Kann man denn anhand von sprachwissenschaftlichen Fakten und Erkenntnissen eine Angabe zum Alter der IE-Urform machen und wenn ja, diese nachvollziehbar mit eigenen Worten erklären?
Sicher kann man sagen, dass sie älter als die ersten indoeuropäischen Sprachzeugnisse sein muss. Das ist ja trivial. Also vor 2000 v. Chr. Weil die frühen indoeuropäischen Sprachen schon so divers sind, geht man davon aus, dass sie sich wenigstens seit über einem Jahrtausend auseinander entwickelt haben. Aber solche Aussagen haben schon einen viel spekulativeren Charakter.
Zeitlich von der anderen Seite eingrenzen lässt es sich, weil man für PIE Wörter für 'Wagen', 'Rad', 'Wolle', 'melken' rekonstruieren kann -- alles technologische und kulturelle Innovationen die man auf nicht vor 4000 v. Chr. datiert.
Das ist wohl der Zeitrahmen, den man für das Protoindoeuropäische annehmen müsste, also zwischen vielleicht 2500 und 4000 v. Chr.
Ansonsten kann man fast nur eine relative Chronologie angeben. Das Verbalsystem der anatolischen Sprachen z.B. scheint das archaischste zu sein und alle anderen indoeuropäischen Sprachen zeichnen sich dort durch gemeinsame Innovationen aus. Daraus kann man sicherlich ableiten, dass sich das Anatolische zuerst sprachlich und geografisch von der Sprache oder dem Sprachkontinuum, aus dem sich später die anderen indoeuropäischen Sprachen entwickelt haben, getrennt hat. (Man kann das natürlich auch andersherum sehen, sodass sich das "Restindoeuropäische" vom Anatolischen getrennt hat. Das ist äquivalent.) Wann das konkret passiert sein mag, ist schwierig zu sagen und so etwas mit einem archäologischen Befund in Deckung zu bringen, meist kontrovers.
Daneben werden im Moment verschiedene statistische Methoden aus der Genetik und Bioinformatik auf die historische Sprachwissenschaft übertragen, um phylogenetische Bäume und Netze von Sprachfamilien zu erstellen. Das ist eigentlich nur konsequent, waren biologische Stammbäume doch von Sprachstammbäumen inspiriert und bei den zahlreiche Parallelen zwischen biologischer und sprachlicher Evolution. Jedenfalls eigenen sich solche Verfahren in der Bioinformatik, um phylogenetische Bäume zu datieren und setzten im Gegensatz zur althergebrachten Glottochronologie keine konstante Evolutionsrate voraus.
Möglicherweise führt das dazu, dass man in Zukunft konkretere Angaben Zeitangaben machen kann, falls die Methoden sich als robust erweisen. Das alles jedenfalls ist faszinierend und super spannend, experimentell und umstritten.
Wer Interesse am Thema und Zugriff auf die
Phil. Trans. R. Soc. B hat, kann sich dazu dieses Paper ansehen: Gray, R. D., Atkinson, Q. D., & Greenhill, S. J. (2011). Language evolution and human history: What a difference a date makes.
Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences,
366(1567), 1090–1100. doi:10.1098/rstb.2010.0378