Der Erste Weltkrieg und seine Bedeutung in der heutigen Zeit.

Da man die russischen Befindlichkeiten betreffs Balkan ja durchaus kannte, durfte man von deutscher Seite her davon ausgehen, dass nach dem Wegfall Bulgariens Russland versuchen würde sich für Serbien einzusetzen um seinen Einfluss am Balkan zu halten und wenn man ihm dadurch, dass man eine Großmachtskonferenz sabotierte ihm die Möglichkeit nahm das auf diplomatischem Wege zu tun, ließ man St. Petersburg für Einflussnahme in dieser Sache nur noch die Möglichkeit die militärische Karte zu spielen und dass bedeutete Mobilisierung um Österreich einzuschüchtern, musste bei voller Mobilmachung aber eben auch zu deutschen Gegenmaßnahmen führen.

Nicht falsch. Nur, ging man in Deutschland doch davon aus, war natürlich Wunschdenken, das Russland aufgrund seiner unfertigen Rüstungen es 1914 noch nicht darauf ankommen lassen würde. Ein verhängnisvoller Irrtum.
 
Nun weigerten sich nach dem Ultimatum Wien und Berlin aber kategorisch mit St. Petersburg wegen der serbischen Angelegenheiten zu verhandeln .

Lies bitte das Telegramm von Bethmann an Tschirschky.

"Graf Pourtales telegrahiert:

Sasnow mittteilte mir....Krieg bedeute. Diese Mitteilung steht nicht im Einklang mit der Darstellung die Ew.pp von dem Verlauf der Unterredung des Grafen Berchtold mit Herrn Schebeko gegeben hatte. Anscheinend liegt Missverständnis vor, das ich aufzuklären bitte. Wir können Österreich-Ungarn nicht zumuten, mit dem Serbien zu verhandeln, mit dem es in Kriegszustand begriffen ist. Die Verweigerung jeden Meinungsaustaustausches mit Petersburg würde schwerer Fehler sein, da er kriegerisches Eingreifen Russlands geradezu provoziert, das zu vermeiden Österreich-Ungarn in erster Linie interessiert ist.

Wir sind zwar bereit unsere Bundespflicht zu erfüllen, müsse es aber ablehnen, uns von Wien leichtfertig und ohne Beachtung unserer Ratschläge in einen Weltbrand hineinziehen zu lassen. Auch in italienischer Angelegenheit scheint Wien unsere Ratschläge zu missachten.

Bitte sich gegen Graf Berchtold sofort und mit allem Nachdruck und grossem Ernst auszusprechen.


Geiss: Julikrise und Kriegsausbruch, Teil 2, S,290
 
Auch ist anzumerken, das zu dem Zeitpunkt des Vorschlages von Sir Edward Grey in Russland schon die Maßnahmen zur Teilmobilmachung nach Auskunft von Kriegsminister Suchomlinow, nachzulesen bei Eggeling, Die Russische Mobilmachung, schon einige Tage vor dem 25.07.auf die Schiene gesetzt worden war.

Richtig, nur stellte das offizielle Unterbreiten des Konferenzvorschlages ja nicht den Anfang der Sondierungen in diese Richtung dar.
 
Lies bitte das Telegramm von Bethmann an Tschirschky.

Habe ich, zwischen Verweigerung eines Meinungsaustauschs und der Verweigerung konkreter Verhandlungen besteht nach meinem Dafürhalten allerdings durchaus ein Unterschied.
Inwiefern verhandelte Berlin denn konkret mit St. Petersburg über irgendeine Form des Abrückens Berlins vom Ultimatum?
So weit ich weiß kam dass nicht vor und der stattgefundene Meinungsaustausch zwischen Berlin und St. Petersburg beschränkte sich auf der Berliner Seite darauf seine Position zu unterstreichen. Ernsthaft verhandelt wurde sie nicht.
 
In der Julikrise wollten die Akteure vordergründig den Eindruck vermitteln, sie wollen keinen Krieg führen bzw. ihn nur lokal stattfinden zu lassen, aber hintergründig taten sie beinahe alles, um ihn doch global zu führen – durch die unerfüllbaren Forderungen. Das belegen interne Dokumente und diplomatischen Noten.
Wenn das stimmt, wäre eine Kriegsschuldfrage obsolet: du hast gerade allen (!) Beteiligten attestiert, dass sie einen allgemeinen, umfassenden, also einen Wektkrieg wollten. Und du behauptest, es gäbe interne Dokumente, die das beweisen. Ich fürchte, män brächte dich arg in die Bredouille, wenn man dich bitten würde, englische, französische, russische, deutsche, italienische usw Dokumente vorzulegen, die das nachweisen.

Zweifelsohne wollte KuK Österreich-Ungarn Serbien militärisch maßregeln, also wegen des Attentats mit Krieg abstrafen. Die Befürchtung aller anderen war, dass wegen russischen Eingreifens dieser Konflikt nicht "lokal" begrenzt bleiben könnte - das sieht zunächst nicht direkt nach einem expliziten Willen zu einem Weltkrieg aus.

Aber wenn sich ein solcher aus dem serb.-österr. Konflikt entwickeln sollte, wollte jeder in diesem Fall möglichst günstig (militärisch wie propagandistisch) dastehen.

Freilich waren alle später aktiv Beteiligten schon vor der Jahrhundertwende halbwegs vorbereitet und "gerüstet" für den Fall von Konflikten innerhalb des Bündnisgeflechts: hierzu hatte ich oft genug in verschiedenen Fäden die vielen (!) Festungsbauprogramme seit der Brisanzkrise als Indiz aufgedröselt. Gerüstet hatten alle! Aber nicht, weil sie einen Weltkrieg herbeiführen wollten, sondern um im Fall von Konflikten nicht überrannt zu werden und um militärische und bündnisbezogene Stärke als Trümpfe im diplomatischen Ränkespiel einsetzen zu können. Aber darin einen aktiven Willen zu einem Weltkrieg bei allen sehen zu wollen, halte ich für nicht haltbar.
 
und in diesem Forum wird von manchen immer noch so getan, als wüssten die maßgeblichen Akteure nicht, was sie taten, und der Weltkrieg dementsprechend nur eine Aneinanderreihung von Zufällen, Versäumnissen und Missverständnissen gewesen sei.
Was soll das heißen: „es wird so getan“?
Dass Teilnehmer anderer Ansicht unseriös seien?

Und so einfach ist das ja auch nicht. Versetzen wir uns versuchsweise in die Rolle der damaligen Entscheider (ca. 50 sind es, würd ich mal sagen). Wenn die Wahrscheinlichkeit für einen „Weltenbrand“ oder „Weltkrieg“, sagen wir mal, 30% geschätzt wird, wie hoch wird diese Wahrscheinlichkeit morgen sein wenn ich wie handle? Niedriger oder höher?
Und macht das dann einen Unterschied aus für das eigene Überleben, das ja stets erstes Interesse ist?
Das sind unveränderte Grundfragen.
Die stellten sich damals und stellen sich heute.
https://www.henryakissinger.com/articles/the-push-for-peace-how-to-avoid-another-world-war/
(lässt sich gut durch den deepL jagen).
 
Zuletzt bearbeitet:
Mir ist kein Datum bekannt, das Sir Edward Grey schon vor dem 25.07 Lichnowsky einen entsprechenden Vorschlag gemacht hatte.

Aber dafür hatte Sir Edward Grey am 21.07.1914 den englischen Botschafter Buchanan in Petersburg wissen lassen, "Möglicherweise war serbische Regierung nachlässig und wird das Gerichtsverfahren in Sarajewo ergeben, dass die Ermordung des Erzherzogs auf serbischen Gebiete geplant wurde. Wenn die Forderungen Österreichs an Serbien in vernünftigen Grenzen gehalten sind und Österreich sie rechtfertigen kann, so hoffe ich, dass alles versucht wird, um einen Friedenbruch zu verhüten. Es wäre sehr erwünscht, dass Österreich und Russland die Sache miteinander besprächen, wenn sich Schwierigkeiten ergeben sollten. Sie können sich in diesem Sinne äußern, falls Gelegenheit es zu erfordern scheint."

Hervorhebung durch mich.

Geiss, Julikrise und Kriegsausbruch Band1 S.259
 
Am 20.Juli 1914 schrieb der britische Botschafter Rodd an Sir Edward Grey:

"[...] Ich bemerke, daß auf der hiesigen deutschen Botschaft genau dasselbe Gefühl des Unbehagens herrscht. Der Botschafter, der gehofft hatte, die Sommermonate im Urlaub zu verbringen, hat eingesehen, daß es ihm bei der gegenwärtigen Lage unmöglich sein wird, seinen Posten zu verlassen. Er ist zur Zeit nicht selbst in Rom; ich habe ihn seit mehr als 14 Tagen nicht gesehen, und was ich in letzter Zeit gehört habe stammt von den jüngeren Mitglieder der Botschaft.

Diese scheinen anzunehmen, daß die österreichisch-ungarische Regierung beabsichtigt, eine sehr scharfe Note an Serbien zu richten und sie befürchten nun, daß Serbien, dem manches stark zu Kopf gestiegen ist und das sich der Unterstützung Russlands sicher fühlt, eine Antwort geben wird, die Österreich nur als herausfordernd betrachten kann. Die neuerliche Erklärung des Herrn Paschitsch, die in der Presse erschien und unwidersprochen blieb, ist geeignet, diese Ansicht zu bestätigen.

Und sie halten die Lage Österreichs in Bezug auf seine slawischen Untertanen für derart, daß es nur eine unterwürfige Antwort Serbiens annehmen kann, wenn es sein Ansehen nicht gänzlich einbüßen will. Die einzige Hoffnung auf eine Lösung bestehe darin, daß Rußland in Belgrad zur Vorsicht mahne, aber sie sind keineswegs sicher, daß das geschehen wird. Ich fragte wie sich Deutschland in der Sache verhalten würde, umd mein Gewährsmann war überzeugt, daß wenn die Fage Österreich und Serbien beschränkt bliebe, Deutschland nichts damit zu tun hätte, daß aber, wenn Rußland zugunsten Serbiens eingreifen würde, Deutschland verpflichtet sei, zugunsten Österreichs einzugreifen.

Sie hofften, daß wir und Deutschland zusammenhalten und uns bemühen würden, mäßigend auf unsere beiderseitigen Freunde einzuwirken und den Konflikt zu lokalisieren, falls es dazukommen sollte. Die Besorgnisse der Deutschen über die Gefahren der augenblicklichen politischen Lage haben einen starken Eindruck auf mich gemacht.

Hervorhebungen durch mich.

Die britischen amtlichen Dokumente über den Ursprung des Weltkrieges 1914 - 1918, Dokument 74
 
Ja. Warum fragst du? Habe gerade noch einmal nachgesehen und im Telegramm steht Rom 20.Juli.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn ich das recht erinnere, wollte man von deutscher und österreichischer Seite die italienische Regierung und Umfeld über die eigenen Absichten bestenfalls spärlich unterrichten, da man die Vertrauenswürdigkeit bezweifelte.
Damit hätte der Rodd vor dem Hintergrund von Gerüchten berichtet.

Aber das ist nur ein interessantes Detail und leider wird die Frage nach der "Bedeutung in der heutigen Zeit" kaum behandelt.
 
hatl schrieb:
Wenn ich das recht erinnere, wollte man von deutscher und österreichischer Seite die italienische Regierung und Umfeld über die eigenen Absichten bestenfalls spärlich unterrichten, da man die Vertrauenswürdigkeit bezweifelte.

Und das durchaus zu Recht.

Die Politik der "Geheimhaltung" klappte nicht. Am 11.Juli informierte Jagwo den deutschen Botschafter in Rom Flotow über die Absichten Österreichs. Und was tat Flotow? Der leitete diese brisante Information an San Giuliano weiter und von dort wurde diese wichtigen, vertraulichen Informationen sofort nach Petersburg weitergereicht. So viel zur italienischen Vertrauenswürdigkeit.

Clark, Schlafwandler, S.548


Der österreich-ungarische Diplomat Lützow hatte den britischen Botschafter Bunsen in Wien über das bevorstehende Ultimatum bereits am 15.07.1914 informiert.

Lützow, Im diplomatischen Dienst der k.u.k. Monarchie, S.221
 
Zuletzt bearbeitet:
Am 22.Juli 1914 berichtet der britische Botschafter Rodd an seinem Chef Sir Edward Grey, nach einem Gespräch mit San Giuliano, das der italienische Außenminister Grund zu der Annahme habe, dass das österreichisch-ungarische Ultimatum in einer Form abgefasst sei, die Serbien als unannehmbar betrachten müsste.

Des Weiteren übermittelte Rodd die sehr gewichtige Information, das es nicht im italienischen Interesse läge, wenn Serbien von Österreich-Ungarn erdrückt werden würde und gab dann zu verstehen, das es (Italien) nicht die Absicht habe, Österreich-Ungarn beizustehen.

Geiss, Julikrise und Kriegsausbruch, Band 1, Dokument 221
 
Welche wissenschaftlichen Arbeiten kennst Du, die sich speziell mit dieser Frage beschäftigen?

Michael Mann kommt zum Ergebnis, der Nationalismus habe als Ursache für den 1. Weltkrieg nur eine untergeordnete Rolle gespielt.
https://www.google.com/url?sa=t&sou...UQFnoECDEQAQ&usg=AOvVaw18csR6LixV4plYF10Bk49G
Das wunderte mich doch und gerne bin ich dem Link gefolgt, auch deshalb weil ich von dem Mann schon was gelesen hatte. (Und auch weil ich Deine Empfehlungen schätze)

Danke für den interessanten Artikel.
Allerdings hält dieser sich auch an seine Überschrift. (Die Rolle des Nationalismus im Krieg. Nicht davor) Es geht im Wesentlichen um die Motivationen während der beiden Kriege zu kämpfen.
Die Ursachen der Kriege werden allenfalls gestreift.

Selbstverständlich war der Nationalismus bei beiden Weltkriegen wesentlicher, wenn nicht unverzichtbarer, Bestandteil im zündfähigen Gemisch des "Weltenbrands".
 
Selbstverständlich war der Nationalismus bei beiden Weltkriegen wesentlicher, wenn nicht unverzichtbarer, Bestandteil im zündfähigen Gemisch des "Weltenbrands".

Weiß ich nicht.
Im Hinblick auf den ersten Weltkrieg würde ich da nach wie vor die Frage stellen wollen, bei welchem Akteur tatsächlich nationalistische Stimmungen und Interessen für die Positionierung im entscheidenden Moment fassbar sind?
Was die Juli-Krise angeht, sehe ich das eigentlich nur bei Serbien, sofern man unterstellt dass sich Belgrad durch das Ultimatum tatsächlich in siner Souveränität herausgefordert sah.
Alle anderen Hauptakteure der Juli-Krise aggierten aus eher imperialen Beweggründen, Prestigefragen und Erwägungen des Kräfteverhältnisses, und der Bündnissysteme heraus, weniger aus Gründen nationalen Selbstverständnisses.

Beim zweiten Weltkrieg fällt es mir bereits schwer überhaupt einen Zeitpunkt zu benennen, wann der beginnt.

Sicherlich NS-Deutschland überfiel am 1. September 1939 Polen und löste damit einen Krieg in Europa aus, nur würde ich mir hier die Frage stellen, ob man hier bereits von "Weltkrieg" sprechen kann.
Im Gegensatz zum 1. Weltkrieg wo es dann auch gleich in den Kolonien los ging, fanden ja zunächst in anderen Erdteilen als in Europa keine hiermit unmittelbar verbundenen (die Verbindung zum Krieg in Fernsost ergab sich ja erst 1941) Kampfhandlungen statt, dass kam im Grunde erst mit dem italienischen Kriegseintitt und dem Beginn der Kämpfe in Nordafrika.

Aber selbst wenn wir die Frage, ab wann das sinnvoller Weise als Weltkrieg zu bezeichnen ist, mal außen vor lassen und uns als Arbeitdefinition auf den deutschen Überfalls auf Polen als Starttermin einigen, inwiefern könnte man Hitlers Handeln noch in der Kategorie "nationalistisch/national" unterbringen?

Das ginge meines Erachtens nach nur dann wenn man Hitler die Propagandalüge abkaufte, dass es hinsichtlich Polen um nichts weiter gegangen wäre, als darum die 1918 verlorenen Gebiete zurück zu gewinnnen.
Insofern aber Hitlers Vorstellungen bereits seit denn 1920er Jahren mehr oder minder darauf abzielten nicht nur die deutschsprachigen Gebiete erobern sondern mehr oder minder ganz Osteuropa in irgendeiner Form unterwerfen und mehr oder minder zur Siedlungskolonie umbauen zu wollen, würde ich sagen, dass das mit dem Begriff Nationalismus im Grunde nicht mehr fassbar ist und klar in die imperiale Sphäre zielt.


Ich würde sagen in beiden Kriegen spielte Nationalismus insofern ein wichtige Rolle, als dass er als Werkzeug zur Mobilisierung der jeweiligenn Bevölkerungen effektiv diente.
Die Vorstellung Nationalismus in diesem Sinne wäre für die Hauptakteure handlungsleitend gewesen, würde ich in beiden Fällen komplett verwerfen wollen.
Das waren in beiden Fällen überwiegend imperiale Konzeptionen, die über den Rahmen von Nation und Nationalismus hinausgingen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Äh und Nationalismus und Imperialismus sind also zwei unterschiedliche Dinge wie Äpfel und Birnen oder Hund und Katz, die nur der Ahnunslose nicht sauber auseinanderhalten kann?
 
@Clemens64 jein... peu a peu am Ersten Weltkrieg beteiligt waren auch Staaten, die mit Kolonialismus nichts zu tun hatten (ein kleiner solcher war sogar am Ausbruch des Kriegs beteiligt). Zumindest diesen kann man offenkundig Kolonialismus nicht anlasten, aber einige davon waren stramm nationalistisch unterwegs.
Wenn man aber immer mehr verallgemeinert, abstrahiert, dann kommt man zu wenig konkreten Deutungen wie "Kolonialismus, Militarismus und Nationalismus zählen zum primären Ursachenbündel des Ersten Weltkriegs" (das ist kein echtes Zitat!) - und solche Erklärungen sind reichlich unkonkret.
 
Nationalismus

Weiß ich nicht.
Im Hinblick auf den ersten Weltkrieg würde ich da nach wie vor die Frage stellen wollen, bei welchem Akteur tatsächlich nationalistische Stimmungen und Interessen für die Positionierung im entscheidenden Moment fassbar sind?

Das vielleicht auch nicht so einfach und ich versuche es mal.
Fangen wir an mit dem

Balkan,
dem Epizentrum der Erschütterung.
Im Oktober 1912 wird das Osmanische Reich durch den aggressiven Nationalismus von Serbien, Griechenland, Montenegro und Bulgarien innerhalb weniger Wochen aus Europa fast komplett hinausgefegt.
Dies zum Erstaunen der Welt und zum großen Schrecken Ö-Us.
Denn im Vielvölkerstaat gärte bereits der Nationalismus, der soeben seine gewaltige Sprengkraft demonstriert hatte. Dies sozusagen vor der Nase der Habsburger,
die bereits 1867 ein schmerzhaftes Zugeständnis (Ausgleich) an den Nationalismus der Ungarn machen mussten.
Und damit war noch keine Ruhe in den Kronländern eingekehrt.

Ö-U
ist durch den inneren Nationalismus bedroht, während gleichzeitig ein höchst aggressiver äußerer Nationalismus Gebietsansprüche stellt, sprich die Anerkennung der Grenzen verweigert.
Der Nationalismus ist die am stärksten destabilisierende Kraft auf dem Balkan.
Ich denk da kann man einen Haken dran machen, wenn nicht müssen wir uns das genauer anschauen.
Dominic Lieven – End of Tsarist Russia – schreibt in der Einleitung „Imperialism, nationalism, and the dilemma of modern empire were at the core of World War I's origins.“
Nationalismus bedroht Reiche die multiethnisch sind. Wie das Osmanische Reich 1912 erleben musste, und noch weiter erleben wird.

Russland
ist ja auch ein Vielvölkerstaat für den das ebenso gelten sollte und tatsächlich wird z.B. der polnische und ukrainische Nationalismus als bedrohlich wahrgenommen.
Doch sind da die Verhältnisse der Zahlen nach ethnischer Zugehörigkeit anders, insbesondere dann wenn man den Gebrauch des Slawischen zum Maßstab macht.
Und eben das wird ja durch den Großrussischen Nationalismus propagiert. Die anderen slawischen Sprachen sind nur Dialekte und Ukrainer gibt es nicht (man hat ein de javue im Themenzusammenhang).
Nach der überfälligen Liberalisierung 1906 entsteht eine lebendige, aber unverantwortliche Presse, welche Stimmung und Auflage mit aggressiven Forderungen im Sinne der Panslavisten anheizt.
Die russische Führung fördert das, versucht aber den radikalsten Teil auf „Armlänge“ zu halten.
(Sanborn – Imperial Apocalypse)

Im DR
bildet sich mit den „Alldeutschen“ eine vergleichbar gesonnene „pressure group“, deren Einfluss nach der 2. Marokkokrise steigt, während die nationale Presse nun zunehmend die Kriegstrommel schlägt. (Gut beschrieben bei Fischer – Krieg der Illusionen-)
Hillgruber – Die Zerstörung Europas – S.84-85 schreibt, dass die aussenpolitische Handlungsfähigkeit der Regierung des DR in der Julikrise durch zwei Faktoren eingschränkt war:
1. die besondere Stellung des Militärs im Kaiserreich,
2. „durch die von starken „pressure groups und Agitationsverbänden weitgehend nationalistisch-chauvinistisch beeinflußte Meinung dieser Zeit“
Beide Gruppen wollen Krieg und arbeiten an diesem Ziel.
(Bei letzterem spiegeln sich russische und deutsche Verhältnisse, wenngleich auch erhebliche Unterschiede bleiben.)

Ich denke ohne die Zutat des agressiven Nationalismus zum schließlich explosiven Gemisch hätte dieses nicht gezündet.
(Und die zweite große Weltkatastrophe auch nicht.)

Es ist dies nach meinem Verständnis auch eine „Bedeutung“ des Ersten Weltkriegs „in der heutigen Zeit“.
 
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