplak:
Toplak: Genderkonstrukte in der skandinavischen Wikingerzeit nach archäologischen und literarischen Quellen

Toplak: Das Genderverständnis in der Wikingerzeit – Schildmaiden, selbstbestimmte Frauen und rechtlose Sklavinnen?
 
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Bei diesen beiden Vinland-Sagas, in denen Freydis beschrieben wird, gibt es kaum Märchenelemente und keine krassen Anachronismen. Freydis hat in beiden Sagen auch keine zauberischen Superkräfte und tut auch nichts, was den Gesetzen des Physik widerspricht. Freydis ist eben einfach nur blutrünstiger als jeder und jede andere.
...wenn das nicht sagenhaft ist ;) Freydis, die Marklandwölfin sozusagen...
 
Eine wahre Fundgrube zum Thema ist übrigens die Homepage von Matthias Toplak:
daraus zu zitieren ist verblüffend:
Rituelles cross-dressing oder die Inszenierung einer erweiterten Genderrolle aus kultischen oder – wie im Falle der waffenführenden norwegischen Frauengräber – sozialen Gründen lässt sich durch vergleichende anthropologische und archäologische Untersuchungen zumindest identifizieren, wenn auch in den absolut meisten Fällen keine sichere Interpretation möglich ist. Eine abweichende Sexualität der Toten lässt dagegen im Grabkontext nicht nachvollziehen, auch wenn für einige divergierende Bestattungssitten möglicherweise ebenfalls ein sexuell konnotierter Hintergrund in Erwägung gezogen werden kann.
 
Die sagenhaften Kriegerinnen bewegen sich jedoch eindeutig im christlichen Kontext bzw. im Kontext der Christianisierung.
Freydis Eriksdottir ist im Kontext der Sage sicherlich getauft.
(Die Brunhild des Nibelungenliedes ist Christin, ihr historisches Vorbild, die fränkische Königinnen Bruninchildis und Fredegunde waren auch Christinnen.)
Dass diese Kriegerinnen jetzt nicht als besonders fromm gelten, sondern vielmehr als blutrünstig ist mir schon klar.
Ich meinte gar nicht die sagenhaften Kriegerinnen, von denen es ohnehin recht wenige gibt, sondern die faktischen. Johanna von Belleville, Johanna von Flandern und Eleonore von Arborea etwa, oder, jeweils früher und später als diese, Ethelfleda von Mercien und Caterina Sforza.

Trotz der christlichen Sichtweise, dass Frauen das Einfallstor der Sünde seien und, um überhaupt der Erlösung teilhaftig zu werden, sich fügsam und still zu verhalten hätten, hat das christliche Mittelalter doch die ein oder andere Frau hervorgebracht, die das Schwert in die Hand nahm.

Sollten die sozialen Hürden für einen solchen Lebensweg im vorchristlichen Skandinavien nicht niedriger gewesen sein? Das wollte ich damit sagen.
Wenn ich schon "Genderverständnis" und "Genderkonstrukte" höre, stellen sich mir alle Nackenhaare auf. Mein Blutdruck ist recht hoch dieser Tage, lohnt es sich denn wirklich, was dieser Toplak schreibt?
 
Wenn ich schon "Genderverständnis" und "Genderkonstrukte" höre, stellen sich mir alle Nackenhaare auf. Mein Blutdruck ist recht hoch dieser Tage, lohnt es sich denn wirklich, was dieser Toplak schreibt?
Du kannst deine Nackenhaare wieder glattkämmmen, es geht nicht um das politische Missverständnis, sondern um die wissenschaftliche Gendertheorie. Also letztlich darum, dass man heute nicht mehr einfach sagt: "Oh, wir haben hier ein Schwert, der Bestattete war ein Mann", "Oh, wir haben hier ein Parfümfläschchen, die Bestattete war eine Frau", sondern dass man genauer hinsieht und die Knochen (sofern vorhanden) anthropologisch untersucht und erkennt: "wir haben es hier mit den Knochen einer Frau (sexus) zu tun, die aber mit männlich assooziierten Gegenständen bestattet wurde", bzw. "Wir haben es mit den Knochen eines Mannes (sexus) zu tun, der aber mit weiblich assoziierten Gegenständen bestattet wurde", davon ausgehend kann man soch dann über die soziale Rolle des jeweiligen Individuums in seiner Gemeinschaft gedanken machen.

Machen wir mal einen kleinen Exkurs nach Albanien, dort gibt es die Burrneshas. Das sind Frauen, die in einer extrem patriarchalen Gesellschaft, und zwar egal, ob sie christlichen oder muslimischen Glaubens sind, die Rolle von Männern annehmen.
Das kann verschiedene Gründe haben.
- die Frauen wollen schlicht nicht heiraten und ein selbstbestimmtes Leben führen. Das können sie als Burnesha, in dieser Rolle werden sie als Mann behandelt.
- es fehlt ein männlicher Hoferbe und eine Tochter übernimmt diese Rolle und wird zur Burnesha.
 
Wenn ich schon "Genderverständnis" und "Genderkonstrukte" höre, stellen sich mir alle Nackenhaare auf. Mein Blutdruck ist recht hoch dieser Tage, lohnt es sich denn wirklich, was dieser Toplak schreibt?
@-muck- diese Frage hatte sich mir auch gestellt.
Toplak ist Mittelalterarchäologe, hat Skandinavistik (Altnordistik) studiert - ist also vom Fach! Die hier Matthias Toplak – Wikipedia aufgelisteten Publikationen werde ich mir spätestens über Weihnachten durchlesen. Ich nehme an, dass die Bücher/Aufsätze fachlich seriös sind, alles andere würde mich wundern (wenn Koryphäe Simek den Toplak herausgibt, dürfte das kaum Mumpitz sein)
...aber... aber diese "historische Beratung"-Website hat mich perplex gemacht: so viel modisches Gender-hier Gender-da Geschwafel über eine Zeit, welche weder diese Begriffe noch deren immanente Wertungen kannte, kam mir etwas unangenehm vor. Beim hineinlesen bin ich (ein paar Beiträge zuvor) über
Toplak schrieb:
rituelles cross-dressing
gestolpert und war dann doch sehr perplex über die Argumentationsweise: ausgewählte Textstellen aus Lieder-Edda etc werden dort ohne Quellenkritik (!) wörtlich genommen und bekommen ein heutiges modisches Deutungskostüm übergestülpt. Das ist methodisch nicht anders als die 19.Jh. Deutelei, kommt nur halt zu modischen Genderismusergebnissen... Dass ein studierter Skandinavist/Altnordist die altnordischen Quellen auf dieser "Beratung" derart unkritisch behandelt, hat mich sehr gewundert und lässt mich am Inhalt zweifeln.
 
@El Quijote

Ich kenne nur eine Gendertheorie – die nicht aus evidenzbasierter Wissenschaft, sondern der postmodernistischen Vorstellung, wonach alle Beziehungen zwangsläufig auf Unterdrückung beruhten, hervorgegangene Theorie, dass die Geschlechtsidentität ein bloßes Konstrukt sei.

Eine Theorie, die z.B. von J. Michael Bailey, Bret und Heather Weinstein, Jordan Peterson oder auch Steven Pinker abgelehnt wird, und zwar sehr zu Recht, wie ich meine.

"Zu Recht", weil sie erstens ständig mit der evidenzbasierten Wissenschaft in Konflikt gerät; z.B. kann sie nicht erklären, warum Geschlechterrollen sich zu verstärken scheinen, umso egalitärer eine Gesellschaft wird, sodass in Schweden heute weniger Frauen Ingenieure werden als noch in ihrer Elterngeneration.

"Zu Recht" auch deshalb, weil sie ihre inneren Widersprüche nicht auflöst, sondern sogar damit verteidigt, dass die Forderung nach Folgerichtigkeit bloß ein männliches Unterdrückungsinstrument sei.

So behaupten z.B. Christine Delphy und Judith Butler allen Ernstes, die Geschlechtsidentität werde noch vor dem biologischen Geschlecht festgelegt, was die Frage aufwirft, wie die Gesellschaft ohne biologisches Geschlecht dem Individuum die vermeintlich falsche Identität aufzwingen kann.

Diese "Theorie" ist nur deshalb so allgegenwärtig, weil ihre Vertreter sie verbissen verteidigen.

Schon vor zwanzig Jahren, lange bevor der Begriff der 'Cancel Culture' aufkam, verloren Wissenschaftler wie Helmuth Nyborg ihren Job, oder wurden wie eben J. Michael Bailey mit Morddrohungen überschüttet, weil sie mit biologischen und statistischen Argumenten die Gendertheorie angezweifelt hatten.

Ich glaube nicht, dass wir die Gendertheorie brauchen, um die in diesem Strang diskutierten Beobachtungen bzw. gestellten Fragen zu erörtern. Das Motiv und die Sinnhaftigkeit, Frauen auf eine Fahrt zur zur dauerhaften Landnahme mitzunehmen, liegt auf der Hand. Geschlechteridentitäten und Co. sind ein anderes Thema.

Die christlichen Chronisten des frühen Mittelalters hatten ein propagandistisches Interesse daran auszuschlachten, was ihnen an den Nordmännern abseitig oder sündig vorkam, und taten es mentsprechend gerne, saugten sich gar Lügen aus den Fingern, um ihre Missionierungsarbeit zu überhöhen.

Natürlich wird es damals zwischen Island und Gotland Männer und Frauen gegeben haben, die aus ihren Rollen ausbrachen, so wie jeher. Wären Praktiken wie "Cross-dressing" aber im Allgemeinbewusstsein verankert gewesen, hätten nicht zumindest die christlichen Missionare davon berichtet?
 
Albanische Burrneshas und afghanische Bacha Posh sind sicherlich Beispiele für Transgender, also Beispiele für die komplette Übernahme einer männlichen Geschlechterrolle und männlicher Geschlechtsidentität durch biologische Frauen. Dies bezieht sich nicht nur auf die männlichen Vorrechte im Patriarchat, sondern schließt auch das Tragen von Männerkleidung und das Führen männlicher Vornamen mit ein. Es wird eine neue männliche Identität angenommen. Die biologische Frau hat sich damit sozial als eine männliche Identität konstruiert und diese wird gesellschaftlich anerkannt.

Bei Crossgender geht es nicht nicht ganz so weit, sondern es werden nur bestimmte Attribute der Männlichkeit angenommen. Eine Frau gilt auch weiterhin als Frau und hat weiterhin eine weibliche Identität, obwohl sie Männerkleidung trägt. Sie kann z.B. auch rituellen Gründen Männerkleidung tragen. So trug z.B. Katharina die Große während ihres Putsches gegen ihren Mann eine männliche Reiteruniform mit Degen, eben um ihre herrschaftliche neue Macht zu symbolisieren und zu zeigen, dass sie den Putsch anführt. Zarin Katharina hatte manchmal buchstäblich "die Hosen an", bei den meisten Gelegenheiten repräsentiere sie aber in aufwendigen Kleidern. Die ägyptische Pharaonin Hatschepsut trug wahrscheinlich sogar einen falschen Bart um ihre patriarchale Macht zu symbolisieren. Männerkleidung und Waffen sind Symbole von Macht und Herrschaft. Wenn eine biologische Frau nun aus symbolischen Gründen wie der Repräsentation ihrer Herrschaft Männerkleidung und Waffen trägt, ist rituelles Cross-Dressing, gehält sie trotzdem ihre weibliche Identität. Denkbar wäre, dass eine verstorbene Frau aus solchen symbolischen Gründen Waffen und männliche Trachtbestandteile als Grabbeigabe erhält.

Toplaks These zu typisch männlichen Grabausstattungen für biologischen Frauen ist, dass die Archäologie nicht die Mittel hat bei Grabausstattungen zwischen Transgender und rituelles Cross-Dressing voneinander zu unterscheiden.

Welcher Version das Das Kammergrab 581 aus Birka jetzt abbildet, ist nicht mehr sicher feststellbar.


Die nordischen Sagen liefern übrigens auch kein eindeutiges Bild. Crossgender und Transgender-Phänmene werden vereinfacht als eine Gruppe betrachtet: die sogenannten Schildmaiden. Auch gilt es zu unterscheiden.

Lediglich Hervör scheint (für einige Zeit) eine männliche Geschlechtsidentiät anzunehmen. Sie trägt nicht nur Männerkleidung und Waffen, sie nimmt auch den männlichen Namen Hervard an und wird dann Anführer(!) eine Kriegerbande. Sie wäre somit ein sagenhaften Beispiel für eine Transidentität. (Dass die nordische Saga mit Goten und Hunnen eher die Völkerwanderungszeit beschreibt, ist mir bewusst.)

Freydis Eriksdottir ist jedoch ganz anders. Sie nimmt eben nicht eine männliche Geschlechtsidentiät sondern führt die Waffen als Symbole patriarchaler Macht. Übrigens kommt es in beiden Sagen nicht mal zu richtigen Kämpfen.
Gerade die Szene, in der Freydis das Hemd ablegt und das Schwert gegen die nackte Brust drückt, ist schwer deutbar. Ist das nur ein Trick um die Ureinwohner zu erschrecken? Zeigt sie den männlichen Angreifer durch die nackte Brust, dass sie eine Frau ist und apelliert an einen männlichen Ehrenkodex die Frauen zu schonen? Oder geht es eigentlich, darum, dass Freydis das hinderliche weibliche Kleidungsstück ablegt und sich wie ein Mann mit freiem Oberkörper den Feinden stellt? Die Szene ist jedenfalls von mehrdeutiger Symbolik.
Die Idee, dass die Männer die Frauen verschonen sollen, taucht in der anderen Sage auf. Hier fordert Freydis von ihrem männlichen Gefolge, die gefangenen Frauen zu töten. Da die Mordbuben die Ermordung der Frauen verweigern, greift Freydis selbst zur Axt und umgeht so den männlichen Ehrenkodex.

Natürlich wird es damals zwischen Island und Gotland Männer und Frauen gegeben haben, die aus ihren Rollen ausbrachen, so wie jeher. Wären Praktiken wie "Cross-dressing" aber im Allgemeinbewusstsein verankert gewesen, hätten nicht zumindest die christlichen Missionare davon berichtet?
Heute fällt weibliches Cross-Dressing kaum noch auf. Wenn in der heutigen Zeit und in unserem Land eine Frau eine Hose trägt oder flache Schuhe fällt das kaum auf. Wenn eine Frau eine Krawatta trägt, fällt es dann noch. Da trägt eine Frau wohl Männerkleidung. Das ist Cross-Dressing.
In der Wikingerzeit sind Cross-Dresserinnen sicherlich schneller aufgefallen.

Eine extreme und überzeichnete und daher leicht verständliche Version von Cross-Dressing im Umfeld eines ausgeprägten Patriarchats, zeigt übrigens der Film "Das Leben des Brian". Dort wollen jüdische Frauen, die unbedingt an einer Steinigung teilnehmen wollen, bei der kein "Weibsvolk" dabei sein darf. Hierfür verkleiden sich die Frauen als Männer, heften sich falsche Bärte an und verstellen sogar noch die Stimme. So gehen sie als Männer durch und können an dem Spektakel der Steinigung teilnehmem.
 
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Männerkleidung und Waffen sind Symbole von Macht und Herrschaft. Wenn eine biologische Frau nun aus symbolischen Gründen wie der Repräsentation ihrer Herrschaft Männerkleidung und Waffen trägt, ist rituelles Cross-Dressing, gehält sie trotzdem ihre weibliche Identität. Denkbar wäre, dass eine verstorbene Frau aus solchen symbolischen Gründen Waffen und männliche Trachtbestandteile als Grabbeigabe erhält.
@Maglor (salopp gesagt) eine frühmittelalterliche Königin kann Herrschaft ausüben, das Szepter in der Hand und die Krone auf dem Kopf tragen, ohne dass sie dafür in die ferne Zukunft blicken und von "rituellem cvross-dressing als sozialem Genderkonstrukt" träumen oder dergleichen angeblich praktizieren (ante oder post mortem) muss... ;) Brunhild und Balthild (Königinnen der Merowingerzeit) sind nicht "cross-dressend" überliefert in den merowingischen Quellen, aber durchsetzungsfähig und ggf "barbarisch" sehr wohl (z.B. Balthild machte kurzen Prozess mit ein paar Bischöfen) - - kurzum: dass vereinzelte Funde sozial hochgestellte Frauen mit Macht- und Herrschaftssymbolen nachweisen, nötigt nicht dazu, kontroverse und nicht zwingend wissenschaftliche Genderismusbegriffe in die historische Epoche dieser Funde zu injizieren, als sei das völlig gängig und historisch ok.
 
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Ein überzeichnete und daher leicht verständliche Version von Cross-Dressing in einem ausgeprägten Patriarchat funktionieren könnte, zeigt übrigens der Film "Das Leben des Brian". Dort wollen jüdische Frauen unbedingt an einer Steinigung teilnehmen, bei der kein Weibsvolk dabei sein darf. Hierfür verkleiden sich die Frauen als Männer, heften sich falsche Bärte an und verstellen sogar noch die Stimme.
:D:D:D eine herrliche komödiantische Szene, aber sicherlich keine Beweisquelle für Genderblabla ;):D
 
@-muck- diese Frage hatte sich mir auch gestellt.
Toplak ist Mittelalterarchäologe, hat Skandinavistik (Altnordistik) studiert - ist also vom Fach! Die hier Matthias Toplak – Wikipedia aufgelisteten Publikationen werde ich mir spätestens über Weihnachten durchlesen. Ich nehme an, dass die Bücher/Aufsätze fachlich seriös sind, alles andere würde mich wundern (wenn Koryphäe Simek den Toplak herausgibt, dürfte das kaum Mumpitz sein)
...aber... aber diese "historische Beratung"-Website hat mich perplex gemacht: so viel modisches Gender-hier Gender-da Geschwafel über eine Zeit, welche weder diese Begriffe noch deren immanente Wertungen kannte, kam mir etwas unangenehm vor.
Warum ist Gender für euch beide so ein Reizwort?

Mir ist schon öfters aufgefallen, dass das Wort "Gender" viele Diskutanten und manchmal auch die Diskutantinnen zur Weißglut treibt und sie die Scheuklappen aussetzen. Benutze ich die Worte soziale Geschlecht oder Geschlechterroll hören viele Leute, die dieses angebliche "Gender-Gaga" eigentlich ablehnen, sogar mal zu.

Gender, Crossgender, Transgender usw. sind aktuelle soziologische Fachbegriffe. Ein Mittelalterarchäologe der Gegenwart benutzt die Wissenschaftssprache des 21. Jahrhundert.

Wie sollen wir uns sonst drüber unterhalten?
Die Komplexität des Phänomen kann nur mittels der Fachbegiffe erschlossen werden.
 
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Gender, Crossgender, Transgender usw. sind aktuelle soziologische Fachbegriffe. Ein Mittelalterarchäologe der Gegenwart benutzt die Wissenschaftssprache des 21. Jahrhundert.
@Maglor wieso sollte ein Mittelalterarchäologe und Altnordist gehäuft die Begriffe einer gänzlich anderen Wissenschaft innerhalb seines speziellen Fachgebiets verwenden? (nebenbei: die Wissenschaftlichkeit der Begriffe "Gender, Crossgender, Transgender" ist vorerst noch ziemlich strittig)
Die Komplexität des Phänomen kann nur mittels der Fachbegiffe erschlossen werden.
gewiß - aber sinnigerweise sollten a) passende Fachbegriffe und zugleich b) tatsächliche Fachbegriffe verwendet werden - - - und obendrein:
dass vereinzelte Funde sozial hochgestellte Frauen mit Macht- und Herrschaftssymbolen nachweisen, nötigt nicht dazu, kontroverse und nicht zwingend wissenschaftliche Genderismusbegriffe in die historische Epoche dieser Funde zu injizieren, als sei das völlig gängig und historisch ok.
 
Vielleicht ist die Sache einfacher als man meint.Man entdeckte Amerika,die Schiffe fuhren zurück und Siedler machten sich auf den Weg.Kurz dann waren auch Frauen an Bord und sogar Kinder.
Geschwommen nach Amerika werden die sicher nicht sein ;-)
 
Soziologie, Ethnologie, Anthropologie, Archäologie und Geschichte haben viel miteinander zu tun.
(ist mir nicht ganz unbekannt) deckungsgleich sind sie aber nicht, da sind wir uns sicher einig. Soziologische Begriffe & Denkmuster zur Beschreibung sozialer Verhältnisse des 20.&21. Jhs. sind nicht die beste Wahl, um soziale/gesellschaftliche Besonderheiten einer frühmittelalterlichen Gesellschaft zu erläutern bzw. um Grabbeigaben zu deuten. Denn damit werden Vorstellungen der 1000 Jahre späteren Zeit in die 1000 Jahre frühere implementiert (z.B. wäre es doch sonderbar, beigabenlosen frühmittelalterlichen Gräbern zu unterstellen, dort lägen in Besitzlosigkeit glücklich vereint frühmittelalterliche Kommunisten, weil sie alle gleich beigabenlos sozial inszeniert sind)
...aber eine Diskussion über die Reichweite von Hilfsdisziplinen zur Historik führt hier vermutlich vom Thema weg.
 
Natürlich muss man mit jeder Schlussfolgerung vorsichtig sein, aber es ist doch gerade in den Geisteswissenschaften so, dass gesellschaftliche Strömungen unser Bewusstsein auch auf neues lenken. Es wird kolportiert, dass ein Rektor der LMU die Alte Geschichte dort abschaffen wollte, weil er meinte, das sei doch ein längst ausgeforschtes Gebiet und mittlerweile käme es nur noch zu Reproduktion bereits Geschriebenen. Aber mit neuen weltanschaulichen Strömungen - denen man sich immer selbstkritisch bewusst sein muss - betrachtet man eben auch Sachverhalte aus neuen Blickwinkeln. So ist z.B. irgendwann in den 1970ern oder 1980ern so etwas wie Umweltgeschichte aufgekommen. Um 1900 wandten sich die Historiker überhaupt erstmals von der politischen Geschichte ab und der Kulturgeschichte zu (die nicht mit Geschichte von Kunst und Kultur indem Sinne zu verwechseln ist). Heute betrachtet man Geschlechterrollen einfach differenzierter, als in einer patriarchalen Gesellschaft, die quasi die Vorstellung hatte, dass es natürlich sei, dass Männer als „Ernährer der Familie“ das Sagen hatten. Oder eben als die feministische Geschichtswissenschaft, die Frauen immer nur in der Rolle der Opfer sah und ggf. von einem frühgeschichtlichen Matriarchat träumte. Heute haben wir Konzepte, die uns auch erlauben Rollenbilder zu hinterfragen und dass Frauen in prämodernen Gesellschaften durchaus nicht auf die Rolle als Frau und Mutter festgeschrieben sein mussten, auch wenn dies sicher in den meisten Fällen die Normalität war. Man muss halt schauen, ob man da den kuriosen Einzelfall vor sich hat, oder das Zeugnis einer Gesellschaft, die ihren Mitgliedern die Rollen nicht strikt nach Sexus zugestand. Der gute Historiker findet den Einzelfall, der bessere erkennt das Gesamtbild.
 
Was die Frauen anbelangt...
Die Tochter von Erik der Rote und Halbschwester von Leif Eriksson hatten wir ja.
Und wie ich vermute, im Netz findet man weitere Frauen.
So zum Beispiel:

1. Völsunga saga aus dem 13. Jahrhundert erzählt von Schildmaiden.
Schildmaide nennt man in der nordischen Mythologie Frauen, die sich für ein Leben als Kriegerin entschieden haben.
https://de.wikipedia.org/wiki/Schildmaid

2. Inghen Ruaidh („Rotes Mädchen“), eine weibliche Kriegerin, die eine Wikingerflotte nach Irland geführt hatte.

3. Dann hätten wir den „Krieger von Birka“ der zum Manne erklärt wurde.

Die Bioarchäologin Anna Kjellström von der Universität von Stockholm hat dessen Beckenknochen und den Kiefer zum ersten Mal genauer untersuchte. Ihre Maße schienen den typischen Maßen einer Frau zu entsprechen. Hier etwas Genaueres:
https://www.nationalgeographic.de/g...test-beruehmter-wikingerkrieger-war-eine-frau
 
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