Ich hab kein gutes Gefühl bei dieser Art "Aufarbeitung", die irgendwie allen die Schuld zuschiebt, wo Deutschland doch nach der Ansicht vieler Historiker agressiv nach der Weltmacht gegriffen hat.
Da sind einige Probleme in der Fischer'schen Betrachtung, die dadurch zustande komme, dass er sich nur die deutsche Perspektive angeschaut hat und dann ist da auch noch ein nicht zu unterschätzendes Rezeptionsproblem:
Das wird häufig so verstanden, als hätte Deutschland aus dem Versuch heraus Weltmacht zu werden bewusst auf diesen Krieg hingearbeitet, bzw. ihn losgetreten.
Dagegen sprechen verschiedene Dinge:
- Wenn man das tatsächlich gewollt hätte, hätte es wesentlich günstigere Zeitpunkte gegeben. Nachdem Russland nach der Niederlage gegen Japan und der Revolution 1905 massiv geschwächt und kaum handlungsfähig, dazu pleite war, wäre es zu diesem Zeitpunkt bis vielleicht 1910 ein Leichtes gewesen einen Agressionskrieg gegen Frankreich oder Russland zu führen, zu gewinnen und eine der beiden Mächte als Großmacht auf absehbare Zeit auszuschalten. Das passierte aber nicht.
- Die Bevorratung an Munition 1914 reichte in Deutschland bei Kriegsausbruch für knapp drei Monate und dass der Krieg danach überhaupt weitergeführt werden konnte, war einer unglaublichen Energieleistung im Bereich der Rüstungs- und Ersatzwirtschaft geschuldet, die durchaus nicht selbstverständlich war. Man sollte meinen, hätte Deutschland auf den Krieg hingearbeitet, hätte es rechtzeitig dafür gesorgt genügend Munition zu horten.
- Pläne des Generalstabs das Landheer zu vergrößeren wurden noch 1912 nicht etwas durch den Reichstag niedergestimmt, sondern v. Moltkes Wünsche das Heer um 300.000 Mann zu veergrößern (in Reaktion auf die laufenden Russischen Heeresvermehrungen) scheiterten Maßgeblich am Widerstand des Kriegsministeriums und im Besonderen an der Person des Kriegsministers Josias v. Heeringen, der seinerseits beim Kaiser intervenierte und erreichte, dass die Heeresvermehrungen drastisch zusammengestrichen, das Heer lediglich um 100.000 Mann erweitert werden sollte. Nun sollte man ja meinen, ein Land dass plant einen Weltkrieg vom Zaun zu brechen würde vorher seine Armee aufrüsten, wo es geht.
Auch das passierte nicht.
- Es gab bei Kriegsausbruch auch keine greifbaren definierten Kriegsziele. Fischer hat in seinem Werk auf das "Septemberprogramm" der Regierung Bethmann-Hollwegs abgestellt, das in der Tat nicht eben bescheidene Eroberungen vor allem in Übersee vorsah (in Europa waren die Ziele danach begrenzter), hat dabei aber ein wenig übeersehen, dass dieses Programm keineswegs vor Kriegsbeginn enstand, sondern erst in den ersten Wochen des Krieges ausgearbeitet wurde, in denen es ja zeitweise (jeedenfalls oberflächlich) so aussah, als könnte ein schneller Sieg im Westen gelingen.
Ich denke unter Berücksichtigung dessen, sollte eine etwaige These dahingehend, dass Deutschland den Krieg vom Zaun gebrochen hatte um "nach der Weltmacht zu greifen" vom Tisch sein.
Dagegen spricht so ziemlich alles und jedes.
Der Zeitpunkt war vergleichsweise ungünstig für so ein Unterfangen, der Krieg war offensichtlich nicht in dem Maße vorbereitet, wie man das für ein solches Unternehmen erwarten würde und Diskussionen darüber, was man mit diesem Krieg überhaupt erreichen wollte (abgesehen von der Schwächung Serbiens und idealer Weise der Sprengung der Entete, dass war vorher Konsens) kommt, soweit nachweisbar erst tatsächlich in Gang, als der Krieg bereits seit einigen Wochen lief.
Das heißt nicht, dass die Vorstellung, dass es einen "Griff nach der Weltmacht" gegeben habe so abwegig ist, denn sowas könnte man durchaus aus dem Brest-Litowsker Friensvertrag, den "Mitteleuropaplanungen" der annexionistischen Kräfte und der Vorstellung vor allem Belgien vollständig in den eigenen Machtbeereich zu integrieren durchaus herleiten.
Hätte sich das alles umsetzen lassen, wäre es durchaus zu einer Vorherrschaft Deutschlands über ganz Europa gekommen und hätte durchaus zu einer Art Weltmachtstellung Deutschlands führen können/sollen.
Der Knackpunkt hierbei ist nur, dass Teile dieses Programms erst der späteren Kriegszieldiskussion während des Krieges entstammen und auch die im "Septemberprogramm" dargelegte Grundkonzeption, vor allem Einfluss in Belgien gewinnen und Mitteleuropa wirtschaftlich beherrschen zu wollen, erst nach Kriegsausbruch aufkommen, in Teilen auch als Reaktion auf die Weigerung Belgiens sich kooperativ zu zeigen und auf den Kriegseintritt Großbritanniens verstanden werden können.
Diesen Zielsetzungen wird man sicherlich ein gerüttelt Maß an Schuld zuschreiben können, dass dieser Krieg nicht früher un zu erträglicheren Konditionen für alle beendet wurde.
Daraus allerdings eine deutsche Verantwortlichkeit für den Beginn des Krieges ableeiten zu wollen, ist insofern konstruiert, als dass diese Zielsetzungen vor Kriegsbeginn (so weit meine Kenntnis) nirgendwo aktenkunig sind und sich daher nicht belegen lässt, dass Deutschland um dieser Ziele willen den Krieg losgetreten habe (zumal ihn leetztendes nicht Deutschland, sondern Österreich-Ungarn losgetreten hat, denn der deutsche "Bankoschek", so problematisch er sicherlich ist, gab Wien die Möglichkeit loszuschlagen aber zwang die Wiener Politik durchaus nicht dazu).
Noch ein paar Worte zu Fischer:
Fischer hat sicherlich in seiner Interpretation der deutschen Materialien zum Kriegsausbruch eine großartige Arbeit geleistet, deren wesentliches Problem allerdings darin liegt, dass sie, wie weiter vorne schon einmal angemerkt eine Spezialstudie zu den deutschen Verhältnissen ist.
Wie ebenfalls angemerkt, ist dieser Umstand nicht unbedingt Fischer anzulasten (Sprachbarriere/Zugang zu Archiven) er führt allerdings dazu, dass die Dinge bei Fischer etwas weniger kontrastiert werden, als bei Clark.
Z.B. hat Fischer ja sehr den deutschen "Blankoschek" an Wien herausgestellt, der auf eine Ermutigung zu möglichst unnachgiebiger Haltung hinauslief und das als sehr problematisch eingestuft, was durchaus richtig ist.
Die Perspektive, die Fischer dadurch, dass er sich nur mit den deutschen Verhältnissen befasst hat, fehlt, ist in diesem fall z.B. diejenige, dass von französischer Seite Russland ganz ähnliche Zusicherungen gegeben wurden, wie diejenige, die Berlin Wien gegeben hatte.
Selbiges lässt sich auch auf die Kriegsziel-Diskussion anwenden, denn auch die trieb in anderen Ländern Blüten, die von den deutschen Phantasien so weit nicht entfernt waren.
Das ist ein wenig, dass, was ich in der Unterhaltung mit
@Turgot meinte, wenn ich sage, dass ich so groß die Widersprüche, zwischen fischer unf Clark nicht sehe.
Clark hat ja durchaus Fischers Feststellungen für die deutsche und österreichische Seite kaum widersprochen, außer vielleicht in dem Punkt, dass er das Wiener Ultimatum an Belgrad nicht für sooooo unannehmbar hielt, wie Fischer das tat.
Darüber kann man sich dann trefflich streiten.
Insgesamt sehe ich bei Clakr aber weniger einen fundamentalen Widerspruch zu Fischer, als viel mehr eine Einbettung von Fischers Erkenntnissen zu Deutschland in den gesamteuropäischen Kontext unter expliziter Ausklammerung der Schuldfrage.