Das habe ich schon häufig genug getan. Die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft - und diese ist nun mal in der Indoeuropäistik entwickelt worden - ist eine wissenschaftliche Methode.
Ich habe das schon mehrfach versucht zu verdeutlichen.
Als Beispiel:
Wir beobachten bei verschiedenen Worten einer gemeinsamen Muttersprache dieselbe Umlautungen in verschiedenen Tochtersprachen:
Lat. > ital. - span. - frz. - port. - rum.
lax - lactis > latte - leche - lait - leite - lapte
nox - noctis > notte - noche - nuit - noite - noapte
Wir stellen also fest, das der lateinische -kt- Nexus im Italienischen regelmäßig zu -tt- wird, im Spanischen regelmäßig zu -ch-, im Französischen und Portugiesischen zu -it- im Rumänischen zu -pt-.
Wir überprüfen das noch an weiteren Beispielen und kommen jeweils zu denselbe Ergebnissen. Bzw. wir können auch die Ableitungen logisch bilden und dann mit dem jeweiligen Lexikon abgleichen und werden feststellen, dass sie regelmäßig wiederkehren. Drei Beispiele zum Selber ausprobieren
(di)rectus
factum
dictum
tectum
etc.
In der Indoeuropäistik ergibt sich nun ein Problem. Wir haben zwar von China bis zum Atlantik eine Reihe von indoeuropäischen Sprachen, manche davon lebend, manche davon ausgestorben, aber keine kann davon kann in Anspruch nehmen, der Urdialekt des Indoeuropäischen zu sein. Also - und hierin liegt der Ursprung deines Denkfehlers - müssen wir die Urformen der Worte rekonstruieren, so, wie sie wahrscheinlich geklungen haben dürften. Da es sich um Rekonstruktionen handelt, markieren wir diese durch einen Asterisken, der bedeutet in der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft
diese Wortform ist nicht belegt, dürfte aber, anhand des vorliegenden Sprachmaterials in den verschiedenen indoeuropäischen Sprachen so oder so ähnlich geklungen haben.
So kann ich z.B., wenn ich das spanische Wort
pecho habe überlegen, wie es im Lateinischen geklungen haben dürfte und wie es im Französischen klingen müsste.
Dein Denkfehler ist aber nun der, dass das ja nur rekonstruiert ist.
Natürlich endet die Möglichkeit weiter zurückzugehen an einem Punkt, vor allem dann, wenn ein Lexem entlehnt ist oder es sich um einen Neologismus handelt. Aber jede wissenschaftliche Methode hat ihre Grenzen.
Ich habe das dir gegenüber schon mal mit einer Stadtkerngrabung verglichen:
Wenn Du eine archäologische Grabung leitest und feststellen musst, dass leider mitten durch deinen Befund eine Wasserleitung gelegt wurde, kannst Du auch nur anhand dessen was sich links, rechts und unter der Wasserleitung im Befund wiederfindet vermuten, wie der Befund an der Stelle der Wasserleitung ausgesehen hätte, wenn nicht zufälligerweise vor 40 Jahren jemand diese Wasserleitung an dieser Stelle verbuddelt hätte.
Oder, du hast, weil du eine Grabung in einer Innenstadt leitest, aufgrund des Umstands dass gebaut werden soll, leider nur die Möglichkeit dort zu graben, wo gebaut wird. Auch hier rekonstruierst Du – sofern du natürlich das Glück hast, Zeit und Geld für die Auswertung zu haben – aufgrund unterschiedlicher Befunde ein Gesamtbild:
Nimm z.B. die beiden karolingerzeitlichen Gräben parallel zum Ufer der Elbe in Magdeburg. Nachgewiesen sind von ca. 150 m Gesamtlänge der Gräben vielleicht 20 m. Nichtsdestotrotz wird – hypothetisch – die Gesamtlänge der Gräben rekonstruiert:
Nichts anderes machen Indoeuropäisten. Nur aufgrund eines sehr viel besseren Datenmaterials, welches wiederum vergleichbar mit dem Erfahrungswissen ist, welches du aus anderen archäologischen Grabungen mitbringst.