Irene schrieb:
Herold schrieb:
Und noch etwas: Hier ist häufiger das Wort "sinnlos" gefallen, was den Tod der Hexen angeht. Obiges Beispiel zeigt: "Sinnlos" waren diese Prozesse nicht, schrecklich und furchtbar für die Betroffenen, keine Frage, und beklemmend für uns heute, sicherlich. Es mag zynisch klingen, aber es steckte durchaus ein Sinn, eine rationale Verhaltensweise dahinter. Es war häufig kein sinnloser Wahn, kein Rausch - Hexen waren Teil der vormodernen Welt und als solche konnte ihre Existenz ins Kalkül religiösen oder politischen Denkens einbezogen werden. Mit Hexenglauben und Hexenverfolgungen konnten Interessen durchgesetzt werden. Und die Zeitgenossen hatten kaum Probleme damit, vermeintliche Hexen zu bekämpfen und daraus auch noch Vorteile für ihre eigenen Positionen zu ziehen.
Das ist eine gefährliche Dialektik, auch im Hinblick auf andere große Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Denn für die Täter wird jedes Verbrechen letztendlich durch rationales Denken sinnvoll, je nachdem, welches Ziel verfolgt wird.
Mag sein, dass es schwer ist Schuldige auszumachen, aber es gibt kein Verbrechen ohne Täter und damit ohne Schuldige.
Ja, es wäre schon schön für uns, wenn die Fronten klarer abgesteckt wären, nicht wahr? Ein finsterer fanatischer Hexenjäger, der seinen persönlichen sadistischen Frauenhass auslebt, und dabei vom skrupellosen Machtsystem einer Kirche gestützt wird, die Nächstenliebe predigt und Unschuldige in Massen auf die Scheiterhaufen bringt und das auch noch für Gottes Willen hält - das würde uns die Beurteilung, Entschuldigung, natürlich die moralische Verdammung leichter machen.
Doch so einfach macht es uns die Geschichte dann doch nicht. Im Gegensatz zu allem, was uns historische Romane, Filme, ja bisweilen auch Dokumentationen und in Teilen auch die ältere Geschichtsschreibung so vermitteln wollen, hängen historische Entwicklungen selten an nur einer Person, auf die die Nachwelt dann mit dem Finger zeigen kann ob ihrer Schuld (eben den offensichtlich gesuchten Täter, wie in diesem Fall zum Beispiel Heinrich Kramer/Institoris). Komplexe Phänomene wie die Hexenverfolgung beruhen auf einer Vielzahl von Interessen und Motivationen einer großen Gruppe von handelnden Akteuren, die es schwer macht, die Rolle einzelner zu bewerten. Es gibt genausowenig die "Bösen" wie die "Guten". Personen und Personengruppen handeln nach Interessen und Schuld ist hierbei eine moralische Kategorie, die schwer auf vergangene Zeiten mit einem deutlich anderen Weltverständnis anwendbar ist:
Wie soll man einer Zeit, die vollkommen, vom Kaiser bis zum Bauern, vom Papst bis zum Pfarrer, von der Existenz von Magie überzeugt ist, verständlich machen, dass der Glaube an eine Hexenverschwörung abwegig ist? Wie kann man den Fürsten dafür verurteilen, dass er sein Land von dieser teuflischen Verschwörung befreien will? Wie kann man den Bauern dafür verurteilen, dass er glaubt, seine Missernte liegt in einem Schadenszauber begründet?
Unsere moralischen Maßstäbe einer wissenschaftlich-rationalen Welt an eine magisch fundierte Welt anzulegen, hilft einem Verständnis dieser Zeiten nicht weiter. Es ist wunderbar einfach, sich heute moralisch zu erregen, wie abergläubisch und unmenschlich frühere Zeitgenossen gedacht und gehandelt haben, aber dabei wird vollkommen verkannt, dass deren vormodern-magisches Weltverständnis in sich vollkommen schlüssig war und es kaum einen Grund gab, an dessen Funktionieren (inklusive Hexenverfolgung) zu zweifeln. (Umso höher ist übrigens das Wirken derjenigen zu bewerten, die tatsächlich begonnen haben, diese Funktionsweise in Zweifel zu ziehen.) Und dieses vormodern-magische Weltverständnis (wiederum inklusive Hexenverfolgung) ist das Ergebnis einer kulturellen Evolution über die Jahrhunderte und nicht das Ergebnis einer von der Kirche oder von wem auch immer aufoktroyierten Weltsicht. Die Menschen des 16./17. Jhd.s konnten dieser Weltdeutung nicht entkommen, es gab nicht die Option, Magie und ihre schädlichen Ausformungen in Frage zu stellen.
(Und ungern möchte ich diese Diskussion auf andere große Verbrechen der Menschheitsgeschichte ausdehnen (hier hängt natürlich das Wort Nationalsozialismus im Raum - oder zumindest die Totalitarismen des 20. Jhd.s), der kurz angerissene kulturelle Kontext ist ein vollkommen anderer und deshalb dürften Argumente in diese Richtung der Diskussion hier nur wenig zu Gute kommen.)