Nationalismus
Weiß ich nicht.
Im Hinblick auf den ersten Weltkrieg würde ich da nach wie vor die Frage stellen wollen, bei welchem Akteur tatsächlich nationalistische Stimmungen und Interessen für die Positionierung im entscheidenden Moment fassbar sind?
Das vielleicht auch nicht so einfach und ich versuche es mal.
Fangen wir an mit dem
Balkan,
dem Epizentrum der Erschütterung.
Im Oktober 1912 wird das Osmanische Reich durch den aggressiven Nationalismus von Serbien, Griechenland, Montenegro und Bulgarien innerhalb weniger Wochen aus Europa fast komplett hinausgefegt.
Dies zum Erstaunen der Welt und zum großen Schrecken Ö-Us.
Denn im Vielvölkerstaat gärte bereits der Nationalismus, der soeben seine gewaltige Sprengkraft demonstriert hatte. Dies sozusagen vor der Nase der Habsburger,
die bereits 1867 ein schmerzhaftes Zugeständnis (Ausgleich) an den Nationalismus der Ungarn machen mussten.
Und damit war noch keine Ruhe in den Kronländern eingekehrt.
Ö-U
ist durch den inneren Nationalismus bedroht, während gleichzeitig ein höchst aggressiver äußerer Nationalismus Gebietsansprüche stellt, sprich die Anerkennung der Grenzen verweigert.
Der Nationalismus ist die am stärksten destabilisierende Kraft auf dem Balkan.
Ich denk da kann man einen Haken dran machen, wenn nicht müssen wir uns das genauer anschauen.
Dominic Lieven – End of Tsarist Russia – schreibt in der Einleitung „Imperialism, nationalism, and the dilemma of modern empire were at the core of World War I's origins.“
Nationalismus bedroht Reiche die multiethnisch sind. Wie das Osmanische Reich 1912 erleben musste, und noch weiter erleben wird.
Russland
ist ja auch ein Vielvölkerstaat für den das ebenso gelten sollte und tatsächlich wird z.B. der polnische und ukrainische Nationalismus als bedrohlich wahrgenommen.
Doch sind da die Verhältnisse der Zahlen nach ethnischer Zugehörigkeit anders, insbesondere dann wenn man den Gebrauch des Slawischen zum Maßstab macht.
Und eben das wird ja durch den Großrussischen Nationalismus propagiert. Die anderen slawischen Sprachen sind nur Dialekte und Ukrainer gibt es nicht (man hat ein de javue im Themenzusammenhang).
Nach der überfälligen Liberalisierung 1906 entsteht eine lebendige, aber unverantwortliche Presse, welche Stimmung und Auflage mit aggressiven Forderungen im Sinne der Panslavisten anheizt.
Die russische Führung fördert das, versucht aber den radikalsten Teil auf „Armlänge“ zu halten.
(Sanborn – Imperial Apocalypse)
Im DR
bildet sich mit den „Alldeutschen“ eine vergleichbar gesonnene „pressure group“, deren Einfluss nach der 2. Marokkokrise steigt, während die nationale Presse nun zunehmend die Kriegstrommel schlägt. (Gut beschrieben bei Fischer – Krieg der Illusionen-)
Hillgruber – Die Zerstörung Europas – S.84-85 schreibt, dass die aussenpolitische Handlungsfähigkeit der Regierung des DR in der Julikrise durch zwei Faktoren eingschränkt war:
1. die besondere Stellung des Militärs im Kaiserreich,
2. „durch die von starken „pressure groups und Agitationsverbänden weitgehend nationalistisch-chauvinistisch beeinflußte Meinung dieser Zeit“
Beide Gruppen wollen Krieg und arbeiten an diesem Ziel.
(Bei letzterem spiegeln sich russische und deutsche Verhältnisse, wenngleich auch erhebliche Unterschiede bleiben.)
Ich denke ohne die Zutat des agressiven Nationalismus zum schließlich explosiven Gemisch hätte dieses nicht gezündet.
(Und die zweite große Weltkatastrophe auch nicht.)
Es ist dies nach meinem Verständnis auch eine „Bedeutung“ des Ersten Weltkriegs „in der heutigen Zeit“.